StadtveroräneteD'Qcriammlung. Sitzung vom Donnerstag, den 12. Juni 1913, nachmittags ö Uhr. Vorsteher M i ch e l e t eröffnet die Sitzung nach öVj Uhr. Die Deputation für die Gaswerke wird verstärkt durch den Stadtv. Fischer(Soz.); für den verstorbenen Stadtv. Bracke (N. L.) soll in der nächsten Sitzung Ersatz gewählt werden. Für die Ausschmückung der Plätze anläßlich des Regierungsjubiläums des Kaisers verlangt der Magistrat die Hergabe von 70 000 M. aus städtischen Mitteln. Der unter Mitwirkung der Berliner Künstlerschaft durch ein Komitee aufgestellte Ausschmückungsplan erstreckt sich auf die Straße Unter den Linden , die Friedrick)., Leipziger und Königgrätzer Straße sowie den Lustgarten, die Schloßbrücke, den Franz-Joseph-Platz, den Pariser und Potsdamer Platz sowie den Platz vor dem Brandenburger Tor . Für die Straßen haben die Anwohner 124 000 M. zusammengebracht, der städtische Beitrag soll die Aus- schmückung der Plätze ermöglichen. Stadtv. Heimann sSoz.l: Seit Monaten gehen durch die Zei- tnngen Nachrichten über die Ausschmückung von Straßen und Plätzen zum Regierungsjubiläum des König?; seit 10 bis 12 Tagen ivird überall angestrengt gearbeitet, die sogenannte Ausschmückung ist fast fix und fertig, und endlich werden jetzt auch die Stadt- verordnetes, die dafür Gelder bewilligen sollen, damit befaßt. (Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Auch neulich haben wir über eine Geldbewilligung beraten, als die Veranstaltungen für die Wagnerfeiern, wofür die Gelder bestimmt waren, schon fast vorbei waren. WaS soll man zu solchen Uebergriffen des Magi- stratS in der Verwendung nicht bewilligter Gelder sagen? Die einzig richtige Antwort wäre die glatte Ablehnung solcher Antrage! Wie die Dinge hier liegen, ist daran nicht zu denken; jedenfalls aber erheben wir den schärfsten Protest gegen die den Stadtverordneten auf diese Weise gezeigte Mißachtung und Nehmen an, daß auch die bürgerlichen Parteien sich diefem Protest anschließen. Der Magistrat scheint überhaupt unser Gelobewilli- gungSrecht, unser vornehmstes Recht, geflissentlich beiseite zu ichieben. Der Kaisertochtec hat die Stadt zur Hochzeit einen kost- baren Teppich verehrt; bis auf den heutigen Tag ist uns darüber amtlich nichts bekannt geworden.(Hörtl hört!) Entweder ist das Geld von privater Seite aufgebracht, dann wäre aber nicht zu begreifen, ivie der Oberbürgermeister bei der Ueberreichung von einem Geschenk der Stadt Berlin reden konnte, oder es sind städtische Mittel verwendet worden. sRufe: Auf Akgahlung? Heiterkeit.) Das möchte ich einstweilen nicht glauben. Vielleicht ist daS Geld aus dem Titel ,,Zu repräsentativen Zwecken" ent- uommen worden, der 18 000 M. enthält. Träfe dies zu, dann brauchte der Magistrat Avar keine Genehmigung der Versammlung, er hätte aber dem Titel geradezu Gewalt angetan.(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Für ein Hochzeits- geschenk, über dessen Auswahl man wahrscheinlich wochenlang deli- beriert hat, aus diesem Titel eine Summe zu entnehmen, die allein mehr als ein Drittel des genannten Titels ausmacht, das kann doch von uns nicht gutgeheißen werden, wenn wir nicht zu- geben wollen, daß wir mit der Beseitigung des GeldbewilligungS» rechtes einverstanden sind. Eventuell würden wir beantragen müssen, bei der nächsten Etatsberatung diesen Titel um ein Drittel zu kürzen und die Zweckbestimmung genau zu begrenzen. Die Bc- friindung der heutigen Vorlage trägt einen merkwürdigen, zwie- pältigen Charakter. Teils will sie dem Kaiser eine Huldigung bringen, teils stellt sie sich in den Dienst von Hotelbesitzern und Hoflieferanten. Objektiv, wie wir Sozialdemokraten nun einmal sind, könnten wir uns vorstellen, daß der Magistrat als streng monarchische Körperschaft die Mittel für die Hulbigung von unS erbittet; aber sich ins Schlepptau dieser Geschäftsleute nehmen zu lassen und ihnen einen Teil der R e k l a m e I o st e n abzunehmen, das scheint mir der Würde der Stadt nicht entsprechend. Im „Berliner Tageblatt" war jüngst zu lesen, daß die Stadt Berlin demnächst darum angegangen werden solle, ein gewisses Reklame- budget alljährlich in den Etat einzustellen. Das läßt erkennen, daß der Weg, auf den der Magistrat mit dieser Vorlage tritt, sehr abschüssig ist. Der Magistrat hätte bessere und vornehmere For- men finden können, wie die 70 000 M. auszugeben wären. Soziale Möglichkeiten stehen dazu in den Zeiten der beginnenden Ar- bettslosigkeit zu Dutzenden offen. Vom Standpunkt der Leute freilich, die die Huldigung als Mittel zu dem Zweck be- nutzen, Geld in ihre Tasche zu leiten, kann man verstehen, daß sie sich für die Ausschmückung von Straßen entschieden haben, um von dem großen Fremdenzufluß Vorteil zu ziehen. Daß aber der Magistrat Berlins glaubt, ein solcher Aufbau von angepinselten Brettern und Pappe für 2 bis 8 Tage sei ein würdiges Objekt, 70 000 M. dafür auszugeben, ist bedauerlich. Diese Erwägungen haben sich wohl mehr oder minder jedem beim Lesen der Begrün- dung aufgedrängt. Uns bestimmen zur Ablehnung nicht solche mehr äußerlichen Bedenken, sondern Gründe ganz anderer Art. Schon bei Gelegenheit der Museumsvorlage habe ich gesagt, daß wir es ablehnen, un? an irgendwelchen Huldigungen, dynastischen Veranstaltungen, Schenkungen usw. zu beteiligen; Sie gehen von Ihrem monarchischen Standpunkte an solche Vorlagen heran, wir können uns also auf diesem Wege niemals treffen. Wir haben keine Veranlassung, dem Träger der monarchi - schen Gewalt zu huldigen und Gaben dar zu» bringen; das ist so klar, daß darüber nichts weiter zu sagen ist. WaS dann weiter die Stellung des Deutschen Kaiser? zu unserer Partei in Reden und Kundgebungen betrifft, so sind die Reden des Kaisers im Buchhandel erschienen; schlagen Sie sie auf, wo Sie wollen, Sie werden finden, daß meine Partei kaum je so angegriffen worden ist, wie es in diesen Kund- gedungen geschieht:„Vaterlandsfeinde",„Rotte, nicht wert, den Namen Deutscher zu tragen",„Leute, die aufs Rücksichtsloseste terrorisieren und knechten".(Ruf in der Mehrheit: Tun Sie auch! Rufe bei den Sozialdemokraten: Pfui!) Der Deutsche Kaiser hat wiederholt den Wunsch ausgesprochen, es müsse ein jeder, der zum Streik anreizt, mit Zuchthaus bestraft werden; in einer Rede an Soldaten hat der Kaiser davon gesprochen, der Soldat habe unter Umständen auf Bater und Mutter zu schießen, der Soldat müsse an seinen Eid denken, der Soldat sei in erster Linie dazu berufen, den Kaiser gegen den äußeren und inneren Feind zu schützen. Wir mühten also nicht Menschen von Fleisch und Blut sein, wenn wir bei solchen Vorlagen uns mit Ihnen vereinigen und Huldi- gungen und Geschenke darbringen wollten. Wir lehnen die Vorlage ab und wissen uns dabei ein» mit den weiten Schichten der Bevölkerung, die wir vertreten, und die in den 25 Jahren keine Erweiterung ihrer politifchen Rechte, keine Sicherung ihrer Lebensstellung, wohl aber Versal- gung und Draugsal aller Art erfahren mutzten.(Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten. Zischen bei der Mehrheit.) Stadtv. Cassel(A. L.): Kollege Heimann hat selbst hervorge- hoben, daß unser grundsätzlicher Standpunkt so verschieden ist, daß wir uns nicht treffen werden. Das ist richtig. Wir gehen allerdings von der Ueberzeugung aus, daß das Regierungsjubiläum deS Kaisers und Königs Anlaß gibt, daß die Teilnahme der Stadt auch bei dieser Feier in die äußere Erscheinung tritt. Wir haben es hier nicht mit den erwähnten Aeutzerungen und Reden zu tun, son- dern mit dem Gefühl der Teilnahme für die Geschichte des kaiser- lichen Hauses, das auch hiet zu sichtlichem Ausdruck kommen soll. (Beifall bei der Mehrheit.)— Im übrigen haben wir alle gegen diese Vorlage die allerschwersten Bedenken und teilen in gewissem Sinne die vom Kollegen Heimann vorgetragenen Bedenken durch. aus. Was unser Geschenk an die Tochter des Kaisers betrifft, so mag der Magistrat sich darüber erklären, wie die Gelder dafür zur Verrechnung kommen werden; im übrigen zweifeln wir nicht, daß. wenn der Magistrat beantragt hätte, der in Berlin aufge- wachsenen Tochter des Kaisers eine angemessene Gabe zu ihrer Hochzeit zu gewähren, das von uns durchaus genehmigt Verwaltung erfolgt, wogegen wir uns durchaus wehren müssen, zumal anscheinend selbst der Magistrat von dieser Vorlage über- rascht worden ist.(Lebhaftes Hört! hört!) Wenn Vereine u. dcrgl. solche Ausschmückungen planen, dann mögen sie so freundlich sein, sich auch die Gelder dafür zu beschaffen; wenn sie glauben, sie könnten die nötigen Mittel nicht aufbringen, dann mögen sie sich so rechtzeitig an die Stadt wenden, daß wir nicht bloß die Gelder zu bewilligen haben, sondern uns auch ein Urteil über die Art der Ausführung erlauben dürfen. Die Schönheit des Untcrneh- mens wird sicherlich alsbald stark kritisiert werden. Auch sehr kun st verständige Kreise tadeln diese Gelegen- heitSarbeiten aus Holz und Pappe, die unsere Gebäude der- decken, statt sie angemessen auszuschmücken. Wir können die Sache freilich jetzt nicht ablehnen.(Ruf bei den Sozialdemokraten: Warum nicht?) Weil wir nicht wollen, daß ein greller Mißton in die Festesfreude hineinklingt. Wir bedauern es aber, daß wir in eine solche Zwangslage gebracht sind. Bei kommenden Gelegen- heiten werden wir die Konseguenzen ziehen müssen (Lachen bei den Sozialdemokraten); wir dürfen nicht dulden, daß die Versammlung zu einer bloßen Gcldbewilligungsmaschine her- absinkt. Bürgermeister Dr. Reicke: Das Berechtigte in den Ausfüh- rungcn der beiden Vorredner ist nicht zu verkennen; Sie wollen aber bedenken, daß man bei solchen Tingen nicht immer Herr der Lage ist. Die Ausschmückung, die jetzt erfolAt, wird nicht von der Stadt Berlin gemacht; Sie werden Geld für eine von anderer Seite ausgeführte Ausschmückung zu geben ge- beten. Au» den Kreisen der Bürgerschaft trat die Anregung an den Magistrat heran; der Magistrat ist keineswegs überrascht wor- den, sondern alle hier in Betracht kommenden Beschlüsse hat der Magistrat gefaßt. Der„Verein zur Hebung des Fremdenverkehr»" und der„Verband der Ber - liner Spezialgeschäfte" haben die Anregung gegeben.(Stadw. Hoffmann: Und wir sollen da-Z �Geld dazu geben!) Die Wünsche der Bürgerschaft gingen zunächst ins ganz Große; sie hätten beinahe eine halbe Million erfor- dert. Diefcr Gedanke wurde bald begraben; nach Wochen kam das Projekt auf einer besseren, weil durchführbaren Basis zustande. Ztun wurde der Magistrat um seine Unterstützung für die Samm- lungen gebeten; er sagte daS zu, und daraus entstand bei einem Teil der Bürgerschaft die Auffassung, daß die Stadt für die Kosten aufkommen würde. 124 000 Mark scheinen die Grenze dessen vorzustellen, was die Sammlungen ergeben. Für künftige Fälle werden wir uns jedenfalls bemühen, etwas vorsichtiger zu sein. Oberbürgermeister Mermuth : Rückständig geblieben ist die Frage, aus welchem Fonds die Gabe bestritten ist, welche seitens der Repräsentanten der Stadt der Kaisertochter zu ihrer Hochzeit dargebracht worden ist. Ich nehme keinen Anstand, zu erklären, daß ich von der Auffassung ausging, diese Kosten könnten und müßten aus dem Repräsentationsfonds bestritten werden. Dieser sehr gering bemessene Fonds reicht allerdings nur sür ganz ausnahmsweise Fälle aus. Seit Menschengedenken, jedenfalls seit Magistratsgedenken, sind derartige Ausschmückungen, wie die heute in Rede stehende, bisher immer, von ganz verein- zelten Ausnahmefällen abgesehen, von feiten der Stadt bestritten worden und mit sehr großen Kosten. Wenn in diesem Fall die private Opserwilligkeit in den Vordergrund trat, so wäre es doch von unserer Seite nicht ganz richtig gewesen, von vornherein uns einem Zusammenwirken mit solchen Anregungen zu entziehen. Der Magistrat hat aber in diesen Verhandlungen temperierend gewirkt und hat sich durchaus bemüht, sie so zu lenken, daß sie zugunsten der städtischen Finanzen liefen. Gegen die Stimmen der Sozialdemokraten werden die 70000 Mark bewilligt. Von den Stadtvv. Dr. A r o n S u. Gen.(Soz.) liegt der Antrag vor:„Den Magistrat zu.ersuchen, die.. Benutzung der städtischen Turnhallen den Jugendabteilungen deS Turnverein» „Fichte" auch fernerhin zu überlassen oder dem Turnverein „Fichte" Räume zur Verfügung zu stellen, auf deren Benutzung dem Provinzialschulkollegium eine Einwirkung Nicht zusteht." Stadtv. Stadthagcn(Soz.): Der Oberbürgermeister hat an den Turnverein„Fichte" eine Verfügung erlassen, wonach nach einem Reichsgerichtserkenntnis die Erteilung von Privatturnunterricht der Genehmigung der Schulaufsichtsbehörden untersteht und der Nachweis der Erteilung der Turnunterrichtserlaubnis von den Turnwarten verlangt wird, widrigenfalls die Erlaubnis der Be- Nutzung der städtischen Turnhallen entzogen werden soll. Die gestellte Frist ist neuerdings bis zum 1. Oktober d. I. verlängert worden.— Es wird damit also städtisches Eigentum dem Gebrauch der Allge m e inheit entzogen. Von 1872 an ist seitens der Stadt m ständiger Uebstng erklärt worden, daß man bei der Hergabe der Räumlichkeiten mit größter Libe- ralität verfahren müsse und daß dabei Rücksicht auf politische und religiöse Anschauungen nicht genommen werden dürfe. In libe- ralster Weise»st der Magistrat seitdem auch verfahren. Im Jahre 1904 versuchte die Schulaufsichtsbehörde in die Selbstverwaltung der Gemeinde einzugreifen, indem sie die Entziehung der Turn - hallen verlangte, soweit sozialdeinokratische und polnische Turn- vereine in Frage kämen. Damals hat der Magistrat sich aufs entschiedenste dagegen gewendet. Das Provinzialschulkollegium suchte dann über den Kopf der Stadtverwaltung hinweg den Rek- toren Anweisung zu geben, diese Vereine nicht zuzulassen. Der leider verstorbene Oberbürgermeister Kirschner hat auch hiergegen mit aller Entschiedenheit Front gemacht, und die Versammlung hat einstimmig ihm und dem Magistrat volle Anerkennung gezollt. Ganz unzweifelhaft war das Vorgehen deS Provinzialschullolle- giums ungesetzlich Und verfassungswidrig. Damals hat der Kampf also zugunsten der Stadt geendet. Dann ist leider daS Schulunterhaltungsgesetz von 1906 ergangen, aus dem das Provinzialschulkollegium das Recht herleitet, über Schulen, die ihm nicht gehären, verfügen zu dürfen, wie es will. Das ist zurück- zuführen auf einen Äeheimerlaß des Kultusministers Holle vom 7. August 1907, der die Behörden anweist, auf die Kabinettsorder von 1834 und auf eine Ministerialinstruktion von 1839 zurück- zugreifen und den Erlaubnisschein zu verlangen, ihn aber z u verweigern, wenn fe st stehe, daß der Antrag- st eller zur Sozialdemokratie gehört, da ihm dann die„sittliche Befähigung" fehle. Selbst denjenigen, die einen solchen Erlaubnisschein hatten, ist verboten worden, im Turn- verein„Fichte" Unterricht zu erteilen! Auch dieses Vorgehen war ungesetzlich, wie wir es seinerzeit dargelegt haben; das Reichsgericht ist zu derselben Auffassung gekommen, nachdem der„Vorwärts" ausdrücklich zum Ungehorsam gegen folche ungesetzlichen Verfü- gungen der Behörde aufgefordert hatte. DaS Reichsgericht sprach den„Vorwärts" Ende Juni 1910 frei und sprach die Ungesetzlichkeit und Verfassungswidrigkeit jener Verfügung aus. Daraufhin räumte der Magistrat dem Turnverein„Fichte" die Turnhallen wieder ein. Inzwischen wurde gegen dieses vernünftige Reichs- «erichtserkenntniS Sturm gelaufen, und die vereinigten Strafsenate aben nun am 7. Dezember 1912 eine entgegengesetzte Entscheidung �troffen, die aber nur eine von den vielen hier einschlagenden Fragen löst; eS wird nämlich erklärt, zur„Jugend" gehörten sämt- liche Persönlichkeiten, welche„des Schutzes bedürftig" sind. Aber auch dieser Beschlutz kann nicht auf Turnunterricht und Turn- Übungen bezogen werden. �Die vereinigten Senate meinen näm- lich, die Kabinettsorder müsse ausgelegt werden im Sinne der da- maligen Zeit; die Privatlehrer müßten also überwacht werden auch in religiöser und politischer Beziehung, und politisch Verdächtige könnten keinen Erlaubnisschein bekommen. Verdächtig war in jener Zeit Friedrich Ludwig Jahn , der sich des Hochverrat» schuldig gemacht hatte,«weil er die höchst gefährliche Lehre von der Einheit Deutschlands aufgebracht hat". Damals durfte also doch ein Schulerlaubnisschein auch allen denen, die auf dem Boden der deutschen Verfassung stehen, nicht erteilt werden. Zu solchen wunderbaren Konsequenzen führt diese Entscheidung! 1834 war in Preußen daS Turnen verboten; es wurde erst 1842 wieder als Unterrichtsgegenstand zugelassen. Daraus ergibt sich,� daß sich das öffentlich aufgefordert werden sollte, das Reichsgericht zur Frei- sprcchung kommen. Das Statut des Turnvereins„Fichte" ergibt nun aber auch, daß da gar nicht„unterrichtet" wird; nirgends ist von„Unterricht" die Rede, es handelt sich um Uebungen. Der Verein hat sich nun nochmals um die Erteilung der Scheine für seine Turnwarte an das Provinzialschulkollegium gewendet. Der Bescheid geht dahin, die Betretenden seien zwar fähig, den Unterricht zu erteilen, es werde ihnen aber, auch denen, die einen Erlaubnisschein besitzen, die Erteilung des Unter- richts in diesem Verein verboten. Das Provinzialschulkollegium will offenbar nicht frei und offen bekennen, daß es wegen der politischen Gesinnung die Erlaubnis zu erteilen ablehnt; unter dem Vorwand, seiner Aufsichtspflicht zu genügen, versagt es die Erlaubnis. Das ist aber eine Scheinerklärung, der gegenüber die wirkliche Willenserklärung die richtige ist, und diese letztere de- steht in der Anerkennung, daß die Betreffenden Turnunterricht zu erteilen f ä h i g sind. Aber, wie gesagt, es wird in dem Verein gar kein Unterricht erteilt. Keine Behörde hat nun das Recht, zu ver- langen, daß eine nachgeordnete Behörde gegen die Verfassung der- stößt, denn damit verlangt sie einen Meineid. Wenn also eine sog.„vorgesetzte " Behörde von den städtischen Behörden verlangt, die Verfassung zu brechen, so muß sich die'städtische Behörde, wie es z. B. Oberbürgermeister Kirschner getan hat, mit aller Entschiedenheit dagegen auflehnen. Die Stadt kann es ja darauf ankommen lassen, ob Zwangsmatzregeln ergriffen werden; dann geht die Sache an den ordentlichen Rechter. Würde der Magistrat von der letzten Instanz gezwungen werden, die Turnballen zu verweigern, tmnn muß er eben den Tlirnern Räume zur Verfügung stellen, wo daS Provinzialschulkollegium nichts zu sagen hat. Möge die Turnhalle in der Prinzenstraße hergegeben oder mögen neue Räume eingerichtet werden! Ich kann mir nicht denken, daß der Magistrat in wenigen Jahren völlig umgefallen sein sollte; ich habe die Zuversicht, daß er noch ebenso denkt wie die Versammlung und auch weiter gleiches Recht gegenüber allen Bürgern der Stadt walten lassen wird. Der Geheimerlatz des Kultusministers Holle läßt an Hinterlistigkeit nichts zu wünschen übrig.(Vorsteher M i ch e l e t erklärt, diesen Ausdruck nicht dulden zu können.) Es ist ein Geheimerlatz, also müssen Gründe vor- gelegen haben, ihn geheim zu halten, und die liegen in der An- Weisung, daß Vorwände gebraucht werden sollen, daß die Behörden nicht aufrichtig sein sollen. Die Gerichtserkenntnisse lassen darüber auch gar keinen Zweifel. Aus allen diesen Gründen möchte ich Sie dringend bitten, unserem Antrage zuzustimmen.(Beifall bei den Sozialdemokraten.) Von den Stadtvv. Cassel, Mommsen und R o s e n o w ist Ausschutzbcratung beantragt._ Stadtrat Selberg sucht unter Bezugnahme auf das Schul- unterhaltungSgesetz und daS Reichsgerichtserkenntnis vom Dezember 1912 darzulegen, daß der Magistrat nicht anders habe verfahren können. Die bezügliche Anweisung des Ministers sei dem Magistrat schon zugegangen, ehe dieser noch das Erkenntnis sich habe ver- schaffen können. Der Magistrat sei dem Turnverein„Fichte" stelS mit dem größten Wohlwollen begegnet. Stadtv. Cassel: lieber die juristischen Ausführungen deS Kollegen Stadthagen kann die Versammlung unmöglich sofort ent- scheiden. Es wird auf die Verhandlungen von 1904 zurückzugehen und zu prüfen sein, inwiefern sie noch heute zutreffend sind. Des- halb wünschen wir Ausschußbcratung. Stadtv. Zubcil(Soz.): Es ist doch gar nicht zu bestreiten, daß gerade unser heutiges Leben die höchsten Anforderungen an die körperliche Ausbildung der Arbeitersöhne stellt. Für die höheren Schulen besitzt Berlin die Turnhalle in der Prinzenstraße, die unserer Ansicht nach dem Provinzialschulkollegium und seiner Aufsicht nicht untersteht. Die Situation erscheint mir durchaus danach angetan, daß die Stadt, meiner Anregung vom vorigen Donnerstag folgend, sich herbeiläßt, auch für die Arbeiterjugend ähnlich zu sorgen. Sie können nicht verlangen, daß sich die Arbeiterjugend in den„Jung-Deutschlandbund" hsneinzwingen läßt. Man kann der Arbeiterjugend nicht verbieten, ihren eigenen Turnverein zu haben; der Turnverein„Fichte" ist ein sehr großer Verein, der mit poli- tischen Dingen sich nicht befaßt.(Widerspruch bei der Mehrheit.) Die Pfleg« der körperlichen Aushildung ist gerade für die Arbeiter- linder am allernotwendigsten; und wenn ein Turnverein wie der „Fichte" sich diese Aufgahe gestellt hat, so müßte es eine Haupt- aufgäbe auch der Versammlung und des Magistrats sein, ihn in jeder Beziehung zu unterstützen. Traurig genug, daß die große Stadt Berlin bis heute noch keine solche Turnhalle für die Arbeiterjugend erbaut hat. Schon hat man in diesem Jahre 100 000 Mark für die Festausschmückung und dergl. gegeben, aber für die Arbeiterjugend wird auch nicht eine einzige Turnhalle errichtet, wo sie ungestört sich dem Turnen hingeben kann. Mit dem Antrag auf Ausschußberatung sind wir einverstanden. Die Einsetzung eines Ausschusses für den Antrag Arons wird beschlossen. Ter Magistrat legt den Vorentwurf zum Neubau einer Ge- meindedoppelschule und eines Wohnhauses mit Schulküche an der Straß« 4a.(nahe der Behm st ratze) vor. Der Kosten- Überschlag stellt sich auf 926 000 M. Auch die Vorcntwürfe zum Neubau eines Gebäudes für daS nach dem Schönhauser-Thor-Viertel verlegte Luisen städtische Gymnasium und zum Neubau einer Gemeindedoppel- schule mit Abteilung sür Nebenklassen und Räumen für eine GaSrevierinspektion sind der Versammlung zugegangen. Die Kosten sind überschläglich auf 910 000 bezw. 1060 000 M. angegeben. Alle diese Vorentwürfe werden ohne Debatte genehmigt.' Für die Einrichtung und die spätere Leitung des Betriebes de» Osthafen», der im Herbst d. I. eröffnet wird, soll ein Hafen. direkter bestellt werden. DaS Anfangsgehalt ist mit 8000 M vorgeschlagen; es soll nach 2, 4, 6, 8 Jahren um je ö00 M. bis aus 10000 M. steigen. Di« Versammlung stimmt den MagistratSanträaen ,u. Schluß �-8 Uhr._ � 3 Hus Induftm und Handel. Sinkende Unternehmungslust in der Montanindustrie. Die deutsche »«-»linviiktrii» vi» niedrere itabre N_______ ..... �"muminoimne. Die deutsche Montanindustrie. d,e mehrere Jahre überaus kräftiger Ervansion hinter sich hat. erweitert ihren ProduttionS apparat gegenwärtig in einem etwas langsameren Tempo. Die allgemeine Geldknappheit und die daraus für die Unterbringung neuer Emissionen reiultie- renden Schwierigkelten lowie die Ungewißheit über die Weiter« entwickelung der gewerblichen Konjunktur haben naturgemäß die Unternehmungslust merklich gedämpft. Auch die KonzenlraiionS« bewegung scheint gegenwärtig zu einem gewissen Stillstand ge« kommen zu sein, so datz auch die bei Fusionen gewöhnlich not« wendigen KapltalSerhohungen auf ein relativ bescheiden-S Maß zurückgegangen find. Die Summe der Neuinvestierungen der Montanmdlistr,e stellte sich in den ersten fünf Monaten dieses Jahre» auf 17.17 Millionen Mark. Das bedeutet im Vergleich zur ent« sprechenden Penode des Vorjahres eine Verminderung um 4S.17 Millionen Mark. Von den diesjährigen Reuinvestiemngen entfallen auf Neugründungen 8,71 Millionen Mark und auf Kapitals« erhöhungen 8.46 Millionen Mark. Für die ersten fünf Monate der Jahre 1907 biS 1913 ergibt sich folgende Entwickelung der Unte» nehmungslust: . Summe d.Neu» Januar-Mar �ugrundungen KapltalSerhöhmigen Investierungen in Millionen Mark 1907 20,20 57 00 77,00 1908 lg'?« 34 17 50.96 1909 40,06 44,54 84'59 1910 3.47 43,53*7,00 1911 4 34 32 54 86,88 1912 öl 89 52,46 82,34 1913 8.71 8,46 17,17 35a die Montanindustrie sozusagen selbst ihr bester Abnehmer ist, bedeutet die Einschränlung von Neuanlagen und BetriebSerweite- nmrtkm nnfitvAnv�X�___ jr..■«___.... oi/.v-wrirrNfinmrr wordet! wäre.(Beifall; Zuruf: das glauben wir!) Bei dieser Provinzialschulkollegium auf diese Entscheidung auch heute nicht jetzigen Vorlage aber ist eine Ausschaltung der S e l b st- 1 berufen kann; auch heute wird, wenn zu Ungehorsam dagegen«— Hciume»sioeme oec................. Inseratenteil verantw.: Tb Glocke. Berlin . Druck u. Verlag: Vorwärts Luchdruckerei u. Verlagsanftalt Paul Smger u. Co.. Berlin u iv vz-injcgratuunfl von iHCiiaiuuyti» rungen naturqemäv auch wieder eine Serminderung der Arbeits- gelegenheit für gewisse Zweige der Schwerindustrie.___ Verantwortlicher Redakteur: Alfred Wielepp, Neukölln. Für den
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