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Nr. 337.

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Telegramm- Adresse: ,, Sozialdemokrat Berlin".

Zentralorgan der fozialdemokratischen Partei Deutschlands  .

Redaktion: S. 68, Lindenstraße 69. Fernsprecher: Amt Morigplay, Nr. 1983.

Forstner und Brandenſtein.

Zwei Leutnants, rosenrot und braun. Detlev v. Liliencron  .

Zwei junge Leutnants, eine Menschenart, von der sonst zwölf bis dreizehn auf ein Dußend gehen, sind in diesen Wochen in aller Munde, nicht so sehr wegen ihrer besonderen Taten oder Untaten, sondern weil sich an ihrem Handeln und vor allem an ihrer Behandlung das Wesen des Heeres ablejen läßt, dessen Rock fie tragen.

Montag, den 22. Dezember 1913.

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Expedition: S. 68, Lindenftraße 69.

Rernfbrecher: Amt Morikplats. Nr. 1984.

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allerdings für diese Sehnsucht des zwanzigjährigen Leutnants, Arbeitswilligenschutz treibt, ist damit richtig gekennzeichnet. sich Satisfaktion zu holen, nicht das nötige Verständnis aufge- Tatsächlich ist es den Konservativen bei ihrer heutigen Agi­bracht, ihn zu der gelinden Strafe von 43 Tagen Gefängnis tation gegen das Koalitions- und Streifrecht erst in zweiter berdonnert und hat damit auch seine so glorreich begonnene Linie um eine Einschränkung dieses Rechtes zu tun; ihr erster Militärlaufbahn wie mit der Schere der dritten Parze abge- und wichtigster Zweck ist, durch diese Agitation die Scharf­schnitten; aber in allen Kasinos der preußischen Armee wird macher der Großindustrie, besonders des Zentralverbandes der Leutnant v. Forstner- tros seiner angerauchten Bett- deutscher Industrieller, die bisher meist zu den Rechtsnatio­wäsche als der Held des Tages gefeiert werden, und nalliberalen hielten, in das konservative Dugende von jungen Dächsen, die eben die Epauletten erhalten hinüberzuziehen, um mit deren Hilfe bei der bevor­haben, nehmen sich vor, im gegebenen Falle genau so gegen stehenden Erneuerung des Zolltarifs und der Handelsver­das 3ivilisten pad" zu verfahren. Denn im Sinne träge der schwer um ihre Eristenz ringenden breiten Volks­des Systems hat der schlagfertige Leutnant durchaus kor- masse neue Zollasten aufzubürden. Das heutige, die not­reft" gehandelt. wendigsten Lebensmittel verteuernde Wirtschaftssystent, das im wesentlichen auf eine künstliche Erhaltung und Mästung des reichen Grundadels auf Kosten der Arbeiterklasse und des Kleinen Mittelstandes hinausläuft, soll nicht nur aufrecht er­halten bleiben, sondern noch möglichst zum Vorteil der Groß­agrarier erweitert werden.

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Soweit es den Leutnant v. Brandenstein angeht, muß man allerdings sagen: trug! Denn gerade, daß er den Das ging deutlich aus der Bekundung des Obersten  bunten Rock nicht mehr trägt, ist in seiner Geschichte das v. Reuter hervor, der seinem Offizierkorps Weisungen gab, Interessante. Es entzieht sich der Kenntnis des Geschichts- wie sie kaum Karl Moor erteilt haben mag. Pistole einstecken schreibers, ob der Leutnant v. Brandenstein mit jenem so schneidig wie möglich vorgehen von Säbel und Pistole sehr feudalen Landtagsabgeordneten v. Brandenste in Gebrauch machen Leute zur Strede bringen- ja, sind verwandt ist, der im Dreiklassenparlament über die Erwählten denn die Bürger Freiwild für eine Handvoll übermütiger des, allgemeinen Stimmrechts wetterte, weil sie in der ersten Offiziersjünglinge, daß solche Losung ungestraft in einem Wagenklasse ,, von der Zerlegbarkeit ihrer Hemden den weitest- Staate ausgegeben werden darf, der doch wohl ein Gesezes­gehenden Gebrauch machten", zu Deutsch  : zur Erhöhung der staat sein will? Törichte Frage! Denn auch auf das Wohl Bequemlichkeit Kragen, Krawatte und Röllchen" in das Ge- des Obersten v. Reuter wird in diesen Tagen in den preu­päcknek würfen. Aber jedenfalls war auch unser Branden  - pischen Kasinos manches Glas fröhlich geleert werden, ist doch ft ein hinreichend blaublütig und feudal, um in das Offizier- dieser einer der würdigsten Vertreter des Systems und die korps des 2. Garderegiments zu Fuß eingereiht zu werden rechte Ergänzung zu dem Kommandeur des 2. Garderegiments das 1. Garderegiment zu Fuß ist freilich noch feudaler, da es zu Fuß, der den Leutnant v. Brandenstein wegen seiner neben der Gardekavallerie die monatelang von jedem Dienst Stellung zum Ziveikampf schnöde um die Ecke gehen ließ. befreiten Vortänzer bei Hofe stellt. An dem Zeutnant von Brandenstein war nun weiter nichts Merkwürdiges, als daß er ein gläubiger Protestant und mithin ein guter Christ Nur ein guter Christ", hat Wilhelm II.   be­tont, tann ein guter Soldat sein", und so war zu erwarten, daß der Herr v. Brandenstein leicht und sicher auf der militärischen Rangleiter himmelan steigen würde.

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Denn dieses System der von den Junfern so stürmisch ge­feierten Gewalt will Gewaltmenschen, die sich an teine Schran­fen stoßen, als an die ihnen vom eigenen Kastendünkel ge 30genen, an tein Strafgesetzbuch und an feinen fleinen State­chismus, und die nur das brutale Recht der blanken Waffe gelten lassen.

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In diesem schönen Kampf für den Millionenprofit stört die Konservativen aber nicht nur das Verhalten so mancher sozialpolitischen Professoren, die, unpraktisch wie sie sind, nicht in der Füllung der weiten Taschen des Großagrarier­tums die vornehmste vaterländische Aufgabe des deutschen  Volkes zu erblicken vermögen, sondern auch die Stellung­nahme der christlichen Gewerkschaften zum sogenannten Ar­beitswilligenschuß, denn diese Stellungnahme beeinflußt auch bis zu einem gewissen Grade die Haltung der Zentrums­ partei  . Es ist deshalb durchaus begreiflich, daß das Organ der Epigonen der mittelalterlichen Raubritter die Auffassung der christlichen Arbeiter vom Roalitionsrecht für ganz ,, un­verständlich" erklärt und schließlich sogar unterstellt, daß deren Proteste gegen den geplanten Arbeitswilligenschut wohl nur darin ihren Grund hätten, daß sie selbst( dic christlichen Arbeiter) bei Arbeitskämpfen Aus diesem Grundsatz der nackten Willkür fließt alles, ien en Mitteln des Terrorismus Gebrauch Aber es kam anders. Als ihn nämlich im Kasino beim was wir in den letzten Wochen, staunend die einen und zähne- au machen" wünschen. Zugleich sucht die Kreuzzig." perlenden Sekt ein paar Kameraden wegen seines Christen- Enirschend die anderen, erlebt haben, auf dem Zaberner den inneren Reibungen im Zentrumslager ein wenig nach­glaubens hänselten und nach seiner Stellung zum Duell be- Schloßplaz wie im Berliner   Reichstag  , und der Leutnant zuhelfen, indem sie darauf hinweist, daß infolge dieser Hal­fragten, erwiderte er fest, seine christliche Weltanschauung ver- b. Brandenstein, der den Grundsatz der rohen Gewalt tung der christlichen Gewerkschaften das Zentrum zurzeit für biete ihm, einen Zweikampf einzugehen, und wiederholte diese nicht bis auf den Punkt über dem i anerkennen wollte, ist die dringenden Wünsche seiner Mittelstandskreise nach besse­Erklärung, als die lieben Kameraden nichts Eiligeres zu tun letzten Endes ebenso ein Opfer dieser Willkür geworden, wie rem Schutz gegen den sozialdemokratischen Terrorismus" hatten, als ihn zu denunzieren, vor dem Oberst und Regi- die ruhigen Bürger, die man für eine lange, bange Nacht mit taub sei. mentskommandeur. Sicher teilte auch dieser Oberst Seiner Stolbenstößen in den Pandurenkeller der 99er Kaserne ge- Aber nicht nur der Einengung des Koalitionsrechtes und Majestät Ansicht, daß nur ein guter Christ ein guter Soldat trieben hat. Und es heißt da wirklich nur leicht über die Ober- der Vorbereitung eines neuen Zollraubzuges auf die Taschen sein könne; aber der Leutnant v. Brandenstein war ihm fläche eines fressenden Geschwüres streifen, wenn man den der Unbemittelten dient der unter der Devise Schutz den doch ein zu guter Christ und nicht im Besitz des prakti- einen oder anderen Schuldigen, der am meisten hervorgetreten Arbeitswilligen" geführte Kampf der Kreuzzeitungsritter und schen Christentums", mit dem sich ein echter Preuße durchs ist, als Sündenbock in die Wüste stößt, sondern das ganze Ge- ihrer auf Kosten der darbenden Volksmasse erhaltenen Hinter­Leben schlägt. Das praktische Christentum" handhabt schwür muß mit glühendem Eisen ausgebrannt werden, wenn männer, auch der weitere Ausbau der sozialpolitischen Ge­nämlich, wenn's nottut, auch die Duellpistole. Das hat nie die Säbelherrschaft einer bevorrechteten Soldateska nicht sezgebung soll verhindert werden. Deutlich gesteht das die mand anders schlagend oder vielmehr schießend bewiesen als immer wieder über die verfassungsmäßigen Rechte des Bürger- Kreuzztg." mit folgenden Ausführungen zu: Otto v. Bismarck. Als er, durch und durch ein prat- tums triumphieren soll. Das Bürgertum freilich ist unfähig Es wäre ein Anachronismus, wo fife man heute die tischer Christ", dem es auf ein Bibelzitat mehr oder weniger oder unlustig, diese Zusammenhänge zu durchschauen. In nicht ankam, im Frühjahr 1852 von seinem politischen Geg- jedem Ausfluß des Systems sieht es nur einen Einzelfall und ner, dem Liberalen v. Vinde, auf Pistolen gefordert wurde, nahm er nicht nur unbedenklich die Forderung an, sondern er ließ sich auch jedem wahren Christen muß es wie eine Rästerung erscheinen vor dem Zweikampf von einem ge­fälligen Pfaffen das Abendmahl reichen.

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vergießt Tränen der Rührung, wenn besonders auffallende Einzelfälle wie hier eine gelinde Sühn finden, und es wird gar vor Freude außer Rand und Band sein, wenn auch der Oberst v. Reuter, mit seinem eigenen Wort zu sprechen, zur Strede gebracht wird.

Törichterweise war der Leutnant v. Brandenstein Aber damit ist gar wenig getan, und während wir all nicht dafür zu haben, erst den Wein des Abendmahls und dann diesen Dingen mit einer gewissen schadenfrohen Gleichgültig­das Blut des Nächsten fließen zu lassen, sondern weigerte sich feit gegenüberstehen, sollte sich gerade das Bürgertum einmal auch auf Vorhaltungen entschieden, den Zweikampf mit seinem die Frage vorlegen, wohin ein Heer treibt, aus dem man die Christentum in Einklang zu bringen. Im übrigen war er Brandensteins ausmerzt und in dem man die Forst­durchaus kein Querkopf, der wie die Mennoniten eine Waffeners heranzüchtet.

Was sie wollen.

anzurühren sich weigerte, sondern er erklärte ausdrücklich seine Bereitwilligkeit, im Kampf gegen den äußeren oder den ,, inneren" Feind was will man mehr!- forsch drauf­zugehen und auch bei tätlicher Beleidigung oder Bedrohung seiner Person mit dem gezückten Säbel dazwischenzufahren. Die ehrsame ,, Kreuzztg." leistet sich in ihrem leßten Rück­Salf ihm alles nichts, da er nicht den rechten Glauben an die blick auf die innere Politik der Woche" eine spaltenlange Heiligkeit des Zweikampfes hatte, paßte er nicht in das christ- Jeremiade darüber, daß der Kampf der Reaktionäre für den liche" Offizierkorps des preußischen Heeres, und da er nicht Arbeitswilligenschutz und gegen den sogenannten sozialdemo­freiwillig gehen wollte, so wurde er gegangen" wegen kratischen Terrorismus der frivole Terrorismus der auf ,, mangelnder Entschlußfähigkeit". Volkskosten ernährten Krautjunker und der Bergwerks- und

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Arbeiter als die Schwachenbezeichnen, deren Inter­esse nur durch die Regierung gegenüber den höheren Klassen ver­treten werden könnte. Wagner dachte die Arbeiter in engster Anlehnung an die Staatsbehörden in die Welt des Organisations= Lebens einzuführen. Heute sind sie einer solchen Bevormundung nicht nur entwachsen, sondern stehen größtenteils dem Staate in geschlossener Feindschaft gegenüber. Ihre politische und soziale Selbständigkeit ist längst erreicht und gesichert, und es ist eine leere Verdächtigung, wenn Brentano behauptet, man suche sie wieder zum Mittel für die Zwecke anderer herabzudrücken, indem man ihnen praktisch das Koalitionsrecht nehmen wolle.

Zur Zeit Wagners war die Sozialpolitik in seinem Sinne cine Notwendigkeit.... Heute hat sich das Bild geändert. Die Konservativen fönnen sagen: die Liberalen machen jetzt unsere Politik und machen sie falsch. Der Liberalismus hat seit den neunziger Jahren des vorigen Jahrhundert etwa die Idce der Sozialpolitik aufgenommen und vertritt sie nun mit dem doftri­nären Eifer, mit dem er seine Ideen zu vertreten pflegt, unter­stützt durch die Popularität dieser Politik bei der Masse der Wähler. Jezt muß Sozialpolitik getrieben werden um jeden Preis, obwohl gegen die meisten gesundheitlichen Mißstände, von denen Wagner sprach, gegen die wirtschaftlichen Notstände in Alter und Krankheit längst Vorsorge getroffen ist, obwohl die Industrie durch die Sozialpolitit so belastet ist, daß jedes weitere Hinzutun für sie und damit für die Arbeiter zur Gefahr wird."

Es zeugt deshalb nur von einem gesunden, Klassen­

Da ist man mag fagen, was man will! der Freiherr Hüttenmagnaten des rheinisch- westfälischen Industrie­v. Forstner doch ein anderer Sterl. Sein weit gelinderer reviers gilt ihr natürlich nach ihrer evangelisch- christlichen instinkt, wenn auch die christlichen Arbeiter sich trok ihrer Fehler ist nicht ein Mangel, sondern ein Ueberschuß an Ent- Spezialethik für berechtigt- so langsame Fortschritte macht, Beeinflussung durch die kapitalistischen   Elemente der Ben­schlußfähigkeit, denn da er in Dettweiler an jenem 2. Dezem- und sie erklärt es deshalb für eine wichtige Aufgabe der Kon- trumspartei gegen den sogenannten Arbeitswilligenschutz" ber einen lahmen Schuster vor sich sieht, der niemandem ein fervativen, die Bewegung vorwärts zu treiben und und das famose Leipziger   Kartell der schaffenden Stände" Haar gekrümmt hat und niemandem eins krümmen will, der diejenigen weiten Kreise des Erwerbslebens zu vertreten, wenden. Tatsächlich laufen die Pläne der edlen Herren nicht zudem von drei bis vier Musketieren gehalten wird und von die vor den Türen der anderen Fraktionen nur auf die Beschränkung des Koalitionsrechtes der Arbeiter vier bis fünf anderen umringt ist, haut er dem Wehrlosen des Reichstages abgewiesen oder mit wert- hinaus, sondern zugleich auf eine Vermehrung des mit der Plempe über den Schädel, unt sich Satisfattion zu Iojen Nedensarten vertröstet werden!" 301Iwuchers und Verhinderung jeder Er­verschaffen" für eine Beleidigung, mit der der lahme Schuster Der Beweggrund, der die konservative Presse zu ihrer weiterung der sozialpolitischen Geset­gar nichts zu tun hatte. Das Straßburger Kriegsgericht hat erhabenen Aufgabe des großen Kampfes für den sogenannten gebung.