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Kr.   85. 31. Jahrgang. 1 leiliif to Jawirtf Snlim jlolteHitt lmtag.L?. Mar; 1914. Gewerksthastliches. öergarbeiterverbanü und Reichsvereinsgesetz. Ter Bergarbeiterverband und seine Vorläufer sind unter dem früberen Vereinsrecht Verfolgungen ausgesetzt gewesen, wie Wohl kaum eine andere moderne Gewerkschaft seit dem Fall des Sozialistengesetzes. Ihn in aller Form als einen Politischen   Verein zu erklären, blieb im vorigen Jahre, also unter der Herrschaft des neuen Vereinsgesetzes, einem preußi- schen Oberlandesgericht, dem in Celle  , vorbehalten. Es geschah dies im Verlauf eines Prozesses, der in einer Aappaliensache gegen den Lotalbeamten für Barsinghausen  am Deister  , Reddigau, angestrengt worden war. Das Urteil des Oberlandcsgerichts Celle   beruht auf einem Gut- achten, das der Polizeirat G o e h r k e vom Königlichen Polizeipräsidium zu Bochum   als Sachverständiger abge- geben hatte. Es sei hier nebenbei die immerhin interessante Bemerkung eingeschaltet, daß in der zweiten Instanz der Strafkammervorsitzende sich an den Polizeipräsidenten von Hannover   um Namhaftmachung eines Beamten gewendet, der über die Tendenzen des Verbandes Auskunft geben könne. Der Polizeipräsident hatte erwidert, daß er das nicht könne, weil man in Hannover   keinen Anlaß gehabt, sich mit den politischen Bestrebungen des Verbandes von Amts wegen zu befassen', man möge sich nach B o ch u m(dem Sitz des Verbandes) wenden. So kam Polizeirat Goehrke in die Lage, das gewünschte Gutachten abzugeben, das schriftlich eingereicht und von ihm später beeidigt wurde. Und merkwürdiger Zufall: Herrn Goehrke war es beschieden, nach dem Rechtskräftigwerden des erwähnten oberlandesgerichtlichen Urteils die an den Ver- bandsvorstand gerichtete Aufforderung des Bochumer   Polizei- Präsidiums zu unterzeichnen, worin unter Strafandrohung die Beobachtung der Vorschriften für politische Vereine ge- fordert wurde. Das geschah unterinJJ7. Mai 1913. Schließ­lich wurde der Vorsitzende, Genosse Sachse, am 4. August vorigen Jahres polizeilich vernommen. Er hat umfassende tatsächlid)e Angaben über die Haltlosigkeit des polizeilichen Verlangens gemacht und diese später noch in einem ausführ- lichen Schriftsatz ergänzt. In diesem rückte er an Hand des Statuts, der in Frage kommenden Protokolle und Zirkulare besonders dem Gutachten Goehrkes zu Leibe, weil man sich auf das Urteil von Celle   berief. Sachse verwies auf eine ganze Reihe von Handlungen des christlichen Bergarbeiter- Verbandes und der gelben Werkvereine, die in erheblich reicherem Maße den vom Bochumer   Polizeipräsidium ent- deckten Merkmalen eines politischen Vereins entsprechen, die zum Teil sich in Bochum   selbst geäußert. Alles vergeblich. Es kam zur Anklage. Von der Verteidigung, die in den Händen des Ge- nassen Rechtsanwalt Heinemann(Berlin  ) ruht, sind um- fangrcichc Beweisanträge gestellt. In erster Linie, um zu be- weisen, daß das Gutachten des Polizeirats Goehrke u n- r i ch t i g ist. In diesem Gutachten hat Goehrke u. a. be- hauptet, der Verband sei deri n t e r n a t i 0 n a I e n B e r g- arbeiterföderation" seit ihrem Bestehen ange- schlössen, die von der Generalversammlung gewählten Tele- gierten hätten sich an der Beratung und Beschlußfassung be- teiligt und somit die Beschlüsse als für den Verband bindend anerkannt. Es ist ein Beweis dafür angetreten, daß der Verband als solcher sich erst seit 1911 durch von ihm ge- wählte Delegierte an den internationalen Kongressen beteiligt, daß es eine internationale Föderation nicht gibt(I) und daß dem Kongreß keinerlei Exekutive zur Ver- fügung steht, die nationalen Verbände auch an die Beschlüsse nicht gebunden sind, daß endlich auf Verlangen des Verbandes seit 1911 alle politischen Fragen von der Erörternug ausgeschlossen worden sind. Es ist ferner der Beweis dafür angeboten, daß sofern aus früheren Handlungen des Verbandes oder seiner Organe eine politische Tätigkeit konstruiert werden könnte seit einer Aussprache des Polizeirats Goehrke mit dem Vorsitzenden Sachse über die nach Goehrkes Ansicht unzulässige Aus- führung eines Beschlusses, die Lieferung derArbeiter- Jugend" an die jugendlichen Mitglieder betreffend, alles ver- mieden worden sei, was eine politische Betätigung im Sinne des Vereinsgesetzes bedeuten könnte. Weiter wird der Beweis geführt werden, daß Polizei rat Goehrke in seinem Gutachten die Instruktion des Verbandsvorstandes für die Funktionäre in puncto Maifeier u n v 0 l I st ä n d i g z i t i e r t(!) und ihr so einen ganz falschen Sinn unterstellt habe. Sehr umfang- reich ist das Beweismaterial fürdieungleicheBehand- lung des Bergarbeiterverbandes im Ver- gleich zu chri st lichen und gelben Verbänden. Als Zeugen sind Hue, I a r 0 l i m(Böhmen  ) und A s h t 0 n(Manchester  ) von der Verteidigung vorgeschlagen. Und Polizeirat Goehrke! Außerdem ist beantragt, Hue und Sachse als Sachverständige zu vernehnten, hingegen Polizeirat Goehrke als Sachverständigen abzulehnen. Auf den Verlauf des Prozesses darf die gewerkschaftlich organisierte Arbeiterschaft gespannt sein. Deutsches Reich  . Der Bergarbeitervcrband im Jahre 1S1Z. Bor einiger Zeit ging durch die unternehinerfreundliche Presse die jubilierende Nachricht, daß der verhaßte Verband der Berg- arbeiter einengewaltigen Rückgang" erlitten habe. Wer die Macht des Kavitals im Bergbau und seine skrupellose Bekämpfung der Arbeiterorganisation kennt, der hätte jene Meldung schon als wahr hinnehmen dürfen. Und dies um so mehr, als gerade in den Bergbaurevieren die gelbe und christliche Arbeiterzersplitterung be- sonders gepflegt wird. Wenn also in der Tat ein starker Rückgang der freien Gewerkschaft der Bergarbeiter eingetreten wäre, so hätte dies seine natürliche Erklärung gefunden und den Arbeiterfeinden noch lange keinen Anlaß zu ihrem überschwänglichen Jubel geboten. Jetzt bringt der Verband der Bergarbeiter soeben seinen Kassen- bericht für das vergangene Jahr heraus. Ihm ist zu entnehmen, daß weder die Zechenherren noch ihre gelben und schwarzen Knechte besondere Ursache zur Freude haben. Die Einnahmen des Berg- arbeiterverbandes beliefen sich im Berichtsjahre vom 1. Februar 1913 bis 31. Januar 1914 auf 2 078 613 M. Davon entfallen auf Mitgliederbeiträge 1 880 700 M., die allerdings gegen das Jahr 191'2 um 307 802 M. zurückgeblieben sind. Zum Teil läßt sich die Differenz damit erklären, daß in der lebhaften Bewegung, die dem großen Ruhrstreik 1912 vorausging, alle Anstrengungen zur Rüstung gemacht und die ausstehenden Beitragsrefte fast sämtlich herein- geholt wurden. 1913 waren dagegen wieder Restanten in größerer Zahl vorhanden, eine bedauerliche, aber unausbleibliche Nach- Wirkung des fehlgeschlagenen Streiks von 1912. Der Einnahme von 2 078 613 M. steht eine Ausgabe von 1 527 792 M. gegenüber, so daß sich das VerbandSvermögen um 550 821 M. erhöhte; es beträgt einschließlich der Bezirks- und Ortskass enbestände 3 232 357 M. Gegen welche Mächte der Bergarbeiterverband anzukämpfen hat, ist aus seinen Ausgaben ersichtlich. Da fallen zunächst inS Auge die hohen Kosten für Rechtsschutz, für Gerichts- und AnwaltSkoften. Nicht weniger als 114J15 M. brauchte er dazu, um seine Mitglieder in der Wahrnehmung ihrer Rechte als Arbeiter gegen das Kapital und die Versicherungsbureaukratie zu schützen. Trotz Arbeitermangel in der Hochkonjunktur war die Maßregelungswut der Bergherren noch so groß, daß zur Unter- stützung ihrer Opfer 29 707 M. aufgewendet werden mußten. Fast die gleiche Summe 31 812 M. sind als Arbeitslosenunter- stützung ausgezahlt, womit der gegen Ende des Jahres einsetzenden Wirtschaftskrise ihr Tribut entrichtet wurde. An Krankenunter- stützung sind 284 011 M., an Sterbegeld 81 499 M. ausgezahlt worden. Ganz von Streiks verschont blieben die Bergarbeiter auch im Jahre 1913 nicht. 146 498 M. hatte der Verband für Lohn- kämpfe aufzuwenden, zwei Drittel dieser Summe allein in Ober- schlesien. Wenn das Zechcnkapital angesichts dieses Jahresabschlusses frohlocken will, so braucht das der Bergarbeitervcrband nicht ernst zu nehmen. Er hat seiner Kricgskasse wiederum über eine Million Mark zuführen können, so daß jetzt beinahe dieselbe Menge an Munition vorhanden ist, wie vor dem letzten großen Kampfe. Durch dessen Fehlschlagen konnte die Werbekraft der Organisation� wohl vorübergehend gelähmt werden, am Ende sorgte aber das Scharf- machertum selbst dafür, daß sie gegenwärtig wieder zu neuem Leben erwacht ist. Krise und Lohnbewegungen im Kachelofengewerbe. Von der baugewerblichen Krise ist vor allem auch das Kachelofen« gewerbe stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Hunderte Ofen- setzer sind seit Monaten arbeitslos, hunderte sind zu anderen Berufen übergegangen. In den vom Baumarkte abhängigen Ofen- fabriken haben ebenfalls teilweise große Entlassungen stattgefunden; fast durchgängig wird die Produktion nur unter starken Betriebs- cinschränkungen aufrecht erhallen. In Velten   in der Mark, wo noch vor zehn Jahren zirka 350 Töpfer in den Ofenfabriken Beschäftigung hatten, werden jetzt nur noch zirka 200 Mann beschäftigt. Hier wütet die Krise besonders stark, weil der Absatz der Veltener Ofen- fabriken sich in der Hauptsache auf Groß-Berlin beschränkt und hier die Bauverhältnisse schon seit Jahren geradezu trostlos sind. In Groß-Berlin, wo in den Zeiten der letzten Prosperität noch zirla 2800 Ofensetzer beschäftigt waren, stehen nur noch zirka 1400 im Gewerbe, ein großer Teil davon ist seit Monaten arbeitslos. Die Krise erhält im Töpfergewerbe ihre besondere Schärfe durch die Konkurrenz der verschiedenen Zentralheizungssysteme und die hohen Zölle, die den Absatz von Kachelöfen nach dem Auslande bedeutend erschweren. Zu solchen Zeiten sind eS nun vor ollem die Unternehmer im Ofemetzgewerbe, die versuchen, an den allerorts abgeschlossenen Tarifverträgen durch Tarifkündigungen zu rütteln. In Berlin  batten die Unternehmer bereits im Jahre 1912 den Lohntaris ge- kündigt, um einen von ihnen aufgestellten weniger günstigen Tarif durchzudrücken. Die äußerst langwierigen Verhandlungen zeitigten kein positives Resultat; schließlich beschlossen die Gehilfen, lieber tariflos zu arbeiten, welcher Zustand heute noch andauert. Die an- dauernde Lähmung auf dem Berliner   Baumarlt dürfte auch in nächster Zeit in diesem durch die Unternehmer verschuldeten un- erfreulichen Verhältnis keine Aenderung bringeu. Im Lohngebiet Dresden-Pirna hatten die Unternehmer zum 1. Januar die Tarife gekündigt; auch hier ist ein neue» Tarif- abkommen noch nicht zustande gekommen, jedoch ist vereinbart worden, daß die allen Tarife solange Geltung haben, bis neue Tarife abgeschlossen sind. Immerhin ist dort die Aussicht vor« Händen, daß neue Abschlüsse auf friedlicher BasiS durchgeführt werden. Anders liegt eS in KottbuS  , Rostock  , Neumünster  , Nürnberg  , Euskirchen   und Posen. In diesen Orten haben die Unternehmer gleichfalls die Tarife gekündigt; sie laufen sämtlich am 1. April ab. Die bisherigen Verhandlungen haben noch kein für die Gehilfen an- nehmbares Resultat gebracht. Jedenfalls dürfte in den meisten der genannten Orte am 1. April der Abwehrkampf ausbrechen. Der Töpferverband ist darauf eingerichtet: seine Kassen- und OrganisationS« Verhältnisse sind befriedigend, so daß die Organisation den kommende» Kämpfen wohlgewappnet gegenübersteht. Ter Verband der Sattler und PortefeuMer im Jahre 1913. DaS Sattler- und Portefeuillergewerbe gehört mit zu denjenigen, das mit zuerst von den Schwankungen der wirlschastlichen Konjunktur berührt wird, sind doch die Hauptbranchen, die Lederwarenmdustrie und die Automobilsabrikation, stark zu der Luxusindustrie zu rechnen. In der Tat wurden auch die Hauptplätze der Portefeuiller und Reise» artikelindustrie, Berlin  , Offenbach   und Stutlgart, im vergangenen Jahre stark von der Arbeitslosigkeit heimgesucht. Trotz alledem hat die Organisation in ihrem Mitgliederbestände noch einen Verhältnis- mäßig guten Fortschritt zu verzeichnen, stieg doch die Mitglieder« zahl um 510 im Berichtsjahre, insgesamt zählte der Verband 1t 855 Mitglieder. Die Zahl der Lohnbewegungen ist gegen das Vorjahr beträchtlich zurückgegangen. Es fanden statt: 65 Bewegungen s1988: 38) in 191 Betrieben mit 2289 Beschäftigten, woran 1966 Personen beteiligt waren. Ohne Arbeitseinstellung konnten 44 Bewegungen mit 1459 Personen beendigt werden. In 21 Fällen kam es zum Kampf und zwar waren daran 636 Personen beteiligt; 152 wurden aus- gesperrt. Die Kämpfe, insbesondere die Abwehrkämpfe, an denen hauptsächlich die Wagen» und Autobranche beteiligt war, waren zumeist langwierig. Trotz der Ungunst der Konjunktur konnten die Lohnbewegungen mit meist gutem Erfolg beendet werden. Die Streiks endeten in 13 Fällen mit und in 3 ohne Erfolg, die Lohnbewegungen zeitigten in 36 Fällen einen vollen und in 8 Fällen teilweisen Er- folg. Erzielt wurden für 1031 Personen eine wöchentliche Arbeits« zeiiverkürzung von 1921 Stunden, für 1375 Personen eine wöchent» liche Lohnerhöhung von 2995 M., außerdem in vielen Fällen die Regelung der Ueberstundenbezahlung und sonstige Verbesserungen. Die tarifliche Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen machte gleichfalls den gegebenen Umständen angemessen gute Fortschritte, eS wurden 84 Verträge für 112 Betriebe mit 1101 Personen abge- Kleines Feuilleton. Kochrezept für nationale Jugendliteratur. Man nehme: einen angejahrten Schriftsteller, der zähe und sonst zu weiter nichts mehr zu gebrauchen ist. Setze ihn mit Seewasser an das helle Feuer deS Prozenipatriolismus, tue ihm ein paar Goldstücke in die Hand, ver- gesse aber nicht, den Tops sofort fest zu verschließen(denn sonst ver- duftet er spurlos) und lasse ihn ordenilich aufwallen. Man kann auch anstait des Seewassers den Inhalt von Tränendrüsen oder Proletarierschweiß und Blut verwenden und in mystischem Dunst dämpfen, doch ist das erste Rezept einfacher und erfreut sich bei höheren und höchsten Herrschasten großer Beliebtheit dann tue man allerlei Essenzen aus deutschen Kolonien hinzu: Krauses Negerhaar, Reste von gelben Reiter- stiefeln ui'w. Ferner: den zehnfachen Auszug aus alten Uniformstücken, je eine gute Prise Schießpulver und Nitroglycerin, eine Handvoll Kruppstahl und gehacktes Blei, drei Haare von einem Löwen  , Tiger oder anderem wilden Getier, blase mit Passalwinden, einem Taifun oder Samum hinein(hat man diese nicht, so tut eS auch die Lustbewegung, die ein dreifaches Hurra bestellten Linden- Publikums verursacht). Darauf gieße man ein Schnäpschen frisches Kaffern- oder Hereroblut hinzu. Eine Handvoll edler Gesinnung. einige abgeschnittene Naien und Ohren dürsten übrigens dem Ge- richi durchaus nichts schaden. Ist alles gut durchgerührt, so knete man mir dem nötigen servilen Speichel, einem Absud von Personenkultus und Liebedienerei das Ganze durch, forme Törtchen in Gestalt von Kriechtieren, Denkmalssockeln oder Brisanzgranaten und garniere damit. Das fertige Gericht wird mit pastoraler Sauce begossen auf altieudalen Wappenschildern garniert. Besonders geeignet ist die Speise für das Publikum von Volks- küchen(wenn man eifrig nötigt), für Schulspeisehallen und tür Menüs bei KriegcrvereinSfesten und als Nachtisch bei den TeeS Vaterländischer Frauenvereine. Hohe und höchste Herrschasten sollen zwar nur wenig davon genießen, werden aber die Speise stets empfehlen. Das Zwolf-Tage-Reauen(nach dem Vergnügen). Nach- dem man sich den ganzen Winter in Berlin   vergeblich um Witz. Laune und Uebermut bei den Festen bemüht hatte, versuchte man es nunmehr mit der Zeit. Herrgott, in einem Tage haben wirS nicht geschafft, in zwölfen werden wirs aber schaffen. Und daS Amüsement begann. Der einzige, der bei diesem Fest ganz glücklich und zufrieden aussehen darf, ist Herr Baruch, der Mann, der das Pappmachs und die hölzernen Säulen lieferte. Man hatte sich einige Mühe ge- geben: der Festjaal war hübsch ausgestattet, einige Nebeiiräume waren gelungen, was aber den Witz anging, so war er einen Moment mal herausgegangen und nicht wiedergekommen. Am ersten Abend standen bis 12 Uhr nachts alle Herrschaften herum und wußten nicht, wo das Vergnügen anfing. Durfte man schon...? Nein, man durfte noch nicht. Erst mußte man sehen, wie der Festzug die bedeutendsten Mimen vorbeitanzen ließ, in ziemlich mißlungener Ausmachung. Dann wurde getanzt, und man stellt sich die bange Frage, was soll um Gotteswillen an den elf noch übrigen Abenden gemacht werden? Um zu tanzen, muß man nicht so viel Geld ausgeben, also was sonst? Maske und Palette? Vielleicht. Daß aber die benachbarte Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche   nicht unter dem Trubel leiden wird, ist sicher. Denn Thalia und die Malmuse haben hier wenigstens ihr Temperament abgelegt, die Konfirmandinnen könnten aus dem Gotteshaus geradezu in den Tanzsaal treten, es würde ihnen kein Leids geschehen. Im ganzen: eine Nichtigkeit, die für gar nichts symptomatisch ist als für die Unfähigkeit der Bürger, sich durch ihre Künstler wirklich einen Farbentaumel, ein Meer von Lustigkeit zu schaffen. Massenuntersuchungen auf Bazillenträger. Auf einem Kongreß der Englischen Gesellschaft für Gesundheiispflege war bereits im Jahre 1912 angeregt worden, Masienuntersuchungen Gesunder vor- zunehmen, um festzustellen, ob und wieviel Bazillenträger. Leute, die Rraniheitskeime mit sich herumschleppen, ohne selbst an der Krankheit zu leiden, sich darunter befänden. Bon allgemeiner hygienischer Bedeutung ist hierbei, daß die untersuchten Personen ge- sund sind und sich in gesunder Umgebung und an einer gemnden Oert- lichkeit befinden. Auf Grund eines Erlasses des GeneraUommandoS des 1. bayrischen Armeekorps waren bereits seit Jahren Untersuchungen an den Soldaten vorgenommen worden, die in den Küchen oder Kantinen beschäftigt werden sollten; man wollte so verhüten, daß von den unreinen Händen eines Keimträgers Nahrungsmittelvergiftungen ausgingen, Bei einem Untersuchungsmaterial von über 6000 Mann fanden sich nur 8 Bazillenträger, wie Bros. Dr. Mayer in derMünchener Medizinischen Wochenschrift"(1914, Nr. 5) berichtet. Bei einer gleich gerichteten Untersuchung, die vor einigen Jahren in der Rbeinpfalz an Schulkindern stattfand, halten sich unter 12 000 Kindern 72 Bazillenträger befunden. Dies rührt bei der Landbevölkerung, die das Hauptkontigent zu den Untersuchungen stellte, von der Auf- nähme dieser Bazillen aus Schweinen her, die die Paratyphus- bazillen als unschädliche Saprophyten(Fäulnisbewohner) im Darm beherbergen. Bei den Münchener Soldaten kommt noch in Betracht, daß unter der Münchener Einwohnerschaft, die die Garnison rund um das Hundertsache übertrifft, sich 300 Keimträger befinden müßten, wenn man die Rheinpsälzische Verhältniszahl zugrunde legte. Die Keimträgergefahr ist also beim Militär, wo man in der Unter- bringung der Mannschaften nicht gerade mit vorbildlich hygienischen Verhältnissen rechnen darf, über alle Erwartungen gering. Es hat sich somit gezeigt, daß wirkliche Krankheil erregende Keime im Darm Gesunder äußert selten vorkommen und die Ge- i fährdung des Gemeinwohls durch Bazillenträger, die man früher so> hoch verainchlagte, daß verschiedentlich der Vorschlag ernstlich in Er- wägung gezogen wurde, alle Bazillenträger durch Einsperren zu isolieren, ist praktisch gar nicht vorbanden. Die Ansteckung von Paratyphus- und Ruhrkeimträgern die häufigste Art ist, wenn überhaupt vorhanden, also ganz gering, soweit gesunde Personen in gesunder Umgebung in Betracht kommen. Immerhin wird es sich indessen empfehlen, von der Verwendung von Bazillenträgern in Nahrungsmittelbctrieben abzusehen. Notizen. Vorträge. LetzterKunst- und Künstler'-Vortrag am Freitag, den 3. April, abeiids S1/. Uhr, in Rudolph Lepke's Kunst- auktionShauS, Potsdamer Str. 122 a. Architekt Professor Behrens: Künstlerische und gewerbliche Probleme". Im Anschluß an die Generalversammlung desDeutschen Bundes für Mutterschutz", Ortsgruppe Berlin  , hält Grete Meifel- Heß am 30. d. MlS. einen öffentlichen Vortrag überKundry und die sexual-psychologischen Motive des ParsifalmythoS' im Architeklen- hauS. Beginn des Vortrags 9 Uhr. Eintritt frei. Die Erziehung zur Liebe frei. HanS KyferS DramaErziehung zur Liebe", das dem Zenfor so arge Bedenkcn- bereitet hatte, ist»un doch zur Ausführung freigegeben worden, nach- dem ein Konsortium von Zensoren der Generalprobe beigewohnt hatten. DaS schwer geprüfte Stück wird nun am nächsten Diens- tag im Künstler-Theater sein zensurfreies Dasein eröffnen.(Hoffent- lich unbe schnitten.) Ein Wahrsager- Ein kommen. Von einer Dame wird neuestens berichtet, die in Gotha  auf ihren Lorbeeren" aus- ruht. Sie leistet sich ein luxuriöses Dasein. Es handelt sich um eine ehemalige..weltbekannte" Wahrsagerin, die in Berlin   und anderen großen Städten, auch des Auslandes, geradezu märchenhafte Einnahmen erzielte. Sie molk dem Aberglauben jährlich durch- schnittlich 200 000 M. ab. was eine Tageseinnahme von rund 550 M. ausmacht. Also eine Wahrsagerin, die zum Haushalt der oberen Zehntausend gehörte. Vor einem Jahre gab sie das Geschäft auf. Natürlich nicht etwa deshalb, weil sich's nicht mehr gelohnt hätte. Wahrsagen und Gesundbeten blüht mehr denn je in den Schichten, die zu Hof und Adel gehören, und Berlin   liefert den ergiebigsten Boden. Ein Dorf ohne Einwohner. Acht Kilometer von der im Departement Du Var belegenen Stadt Cuges   liegt ein Dorf namens Riboux. das die Sondereigenschaft hat, daß es von keinem Menschen bewohnt wird. Der inmitten einer sandigen, sonnen- verbrannten Ebene belegene Ort besteht aus etioa zehn Häusern, der Kirche, dem Rathaus und dem Kirchhof. Seit ettva 12 Jahren habe» sich alle Dorfbewohner wegen der Trockenheit und Unfruchtbarkeit des Bodens außerhalb der Kommunalgrenzen angefiedelt. Nur zwei Bauernwirtschasten, die sieben Kilometer von einander getrennt sind, sehen vorübergehend die Besitzer als Gäste bei sich.