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Ar. 212. 80. Jahrgang. Kiltzt te Jotmiirts" Iftliire WWW. Mautag. 18. August 1018. Die Bukarefter fnedenstaube. Im Haag da steht ein Taubenhaus, Bestimmt für Friedenstauben. Die soll'n dort fliegen ein und auS, Und fromme Schwärmer glauben, Vorbei fei nun bald Krieg und Mord Und Friede herrsch' an jedem Ort, All Fehd' Hab' nun ein Ende. Ein Täubchen stieg Wohl auf im Ost Und regte seine Schwingen. Von Bukarest die Friedenspost Sollt' es Europa bringen. Doch weh, kaum flattert es empor, Da kommt das Raubzeug auch hervor Und will die Taube rupfen. Ein doppelköpfig Adlerbiest. Schwarzgelb ist sein Gefieder, Laut krächzend auf das Täubchen schiebt Und will es stoßen nieder. Und tückisch brummt der Russenbär Und packt' es gern von unten her. DaS nennt man Balkanfrieden. Vie KrocirrTri. Von Anna C r o i f f a n t Ruft. Täglich zieht die Alte ihren Karren von der Scharnitz noch Mittenwald und wieder zurück. Ob es krachend kalter Winter ist und der Weg so voller Eisplatten, daß sie alle Augenblick nach rückwärts rutscht und wie ein braves Roß die Eisen einHauen muß, um nur weiter zu kommen, ob es schneit, daß sie kaum die Landstraße zu erkennen vermag, oder die Sonne herunter- brennt, daß ihr der Kopf zerspringen möchte, ob das Schnee- Wasser im Frühjahr, wenn esaper" wird, auf der Landstraße dahinschieht, wie wenn diese ein Bachbett und er in seinem vollen Rechte wäre, oder im Herbst der wüste Wind durchs Tal pfeift und sie fast umwirft' das alte Weiblein zieht gleichmütig seinen Karren hin und her, über eine Stunde hin, weit über eine Stunde zurück. Es fällt ihr nimmer ein, etwa hinauf nach dem jähen Absturz der Karwendclwand zu schauen und drüben nach dem kühnen Aufbau des Wettersteins, sie trabt wie ein alter Gaul ihre Straße in Staub und Schnee, in Regen und Wind. Ihr gilt's gleich, ob sie allein unterwegs ist, oder ob sich ein Jäger oder Grenzer ihr zugesellt, oder gar Touristen, die nach See- feld wandern, nach dem Hinterautal vielleicht, wo die junge grüne Isar schäumend aus der Einsamkeit stürmt; ob geputzte Städter in Toilette" sie überholen so idyllisches nachbarliches Paradies von Patenkirchen!) zur Zeit derSaison", wo das biedere Volk der Mittenwalder seinen echten und innigen Nationalgesang mit der echten und innigen Melodie anzustimmen pflegt:Kennst du das Tal am Fuße des Karwendelbergs?" Der M'ri gilt das alles gleich, wenn sie auch gern ein paar Worte im Vorbeigehen redet; sie hat nur den einen Gedanken: Ihre Wecken und Sem- mein, von denen sie für jeden Haushalt in der Scharnitz eine bestimmt Anzahl ohne Zoll über die Grenze bringen darf. Tapfer aufgeladen hat sie jeden Tag, die Scharnitzer lieben das Brot, das die Mittenwalder Bäckerdachen", voraus das des Fasel, des Zunterer, tn dem alten Fuggerhaus an der Hauptstraße. Dort hält immer der Karren der Alten, während sie ihre anderen kleinen Besorgungen im Markte macht. Da buckelt sie frisch und geschäftig in den Läden herum, immer murmelnd, immer ihre Aufträge wiederholend. Nie schreibt sie sich etwas auf, es ist aber doch noch nie vorgekommen, daß sie etwas vergessen hat. Ihr Amt nimmt sie deshalb auch so in Anspruch, daß sie während des Einkaufens auf keinen Gruß hört und niemanden sieht. Erst, wenn sie beschaulich ruhend auf ihrem Bänklein sitzt im Laden der klugen und hübschenFaselin", die so viel von der alten Mittenwalder Chronik zu erzählen weiß, ist sie zugänglich, und die M'ri und ich halten stets einen kleinen Schwatz, während die Bäckerin di« Semmeln und Wecken abzäjjlt. Manchmal treffen wir uns auch auf der Landstraße, wo sie immer gern eine Steh. pause macht und plaudert. Gewöhnlich gehen unsere Gespräche so an:Grüß Gott, M'ri, wie geht's?" Wie geaht'S? Alleweil ziahchen und ziahchen!" Dabei lacht sie über ihr ganzes braunes, verrunzeltes und verwittertes, gutes, altes Gesicht, in dem die schwarzen Augen ganz verschmitzt glitzern können, wie die Augen einer Jungen. Sag ich:Eine Hitz ist's, schauderhaft!" oderAber der Wind heut, M'ri, hat er dich denn nicht umgeschmissen?"O mei' ischt gleich," meint sie und wischt den Schweiß von der Stirn oder die Tränen aus den Augenwinkeln, die ihr der Sturm draußen bei der großen wilden Wiese, beim Schaudriwaudriraut, wo er gar so unheimlich fauchen kann, herausgepreßt hat. Und dann trabt sie wieder ihre Straße weiter, gelassen und fröhlich. Einmal treffe ich sie, als ich eben ins Hinterautal will, hart hinter der Scharnitz , hoch oben am Wald krabbelt sie herum und recht Laub zusammen. Einen hohen Haufen hat sie schon auf geladen und trägt noch immer mehr zu. Sobald sie mich sieht, kommt sie über die steile Anhöhe herunter wie eine Junge. Ich Hab ihr Kuchen mitgebracht, den sie geheimnisvoll schmunzelnd verschwinden läßt. Wie geht's, M'ri? Sie deutet auf den großen HaufenStraa", den sie schon zu- sammengetragen und nachher ins Dorf bringen will zu ihrer Tochter.Alleweil ziahchen und ziahchen." Ich sah mir den hohen Streuhaufen an:Und heut warst du schon in Mittenwald ?" Sie schaut mich Verwundort und ganz verständnislos an und nickt. Währenddem kommt ein Blondkopf auf sie zugesprungen und hält sich halb hinter ihrer Schürze verborgen; von dieser gedeckten Stellung aus sieht er argwöhnisch auf mich. Fast verschämt zieht sie den Kuchen aus der Tasche und schiebt ihm ein tüchtiges Stück in den Mund, während sie nur ein bißchen versucht. Der hübsche Krauskopf, der mir so feindselige Augen macht, gehört ihrer Tochter, bei der sie auch wohnt, und der sie die Streu bringen will. Ein sauberes, kleines, weißes Haus haben sie miteinander, alles voller Blumen und Vögel, ich Hab mir'S nachher angeschaut. Immer wieder erzählt sie mir von ihrem Schwiegersohn, der Jager" beim Fürsten ist und oftlängs" Zeit nicht daheim; daß er kreuzbrav und sauber ist und soviel guat" mit ihr. .Und die Kinder?" Alleweil mehrer werd'n s'." Ein Stück? Zwei drei?" Sie nickt:Mög'n aa mehrer werd'n, wic's kimmt." Da muß die Großmutter Kinder warten?" Sie macht die Bewegung des Fahrens. Auch dieziahcht" sie! Mei', sekkicr'n di' halt!" Ob sie nie krank war, frag ich sie wieder einmal. Krank? Sie denkt einen Augenblick nach. Eigentlich nie. Nur einmal ja, da ihr's zu Herzen gegangen� aber nicht das Krank - sein, nein, das nicht arbeiten können war'S, daS Faulenze», da» Zuschauenmüssen, wie die anderen arbeiten, das Hände-in-den» Schoß-legen. DerVerdruß" hätte sie beinahe umgebracht, meint sie, es sei die schlimmste Zeit ihres Leben? gewesen! Nun erzählt sie ausführlich, sehr wichtig, aber immer dabei schmunzelnd, immer ein wenig belustigt, mit einer gewissen humorvollen Ueberlegen« heit: Also, der Wind wehte wieder einmal recht wüst durchs Tal, so, wie's die Mittenwaloer haben wollen, damit es schön Wetter bleibt. Er knatterte und brüllte und wütete herum, wie wenn aller Ding letztes Ende wäre. Die M'ri saß gemütlich in der Stube, freute sich ihrer Ruhe nach dem Strauß mit dem Sturm. Eben war sie vom Mittenwald gekommen, hatte ihre Wecken und Semmeln abgeliefert und löffelte ihren Kaffee. Da hört sie da» große Scheunentor draußen wütend schlagen. So laß es doch," sagt ihr die Tochter ärgerlich,bleib sitzen." Die Junge bleibt, der Alten läßt es keine Ruhe. Wohl hätte sie ebensogut durch das Haus, den Gang und den Stall hinten herum nach der Scheuer gehen können, aber das ist ihr zu weit. Schnell läuft sie außen herum, in den immer rasender werdenden Sturm hinein.Bautz! Bautz! Bumm!" schlägt daS Tor mit dumpfem Krachen auf und zu, auf und zu, daß man meint, es müsse splittern. Die Alte rennt hin und will's aufhalten, beide Arme stemmt sie dagegen ein neuer wilder Windstoß und schon liegt sie auf dem Rücken; mit aller Wucht ist das schwere Tor auf ihre Arme geflogen und hat sie umgeworfen. Da liegt sie und kann sich nicht mehr rühren, kann nicht mehr aufstehen, und in den Schultern brennt'S und reißt's und tobt'S. Boade sein's ausg'fall'n g'wes'n, boade!" sagt sie und zwinkert, wie wenn das ein köstlicher, von ihr ausgeheckter Schabernack ge- Wesen sei, sich beide Achseln auszufallen! Als der Arzt kam, schlug er freilich über diese Art der Schel- merei die Hände über dem Kopf zusammen. Beide Achseln! Und dabei saß sie ganz vergnügt im Bett und wartete darauf, daß er schnell den kleinen Schaden repariere, damit sie morgen wicoer ihren Karren nach Mittenwald ziahchen" könne! Später erzählt der Doktor das alles in derPost" in Mitten- Wald;'auch daß sie keinen Schnaufer, keinen Schrei getan,' als er ihr die Achseln einrichtete. Js es jetzt g'schehg'n?" Das war alles, was das alte Weihlein frug. Heute konnte sie sich noch kindisch darüber freuen, daß die Leute sich alle über sie verwundert und die Köpfe geschüttelt hatten. Des sell ischt doch nix g'wesen," meint sie,aber das Feiern!" Sie war glücklich, als sie sich wieder vor ihren Wagen spannen konnte; unnütz sein, das war schlimmer als krank sein, das war beinahe der Tod! Was sie wohl machen wird, die Alte? �Alleweil ziahchen und ziahchen."