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Gnadenbilde nach Maria Einsiedeln. Die heilige Jung- frau sollte ihr einen Buckel Weghelsen, der die fromme und tugendhafte Schöne verunzierte.Seit dem 1. Juli", so sagt der fromme Bericht,bereitete sie sich durch den täglichen Rosenkranz auf die Wallfahrt vor, wo sie durch Maria Fürbitte Heilung erhoffte. Am 25. August morgens kniete sie zum Abschied vor der Gnadenkapelle, in welcher die heilige Messe dar- gebracht wurde. Plötzlich fühlte sie eine Veränderung im Oberkörper vorgehen. Mit jedem Atemzuge glaubte sie größer zu werden, der heraus st ehende Hüftenknochen zog sich zurück in seine natürliche Lage der auf der linken Seite verschwand vollständig, nur auf der rechten Seite blieb eine kleine Erhöhung alle Schmerzen waren weggenommen. Während der Umbildung stieß die Jungfrau unwillkürlich einen solch' lauten Schrei aus, daß er in der großen Stiftskirche gehört wurde und die Aufmerksamkeit des ganzen Volkes erregte." Für die Jünger Aeskulaps beginnt jetzt eine schlechte Zeit. Was hat es für einen Zweck, ihnen das schöne Geld in den Hals zu werfen, wenn man durch bloße Frömmigkeit von allen Leiden kuriert werden kann. Maria Einsiedeln ist die Parole für alle Buckligen und an sonstigen Gebrechen leidenden Kranken. Ratten,pcffgclder und brave Scbwarz- bunderthäuptUnge I Im Bezirksgericht zu Minsk ist ein großes Paket von Doku- menten, die nach Petersburg an den Senat geschickt werden sollten, von Ratten angefressen worden. Wie weit möglich, werden genaue Abschriften der Akten hergestellt. Erst vor kurzem wurden daselbst von einem Beamten des Kameralhofes größere Mengen Aktenstücke. darunter auch die lausende Korre- spondenz, als Makulatur verkauft. Wahrlich, ein Symbol russischer Gerichtszustände I... Allerdings handelt es sich in Minsk wirklich nur um einen armen Gauner, der sich als ehren- hafter Familienvater durch den unschuldigen Papierhandel einen redlichen Nebenverdienst verschaffen wollie und sich sonst dabei keine schlimmen Gedanken gemacht hatte. Auch haben wir eS dort schein- bar mit wirklichen elenden Ratten zu tun, die nur ihren Hunger stillen wollien und ganz normal veranlagt zu sein scheinen. Bedeutend komplizierter dagegen sind die Ratten, die in den O d e s s a e r Behörden sich» eingenistet haben. Das Menu der Odessaer Ratten enthält nämlich nur eine einzige, merkwürdigerweise aber außerordentlich exquisite Papierspeise: Nachweise über Geldabrechnungen. Geradezu ein naturwissenschaftliches Rätsel I Alle anderen Aktenstücke haben für die Odessaer Ratten nicht den mindesten Reiz. Entdeckt wurde dieses Wunder in ganz letzter Zeit. Es wurde nämlich von General Tolmatschoff ein bekannter Schwarzhunderthäuptling, der noch vor kurzem in Odesia den höchsten Verwaltungsposten bekleidete Rechenschaft über 600 000 Rubel verlangt, die zur Bekämpfung der Pest angewiesen waren. Anfangs hat der brave General die allzu neugierigen Fragesteller überhaupt keiner Antwort würdigen wollen; gegenwärtig sieht er sich aber genötigt, in der Presse eine Erklärung abzugeben, in welcher er die Verantwortlich- keit für das Geld auf das Mitglied der Odessaer Stadtverwaltung Senkewitsch- Korssak abwälzt. Und obgleich Senkewitsch- Korssak ebenfalls ein zarentreuer Huliganhäuptling ist, will ihm die vom General eingebrockte Suppe durchaus nicht munden. Ent- rüstet weist er nach, daß über diePest 'gelder ausschließlich Tolmatschoff allein verfügte und daß er dieselben recht eigenartig verwandle. So zum Beispiel war der Posten des Arztes bei einer Abteilung zu Rattenvertilgung einem Schauspieler über­tragen worden. Tolmatschoffs Rechenschaftsberichte stellen einen Haufen wirr zusammengestopfter Papiere dar ein Chaos, das nicht geordnet werden kann. Die wichtigeren Dokumente sollen die bekannten Ratten bereits verzehrt haben.... Uebrigens wohin sollen denn die dunklen Gelder der russischen Zarenpest fließen, wenn nicht in die Taschen der Schwarzhundert- Häuptlinge? Doch nicht etwa in die leeren Streikkassen der russischen ausständigen Arbeiter? Oder etwa in die Verlags- lassen der russischen Arbeiterblätter zur Deckung der täglichen 500-Rubcl-Strafen, die nichts anderes sind als täglicher räuberischer Ueberfall auf de» kulturellen Ausstieg der Arbeiter- schast? Mit Ratten können in Odessa Wunder geschehen dies Mollen wir gern glauben. Aber die allgemeinen Gesetze der Logik müssen auch im Lande der Tholera, der Pest und der chronischen Zarenseuche unentwegt zur Geltung kommen! Alobnung: poMagernä. Seit einigen Tagen habe ich meinen Begriffsschatz um eine neue Nummer bereichert. Noch mehr. Ich habe einen neuen Stand in der menschlichen Gesellschaft entdeckt. Hierbei muß ich aber das mich beschämende Eingeständnis machen, daß ich nicht weiß, wieviel Stände es eigentlich gibt. Ich habe daher einen Bekannten befragt, der als ein schlauer Kopf gilt. Dieser antwortete mir: Mensch, das ist doch bekannt. Es gibt vier Stände: Den Adelsstand, den Bürgerstand, den Bauernstand und den Arbeiterstand. Diese Antwort kann ich nicht gelten lassen. Ich habe noch da- von gehört, daß es einen Mittelstand gibt; sogar einen alten und einen' neuen Mittelstand. Außerdem habe ich noch in Erfahrung gebracht, daß es noch einen sogenannten fünften Stand gibt, dem man die Bezeichnung: Lumpenproletariat beilegt. Doch, wie schon erwähnt, ich finde mich in dieser Beziehung nicht zurecht. Ich besitze auch nicht die Gabe, die Grenzlinien, die die einzelnen Stände voneinander trennen, genau zu erkennen. Vielleicht leide ich da an Farbenblindheit, wenn dieser Ausdruck hier angebracht ist. Ich habe z. B. Arbeiter kennen gelernt, die ein Recht darauf be- saßen, ihrem Namen das kleine Wörtchenvon" vorzusetzen. Da geriet ich denn in Zweifel, ob ich diese Leute dem Adels- oder dem Arbeiterstand zuzählen sollte. Ferner habe ich hauptsächlich in kleinen Städten noch eine Gruppe von Menschen kennen gelernt, die man Ackerbürger nennt. Sie sind städtische Bürger und betreiben Ackerbau, wie gewöhnliche Bauern. Von diesen Leuten weiß ich nicht, ob ich sie dem Bürger- oder dem Bauernstande zurechnen soll. Und solche Grenzstreitigkeiten gibt es für mich noch mehrere, wenn mir die Aufgabe gestellt wird, meine Mitmenschen nach Stän- den zu klassifizieren. Das eine aber weiß ich bestimmt, der Stand, den ich neu ent- deckt habe, bestand bisher nicht, wenigstens für die breite Oeffent- lichkeit nicht. Er existiert zwar nicht von gestern und heute. Stände bilden sich nicht von heute auf morgen. Also ich habe einen neuen Stand entdeckt. Dieser Stand ist noch so jung, daß er an einem recht empfindlichen Mangel leidet: Er läuft namenlos durch die Welt. Es fällt mir daher die Aufgabe zu, hier einen Taufakt zu vollziehen. Nur ungern führe ich diese mir nun einmal auferlegte Pflicht aus; weiß ich doch, daß ich mich mit dieser Handlung einer strengen' Kritik aussetze. Hauptsächlich die Angehörigen des von mir entdeckten Standes werden dazu ge- neigt sein. Doch das darf mich nicht hindern, meine Pflicht zu er- füllen und den Taufakt zu vollziehen. Ich taufe den neuen Stand als den Stand der Postlagernden. Daß ich damit den unbedingt rich- tigen Ausdruck gefunden habe, will ich nicht behaupten, verpflichtet fühle ich mich aber, eine Begründung für den von mir gewählten Ausdruck zu geben. Die Angehörigen des Standes der Postlagernden kennzeichnet hauptsächlich der Umstand, daß sie durchweg keine feste Wohnung besitzen. Sie wohnen eben postlagernd und bilden gewiffermaßen ein Zwischenglied zwischen den Angehörigen des Lumpenproletariats und allen übrigen Menschen, die in mehr oder weniger geordneten Verhältnissen leben. Fast alle haben sie das eine gemeinsam, daß sie schon was durchgemacht" haben. Sie sind im Leben entgleist. Eine große Anzahl von ihnen hat schon irgendeine Jugendeselei aus dem rich- tigen Gleise geworfen. Andere wieder hat ein gewissermaßen an- geborener Hang zum Abenteuern und eine unbezwingbare Lust, sich frei auszuleben, zu Postlagernden gemacht. Was die Postlagernden vor den Angehörigen aller übrigen Stände auszeichnet, ist die feststehende Tatsache, daß sich unter ihnen keine ausgeprägten Dummköpfe befinden. Geistig beschränkte Men- schen eignen sich überhaupt nicht zu Postlagernden. Das bringt schon der Umstand mit sich, daß sie durchweg einGewerbe" be- treiben. DieGewerbe", die die Angehörigen des Standes der Post- lagernden betreiben, sind mannigfaltiger Art. Da gibt es eine Kategorie, die reist inLangholz" undStahl". Ja, was heißt das? wird der Leser wohl fragend hier einschalten. Sehr einfach. Der Postlagernde, der sich diesemGewerbe" widmet, kauft sich einige Dutzend Bleistifte(Langholz) und ein paar Gros Stahlfedern(Stähl) zum Engrospreis. Damit eröffnet er dann seinen Geschäftsbetrieb. Dieser besteht darin, daß er Geschäfts- kontore, Bureaus von Rechtsanwälten, Ingenieuren, Bautechnikcrn, sogar Zeitungsredaktionen und alle sonstigen Stellen besucht, wo Langholz und Stahl Verwendung findet. Beim Verkauf seiner Ware hält der in Langholz und Stahl reisende Postlagernde auf Preis. Und da er stets vorgibt, sich in einermomentanen" Not- läge zu befinden und schön zu bitten versteht, erzielt er auch gute Preise. So nährt dieser Beruf schon feinen Mann, und mitunter ganz gut. Ich habe sogar Angehörige des Standes der Postlagern- den kennen gelernt, die ihre feste Kundschaft hatten und auch die Lieferung von Schreib- und Löschpapier, Notablocks übernahmen. Einige rühmten sich, sie würden auch die Lieferung ganzer Bureau- einrichtungen übernehmen, wenn sie Bestellung darauf erhielten. Eine zweite Gruppe unter den Postlagernden bilden die Ständler". Diese rekrutieren sich aus den Kreisen der Artisten oder solchen, die Artisten werden wollten und das gesteckte Ziel nicht erreichten. Man findet unter ihnen Akrobaten, Gymnastiker, Jongleure, Feuerfresser, Degenschlucker, Fesselsprenger, Taschen- spieler, Zauberkünstler, Mnemotechniker, kurz alle Arten der mo- dernen Artistik. DasStändeln" besteht darin, daß sie Wirtshäuser, Garten- lokale usw. besuchen, um sich in ihrer Kunst zu produzieren. Die Ständler geben stets vor, sichaugenblicklich" außer Engagement zu befinden und gezwungen zu sein, sichso" zu ernähren. Haben sie ihreKunst" an den Mann oder auch an die Frau gebracht, so wirdeingesammelt", wobei sie mehr oder weniger humoristische Bemerkungen zum Besten geben. Mit Vorliebe hören sich alle Ständler Künstler nennen und fühlen sich oft sehr beleidigt, wenn man sie nicht als solche gelten lassen will. Auch dieser Beruf nährt seinen Mann oder auch seine Frau; denn auch weibliche Personen befinden sich oft unter den Ständlern. Eine weitere Gruppe unter den Postlagernden bilden die Reisenden mit selbstverfertigter Ware. Zumeist besteht diese selbst- verfertigte Ware in geschnitzten oder selbstgezeichneten Ansichts- karten. Mit einem scharfen Messer werden auf starkem Postkarten- karton Blumen und Landschaften reliefartig herauSgeschnitzt und farbig verziert. Versteht es dann der Postlagernde, der sich diesem Beruf widmet, noch mit Bronzefarbe in Rundschrift oder sonst einer schönen Schrift: Herzlichen Gruß und den Namen des Ab- senders auf die Karte zu bringen, so fällt es ihm meist nicht be- sonders schwer, seine Ware gegen einen anständigen Preis los- zuschlagen. Es gibt sogar Ansichtskartenschnitzer, die sich noch einen Verkäufer halten, mit dem sieKippe" machen. Nahe verwandt mit den Ansichtskartenschnitzern sind die Silhouettenschneider. Auch sie fertigen Ansichtskarten mit der Silhouette des Käufers. Die Zahl dieser Postlagernden ist jedoch gering. Sie können wohl auch am meisten Anspruch darauf er- heben, als Künstler zu gelten. Gehört doch immerhin eine gewisse Kunstfertigkeit dazu, aus einem Stück schwarzen Papier das Profil eines Menschen so herauszuschneiden, daß auch nur eine ungefähre Aehnlichkeit zutage tritt. Die Zahl aller Angehörigen des Standes der Postlagernden ist nicht einmal gering. Man findet sie in allen Großstädten, vcr- einzelt auch in mittleren Städten. Für die Zeit, wo der Post- lagernde sich in einer Stadt aufhält, logiert er sich in einem dilligen Gasthofe ein. Hier ist er meist ein gern gesehener Gast, da er etwas draufgehen" läßt. Leben und leben lassen, lautet seine Devise. Bei den Postlagernden heißt es nicht: Morgen ist auch noch ein Tag, sondern morgen wird neu verdient. Ohne eigentliche Verbrechernaturen zu sein, kommt es fast allen Postlagernden doch nicht so genau darauf an, mit der Polizei in Konflikt zu geraten undhochzugehen". Da es sich dann meistens jedoch nur um eine Uebertretung der Gewerbeordnung handelt, braucht der Postlagernde die ihm so teure Freiheit nur auf kurze Zeit zu entbehren. Sehr viele Postlagernde wissen in allen Großstädten Deutsch­ lands Bescheid. Vielfach wird auch das Ausland, hauptsächlich Oesterreich und die Schweiz , besucht. Heute im Süden, morgen im Norden, dann wieder im Westen und im Osten zu weilen, dabei frei und ungebunden sich austoben zu können, das ist das Ideal aller Angehörigen des Standes der Postlagernden. Friedrich Wagner. Die einzigen, die regelmäßig die Predigt besuchten, waren die Kinder, die in der Konsirmationsstunde den ganzen Zorn des be- leidigten Herrn Pfarrers zu spüren bekommen hätten, wenn sie nicht an jedem Sonntage zur Stelle gewesen wären, und die alten Mütterchen. Dann versuchte man es damit, die Bänke zu polstern. Der Herr Pastor hatte bei einem Probesitzen herausgefunden, daß man wirklich auf den Holzbänken gar zu hart sitze und niemand darin verdacht werden könne, wenn er sich nicht allzu häufig darauf niederlasse... Die Bänke wurden gepolstert. Dazu wurde ein neuer Ofen angeschafft, weil man niemand zumuten könne, bei der strengen Winterkälte in der Kirche zu frieren. Alles vergeblich: Ein paar Sonntage lang zog die Neue- rung dann war alles wieder beim alten. Eines Tages ist der Herr Pfarrer unpäßlich. Er läßt zu seiner Vertretung einen jungen Hilfsgeistlichen aus der nächsten Kreisstadt bittten. Grote unterrichtet noch eine Stunde vor der Predigt den jungen Geistlichen von dem Notstand in der Gemeinde. Er soll nicht enttäuscht sein, wenn nur wenige Personen in die Kirche kämen, er tue gewiß sein möglichstes... immerhin sei alle Be- mühung bis jetzt so ziemlich erfolglos gewesen... Aber die Kirche ist gedrängt voll. Alle jungen Mädchen des Dorfes sind da und gucken neugierig zu der Kanzel hinauf... Nach einigen Wochen findet in der Kreisstadt eine Pfarr- konferenz statt, und jeder klagt über den mangelnden Eifer seiner Gemeinde iw Kirchenbesuch. Da erhebt sich schließlich Pfarrer Grote aus Siellhagen und entwickelt, wie man zu einer Besserung der unhaltbaren Zustände kommen könne. Er stützt seine Aus- führungen auf Ersahrungen bestimmter Art... Man müsse häu- fig wechseln. Gastpredigten veranstalten, einer müsse dem andern die Kirche füllen, die Leute müßten erst wieder an den ordnungs- mätzigen Kirchenbesuch gewöhnt werden... Die Äugen leuchten auf, man beginnt zu disputieren, man disputiert lange endlich einigt man sich. Der Vorschlag des Pfarrer? Grote in Stellhagen wird angenommen... Ungeahnter Erfolg: Tatsächlich kommen die Leute zahlreicher zur Kirche. Aber nach einigen Wochen hört das wieder auf, trotz- dem man in der Reihe noch lange nicht herum ist.Sc seggt doch alle det sulvige" erklären die Leute und gehen ihre Wege, und be- sonders die Kirche in Stcllhagen ist wieder so leer, wie je zuvor. Es friert einen ordentlich, wenn man in den Raum hineinschaut, der. frisch geweißt, noch größer und kälter als sonst aussieht. Voll Entrüstung besteigt der Herr Pfarrer die Kanzel. Seine Augen schleudern Blitze. Sein Textwort verliest er mit dröhnender Stimme:6. Moses . 6 Vers 13. Alles Fleisches Ende ist vor mich gekommen; denn die Erde ist voll Frevels von ihnen, und siehe da, ich will sie verderben mit der Erde.... Er predigt über die Sintflut und über die Sünden der Men- schen, ihre Gleichgültigkeit, und beginnt schließlich den alten Frauen, die da unten auf den ledergepolsterten Bänken ehr- fürchtig sitzen, immer dringender und mahnender ins Gewissen zu reden. Er verhastet sich in seinen Sätzen, schneller und schneller entströmen seinem entrüsteten Herzen die Worte und plötzlich ist es heraus. Er ist zum Propheten geworden. Er erschrickt selbst über seine Kühnheit, aber jetzt feige zurückzuweichen, ist er nicht der Mann. Er hat Stellhagen eine Sintflut prophezeit und er wird bei seiner Weissagung bleiben... Nach einigen Tagen ist die kommende Stellhagener Sintflut in aller Munde. Frau Pastorin ist in der höchsten Aufregung. Wenn nun nichts daraus wird? Nicht einmal eine hohe Flut eintritt, die nach einer Sintflut aussehen könnte! Eine Springflut könnte den Pastor retten, den Rückzug ermöglichen und ihn erklären lassen, daß Gottes Gnade für diesmal noch" Abstand genommen habe... Sonst ist es mit dem geistlichen Ansehen im Dorfe ganz vorbei. Dem Pastor ist längst ein Grauen vor seiner eigenen Kühn- heit gekommen. Er gäbe etwas drum, wenn er niemals zu einem Propheten geworden wäre. Aber daran ist nun nichts mehr zu ändern. Es bleibt nichts anderes übrig, als zu warten, in Demut zu warten, ob nicht der Herr seinen treuen Diener retten wird... Jeden Tag macht er einen Spaziergang über den Deich und guckt aufs Meer hinaus, das so friedlich da draußen liegt, als habe es niemals die geringst« Tücke in seinem Busen verborgen ge- halten. Ein Tag der Woche vergeht nach dem andern. Nervös langt der Pastor täglich nach der Zeitung, die die Berichte der Hamburger Seewarte über das kommende Wetter bringt. Nichts, immer nichts. Endlich am Sonnabend die kurze Meldung:Stark auf- frischende Winde wahrscheinlich." Tatsächlich bricht in der Nacht ein furchtbares Unwetter los. Der Sturm heult über den Deich und stößt an die Fensterläden des Pfarrhauses, als wolle er sich dafür rächen, daß man ihn mut- willig hierher beschworen hat. Grote geht jn seinem Arbeitszimmer auf und ab und memo- riert die Predigt für den kommenden Tag. Oh! er wird morgen schon den erstaunten Dörflern klar machen, daß nur auf sein heißes Bittgesuch hin der Herr die Gemeinde für diesmal ver- schont hat... Aber der Sturm wird immer heftiger, die alten Pappeln im PfarrhauSgarten stöhnen und ächzen unter d«n Stößen des Win- des, und ein dumpfes, donnerndes Rauschen meldet die anziehende Flut. Die Frau Pastorin tritt ins Zimmer. Ihre Augen leuch- ten..... Du hattest doch recht, Eginhardt! Welche Gnade! Die Flut kommt!" Aber beide fühlen sich trotz der kommenden Sintflut hinter dem mächtigen, breiten Deiche merkwürdigerweise sicher und wohl geborgen. Es wird doch nichts Ernsthaftes. Erschütterndes geschehen? Auf sein Wort hin? Das wäre Gnade und Strafe zugleich! Er mutz hinaus, muß sehen, wie weit die Flut schon vorgedrungen ist. Die Nacht ist dunkel wie Teer. Er kann nicht die Hand vor den Augen s!hen. Der Sturm treibt ihn mit brausendem Pfeifen wieder gegen das Haus zurück, als er den Deich ersteigen, hinaus- blicken will in die Nacht. Dann merkt er. daß das Wasser schon bis zum Deiche vorgedrungen ist, daß das ganze Außendeichsland überschwemmt ist und die spritzenden Wogen zu seinen Füßen schon an die Deichböschung klatschen. Er hat das Wasser noch nie so hoch gesehen, den Wind noch nie so heulen hören wie in dieser Nacht, solange nicht, wie er in Stell- Hägen ist... Dabist ein unerhörter Triumph: Sein Ansehen ist auf ewige Zeiten in der Gemeinde sicher! Freudestrahlend kehrt er ins Haus zurück, in die Arme seiner Gattin. Am andern Morgen noch in der ersten Frühe eilt er hinaus auf den Deich. Das Wasser hat sich zum großen Teil bereits wieder verlaufen und ist von der Ebbe wieder in seine Grenzen gewiesen worden. Aber hier und dort stehen noch droße Tümvel auf dem Lande. Schwarzer Schlick bedeckt den Boden, wo er schon wieder zutage tritt. Die Wolken fliegen, wie graue, zerrissene Laken vor dem Winde über das regennasse Land... Da kommt ihm einer seiner Bauern entgegen. DaS ist ja der Gemeindewirt, der alte Krischan. Gewiß will der mit ihm über das Unwetter reden... Aber er findet es nicht so entsetzlich, wie der Pfarrer vermutet. Ein solches Wetter kommt hier zu Lande öfter vor! Das verstimmt den Pfarrer etwas, aber er ist zu guter Laune, um es sich anfechten zu lassen. Es wird doch über Nacht kein Unglück geschehen sein? forscht er dann weiter. Na, dat nicht just. Man Ehre beiden Keihe hebt sick ober Nacht versopen. Se möt bi den Storm int Wasser kamen sin..." ib. Winde.