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Nr. 299.

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t, wöchentlich 28 Pfg frei in's Haus. Einzelne Nummer 6 Pfg. Sonntags: Nummer mit illuftr. Sonntags: Beilage Neue Selt" 10 Bfg. Boft- Abonnement: 8,30 Mt.pro Quartal. Unter freuz­band: Deutschland   u. Defterreich: Ungarn   2 Mt., für das übrige Ausland s Mt.pr.Monat. Einger:. in der Boft Beitungs- Breisliste

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für 1893 unter Nr. 6708.

Vorwärts

10. Jahrg.

Infertions- Gebühr beträgt für die fünfgespaltene Betitzeile oder deren Raum 40 Bfg., für Vereins: und Bersammlungs Anzeigen 20 Big Inferate für die nächite Nummer müfen bis 4 Ubr Nachmittags in Der Expedition abgegeben werden. Die Grpedition in an Wochen­tagen bis 7 or Abends, an Sonn­und Fefttagen bis 9 Uhr Bor: mittags geöffnet. Fernsprecher: Amt I. 1508. Telegramm- Adresse: Sozialdemokrat Berlin  !

Berliner   Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands  .

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.

Ein

Donnerstag, den 21. Dezember 1893.

Expedition. SW. 19, Beuth- Straße 3.

Appell an den Magen. unleidlich sind. Die Syphilis, so erklärt der Ausschuß, Händen die zum Genuß beſtimmten Backwaaren, fie mengen,

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lich heruntergekommene Leute sind, die fast durch- Die Arbeiter, deren Hände von Ausschlägen zerfressen, gehends in Geschäften gearbeitet haben, wo die Zustände mit eitrigen Pusteln bedeckt sind, bereiten mit eben diesen scheint ein Vorrecht der Bäckereien mit sehr langer Ar- sie fneten und rollen den Teig. Dugende von Handreichungen Unsere bürgerliche Klasse ist gegen das gesellschaftliche beitszeit zu sein. find nöthig, um das Gebäck verkaufsfertig zu machen, unzählige Elend abgeftumpft, sie bedarf der scharfen Gegensäge ja zu" Jeder Bäcker," heißt es in dem Berichte des Aus- Mal berührt der Krägkranke die Waare vom Mehlsack zum ihrer Erhaltung. Daß sie aber in ihrer Gleichgiltigkeit so schusses, macht die Erfahrung, daß nach durcharbeiteter Backtrog, vom Kuchenblech zum Ofen, von da zum Gestell, weit geht, auch gegen sich selber zu sündigen, verdient doch Nacht der Drang zum geschlechtlichen Verkehr sehr wo das Brot verkühlt. festgehalten zu werden. Die Besitzenden, die in ihrer Jagd groß ist. Infolge der langen Arbeitszeit und der sonstigen Unter der erschreckenden Ungunst der angedeuteten nach dem Genuß und nach dem arbeitslosen Gewinn es Verhältnisse kann aber der Bäckerarbeiter dem Drange nur Arbeitsbedingungen schafft der Arbeiter, dessen Lunge den längst verlernten, Strupel zu haben, werden lächeln, wenn bei Prostituirten schlechtester Sorte Genüge leisten. Dazu tückischen Angriffen der Stickluft der Werkstatt, der man von ihnen etwa eine sittliche Empörung, eine Regung tommt, daß er weder gehörig ausgerastet, noch ausgeschlafen Gluthhite des Ofens, des jähen Wechsels der des Gewissens heischte. ist, daß er sich des Nachts nur durch den reichlichen Genuß Temperatur, des Staubes auf die Dauer nicht wider­Aber die fatte Tugend des Bürgerthums hat sich so aller möglichen anreizenden Mittelschwarzer Kaffee, stehen kann. Lungenschwindsucht und Krankheiten der vergröbert, daß der Bourgeois von echtem Schrot und Korn Schnaps und Tabak- wach erhalten kann. Es ist somit nicht Athmungswerkzeuge sind die Haupt- Todesursachen der auch nichts mehr zu wissen scheint von einer Revolte des anders denkbar, als daß bei solchen Arbeitern die vorhandene Bäckerei- Arbeiter. Während bei der Gesammtarbeiterschaft Magens. Die Stelle, wo die Herren sonst am empfind- Reizbarkeit die schlimmsten Folgen haben muß. Durch die Desterreichs die Krankheiten der Athmungswerkzeuge durch­lichsten sind, die Verdauung, wird, so däucht uns, nach- lange Arbeitszeit, sowie Arbeitslosigkeit 8 bis 24, felbft schnittlich 12 pet. der Todesfälle verursachten, betrug der gerade unempfindlich am Ausgange des Jahrhunderts. 30 Monate kann ein Bäcker im seltensten Falle in ein Prozentsatz bei den Bäckern, wie wir einer auf amtliche Alle Welt weiß doch jetzt, daß die Zustände im Bäcker- Familienverhältniß treten, ist somit sein ganzes Leben zu Biffern geftüßten Arbeit Juraschet's entnehmen, 17,8 pt. gewerbe abscheulich sind. Die Arbeiter abgehegte, über dem geschilderten, für die Gesundheit so schädlichen Ge- Was von Desterreich gemeldet wird, gilt auch für anstrengte, ausgemergelte Geschöpfe, zusammengedrängt in schlechtsumgang verurtheilt." Deutschland  . De te fabula narratur, deine eigene Ge­dumpfigen, gesundheitsschädlichen Werkstätten, zur Nacht- Der an Syphilis erkrankte Arbeiter sucht eben aus schichte wird erzählt, heißt es hier mit vollem Rechte. arbeit verdammt, gezwungen zu einem Aufenthalt in Schlaf- falscher Scham und aus Furcht vor Arbeitslosigkeit den Selbst der verbissenste Anhänger der heutigen Wirthschafts­stätten, gegen die manch gutsherrliche Hundehütte ein Pa- Raffenarzt nur selten auf; er wagt vom Meister nicht das ordnung kann nach den bis heute unwiderlegt gebliebenen radies ist, schlecht genährt, zu Ausschreitungen im Spiel, Krankenbuch zu verlangen. Die Meisten quacksalbern oder Enthüllungen des Bebelschen Schriftchens die im deutschen  im Trinken, im Geschlechtsverkehr durch den Widersinn der gehen zum Privatarzt und arbeiten weiter. In vielen Bäckereigewerbe bestehenden Mißstände nicht ableugnen. Betriebsweise geradezu genöthigt, erschöpft durch Krank- Bäckereien ist gar kein oder nur ein einziges Waschgeschirr vor- Was die Berliner   Arbeiter Sanitätskommission über heiten, zu geistiger Thätigkeit beinahe unfähig, das sind die handen. Die Arbeiter müssen sich alle in demselben Gefäß die Lage der Dinge in der Reichshauptstadt veröffentlicht Arbeiter, die das tägliche Brot, das Roggenbrot nicht blos, waschen, zuweilen in dem Gefäß, das zur Erzeugung des hat, spricht ganze Bände. das der Proletarier ißt, sondern auch das feine Weizen- Gebäcks verwendet wird. Schlafzimmer u. f. w. find ge­gebäck, die Kuchen und Semmeln für den Tisch der Reichen meinsam, oft ist nur ein Bett vorhanden, das einer nach Herstellen. dem anderen benutzt. Unter diesen scheußlichen Bedingungen Wenn irgendwo, liegt es hier im Interesse der Be- schafft der Bäcker, und das verbrauchende Publikum ist sitzenden, dafür zu sorgen, daß die für ihren Verzehr be- Dank der Gleichgiltigkeit der Gesetzgebung solchen Insulten stimmten Lebensmittel mit peinlicher Sauberkeit, in einer die wehrlos preisgegeben. Gesundheit nicht schädigenden Weise erzeugt werden. Und trogalledem bleibt alles beim Alten.

Beim Alten, das heißt der Schmutz, die Ansteckung, die Ueberarbeit gedeihen in wuchender leppigkeit in den Bäckereien.

Ist denn wirklich auch der Appetit nicht ein Stachel zur Sozialreform"? Ist der Ekel keine treibende Kraft für die zarten Gemüther der Großbürger?

Je erbärmlicher die Lage der Bäckereiarbeiter ist, desto häufiger erscheint, wie gesagt, der syphilitische Bäcker. In den Bäckereien, wo die Syphilis am meisten vorkommt, wird ein Lohn von 6 bis 8 pCt. des erzeugten Werthes gezahlt. In den besseren Bäckereien entfallen 8 bis 10, höchstens 12 pCt. des erzeugten Werthes auf eine Arbeit, wo es feinen Tag, keine Nacht, feinen Sonntag, keinen Feiertag giebt.

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Wir sind teine Utopisten, deshalb wenden wir uns nicht an das Herz der Besitzenden.

Dieselben Greuel wie in Wien   herrschen in Berlin  , in deutschen   Bäckereien. Syphilis, Kräge, näffende Flechten, Tuberfelbazillen, Eiter und Schmuz, Usauberkeit in der höchsten Potenz...

Wir appelliren an den Magen der Besitzenden. Wird dieser Appell nicht einen Bäckerei- Arbeiterschutz er möglichen?

Politische teberlicht.

Die Wiener   Bäckereiarbeiter fämpfen seit Jahren für In vielen Bäckereien sind ferner nässende Flechten Berlin  , den 19. Dezember. eine Besserung ihrer Lage. Kürzlich hat der Gehilfen- und und Kräße eingewurzelte chronische Krankheiten. Sie treten Bundesrath. In der heutigen Sigung des Bundes­Krankenkassen- Ausschuß der Bäcker Wiens eine amtliche besonders bei den in unterirdischen Arbeitsstätten Be- raths wurde sowohl den Beschlüssen des Reichstags zu dem Darstellung der in ihrem Gewerbe herrschenden sanitären schäftigten und bei denen auf, die in Massen- Entwurf eines Gesetzes betreffend die Gewährung von Berhältnisse gegeben. Die furchtbare Ausbeutung der Lehr- Schlafzimmern schlafen, in Räumen, die feucht, falt, Unterstützungen an Invalide aus den Kriegen von 1870 linge und jugendlichen Arbeiter beträgt die Arbeitszeit nicht gelüftet, schmutzig sink. Die Betten dienen oft zwei und an deren Hinterbliebene, als auch dem Ausschuß­doch 16, 18, 20 Stunden bildet die Grundlage für eine Gefellen zur Ruhestätte, die Bettwäsche wird wochen- antrage, betreffend die Anwendung der Säße des all­hohe Erkrankungsgefahr. Es hat sich gezeigt, daß die mit lang nicht gewechseit, der Schlafraum verkommt in Schmuß gemeinen Zolltarifs auf aus Rußland   kommende Waaren Syphilis behafteten behafteten Personen größtentheils körper- und Duust. zugestimmt.

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Feuilleton.

Nachdruck verboten.]

[ Alle Rechte vorbehalten.

Der Gemaßregelte.

Eine Weihnachtsgeschichte von Friedrich Thieme.

I.

Es war in den ersten trüben Tagen des November. Der Kampf um die Landtagsmandate hatte begonnen, heiß war der Streit auf allen Linien entbrannt, alle Parteien hielten geheime und öffentliche Versammlungen ab, die Zeitung schimpften wie Marktiveiber aufeinander, an den Stammtischen nahm die Kannegießerei einen noch lärmen­deren und widerlicheren Charakter an, als zu jeder anderen Zeit.

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tampfe fern zu halten, so wäre die Agitation der des Führers entbehrenden Sozialdemokraten so gut wie aus­fichtslos, ja, wären wir gar im Stande, den gefährlichen Menschen aus der Stadt zu verscheuchen, so würde der hiesigen Sozialdemokratie ein Schlag versett, oon dem sie

gröblichen Unfugs oder dieser haarsträubenden Aufreizung es uns, ihn aus irgend einem Grunde dem hiesigen Wahl­zum Klassenhaß" hingewirkt hätte. Dieser aktuelle Wuthausbruch hatte seine Ursache in dem Umstande, daß die Sozialdemokraten des Kleinstaates zum ersten Male beschlossen hatten, auch ihrerseits Kan­didaten für den Landtag aufzustellen, obgleich das sogenannte Wahlrecht des Ländchens nicht gerade erfolgversprechend sich sobald nicht wieder erholen würde." war. Auf allen Seiten wurde deshalb gegen die Anhänger Der Redner schwieg und schaute sich prüfend im Kreise dieser Partei mobil gemacht und auch in der geheimen um die anderen Herren nickten zustimmend und sahen Sigung des Komitees der vereinigten reichstreuen" in N., einander fragend an. welche am Abend des Beginns unserer Geschichte im Gast- Es ist ganz unmöglich, dem Menschen durch unter­hof zur goldenen Kanne" stattfand, wurde ihr von allen irgend einen amtlichen Schritt beizukommen," Anwesenden in erbitterten Reden der Krieg erklärt." brach endlich der mit im Comitee sigende Rathaktuar Finke die herrschende Stille. Sie wissen, meine Herren, seit dem Erlöschen des Sozialistengeseges

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Daran habe ich auch gar nicht gedacht," warf der Vorsigende lebhaft ein. Meine Idee geht nach einer an­deren Richtung. Es ist nicht zu zweifeln, daß Fritsch im bevorstehenden Wahlkampfe alle Waffen seiner nicht zu unterschäzenden agitatorischen Kraft gegen uns schwingen wird ich glaube, es ist nicht so leicht mit unseren An­fichten von Patriotismus zu vereinbaren, einen solchen Menschen dadurch, daß man ihm die Existenz ermöglicht, in seinen schwarzen Machinationen gegen Vaterland und Eigenthum zu unterstüßen."

Meine Herren," zog schließlich der Vorsitzende des Komitees, Kommerzienrath v. Heilig, das Faeit der großen In N., einer der hauptsächlichsten Städte des Klein- Debatte, wie Sie sehen, stehen unsere Aktien an staates, dessen Parlament" zum Theile mit Volksvertretern" sich nicht schlecht. Vom Zentrum und der Demokratie neu zu besetzen war, machte man keine Ausnahme von haben wir so gut wie nichts zu fürchten. Dagegen ist auf der Regel. Auch hier steckte, wie überall im lieben Vater- eine starke Vermehrung der Sozialdemokratie wohl zuver lande, die politische Toleranz noch in den Kinderschuhen, lässig zu rechnen. Auch in H. wird voraussichlich ein Kan­und die Herren, welche den Patriotismus gepachtet zu haben bidat nomini   rt- Lassen Sie uns bereits im Voraus als glauben, blidten verächtlich auf die Reichsfeinde" herab. weise Hau sväter unsere Maßregeln treffen, wenn ich auch Die besten Freunde grüßten einander nicht mehr, die Läden an direkte Aussichten für eine Kandidatur dieser Partei und Wirthschaften der Reichsfeinde" wurden boykottirt, persönlich nicht glaube. Sie wissen, daß bis vor vier und das lokale Ordnungsblättchen", das in jeder Nummer Jahren in unserer wenig industriellen Stadt Sozialdemo­mindestens drei Artikel gegen die Sozialdemokratie ver- fraten zu den verschwindenden Ausnahmen zählten; erst seit Aller Blicke wandten sich wie vorwurfsvoll auf den öffentlichte, hatte schon ein Dugend mal Bebel als den fich zu angegebenem Zeitpunkt der Schriftseter Fritsch Buchdruckereibesizer Schneeberg. Dieser, der wohl fühlte, ärgsten Verschwender und Gourmand hingestellt, welcher die hier niedergelassen hat, ist ihre Zahl erheblich ge- daß der Stachel der letzten Worte des allmächtigen Dieser Groschen der armen Arbeiter in den Eisenbahntoupees wachsen. Fritzsch den Sie wohl alle Kommerzienraths ihm gelten sollte, richtete sich ärgerlich auf 1. Klasse rücksichtslos durchbringe. Dabei sputte in den tennen, meine Herren, ist ein äußerst intelligenter und meldete sich zum Wort. Spalten des Blattes das rothe Gespenst, daß die guten und gewandter Mensch und weiß mit der Feder" Fritsch ist mein bester Arbeiter", erklärte er mit ziem­Philister von N. ihre Stadt ordentlich schon in Rauch auf- ebensogut umzugehen, wie mit dem gesprochenen licher Entschiedenheit. Ich kann ihn so gut wie nicht ents gehen sahen und immer mehr zu einem ebenso tindischen als er- Wort. Ich habe Proben seines Stils gesehen, die mich in behren. Auch muß ich ihm das ehrliche Zeugniß ausstellen, bitterten Haffe gegen alles, was Arbeiter hieß, aufgeregt wurden, Erstaunen setzen. Jedenfalls ist er ein für uns wohl zu daß er sich in den vier Jahren seines Hierseins jeder ge­ohne daß iraend iemand auf eine Dämpfung dieses wirklich beachtender, um nicht zu sagen, gefährlicher Gegner. Gelänge hässigen Agitation enthalten und seine hauptsächlichste Wirk­

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