Nr. 60. 31. Jahrgang.
Beilage des Vorwärts" Berliner Volksblatt
Montag, 2 März 1914.
Das staatlich bewachte Ehebett.
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A. Palbe.
Abendrot.
Auf kahler Sandhöhe,
Wo der Sturm seine wirbelnden Fäuste
An franken Kieferstämmchen übt,
Ragt des Verbrecherkirchhofs rotes Gemäuer.
Gleichgültig Starrt
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talt
Ein nackter, gekreuzigter Verbrecher Auf die schmucklosen Gräber.
Plötzlich
Schwellen des Heilands Wundmale, Schwellen, brechen auf und bluten, Bluten über Stamm und Gräber Rote Rosenblüten.
Seine Mörder, zwei feifte Pfaffen, Gehen vorüber, bekreuzigen sich.
Der Sohn.
" Hühnerdörte, heizen!" schrie die alte Erzieherin, das langjährige Inventar" des Meinertschen Hauses, zum Fenster hinaus. Wo steďte nur heute die Dörte? Nicht wie sonst war die kleine, wie ein quadratisches, schlecht verschnürtes Batet wirkende Person im Rahmen der Tür mit der rotglühenden Kohlenschippe aufgetaucht. Die Erzieherin hatte ihren Schlaf auf das Erscheinen der von Flammen umlohten„ Brunhilde" eingestellt. Wenn das Feuer im Ofen knisterte, machte sie immer noch schnell ein kleines Morgenniderchen vor Beginn des Unterrichts.
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Heute nun blieb der Ofen stumm und kalt, das Fräulein begann ihren Tag in großer Unbehaglichkeit, und das Hühnervolt auf dem Hofe schien gleichfalls verwaist und verwahrloft.
" Ist etwa ihr Bruutmann gekommen? Oder ihr Sähn"?" fragte das Fräulein einen vorübergehenden Knecht, der den Ruf nach Dörte vernommen.
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Der Mann grinste. Dörtes Sähn" war gerade zweimal so groß wie seine kleine Mutter, was das Vergnügen des ganzen Hofes bildete, und als ihr Bruutmann" galt eine fagenhafte Gestalt aus der Stadt. De Sähn muß töwen, bis hei Urlaub tregt," erwiderte der Mann. De Dörte is man hüüt mit de Melf na' t Stadt, weil Mine frant is."
Die Erzieherin schlug zornig das Fenster zu. So eine Rüdfichtslosigkeit! Weil Mine krant au sein geruhte, mußte fie's talt haben. Ordentlich grünes Pulver" eingeben! Das hilft bei
Kühen und auch bei Menschen von Mines Schlage. Das alte| daß sie das von der Maus nicht hätte sagen sollen. Doch vor dem Fräulein hatte sich angewöhnt, im Sinne ihrer Herrschaft zu denken. Inzwischen trottete Dörte trübselig auf ihren kurzen, steifen Beinen die Chaussee entlang. Von Zeit zu Beit hob fie die Faust nach der Gegend zu, wo sie die Stadt vermutete, und murmelte eine Verwünschung.
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Drängen ihrer begierigen Zuhörerschaft gab es teine Rettung. Na denn, es is ihr eene Muus in de Melt fallen, die's für Stadt injoffen hett.. Tödliche Stille trat ein. Dörte fah in lauter schredensbleiche Gesichter. Das ihre verzog sich in Angst.
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Dieser verdammte Pony! Da war sie ein wenig abgestiegen," In unsere Milch?" tönte es ihr entfeht entgegen. um sich die Füße zu vertreten sie konnte das lange Kutschieren Dörte kannte die Kunst des Ausweichens nicht. Et war ja nicht vertragen, und der Pony, der Galgenstrid, hatte die Ge- man so'ne Eleene," stammelte sie entschuldigend. legenheit gleich benutzt, zu entwischen. Dörte sah noch immer Die Frau Doktor preßte ihr Tuch an den Mund und eilte im den verschmitten Blick, mit dem er sich nach ihr umgewandt. Ich Sturmschritt ihrer häuslichen Kemenate zu. Die anderen vers tann meine Milch allein verkaufen," stand deutlich in den klugen frümelten sich gleichfalls. Dörte ließ ihre guten alten Augen vers Pferdeaugen. Du bist als Fremde durchaus überflüssig."
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Und wirklich der Pony kannte seine tägliche Route genau. Zuerst machte er bei Doktors Salt. Das rotbädige Stubenmädchen hörte das gewohnte Räderrollen und öffnete die Haustür. Vor Staunen ließ sie beinahe die große Milchtanne fallen.
" Nein, so was! Hans, wo hast du denn deine Mine?" Hans mieherte, als wollte er sagen:" Fragt man nicht! Bedient euch lieber!"
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Die junge Frau Doktor im Morgenhäubchen schaute zum Fenster heraus. So ein luges Tier! Hoffentlich ist der Mine nichts zugestoßen? Messen Sie nur die zwei Liter ab, Marie!"
Der Pony schaute aufmerksam zu, wartete geduldig, bis das Geschäft erledigt war und karrte dann seine Milch im Zudeltrab zur nächsten Rundin, der Frau Apothekerin . Ueberall erregte er ob seiner Intelligenz das Entzücken der Hausfrauen und Mädchen. Man lief auf die Straße, sah ihm nach, stand in Gruppen zu sammen und dankte Gott , in der Dede der Kleinstadt ein Gesprächsthema zu haben. Schließlich aber überwog in der einen und anderen doch das Interesse für Mine. Was sollte ihr Fehlen be beuten?
stört im Kreise herumgehen. Dort verschwand soeben mit strengent Gesicht der Kaufmann, der ihr so manchmal schönen Kandiszuder für ihren Husten geschenkt, in seinen Laden. Der schwarze Mann, der Schornsteinfeger, warf ihr im Weiterschreiten einen mitleidigen Blick zu. Nur das rotbäckige Stubenmädchen von Doktors pruftete bor Vergnügen. Die hatte gut lachen!
Dörte ging zum Wagen hinüber. Der Pony schaute so brab und fromm drein, als könne er fein Wässerchen trüben. Das Mädchen gudte in alle Fäffer. Sie waren leer. Mit einem Seufzer wollte sie sich auf den Bock schwingen, wo ihr eins der Fässer als Sessel bienen mußte, da kam mit wehenden Schürzen und Nodzipfeln die Maid von Apothekers die Straße herauf.
„ Ein Brief, Dörte! Den möchten Sie dem Herrn selbst auss händigen."
Dörte schob den Brief ehrfurchtsvoll zwischen die Knopflöcher ihres Wamses. Was Geschriebenes flößte ihr immer Respekt ein, Befen konnte sie's ja nicht. Aber sie war stolz darauf, daß wenigs stens ihr„ Sähn" es gelernt.
Unversehens wanderten ihre Gedanken zu ihm. In diesen Tagen tam er ja vom Militär los. Die Stadt hatte es ihm ange,, Wir müssen uns nach dem armen, alten Wurm erkundigen," tan. Er war feiner von denen, die sich auf dem Lande unter einen entschloß sich die Frau Doktor als erste. Herrn duden mögen. Das alte Mädchen lächelte aärtlich vor sich hin.
Gerade wurde eine Deputation zusammengestellt, die auf der Landstraße nach der verschwundenen Mine forschen sollte, da langte Dörte atemlos und mit bitterbösem Gesicht am Ende der Hauptstraße an.
Mit lautem Halloh wurde sie begrüßt. Der Kaufmann, der Bäder, der Schornsteinfeger und Schnittwarenhändler, alle famen aus ihren Läden, und Dörte mußte ihre Erzählung vom Ponh, der fie unterwegs verseßt, immer von neuem wiederholen. Zum Schluß fragte man auch nach Mine. Dörte, durch die Aufmerksamteit, die man ihr gewidmet, stolz und unbedachtsam gemacht, verbreitete fich des längeren über die Art von Mines Krankheit. ,, Am Enn is es auch von wejen de Muus," schloß sie ihren ausführlichen Bericht.
" De Muus?- Ach so, eine Maus? Was ist mit der Maus?" fcholl es aus mehreren Kehlen zugleich.
Dörte blinzelte verlegen vor sich hin. Blendete sie das Sonnenlicht? Ach nein, es dämmerte ihrem etwas beschränkten Verstande,
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Der Ponh schien gut machen zu wollen, was er an ihr ge= fündigt. Ganz liebenswürdig und brav ließ er sich von ihr lenken. Bis die ersten Häuser des Dorfes in Sicht tamen. Da tauchten die beiden jüngsten Meinertschen Sprößlinge in Begleitung der Era zieherin vor den erstaunten Augen des alten Hans auf, und sofort ging's mit den Neckereien los. Sie erkletterten den langsam fahrenden Wagen und piefacten Pferd und Dörte so lange, bis sich das alte Mädchen energisch zu wehren begann.
Der Pony verstand Dörtes heftige Bewegung falsch und setzte fich in Geschwindtrab. Dörte rutschte bei dem Bemühen, die Jungens abzuschütteln, mit ihrer Sizfläche auf das kreisrund ausgeschnittene Faß. Sie strampelte mit Händen und Füßen, was bewirkte, daß sie tiefer und tiefer in dem Roch versant. Die Jungens stimmten ein Indianergeheul an, und so hielt der Wagen auf dem Hofe seinen Einzug.
Frau Meinert stürzte aus dem Hans, holte unwillig, als Hand