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Kr. 117. 3V. Jadryavh. 1 KkilM des Jotniärtü" ßctlintt öolliülilitt. Donnerstag. 15. Mai 1913. Oer Knabenmörder verhaftet und geständig. Der Kriminalpolizei ist es rasch gelungen, das scheußliche Ver- brechen an dem Knaben Klähn aufzuklären und den Täter hinter Schloß und Siegel zu bringe;:. In der vergangenen Nacht wurde ein herrschaftlicher Diener verhaftet, auf dessen Spur die Ermitte- lungen geführt hatten. Der Verhaftete hat jetzt bereits ein Ge- ständnis abgelegt. ES handelt sich um den Koch und Diener I o s e f R i t t e r, der bei zwei einzelnen Herren in der Hohenzollern- straße 26 seit einiger Zeit beschäftigt war. Ritter war in der kriti- scheu Zeit allein in der ganzen Behausung, weil seine Dienstherren einen Pfingstausflug machten. Die Ermittelungen ergaben, daß er zu den Kunden des Kolonialwarenhändlers Scholz gehörte, für den der getötete Klähn zuletzt Hilfsdienste leistete. Ritler kaufte selbst bei Scholz ein und nahm die Waren in der Regel gleich mit. Oester ließ er fie sich auch nach der Wohnung bringen. Es war schon auf- gefallen, daß er sich an Hausdiener und Boten des Geschäfts ver- dächtig heranmachte, wie es Leute mit perversen Neigungen zu tun pflegen. Man erinnerte sich nun bei Scholz, daß Ritter am Sonnabendabend wieder dagewesen war und einen Siphon bestellt hatte, den ihm Klähn nach Hause brachte. Von diesem Gange kehrte der Knabe kurz vor 8 Uhr zurück. Er erzählte freudig, daß er ein gutes Trinkgeld bekommen habe. Kurz darauf ließ er sich unter der falschen Vorspiegelung, daß er Besuch vom Bahnhof abholen müsse, freigeben. Etwas vor S Uhr sah nun ein anderer Bursche, der früher bei Scholz gewesen war und Ritter daher kannte, diesen in der Nähe der Lützowstraße aufgeregt daherkommen. Ritter fragte ihn, ob er nicht wisse, wo man in der Nähe Packpapier kaufen könne. Der Bursche wies ihn an das Papiergeschäft von Müller in der Lützowstr. 62. in der Nähe des Kolonialwaren- geschäftes von Scholz. Die Ermittelungen ergaben, daß Ritter in der Tat wenige Minuten vor S Uhr in dieses Geschäft gekommen war und von dem Packpapier gekauft hatte, wie es später als Hülle für die Leichenteile benutzt worden war. Nach dieser Feststellung begaben sich sofort Kriminalbeamte nach der Wohnung in der Hohenzollernstraße, um sich des Verdächtigen zu versichern. Sie klingelten an, erhielten aber keine Antwort. In der Annahme, daß er ausgegangen sei, legten sie sich auf die Lauer, um die Rückkehr RltterS abzuwarten. Nachdem sie die ganze Nacht hindurch in ihren Verstecken geharrt hatten, knarrte in früher Morgenstunde plötzlich die Wohnungstür. Jetzt drangen die Beamten ein und fanden den Diener in der Behausung. Ritter erkannte sofort, daß seine Tat entdeckt war und zeigte ein niedergeschlagenes und bedrücktes Wesen. Man befragte ihn an Ort und Stelle nicht weiter, sondern brachte ihn sofort nach dem Polizeipräsidium. Unterdessen nahmen die zurückbleibenden Beamten in der Behausung eine gründ- liche Durchsuchung vor. In dem Dienerzimmer fanden sie zunächst eine Schürze, die noch ungebraucht aussah und zusammengefallet war. Als man sie aufmachte, zeigten sich deutliche Blutflecke, die bald als Menschenblut erkannt wurden. In demselben Raum fand man weiter Kartonpapier, von derselben Art wie das zur Zusammenstellung des Kartons, in dem die Leichenteile weggeschafft wurden, benutzte. In einer Ecke lagen ferner zusammengeknüllte Handtücher, die ebenfalls starke Blutspuren zeigten. Die vermißten Schuhe des Knaben wurden nicht gefunden. Das Belastungsmaterial war aber ohnehin schon so schwer, daß man mit den beschlagnahmten Sachen sofort nach dem Polizeipräsidium fuhr, um jetzt den Verhafteten eingehend ins Gebet zu nehmen. Unter der Wucht des Verdachtsmaterials und nament- lich beim Anblick der gefundenen Sachen brach Ritter gleich zusammen und legte nun ein umfassendes Geständnis ab. Es lautet dahin: Ritter gibt zu, schon früher mit Burschen aus dem Geschäft von Scholz unlautere Beziehungen unterhalten zu haben. Bei Einkäufen wußte er es sogar besonders dabin einzu richten, daß die Jungen zu»hm in die Wohnung kommen mußten. Zu diesem Zwecke teilte er mitunter die Einkäufe, obwohl sie an und für sich nicht sehr groß waren, doch noch so, daß er etwas selbst mitnahm und den Rest sich nach der Wohnung bringen ließ. Den kleinen Klähn kannte Ritter noch nicht. Er wußte aber, daß für Scholz immer junge Burschen arbeiteten, und um am Sonnabend� abend wieder einen nach der Behausung zu bekommen, bestellte er den Syphon. Als Klähn diesen abgeliefert hatte und dann auf seine Veranlassung noch einmal zurückkehrte, nachdem er sich von Scholz freigemacht hatte, zeigte er sich seinen Neigungen nicht ge- fügig, drohte ihm auch, versuchte ferner, wie Ritter behauptet, eine Erpressung und schrie laut auf, um ihn in Verlegenheit zu bringen. In der Angst griff Riller, immer nach seiner Darstellung, jetzt gleich mit beiden Händen zu. packle ihn an der Kehle, um ihn am Schreien zu Verhindern. Zu diesem Zweck hielt er ihm dann auchoch den Mund zu. AlS aber auch das noch nicht half, legte er ihm einen Strick um den Hals. Wie das im einzelnen vor sich gegangen ist, dessen kann sich Ritter, wie er sagt, nicht mehr entsinnen, weil er zu aufgeregt war. Als sich endlich die furchtbare Erregung gelegt hatte, und er wieder zu klarem Bewußtsein kam, sah er zu seinem Schrecken den Knaben tot auf dem Fußboden liegen. Jetzt packle ihn die Angst noch mächtiger. Sein ftftct Gedanke war, wie er ungesehen und und unenldeckt die Leiche wegschaffen könne. Da er geeignete Hüllen in der Wohnung nicht besaß, so Uxf et gleich auf die Straße hinaus, um sie sich irgendwie und irgendwo zu beschaffen. Hierbei begegnete er dem anderen Burschen, der ihm Auskunft flber ein Papiergeschäft gab. Mit dem eingekauften Packpapier zurückgekehrt, brachte er die Leiche aus seinem Dienerzimmcr nach dem Korridor. Hier zerstückelte er sie mit einem Kücheumesser und einem Beil und verpackte sie dann so, wie sie später gefunden wurden. Für den großen Karton hatte Ritter das Material in der Wohnung gehabt. An Parier halte es ihm dagegen wie wir schon sagten gefehlt. Immer noch in der größten Aufregung, brachte er zuerst das Paker mit den Beinen hinaus. Mit der Straßenbahn fuhr er mit seinem unheimlichen Paket nach dem neuen Westen zu. u", sich dort seiner zu entledigen- Als er dazu in der Rotunde an der Meierottostraße und Kaiser-Allee eine günstige Gelegenheit fand, benutzte er sie. Da vu fuhr er nach der Wohnung zurück. DaS zweite Paket beschloß er mit der Eil enbahn wegzuschaffen. Er wollte eine Fahrkarte irgendwohin lösen und das Paket auf der Fahrt irgendwo stehen lassen! Um eine Karte zu kaufen, stellte er das Paket in der Porhalle hin. Am Schalter aber kam ihm der Gedanke, es sei am einfachsten und besten, das Paket kurzerhand dort stehen zu lassen, wo es stand. Danach verfuhr er denn auch, verließ den Bahnhof und gmg wieder nach Hause. Hier beseitigte er so gut er konnte die Spuren seiner grausigen Tat, Zuletzt sah er, daß die Schuhe des Knaben noch da waren. Er packte sie nun auch zusainmen, um das dritte Paket, diesmal ja nur ein kleines, auch gleich noch wegzuschaffen. Davon kam er aber zuletzt doch ab. Er brachte jetzt das kleine Paket nach dem Arbeitszimmer seiner Dienstherren und versteckte es dort auf einem Regal hinter Büchern, in der Absicht, es bei guter Ge- legenheit wieder hervorzuholen und dann irgendwie zu beseitigen. Auf dem Regal wurden denn jetzt auch die Schuhe gefunden. Ritter. der ganz zusammengebrochen ist und unter heftigem Weinen seine Tat sehr bedauert, wurde gestern nachmittag nach der Behausung seines Dienstherrn gebracht, um dort noch weiter vernommen zu werden. Er ist am 26. September 1873 zu Sago im Bezirk Krain geboren und spricht noch ausgeprägte österreichische Mundart. Der Verhaftete ist ein ziemlich großer Mensch mit knochigem Gesicht und blondem Schnurrbart und zeigt die typischen Züge pervers veran- lagter Menschen._ - Die Aahlen der Rlahlmänner finden am morgigen Freitag, den 16. Mai, statt. In Berlin wählt die II. Abteilung zuerst und zwar in der Zeit von vormittags 9 bis mittags 12 Uhr, alsdann die l. Abteilung von nachmittags 1 bis 2 Uhr und zulStzt die III. Abteilung von nachmittags 3 bis abends 8 Uhr. Die Wahlhandlung wird pünktlich mit dem Ende der für jede Abteilung festgesetzten Wahlzeit geschlossen. Demnach dürfen nach Schluß der für jede Abteilung festgesetzten Wahlzeit Urwähler der Abteilung, die zur Wahl gestanden hat, nicht mehr zur Abstimmung zugelassen werden, auch dann nicht, wenn sie sich bereits vor dem Schluß der Wahlzeit ihrer Abteilung im Wahllokale eingefunden hatten. Ferner wird darauf hingewiesen, daß der Wahlvorsteher von den zur Wahl erscheinenden Urwählern die Vorlegung einer Legitimation verlangen kann; als solche gilt: Steuer- quittung, Jnvaliditätskarte, Militärpapiere, Mietskontratt usw. oder die den Urwählern zugestellte Wahlkarte. Es wird dringend erforderlich sein, für genügend freie Zeit zur Ausübung des Wahlrechts am 16. Mai zu sorgen. Wähler der und 1. Abteilung werden gut tun, rechtzeitig für Ausübung ihres Wahlrechts Sorge zu tragen. Wenn auch für Arbeiter die Wahlzeit für die 2. und 1. Abtellung recht ungünstig liegt, so muß doch alles aufgeboten werden, daß uns gerade in diesen Abteilungen keine Stimme verloren geht. In verschiedenen Wahlbezirken in Berlin fällt gerade in diesen Abteilungen die Entscheidung. Daß auch die Wähler in der 3. Abteilung ihre Pflicht tun und durch rechtzeitige Stimm- abgäbe ihrer Wahlpflicht genügen, ist ebenso selbstverständlich Jeder Wähler aber mag eingedenk sein, daß die Wahl pünkt- lich geschlossen wird. Gehe also jeder Wähler frühzeitig zur Wahl! 3. Landtagöwahlbczirk. Genossen! Es hat sich die nochmalige Verbreitung eines Flugblattes notwendig gemacht. Wir ersuchen deshalb die Genossen, sich heute Donnerstag abend in den gekannten Stellen zur Verbreitung einzufinden. Heute abend 8'/s Uhr finden in folgenden Lokalen drei Wähllrversammlungen statt:Dresdener Kasino", Dresdener Straße 96,Luisenstadt-Kasino", Oranienstr. 180,Wilkes Festsäle", Sebastianstr. 39. Tagesordnung: Auf zur Landtags wähl. Referenten: Landtagsabgeordneter Heinrich Ströbel und Stadtverordnete Paul Dupont und Theodor Glocke. Zahl reiches Erscheinen erwartet Das Wahlkomitec. 7. Landtagswahlbezirk. Heute Donnerstag finden drei öffentliche Versammlungen statt. Das Wahlkomitee. 8. Landtagswahlbezirk. Heute Donnerstag, den 15. Mai, finden zwei Versamm­lungen statt und zwar im Schweizergarten am Königstor und in der Brauerei Königstadt, Schönhauser Allee 10. Referenten: G. Ledebour und Redakteur Däumig. Ansprache des Kandidaten Düwell. VI. Landtagswahlbezirk(Moabit ). Heute Donnerstagabend 7 Uhr von den bekannten Stellen findet die Verbreitung eines Flugblattes im Kuvert statt, wozu das Erscheinen aller Parteigenossen unbedingt erforderlich ist. Abends S'/s Uhr: Zwei große Wählerversammlungen, im Moabiter Gesellschaftshause und in der Patzenhofer-Brauerei. Referenten: PH. Scheidemann, Hugo Haase. In beiden Ver- sammlungen hält der Kandidat Eugen Emst eine Ansprache. * Im 12. Berliner Landtagswahlbezirk haben auch die Nationalliberalen eine eigene Kandidatur auf- gestellt. Das bchagt den Fortschrittlern aber gar nicht. In derFreisinnigen Zeitung" wird über diese Tatsache wie folgt berichtet: Hier, in Moabit , ist als nationalliberaler Kandidat gegen den fortschrittlichen Abg. Dr. Runze Prof. Dr. Groth aufgestellt worden, obwohl das heiß umstritlene�Mandat auch durch die Konservativen und namentlich durch die Sozialdemokraten bekämpft wird. Besonders bedauerlich ist es. daß hier der Kampf von den Nationalliberalen mit vergifteten Waffen geführt wird. Ein nationalliberales Flugblatt behauptet, daß die Fortschrittliche Volkspartei Forderungen aufftellt,deren volle Berwirklichung sie selbst nicht wünscht". So fordere sie das ReichSlagswahlrecht für den Landtag, hoffe aber,daß dieser Wunsch nie zur Tat wird". DaS ist ein Vorwurf, zu dessen Widerlegung eS keines Wortes bedarf." Die Nationalliberalen scheinen ihre Busenfreunde, mit denen sie für die Provinz Brandenburg Abmachungen ge- troffen haben, gut zu kennen. * * Die Zentralwahlbureaus für die einzelnen Land- tagöwahlbezirke sind an folgenden Stellen: 1. Wahlbezirk(Westen): Wiemcrs, Bülowstr. 58 Fern- sprecher Amt Lützow 9247. (Hansaviortel): Dreßler, Altonaer Straß? 20. Amt Moabit 330. 2. Wahlbezirk: Franz, Markgrafenstr. 6. Amt Moritz- platz 593. 3. Wahlbezirk: Felsmann, Ritterstr. 1. Amt Moritz- S848. 4. Wahlbezirk: Bieler, Dieffenbachstr. 76. Amt Moritz- platz 2359. 5. Wahlbezirk: Wählisch, Skalitzerstr. 22. Amt Moritz- platz 12 542. 6. Wahlbezirk: Hoffmami, Königsberger Str. 28. Amt Köniastadt 6192. 7. Wahlbezirk: Wiegel, Elbinger Str. 8. Amt König- stadt 6343. 8. Wahlbezirk: Hundt, Mendelssohnstr. 16. Amt König- stadt 909. 9. Wahlbezirk: Rochhaus, Schliemannstr. 39. Amt Norden 2187. 19. Wahlbezirk: Dams, Schlegelstr. 9. Amt Norden 159. 11. Wahlbezirk: Melzer, Wiesenstr. 29. Amt Moabit 1238. 12. Wahlbezirk: Paersch, Oldenburger Straße 10. Amt Moabit 1899. Charlotteubnrg: Volkshaus, Rosinenstraße 3. Amt Wil- Helm 1696. Neukölln: Parteisekretariat, Neukölln, Neckarstraße 3. Amt Neukölln 1894. Schöneberg : Henkel, Meininger Straße 8. Amt Lützow 1894. Teltow -Land: Schilling, Wilmersdorf , Lauenburger Str. 20. Amt Pfalzburg 1120. Ober- und'Niederbarnim: Schulz, Lichtenberg , Kronprinzen- straße 47. Amt Königstadt 851. » Tie Wahlarbeit der Liberalen wird nur zum geringen Teil von freiwilligen Hilfskräften und Partei- gängern des Liberalismus ausgeführt. Besonders für den Wahltag braucht jede Partei ein so großes Heer von Zettelverteilern, Schleppern, Listenführern usw.. daß die Liberalen in Berlin un- möglich aus ihren paar Anhängern die nötige Zahl von Hilfskräften zusammenbringen könnten. In noch größerem Umfange als sonst haben sie diesmal zu dem Notbehelf greifen müssen, bezahlte Hilfskräfte anzunehmen, ohne nach deren Parteizugehörigkeit zu fragen. Sie halten es für ebenso überflüssig, den ein- zustellenden Hilfskräfren zu sagen, daß eS die Liberalen sind, für die die Wahlarbeit geleistet werden soll. ImArbeitsmarlt" desLokalanzeigers' laS man am Dienstag folgende Annonce:.Zettelverteiler, Listenführer(Pensionäre, Invaliden usw.) für Freitag wollen sich melden... usw." Und am Mittwoch brachte dann derLokal-Anzeiger" in seinemArbeits- markt" eine zweite Annonce, die so lautete:1209 Herren. Pensionäre, Invaliden, stellunglose Kaufleute werden für die Wahlen als Listen- sührer, Zettelverteiler verlangt. Zu melden... usw." Beide Annonce» nannten nur die Meldestelle, gaben aber nicht an, welche Partei die Hilfskräste anwerben wollte. Wie zu erwarten war, meldeten sich Scharen von Stellunglosen oder Nebenerwerbsuchenden, die die angebotene Arbeit übernehmen wollten. Den Saal, in dem die Liberalen die Meldestelle eingerichtet hatten, füllten Hunderte von Arbeitern, Kaufleuten, Schreibern, auch von Invaliden und Pensio- nären, junge Leute und alte Männer, arme Schlucker im abgeschabten Rock, aber auch einzelne besser gekleidete Personen, �enen man die Not nicht sogleich auf den ersten Blick anmerkte. Die meisten aus dieser Schar von Beschäftigungsuchenden würden, so weit sie schon wahlfähig find, wahrscheinlich für die Sozialdemolrati stimmen. Hier aber mußten sie von den Liberalen sich zumuten lassen, für sie Wahlarbeit gegen die Sozial« demokratie zu leisten. Die Not zwang sie, sich um ein paar Mark ihren Gegnern zu verkaufen. Zugelassen wurde nur, wer durch eine Legitimation, z. B. Jnvalidenkarte, sich über seine Person ausweisen konnte. Außerdem wurde sonderbarer- weise eine Gebühr von 20 Pf. erhoben, von der in den Annoncen nichts zu lesen stand. Wofür die 20 Pf. zu bezahlen waren, erfuhr man nicht. Wer sie nicht übrig hatte oder sie nicht hergeben wollte, wurde ersucht,morgen wiederzukommen". Ohne die 20-Pf.-Gebühr gab es keine Arbeit. Von den Wartenden, die sich in dem Saal vor dem Podium drängten, schien keiner recht zu wissen, für welche Partei er sich als Helfer verkaufte. Wir haben wenigstens keinen gefunden, der auf unsere Frage, für welche Partei denn die Arbeit ge- leistet werden sollte, uns Auskunft hätte geben können. Möglich ist aber, daß mancher sich nur schämte, offen zu bekennen, welche Rolle die bittereNot ihm hier aufzwang. Einer der auf dem Podium sitzenden Herren, der einem nach dem andern die Ge- bühr von 20 Pf. abnahm/ hatte am schwarzen Rock ein paar glitzernde Denkmünzen, so daß man fast hätte vermuten können. Konservative vor sich zu haben. Die Legitimationen aber, die den Angeworbenen eingehändigt wurden, trugen die Adresse eines be- kannten Agitators der Liberalen. Es ist eine Schmach, daß die Gegner der Sozialdemokratie sich Hilfs- lräfte aus den Männern des Volkes kaufen können, weil Arbeitslosigkeit und Not ihnen die Erwerbsuchenden zutreiben. Im Wahlbezirk Neukölln-Schöneberg ist bisher von einer größeren öffentlichen Wahlagitation nichts zu spüren gewesen. Einzig und allein die Sozialdemokratie hat öffentliche Versammlungen abgehalten, in denen sie den Gegnern Gelegenheit gab. ihre Auffassung zu vertreten, eine Gelegenheit, die sie nicht benutzten. Bis auf den ersten schüchternen Versuch, haben die Gegner keine öffentliche Versammlungen mehr abgehalten. Man ladet jetzt nur noch Vereinsmitglieder zu Wählerversammlungen ein. Sogar die Konservativen haben sich nun doch noch entschlossen, eine besondere Kandidatur in Person des Pastors Lange aufzustellen. Die Versammlung bestand aus 61 Teilnehmern, sie mußte öfter unterbrochen werden, weil der Tumult einen derartigen Charakter annahm, daß man nahe daran war, sich zu prügeln. Auch von einer Agitation durch Flugblätter hat man bisher noch nichts zu spüren bekommen. Nicht ein einziges gegnerisches Flugblatt ist in der Oeffentlichkeit verbreitet worden. Aber man täuscht sich doch gewaltig, wenn man glaubt, daß die Gegner untätig sind. Hinter den Kulissen in aller Stille wird ziem- lich eifrig gearbeitet. Man hat zwar noch einige Not, überall die nötigen Wahlmänner aufzubringen, aber sonst scheint schon wieder der ganze behördliche Beamtenapparat in Bewegung gesetzt zu sein. Beschweren sich doch jetzt schon sogar die Neuköllner fortschrittlichen Bezirksvereine darüber, daß einzelne ihrer Mitglieder, die Magistrats- beamte sind, nicht offen die liberale Kandidatur des Grafen Matuschka unterstützen können. Daraus geht schon zur Genüge hervor, daß die Neuköllner Beamten die Kandidatur Mier unterstützen müssen, wenn sie nicht fürchten wollen, in ihrem Fortkommen geschädigt zu werden. Die Wahlleitung für die Kandidatur habe ein sehr einflußreiches Mitglied t