Schuldigkeit eines jeden GasttvirtSgehilfen sei, sich im Betriebe sozu betragen, wie man eS von einem organisierten Arbeiter erwartendürfe.Streik der Glasarbeiter.Die Glasarbeiter beschlossen gestern in einer Versammlungder Verwaltungsstelle Berlin, am Heutigen Mittwoch die Arbeitnicht wieder aufzunehmen, die Verhandlungen mit den Unter-nehmern aber weiter zu führen. Die Akkordarbeiter dürfen ihreangefangene Akkordarbeit fertigmachen. Die Unternehmer habensich bereit erklärt, trotz des Streiks weiter zu verhandeln.Heute(Mittwoch) abend um VeK Uhr findet bei Boeker,Wcbcrftr. 17, wieder eine Versammlung statt, in der das Resultatder Verhandlungen bekanntgegeben wird.Die Notlaue der Drechsler.Unter dem Einfluß der neuen Stilrichtung im Kunstgewerbe,welche auf die Verwendung von Drechslerarbeit fast ganz verzichtet,ist die Arbeit im Drechslerberuf seit Jahren rapid zurückgegangen.Zu diesem Uebelstand gesellt sich neuerdings noch der allgemeineRückgang der wirtschaftlichen Konjunktur der besonders schwer aufder Holzindustrie lastet und deshalb die Drechsler, soweit für sieüberhaupt noch Arbeitsmöglichkeiten vorhanden waren, sehr stark inMitleidenschaft zieht. So hat also die gegenwärtige Arbeitslosigkeitim Drechslergewerbe eine zwiefache Ursache und deshalb macht sichdie Not stärker fühlbar als in manchem anderen Beruf. In eineram Montag abgehaltenen Branchenversammlung der Drechsler desHolzarbeiterverbandes wurde der ungeheure Rückgang an einigenZahlen illustriert. Durch eine Statistik des Verbandes wurden imJahre 1900 m Berlin 1200 Drechslergehilfen festgestellt. 1911konnten nur 898 Gehilfen ermittelt werden. 72 Betriebe, dieim Jahre 1900 noch 416 Drechsler beschäftigten, hatten im Jahre 1911nur noch für 200 Drechsler Arbeit. In den größten Betrieben istdie Zahl der Beschäftigten sehr stark zurückgegangen. Die Kleinmeister,die noch in verhältnismäßig großer Zahl vorhanden sind, beschäftigenüberhaupt keine Gehilfen mehr, weil sie für sich selbst nicht einmalgenug Arbeit haben.— Unter dem Einfluß der wirtschaftlichen Krisesind die Verhältnisse seit der Stasistik für 1911 noch schlechter ge-worden. Auf dem Arbeitsnachweis sind täglich 60—80 arbeitsloseDrechsler, und die wenigen, welche gelegentlich Arbeit erhalten,werden immer wieder durch neuhinzukommende Arbeitslose ersetzt.—Daß etwa» getan werden müsse, um die durch große Arbeitslosigkeitgeschaffene Notlage der Drechsler zu beseitigen, war die allgemeineAnsicht der Versammlung.Der Streik der Militärsattler in den Offizierausrüstungsbetriebenhat zu einem weiteren Erfolg geführt, indein jetzt auch die FirmaF. Damaschke den neuen Tarifvertrag unterschriftlich anerkanntbat. Im Streik befinden sich nur noch die Kollegen bei der FirmaC. Pose, Schlesische Straße 18, und bei der Deutschen Militär-ausrüstungsgesellschaft, Alexandrinenstraße 14/16. Von beiden Be-trieben ist jeder Zuzug fernzuhalten.Gesperrt ist ferner die Kommißwerkstelle von L u d e w i g,Lindenstraße 93.Die Ortsverwaltung Berlindes Verbandes der Sattler und Portefeuiller.Oeutfchea Reich.Der Streik in der AscherSlebener Maschinenbau-Akticngesellschaftist nicht, wie die bürgerliche Preffe berichtet, beendet, sondern erdauert unverändert fort. Es sind noch daran die Berufe der Former,Kernmacher, Putzer, Schmiede, Schloffer»nd Dreher beteiligt. DieFortsetzung der Arbeit ist mit den angeworbenen Streikbrecher-kolonnen unvollkommen, weshalb durch den Arbeitsnachweis desMetallindustriellenverbandes Arbeitsvermittelung nach dort betriebenwird. Es ist Aufgabe jedes organisierten Arbeiters, auf den Streikhinzuweisen.Kutscherstreik in Essen. Montag morgen haben bei derSpeditionsfirma Gebr. von E u p e n in Essen 60 Kutscher undFaktoren wegen Lohndifferenzen die Arbeit niedergelegt. Die Stück-gutabfuhr stockt vollständig. Die Firma bemüht sich um Ersatz-kräfte. Bisher haben ihre Bemühungen aber keinen Erfolg gehabt.Der Streik steht günstig und wird, wenn die Streikenden einigbleiben, mit einem Erfolg für sie enden. Die Streikenden findalle im Transportarbeiterveiband organisiert.Ein Gewerkschaftshaus in Fulda.Nach langjährigem Kampf um die Lokalfrage ist eS unserenFuldaer Genossen gelungen, ein eigene» Heim zu erlangen. Einfreundliches Gastzimmer, anschließend ein kleiner Saal, schönerGarten usw. bieten angenehmen Aufenthalt. Zugereisten stehengute und billige Betten zur Verfügung. Bad ist ebenfalls vor-handen.Noch ist Fulda eine Hochburg der Schwarzen. Diese verstandeneS seither, unseren Genossen jede Möglichkeit zur Erlangung vonVersammlungsräumen zu nehmen. Sie ließen auch kein Mittel un-versucht, die Errichtung eine? eigenen Lokals zu hintertreiben. Dasist ihnen nicht gelungen. Genossen, die Fulda besuchenund durchwandern, wollen im Gewerkschaftshaus„Zur Erholung*, Florengasse 18, Einkehr halten.HueUnd.Achtung, Fabrikarbeiter! Zwischen der Firma N. V. Hertelin A m st e r d a m, Asbestbekleidung und Verpackungund dem Verbände der Niederländischen Fabrikarbeiter sind Diffe-renzen ausgebrochen, die zur Arbeitseinstellung führten. Die Ursacheder Differenzen sind schwere Verstöße der Firma gegen das Ver-einigunaSrecht der Arbeiter. Weder die wegen ihrer Verbands-Zugehörigkeit entlassenen Arbeiter, noch der Niederländische Fabrik-arbeitervcrband. Abteilung Amsterdam, sind gewillt, die Angriffeohne Abwehr hinzunehmen. Die deutschen Arbeiter werden dringendersucht, Arbeitsangebote der Firma abzulehnen.Die Arbeiter in den Wurstfabriken in Bukarest iRumänie»)stehen in einer Lohnbewegung. Die Arbeitsverhältnisse sind nochfchlechter als in Deutschland, die Arbeitszeit ist unendlich lang, dieLöhne sehr niedrig, die Behandlung ist roh zu nennen. Die Ar-beiter fordern eine bescheidene Lohnerhöhung. Die Fabrikantenlehnen diese Forderung ab und drohen mit Aussperrung und Zuzugvon Streikbrechern au« dem Auslände. Da anzunehmen ist, daß dieFabrikanten auch in Deutschland Umschau nach Streikbrechern haltenwerden, werden alle Fleischergesellen ersucht, jede Anwerbung nachRumänien zurückzuweisen.Die Jugendabtcilungcn des Cunwereins„flehte" exmittiert!Dem Vorsitzenden des Turnvereins„Fichte* ging jetzt einSchreiben seitens des Magistrats zu, durch da« dieser den Jugend-obteilungen des Vereins„Fichte*, deren Mitglieder da» 18. Lebens-jähr noch nicht vollendet haben, die Weiterbenutzungstädtischer Turnhallen vom heutigenTage ab ent-zieht.Dem Turnverein„Fichte* war bekanntlich durch Magistrats-Verfügung vom 20. Mai der Termin zur Erteilung von Unterrichts-erlaubnisscheinen auf Antrag bis zum 1. September verlängertund erklärt worden, falls bis dahin die Scheine nicht beigebrachtseien, müßten die Hallen für Lehrlinge am 1. Oktober geräumt werden.In der Stadtverordnetenversammlung war darauf von unserenGenossen der Antrag gestellt, den Magistrat zu ersuchen,dieBenutzung der städtischen Schulturnhallen denI u g e nd ab teilun g en des Turnvereins„Fichte*auch fernerhin. zu überlassen oder dem Turn-verein, Fichte* Räume zur Verfügung zu stellen,auf deren Benutzung dem Provinzialschul-kollegium eine Einwirkung nicht zu st eh t. Die An-gelegenheit wurde zur Beratung einem Ausschuß überwiesen. DieAusschußsitzung fand gestern abend statt. Ohne das Ergebnis derBeratungen der Stadtverordneten abzuwarten, hat der Magistratkurzerhand die Räume zum 1. Oktober gekündigt IUnsere Genossen legten im Ausschuß dar, daß die Beschwerdedes Turnvereins„Fichte" wegen Nichterteilnng von Erlaubnis-scheinen an den Minister gegangen sei und daß der Verein evenwelldas Staatsministerium anrufen wolle. Der Verein habe auch ge-beten, deshalb ihm die Frist zu verlängern. Unter allen Umständensolle man den Magistrat ersuchen, mit der Kündigung zu warten,bis das Staatsministerium entschieden habe. Das durch dasProvinziaychulkollegium und dem Minister veranlaßte Vor-gehen gegen die Jugendabteilungen sei durchaus ungerecht-fertigt. Die bekannte Plenarentscheidung des Reichsgerichtsbetreffe den Turn Unterricht überhaupt nicht. Jedenfalls be-rühre sie keineswegs Turn Übungen. Nur um Turnübungen handlees sich aber in den Jugendabteilungen des Turnvereins„Fichte*. Hierwäre der Unterrichtserlaubnisschein Leuten, die fähig seien zumUnterricht, lediglich wegen ihrer politischen Gesinnung nicht er-teilt. Der Magistrat und die Stadtverordnetenversammlungdürften ihre Hand zu der politischen Drangsalierung nichtreichen. Der Magistratsvertreter erwiderte, das Reichsgerichts-erkenntnis sei für sie bindend; wenn ein neues Erkenntnis ergeheoder die Staatsministerialinstanz anders entscheide oder Unterrichts-erlaubnisscheine erteile, so würden die Räume dem Verein wiederzur Verfügung gestellt werden. Die Stadt könne aber nicht in Kom-petenzen von staatlichen Behörden eingreifen. Ein Antrag auf Ver-längerung der Frist über den 1. Oktober hinaus befinde sichnicht bei den Akten; eine solche Beschwerde sei ja wohl auch aus-sichtslos. Auch wenn es sich nur um Turn Übungen handle,könne die Stadt die Räume nicht zur Verfügung stellen, denn esliege doch dann Turnunterricht oder eine Umgehung vor. Von denVertretern der bürgerlichen Parteien sprach sich nur der Stadt»verordnete Schulz mit Entschiedenheit gegen die Politikder kleinen Nadelstiche aus. Er erklärte auch, daß Turnübungenund Turnunterricht etwas ganz verschiedenes sind. Er sei mitbeiden Teilen des Antrages einverstanden. Einige andereStadtverordneten erklärten, der Antrag sei ihnen zwar sympathisch,gegenüber den Entscheidungen des Reichsgerichts und dem Vorgehender Staatsbehörden sei aber ein Vorgehen fruchtlos. Dem Stadtverord-neten Sonnenfeld blieb es vorbehalten, zu erklären, ihm sei derVerein durchaus nicht sympathisch, auch ohne den Beschluß der ver-einigten Senate des Reichsgerichts würde er für ein Vorgehen gegenden Verein„Fichte* sein, denn— der Turnverein„Fichte* fei sozial-demokratisch. Das gehe aus der Broschüre„Die bürgerliche Jugend-erziehung' von Karl Korn und aus einem Liederbuch hervor, in demsich ein Lied abfällig mit der Heimatliebe beschäftige! Die unge-heuerliche Intoleranz, die in diesen Ausführungen des freisinnigenStadtverordneten liegt, wurde von unseren Genossen und auch voneinigen bürgerlichen Stadtverordneten zurückgewiesen. Der noch vonOberbürgermeister Kirschner proklamierte Grundsatz dürfe nicht ver-lassen werden: unsere Turnhallen, wie überhaupt unsere städtischenEinrichtungen, stehen jedem Verein ohne Rücksicht auf die politischeoder religiöse Ueberzeugung seiner Mitglieder offen, solange nichtetwa ein Mißbrauch getrieben wird. Bei der Abstimmung wurdeder sozialdemokratische Antrag in beiden Teilen abge-lehnt. Für denselben stimmte von den bürgerlichen Stadtverord-neten nur der Stadtverordnete Schulz.Wahrlich kein Ruhmesblatt im Kranz des Freisinns.Gerichts-Leitung.Kampf gegen die Reaktion als Gotteslästerung.Ein umfangreicher Prozeß wegen Gotteslästerung wurdegestern vor der 6. Strafkammer des Landgerichts III unter Vor-sitz des Landgerichtsrats Jaschkowit? verhandelt. Die Anklagerichtet sich gegen den Arzt Dr. med. Georg Zepler in Charlotten-bürg und den Schriftsteller Otto Lehmann-Ruhbüldt. Sie sindangeklagt, im April 1913 in Eharlottenburg gemeinschaftlich da-durch, daß sie öffentlich in beschimpfenden Aeußerungen Gottlästerten, ein Aergernis gegeben und durch dieselbe strafbareHandlung öffentlich eine der christlichen Kirchen bezw. deren Ein-richtungen beschimpft zu haben. Als Verteidiger für Lehmanntraten die Rechtsanwälte Robert Heine-Berlin und Dr. LotharSchücking-Dortmund, für den Angeklagten Dr. Zepler RechtSan-walt Dr. Löwenstein auf.Der Angeklagte Dr. Zepler ist Herausgeber und Verleger derin Charlottenburg erscheinenden Zeitschrift„Der Weg, FreiheitlicheZeitschrift für Politik und Kultur". In der Nr. 4 des Jahrganges1913 war ein von dem Angeklagten Lehmann-Rußbüldt verfaßterArtikel erschienen, der die Ueberschrift trug:„Mißbrauch der Jahr-Hundertfeier durch das Komitee Konfessionslos." Der Artikel pole-misierte gegen die Auslassungen reaktionärer Blätter, die sich überein Flugblatt beklagten, das vom Komitee„Konfessionslos* amTage der Jahrhundertfeier verbreitet wurde und sich mit der Aus-trittsbewegung beschäftigte. Unter Anklage gestellt sind folgendeStellen:„Wenn Ernst Moritz Arndt dichtete:„Der Gott, der Eisenwachsen ließ, der wollte keine Knechte", so hat er sicher bei diesemGott nicht an das blutleere Gespenst der Theologen gedacht, das325 mehrere hundert Meilen von Deutschland fort auf dem KonzilNicäa aus dem Gehirn orientalischer.Theologen mit drei Köpfengeboren wurde und an dessen merkwürdigste und unmöglichsteLebensumstände Millionen deutscher Kinder glauben sollen" und:„Das alles aber hat gar nichts mit dem zum großen Teil voll-kommen bewußten Schwindel zu tun, den die Landeskirchen uns imApostolikum als„Glauben" aufzwingen wollen."Als erster Zeuge wird der Lizentiat RcichstagsabgeordneterMumm vernommen. An dem Artikel will er Aergernis genommenhaben, der christliche Gottesbegrisf und der Stand der Theologensei durch den Artikel beschimpft. Drei weitere Belastungszeugengehören der christlich-sozialen Partei an. Lizentiat Mumm hatihnen den Artikel vorgelesen. Der Artikel, behaupten sie, habe beiihnen Aergernis ausgelöst. Pastor Falk legt dar, das Apostolikumsei nur eine geschichtlich gewordene Form des Glaubens, die nichtfür alle Zeiten festgelegt ist. Auf Befragen erklärt er: kaum jemalshat sich ein Mann, der ein offizielles Kirchenamt bekleidet, so scharfüber die Unwahrhafttgkeit in der Kirche geäußert, wie ProfessorHarnack. Der Ausdruck„Schwindel" komme mehrfach in theolo-gischen Streitschriften vor. In den Polemiken zwischen Orthodoxenund Liberalen kämen noch viel schärfere Ausdrücke vor. Dr. Biel-Haber erklärt, die angeklagte Zeitschrift ist zwar radikal, aber ver-folgt ernste ideale Ziele. Wenn in ihr um den Gottesbegriff ge-kämpft wird, so geschieht das nicht aus Boshaftigkeit, sondern weilder Begriff sich im Wandel der Zeiten ebenfalls verändert. GrafHoensbroech legt ebenfalls dar, daß der Gottesbegriff fortgesetztin der christlichen Kirche Wandlungen durchgemacht habe. DerAusdruck„bewußter Schwindel" fei wohl nur eine Art Entgleisung,der die Tatsache aussprechen will, daß die Landeskirche die objektiveUnwahrheit des Apostolikums als Glauben aufnötigen wolle. Ob-jektive Unwahrheit liege vor, denn durch das Wort ApostolikumIvürde der Wahrheit zuwider im Volke die Vorstellung erweckt,als ob es sich um den Glauben der Jünger Jesu handele. Davonkönne aber gar keine Rede sein.Staatsanwalt Dr. Mix beantragte das Schuldig. Das Aposto-likum bestehe als Enirichtung der christlichen Kirche. Der Artikelmüsse Aergernis bei religiösen Leuten erregen. Unter Anerkennung,daß die Angeklagten aus idealen Motiven gehandelt, beantragte derStaatsanwalt je 2 Monate Gefängnis.Nach längeren Plaidoyers der Rechtsanwälte Schücking, Nob.Heine und Dr. Löwenstein, die die Freisprechung beantragten, ver-kündete der Vorsitzende des Gerichts dasUrteildahin: Objektiv liegt eine Gotteslästerung und Beschimpfung einerEinrichtung der Landeskirche vor, auch subjektiv ist über die Schuldder Angeklagten kein Zweifel. Es ist gesagt worden, daß derGottesbegriff unbestimmt und wandelbar sei. Wem die Mutter-liebe in der Kindheit die Hände zum Gebet falten ließ, weiß, waser sich bei dem Begriff Gott zu denken hat; es ist ein Gott, an denMillionen Kinder glauben sollen und um diesen Gott handelt essich, nicht um den Gott des Konzils von Nicäa. Der Ausdruck„Schwindel" ist auf das Apostolikum selbst gemünzt, denn es handeltsich ja um den Kampf um das Apostolikum, von dem sich ein Teilder Pfarrer befreien will. Es besteht also als Einrichtung derKirche. Wenn die Angeklagten auch aus idealen Motiven gehandelthaben, so hätten sie doch Rücksicht nehmen müssen auf die Idealederjenigen, die auf entgegengesetztem Standpunkte stehen. DasGericht verurteilte Dr. Zepler zu 3 Tagen» den Angeklagten Leh-mann-Rußbüldt zu 1 Woche Gefängnis und sprach die Unbrauch-barmachung der Platten und Exemplare aus.Der Mord in der Mariannenstraße vor Gericht.Eine mysteriöse Mordaffäre bildet den Gegenstand eines um-fangreichen Prozesses, welcher gestern vor dem Schwurgericht desLandgerichts I begann. Aus der Untersuchungshaft wurde der43jährige Gärtner bezw. Schleifer Bruno Bierwagen vorgeführt.Er ist des Totschlags an seiner Ehefrau, der Portierfrau MarthaBierwagen, beschuloigt. Die Tat selbst soll am 6. Januar 1303in dem Hause Mariannenstraße 30 verübt worden sein.Es handelt sich um eine 4�- Jahre zurückliegende Bluttat,welcher die Portierfrau Martha Bicrwagen zum Opfer gefallenwar. Frau B. war am Morgen des 4. Januar 1909 von der Haus-eigentümerin inmitten einer großen Blutlache in ihrem Betteliegend tot aufgefunden worden. Die Obduktion ergab, daß derTod durch zwei Messerstiche herbeigeführt worden war. Der Ver-dacht der Täterschaft lenkte sich damals auf den Ehemann, der nachder Tat spurlos verschwunden war. Alle Ermittelungen derKriminalpolizei blieben erfolglos.— In der gestrigen VerHand-lung gab der Vorsitzende zur besseren Verständlichmachung deSnicht ganz einfachen Sachverhalts folgende Tarstellung:Im Jahre 1898 hatte sich der Schleifer Bruno Bierwagen vordem Schwurgericht l Berlin wegen Totschlags zu verantworten.Dieser Biertvagen wurde beschuldigt, bei einem Streit mit meh-reren Männern einen Wächter erstochen zu haben und wurde zu8 Jahren Zuchthaus verurteilt. Zur Verbüßung dieser Strafe wurdeer nach dem Zuchthause in-Sonnenburg übergeführt, in welchemBiertvagen bis zum Jahre 1906 verblieb. Er kehrte dann zu seinerinzwischen von ihm geschiedenen Ehefrau zurück, die in dem HauseMariannenstr. 30 eine Portierstelle angenommen hatte. Die�Fraugewährte ihm auch Aufnahme und Bierwagen soll nun ein bürger»lich solides Leben geführt, sich durch Kranzbinden ernährt und zudiesem Zwecke außerhalb Berlins ein Stück Land gepachtet haben,um.Kranzlaub zu bekommen. Da? Eheleben soll ganz glücklichgewesen sein und um seine Frau gänzlich wieder auszusöhnen,schenkte ihr Bierwagen zu ihrem Geburtstag einen goldenen Ehe»ring. Anfangs Januar 1909 wurde nun Frau Bierwagen tot inihrem Bette aufgefunden, der Ehemann war verschwunden. Beider Leiche wurden zwei Briefe gefunden, in welchen der EhemannBierwagen schrieb, daß er über seine Tat Reue zeige und ankün-digte, daß er sich das Leben nehmen werde. Trotz aller Recherchenblieb Bierwagen spurlos verschwunden, so daß man zu der Ansichtgelangte, daß B. seinen Entschluß, sich umzubringen, ausgeführthabe.— Dies war, wie der Vorsitzende bemerkte, gewissermaßender Tragödie erster Teil, wenn der Vorhang zum zweiten Maleaufgegangen ist, sieht man wieder einen Schwurgerichtssaal undztvar steht jetzt der angebliche«Monteur Ernst Kirschnrr" vor denGeschworenen unter der Anklage des Münzverbrechens. Der da»malige Vorsitzende gab sich die erdenklichste Mühe, in die Perso-nalien des angeblichen Kirschner Klarheit zu bringen...Kirschner"war ein unbeschriebenes Blatt, so daß ihm die Geschworenen mitRücksicht auf seine bisherige Unbescholtenheit mildernde Umständezubilligten und..Kirschner" nur zu einer Gefängnisstrafe ver-urteilt wurde. Kurze Zeit darauf stand derselbe„Kirschner"wiederum unter der Anklage des Münzverbrechens vor den Ge-schworenen, die ihn dieses Mal schärfer anfaßten, so daß„Kirschner"zu einer Zuchthausstrafe verurteilt werden konnte. Der Zufallfügte es, wie der Vorsitzende weiter ausführte, daß der angebliche„Kirschner" dem Zuchthaus in Sonnenburg zugeführt wurde, inwelchem bekanntlich auch der seinerzeit_ spurlos verschwundeneBierwagen die gegen ihn verhängte 8 jährige Zuchthausstrafe ver-büßt hatte. Mehrere Aufseher, welche diese 8 Jahre lang mitBierwagen täglich in Berührung gekommen waren, erklärten sofort,als sie des angeblichen..Kirschner" ansichtig wurden:„Da ist jaBicrwagen wieder." Nachdem„Kirschner" dem in Frage kommen-den Aufseherpersonal gegenübergestellt worden war, welches ihnals„Bierwagen" erkannte, wurde der Staatsanwaltschaft Mittet-lung gemacht. Das Verfahren wegen des Totschlags in der Ma-riannenstraße wurde wieder aufgenommen, nachdem etwa zweiDutzend Zeugen erklärt hatten, der ihnen vorgestellte Mann seiBierwagen. Es wurde deshalb zuerst ein Strafverfahren wegenintellektueller Urkundenfälschung gegen„Kirschner* eingeleitet, daßer sich unter diesem Namen in die Gefangenenregister hatte ein-tragen lassen...Kirschner* wurde auch von der Strafkammer zueiner Gefängnisstrafe verurteilt. Angeklagter bleibt auf Befragendabei, er heiße Kirschner, nicht Bierwagen. Eine große AnzahlZeugen bekundeten die Identität des Angeklagten mit Bierwagen.Große Erregung rief die Vernehmung der 70 jährigen Mutterdes Angeklagten hervor, die schließlich erklärte, um ihren Sohnnicht zu belasten, wolle sie nichts aussagen. Einige Aerzte be-kündeten, daß die Armtätowierungen, deren Fortätzung versuchtwar. genau dieselben wie gleiche bei dem unzweifelhaften Bier-mann seien. �Die Geschworenen bejahten nach kurzer Beratung tne Schuldfrage nach Körperverletzung mit TodeSerfolg unter Berfaguugmildernder Umstände.Der Staatsanwalt beantragte zu der gegen den Angeklagtenwegen Münzverbrechens erkannten dreijährigen Zuchthausstrafeauf noch 10 Jahre Zuchthaus zu erkennen.Das Urteil lautete auf 8 Jahre Zuchthaus, 10 Jahre Ehr-Verlust.Bei dem Rücktransport in das Gefängnis äußerte der An-geklagte vergnügt lächelnd, daß er sehr zufrieden sei. so„bMg-davongekommen»u sein._Vom Streikpostenstehen.Aus Anlaß des Streiks in einer Fabrik war Walter ausFrankfurt a'. O. vor der Fabrik aus und ab promeniert, um dieArbeitswilligen zu kontrollieren. Er wurde von einem Polizei-beamten aufgefordert, sich zu entfernen. Walter ging jedoch nichtalsbald, sondern erklärt« dem Beamten, daß da? Streikpostenstehenerlaubt sei. Auf die Anzeige deS Beamten, der von der OrtSpolizei-behörde den Auftrag hatte, Streikposten überhaupt wegzuweisen.