Mr. 163. 30. Jahrgang.
Souveränität.
Beilage des Vorwärts" Berliner Volksblatt.
Im Jahre 1572 veröffentlichte Herr Johann Dewaldt, Pfarrherr zu Mumpelgart, allda einen schönen mächtigen Folianten, in dem er mit Fleiß und Glück des berühmten Franzosen Jean Bodin 16 Jahre zuvor erschienenen sechs Bücher vom Staat gar anmutig verdeutschte. Und Herr Oswaldt belebrte die Deutschen also über die Ansichten Bodins von der föniglichen Monarchie: Dieser ist ein rechter König, so in seiner hohen Gewalt, ebensowohl den Gesetzen, der Natur Untertan ist, so fast er seine Untertanen seinen Gebotten zu gehorsamen anhalten will, neben dem, daß er einen jeden bei seiner natürlichen Freiheit und Eigentumb bleiben laßt, oder auch dobei erhelt und Hand habt".
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Und er verdeutschte Bodins Lehre weiter: ,, Daß die Untertanen dem König gehorsam sein sollen, ist anders nichts, denn daß er seine Untertanen nach natürlicher Gerechtigkeit regieren, selbige aber au ihm, als sonsten die liebe Sonne am hellen Fürmament leuchten und scheinen solle.... Was soll er aber tun, daß er für den Mann gehalten werde? Er muß zu vorderst Gott fürchten, dem Vaterland treu sein, die Freund lieben, den Dürftigen helfen, und sich gegen allen und jeden der Gerechtigkeit befleißen, darnach in seinen Anschlägen fürsichtig, in Geschäften wader und unverdrossen, im Glück mäßig und in Widerwärtigkeit unverzagt sein, und weitters fich gegen den Bundesgenossen in Worten standhaft, gegen den Feinden aber erschrecklich erzeigen, und sehen, daß er von Frommen geliebt, von Bösen geförcht und doch von beiden hochgehalten werde, oder in einer Summa, er muß den Freunden getreu, den Demütigen freundlich, und gegen den Stolzen großmütig sein. Wo nun das Königreich dermaßen be stellt, die Untertanen zwar dem König, der König aber den Gesezen der Natur gehorsam wären, so würde das Gesetz uff beiden Seiten Meister oder wie Pindarus spricht, Königin sein, welche die Untertanen under ein ander, und mit dem König dermaßen verbinden würde, daß von beiden Seitten ein liebliche Korrespondenz entspringt, so eine große Freud und Vergnügen bei allen verschaffen würde."
Die militaristische Pferdetur.
1913
Generalstabsarzt Dr. Eisenbart:
Montag, 30. Juni 1913.
nellen wie bürgerlichen Rechts bildete, stellt den Monarchen also unter ein für alle schlechthin gültiges Gesetz, das er nicht übertreten darf. Verletzt der Monarch das Naturrecht, so hört er auf, ein Monarch zu sein und wird ein Tyrann. Gegen den Tyrannen will Bodin zwar den Mord nicht als ein berechtigtes Mittel der Notwehr erkennen, um so eindringlicher aber schärft er jedem Untertanen und auch jedem Beamten der königlichen Gewalt die Pflicht ein, naturrechtswidrigen Maßnahmen den Gehorsam zu verweigern und lieber Märtyrer der Auflehnung zu werden, als sich durch königliche Gewalt den Geboten Gottes abwendig machen zu lassen.
Es ist somit nicht verwunderlich, daß Bodin die von den Gesezen gelöste Souveränität nicht nur der Monarchie, sondern auch den beiden andern Staatsformen, die er allein anerkennt, der Adelsregierung in der Aristokratie und der exekutiven Volksgemeinschaft in der Demokratie ebenso zubilligt. Die über den Gesetzen stehende Souveränität schrumpft somit zusammen in die Immunität des Gesetzgebers als Gesetzgeber.
Aber auch nach unten ist die Souveränität des Monarchen streng abgegrenzt. Der Monarch fann die Souveränität nicht mit irgendeinem teilen, also auch nicht mit einem ständischen Der oder gar demokratischem Parlament. Begriff der Souveränität in der Monarchie schließt gerade das als widerfinnig und unmöglich aus, was wir als gemischte Verfassung zu bezeichnen pflegen, von der die gegenwärtig bielmonarchisch- parlamentarische deutsche Reichsberfassung ein besonders monströses Beispiel sei.
Wenn fürzlich ein freier gesinnter deutscher Staatsrechtslehrer bei der Erörterung über die Steuerpflicht der Fürsten meinte, die Auffassung von der Souveränität, die diese Steuerpflicht leugnet, sei ein Südfall in längst überwundene Zeiten, so irrte er sich. So widerfinnig ist die Theorie des Absolutismus niemals gewesen wie die heutigen professoralen Klitterungen, die in einer parlamentarischen Zeit die Steuerfreiheit wie die Straffreiheit der Fürsten aus dem Begriff der monarchischen Souveränität abTeiten. Auch in der Staatslehre des Absolutismus war der Fürst dem Gesetz in den Koder des Naturrechts gleich jedem Untertanen unterworfen. Auf der andern Seite war jede parlamentarische oder ständische Einschränkung der monarchischen Souveränität die Aufhebung der Souveränität überhaupt.
In Wahrheit ist die Souveränität in dem Augenblick erloschen, als die absolute Gewalt auf irgendeine Weise eingeschränkt wurde. Es ist der Unsinn an sich, heute zu behaupten, ein deutscher Fürst dürfe nicht den Staatsgesehen unterworfen sein, weil er als Souverän der Inbegriff und Träger aller Gesetze sei. Wir sahen, daß auch nach der Theorie Bodins der absolute Monarch im Grunde nur als Gesetzgeber immun war. Heute ist weder im Reich noch in den Einzelstaaten der Fürst Gesetzgeber , er hat also nicht ein
Seit Jean Bodin seine staatsrechtliche Theorie des Absolutismus begründete und in ihr zum erstenmal den Begriff der Souveränität in aller Strenge und aller logischen Konsequenz herausarbeitete, ist die Lehre von der Souveränität in dem Maße verkümmert und berkrüppelt, als die lebendigen Tatsachen des Staatslebens in immer größeren Gegensatz zur Theorie des Monarchismus gerieten. Heute ist in Deutschland das wissenschaftliche Staatsrecht ein widerliches Gemisch abergläubischen Unsinns und feiler Beschönigung, und kein Herenhammer hat soviel Absurditäten des Teufelwahns gehäuft als irgend ein staats rechtliches Lehrbuch oder Gutachten eines deutschen Universitätsgewaltigen. Nichts erhellt diesen ganzen afterwissenschaftlichen Unfug so grell als die eine Tatsache, daß in keiner Zeit der Begriff der Souveränität so sehr überspannt worden ist, wie in Seit den römischen Zeiten gehört es zum Begriff der monarchischen| mal mehr den logischen Anspruch auf die so begrenzte Immunität unserem heutigen konstitutionellen Deutschland , dessen Verfassung in Souveränität, daß der Monarch über den Gesezen stünde, von ihnen des absoluten Herrschers- die vielmehr auf die Volksvertreter überWirklichkeit überhaupt jeder Souveränität widerspricht und sie un- gelöst fei. Aber selbst in dem Recht des römischen Kaiserreichs war gegangen ist geschweige auf die strafrechtliche Befreiung. Das möglich macht. der Zäsar nur von gewissen Gesetzen befreit. Auch Bodin denkt alte klerikale Naturrecht gibt es heute nur noch in den Lehrbüchern Die Säge, die wir in der alten Verdeutschung aus Jean Bodins nicht daran, daß der Fürst an die Gesetze nicht gebunden sei und und Köpfen von katholischen Theologen, im weltlichen Staat hat es Staatslehre angeführt haben, lassen deutlich erkennen, was der versteigt sich nicht zu dem Aberwizz des heutigen deutschen keine zwingende Macht. Daher ist die Voraussetzung entfallen, die Theoretiker der absoluten Monarchie unter Souveränität verstand. Rechts, daß der Monarch dem Strafrecht nicht unterworfen sei. erträglich erscheinen ließ, daß der absolute Monarch als legibus Es ist der einzige Versuch, der die Lehre der Souveränität in einem Die Lehre Bodins ist klar und zwingend. Die Souveränität des solutus, von den Gesezen entbunden, galt. Gerade in Deutschland logisch einheitlichen System aufbaut. Bodins Bedeutung war revolu- Monarchen wird nach oben und unten fest abgegrenzt. Der Monarch sind die Fürsten in keinem Sinne mehr souverän. Ihre Macht ist tionär. Es galt die Macht des Monarchen theoretisch zu rechtfertigen ist wie jeder Untertan dem( religiös- kirchlichen) Naturrecht unter eingeschränkt nach außen durch das Völkerrecht und durch intergegen die Herrschaft des Feudalabels. Es war eine theoretische Vor- worfen, das unbedingt zwingendes Recht ist. Dieses Naturrecht, das nationale Verträge, die sie selbst von dem Willen demokratischer arbeit für die Begründung bürgerlicher Freiheit und Gleichheit. zu jener Zeit die Zusammenfassung der Grundsäge frimi- Republiken abhängig machen. Ihre Herrschaft ist nach innen ein
„ Schluck's nur, braver Michel. Es ist ein unfehlbares Mittel."
Sklaven und Sklavenbalter.
von ihr ein. Sie läßt keine Prostituierte als vollwertige Zeugin
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Aber diese Vigilantinnen" haben noch einen anderen Zweck. vor Gericht zu und benutzt dieselben Frauenzimmer, um eventuell Der Sachverständige, Kriminalinspektor Dr. med. Güth, der es ja Guy de Maupassant erzählt eine reizende Geschichte von einem noch unbescholtene Mädchen mit dem unverlöschlichen Stempel der wissen muß, hat in dem Prozeß gegen den Sittenschuhmann Thiede berfluchten Brot". Es ist natürlich das der Sünde, von dem es Kontrolle zu versehen. Wenn es einen Punkt gibt, an dem sich gesagt, man benüße sie als Hilfe in kriminellen Diensten, um Perin einem rührenden Lied heißt, die Jugend möge es wie das Feuer der Staat von heute ad absurdum führt, so ist es der seiner sonen, die noch nicht unter Kontrolle stehen, zu überführen und um fliehen. Die Geschichte ist so instruktiv, daß wir sie wenigstens in Stellungnahme zur Prostitution. Hier ist am besten der Beweis in Kuppelsachen schneller Material zu beschaffen. Gleich darauf Umrissen hier geben wollen. Ein ehrsamer Handwerker hat zwei seiner abgründigen Heuchelei als seines Lebensprinzips zu führen. aber sagte er:„ Drei Gigenschaften zeigen solche Frauensleute: eine Töchter. Die eine lebt davon, daß Sie hübsch ist und darum Der Kasseler Bürgermeister, der jetzt nach Charlottenburg außerordentliche Haltlosigkeit, eine Bügellosigkeit der Affekte und verstoßen, die andere soll einen ordentlichen Mann ihres Standes fommt, hat die Geburt seines Jungen auch im sozialdemokratischen eine außerordentliche Lügenhaftigkeit!" Soll man dazu wirklich heiraten. Da kehrt eines Tages die Verstoßene in Samt und Seide Blatt Kassels angezeigt. Damit hat er, so sagten unsere Staats- noch ein ernstes Wort sagen? Man benüßt Menschen als Zeugen, ins Elternhaus zurüd, ihre petuniären Erfolge machen auf den stüßen, die revolutionäre, antimonarchistische Bewegung petuniär die eine solche Musterkarte übler Charaktereigenschaften aufweisen? strengen Vater Eindruck, und ihr Anerbieten, die schwesterliche Hoch- unterstützt. Die Sittenpolizei bedient sich gewisser Prostituierter Das heißt doch mit anderen Worten: gegen die wehrlosen Wesen, zeit in ihrem üppigen Heim zu feiern, wird aus Sparsamteits- zu Spigelzwecken und zahlt sie dafür. Damit hat sie, so sagen die unter Kontrolle gebracht werden sollen, ist jede Zeugenschaft gründen dankbar angenommen. Das Fest findet statt, alles ist wir, die Unzucht petuniär gefordert. Mehr noch: sie hat beffere gut genug, nur wenn sich's am Ende gegen Sittenbeamte handelt, von Wohnung, Essen, Bedienung bei der Verstoßenen entzückt, und Glemente unter die Aufsicht von schlechteren gestellt und diese dann entdeckt man die außerordentliche Lügenhaftigkeit. Das, ist, in der Festlaune wird der junge Ehemann aufgefordert, eines schlechteren noch eine Portion schlechter gemacht. milde gesagt, eine Staatsanwaltlogik. seiner Lieder zu singen. Und er singt. Von dem harten Brot der Arbeit, von dem dürftigen der Näherin und der letzte vers lautet: O teure Freunde, leidet lieber Not, Doch eßt nicht von der Schande Zuderbrot.
Unsere Auffassung von Prostitution tut hier nichts zur Sache. Braucht es noch eine Untersuchung darüber, was eine Behörde Wohl aber die des Staates, sowohl als Gesetzgeber wie als Polizei. wert ist, die solche Mittel erlaubterweise benützt? Was ein Staat Der Verkauf des eigenen Leibes zu Zwecken der Unzucht ist straf- in sittlicher Beziehung wert ist, der kein schlimmeres Wort kennt, würdig, wenn es ohne staatliche Genehmigung ausgeübt wird. als Unzucht und aus dieser Unzucht Kapital schlägt und SpikelGroße Verstimmung legt sich über die Gesellschaft, die Ver- Mit dieser ist es nur noch eine einträgliche Schande. Aber der rekruten züchtet? Die Prostitution, wie sie heute ist, ist sicher ein ftoßene weint fast, ein erheblicher Strach scheint bevorzustehen, da staat weiß aus ihr Nußen zu ziehen. Abgesehen von Steuern und Uebel, aber ihre staatliche Kontrolle ist ein weit größeres. Die erscheint in der Tür der Diener mit dem Champagner. Und bei Abgaben von öffentlichen Häusern macht er sich auch noch die Unzucht hat ihre Art von Ehrlichkeit, die„ Gitte" ist die personifidiesem ungewohnten Anblick elektrisiert eine plögliche Freude die seelische Verlorenheit der armen Wesen zu nuke. Seinesgleichen sierte unehrlichkeit! Die Prostituierten fündigen auf ihre eigene ganze Tafelrunde, und in dem drängenden Gefühl, diese Freude zu beſpiteln und der Polizei auszuliefern, das ist nur Sache der Stappe und wer sich durch sie verführen oder ansteden läßt, tut bas ausströmen zu lassen, bricht auf einmal die ganze Gesellschaft allerverworfensten. An die aber wendet sich der christliche Staat, auf eigene Gefahr. Die Sittenpolizei aber wütet gegen ganze unter Einschluß der Verstoßenen jauchzend in Gesang aus:
deren schlechteste Eigenschaften benötigt er, um seine ehrbaren Boltsschichten, kennt keinen größeren Triumph, als wieder einmal Biele zu verfolgen. Die jetzt er auf die Spur des verzweifelten eine neue Dirne geschaffen zu haben, und heizt schließlich die von teure Freunde, leidet lieber Noti, Mädchens, das vielleicht ein paarmal auf die Friedrichstraße geht, ihr auf die letzte, die Zeigeigenenstufe der Menschheit Degradierten Doch eßt nicht von der Schande Zuckerbrot. weil es gar nicht mehr weiß, wohin vor Not und Hunger. Um als Spürhunde auf anständige Elemente, um auch diese unterzuDiese Hochzeitsgesellschaft, die angesichts der silbern berkapsel- ein paar Frauen mehr den Weg in die Ehrbarkeit abzuschneiden, triegen. Der Sittenschußmann Thiede ist ihr Opfer, weit weniger ten Flaschen mit lüfternem Maul ein moralisches Lied fingt, ist die verbündet sich diese seltsamerweise" Sittenpolizei" genannte Insti- das seiner Haltlosigkeit. Sie hat ihm Gewalt gegeben, Geschenfe schärfste Satire auf die heutige Gesellschaft. Die Augen fallen ihr tution mit den schlechtesten der ihr unterstellten Frauenzimmer und Beischlaf als einen Tribut fordern zu können, und deshalb fast aus dem Kopf vor lauter Gier nach dem Champagner, den die und ermöglicht damit das herrliche Tableau: die als Staat organi- darf sie sich nicht wundern, daß in ihm Sklavenaufseherinstinkte „ Schande" bezahlt hat, und zur gleichen Zeit warnt sie in gefühl- fierte Sitte mit der von ihr verfolgten Sittenlosigkeit wehrlose, erwachsen, nachdem sie die Sklaven geschaffen hatte. bollen Worten vor dem Brot diefer Schande. Sie kaserniert oder unglückliche. Mädchen jagend! Wem es da nicht schlecht wird, der
reglementiert die Unzucht und zieht die Steuern und Abgaben ist um seinen Hufnagelmagen nicht zu beneiden.
Karl Pauli.