Kleine politische Geschichten. Im Wandelzange deS Reichstages saßen drei Abgeordnete. Sie unterhielten sich über die Rechte deS Reichstages. »Ja/ sagt der eine,„der Reichstag darf sich keines seiner Rechte rauben lassen. Es muß endlich soweit kommen, daß die Regierung unserem Antrag in der Duellfrage nachgibt. So kann es nicht weiter gehen." „Auch mit den Mischehen auf Samoa ist das so eine Geschichte. Wir beschließen und der Gouverneur bestimmt das Gegenteil/ erklärte der andere. „Und da» mit den TualaZ in Afrika ! Das ist auch so ein nettc-Z Smckchen. Den armen Siegern mutz ihr Recht»Verden . Und wenn es hart auf hart geht/ entschied der dritte. Ein sozialdemokratischer Abgeordneier hatte dem ganzen Ge> sprach zugehört. Fröhlich trat er vor und rief: Meine» Herren, hier meine Hand! Lasten Sie unS zusammenstehen und die Regierung muß in diesen kleinen Fragen nach- geben/ Da schauten ihn die drei anderen Abgeordneten an und riefen einmütig:»April! April!" � Sie hatten mit ihrer Mannhaftigkeit nur gescherzt. Denn die drei waren: ein ZentrumSmann, ein Nationalliberalcr und ein Rektor der Fortschrittler. * Tin langer Herr im grauen Gehrockanzug, ein General mit Srdenssternen auf der Brust und goldgesticktem Kragen und ein dicker, feister Kerl mit einem Lodenhütchen auf dem roten Kopf und blitzenden Ringen auf den fetten weißen Fingern saßen ai> einem Tische. Bor ihnen stand ein langaufgeschostener Mensch. Er war traurig anzusehen. Sein schwarzer Gehrockanzug war so zerschlissen, datz ein Trödeljude keine fünf Groschen dafür gegeben hätte, seine Füße staken in ein Paar abgetragenen Stiefeln, in der Hand trug er einen Zylinder, den kein Schornsteinfeger mehr auf- gesetzt haben würde. Er stand wie ein Bettler vor den dreien. Und doch hatte er ihnen gegeben. Dem Langen im grauen Gehrock hatte er seine ganze Würde und Ehre gegeben; dem General seine Kinder und sein Geld und dem feilten Dicken lein Brot. Ter Lange sprach:»Du hast Dich in Deiner gottgewollten Ab- hängigkeit unter die Autorität der Gewalt gebeugt. Wohl Dir! Mehr verlange ich nicht." Der General schnarrte:„Deine Groschen und Deine Kinder hast Du geopfert für die Wehrhaftigkeit des deutschen Volkes. DaS genügt und wenn Tu von mir mal Prügel kriegst: Holt das Maul und sei froh, datz Du da« Leben hast!" Der Feiste mit dem Lodenhütchen aber krähte:„Dein Stückchen Broi macht mit eijentlich ooch nich fett jenug. Eijentlich mühtest Du mir überhaupt fronen. Kerl hat ja immer noch Freiheit zu jehen. wo er will! Alberst dot lommt noch. Geh man jetzt!" Ter arme Teufel verbeugte sich demütig und ging. Beim Weg- Aschen sah der General, daß durchs die zerschlissen« Hose des Mannes ein Hemdzipfel herausschaute: „Halt/ rief er.„der Kerl hat ja noch ein Hemd an!" Ter Lange im grauen Gehrock sagte:„Noch immer Geist deS Widerstandes!� Denn der Mann kehrte durchaus nicht sofort zurück. Der Feiste aber sprang auf. packte den Mann am Kragen und schleppte ihn zurück. ..Aber/ rief der Mann demütig,„Sie Tiaben mir doch gesagt, ich kann--" Da lachten d:e Trete aus vollem Halse:„Nichts haben wir der- sprechen und gesagt! April! April!" Und sie zogen ihm das letzte Hemd aus und warfen ihn auf die Straße, wo ihn ein Polizist in Empfang nabm. Ter Mann aber hieß Michel, der Deutsch?. O vor hundert Jahren lebte auf der Welt ein König. Er war durch seine und seiner Regierungsmänner Schuld ii: manche Bedrängnis gekommen. Da erbarmte sich das Volk seiner, nahm Waffen in die Hand und opferte Gut und Leben für den König. Plötzlich drangt durch die Dunkelheit klagend und eintönig ein schwaches, zartes Sümmchen. Jemand singt in dem feuchten Dunkel der großen Stadt; so voll Harm und Weh zittert das traurige Lied. Ich verstehe die Wort« nicht; aber in der Weise höre ich den Schmerz. Ich denke daran, wie groß das Leid auf Erden ist, wie viele Menschen daran tragen— und mein eigenes Leid schrumpft zusammen. Langsam gehe ich weiter. Rechts, auf einer schmalen Holz- tortl unter den Bäumen, sitzt eine alte kranke Frau, hüllt sich fröstelnd in ihr zerrissenes Tuch. Sie ist sehr häßlich: die großen traurigen Augen blicken hoffnungslos, und in der Art. wie sie sitzt, wie ihr ganzer Körper vornüber gebeugt ist, fühle ich: sie ist so furchtbar müde. Sie schaut mich an mit bittenden Augen. Ich muß ihr Geld geben und dann weitergehen, wie Tausende hier an ihr vorüber lveilergehcn. Aber mich packt der Wunsch, mich neben sie zu setzen, ebenso hilflos die Arme Höngen zu lasten, und nicht darauf zu achten, wie von den schwankenden Bäumen die großen kalten Regentropfen herabfallen. Ich gebe ihr Geld und setze mich ihr schweigend zur Seile. Sie wendet mir ihr düstres Gesicht zu und beginnt mürrisch und klagend zu reden. Ich schüttle den Kopf: »Ich kann Sie nicht verstehen", aber sie redet weiter vor sich hin. Sie muß reden, mutz klagen; ich fühle es. wie bitterlich sie sich über alle diese Menschen beklagt, die dort vorübereilen. Taufende eilen vorbei, und keinen lümmert ihr einsames freudloses Dasein. »Tra— ta— ta, tra— ta— ta", durchzuckt es plötzlich mein Hirn. Ich denke an das wutentstellte Gesicht des Ballettmeisters, denke daran, daß ich morgen ebenfall« bei diesen Klängen dahinschweben, mich umherdrehen muß. und ich. möchte so gerne hierbleiben, möchte nicht in den festlich erleuchteten Saal der Glücklichen und Reichen, möchte hier sitzen bleiben in Nebel und Kälte, neben dieser alten Frau, die mürrisch und klagend vor sich hinmurmelt. Ich möchte ihr sagen, wie schwer es mir zumute ist. wie ich e» müde bin. mich immer im Takte zu drehen, jenen Leuten zum Trost, die in ihrem Leben auch ohne mich keine« Trostes bedürfen. Doch ich schweige und höre zu, wie die Frau, die sich fester in ihr ge- strickteS Tuch hüllt, leise vor sich hin klagt. Ter Nebel sinkt tiefer und tiefer auf die Stadt hinab, er schwankt, schaukelt über der eilenden Menge und hüllt mein Innere« ein.... An mir vorbei jagen Automobile, darin geputzte, lachende Menschen....„Wo bleibt denn da die Gerechtigkeit?" frag« ich mich plötzlich.»Wo denn?" Di« Frau starrt mich an. erschrocken, mißtrauisch und schweigt. Ich stebc auf und gehe langsam nach Hause.»Tra— ta— ta. tra— ta— ta". klingt es mir im Ohr.... Ich möchte mir die Ohren zuhalten, nichts hören, nicht« sehen, nicht diese wutentstellten Gesichter.... Und morgen muß ich mich wieder im Takte drehen.,..»Tra— ta— ta, tra— ta— ta." Int Deutsche übertragen von lugen Golddtr g. In seiner Bedrängnis hatte der König dem Volk« die Freiheit ver- sprachen. Als das Volk aber gesiegt hatte und in die Heimat zurückgekehrt war und nun seine Freiheit verlangte, da lachte man es aus und rief:„Zlpril! April!" Nach hundert Jahren wurde das Gedächtnis an die Befreiung des Königs durch sein Volk gefeiert. Da« Pol! hatte große Hofs- nungen. ES glaubte nun nach hundert Jahren vielleicht zu erhalten, was man ihm vor hundert Jahren versprochen hatte— seine Frei- heil und sein Recht. Wer da» Volk täuschte sich; die Herren im Lande riefen:»April! April!" Dafür aber forderten sie das Volk auf zur Erinnerung an daS Opfer vor huudert Jahren ein neues Opfer zu bringen. Seine Kinder sollte es dem Militär opfern und sein Geld ebenfalls. Und das Volt tat es. Hoch und heilig versprachen die Männer der Regierung, daß nunmehr allem Genüge geschehen sei. Freiheit und Recht freilich gab man dem Volke nicht als Gegengabe. Im Gegenteil, am Schlüsse des großen Opferjahres wurde es von seinen Söhnen im Waffenrock schwer miß- handelt und beleidigt. Tic Beleidiger wurden erhöhet und die Bc- leidigten erniedrigt. Als es zum April des nächsten Jahres kam. hieß eS immer lauter: Wir brauchen mehr Militär und mehr Geld! Das Volk wollte eS nicht glauben. Aber nach einigem Leugnen riefen die Regierungsleute plötzlich:.,?lpril! April!" Und die neue Heere«- Vorlage war da. Ta schüttelte da« Boll den Kods und meinte wehmütig:»DaS scheint ja so, als schicke man uns händig in den April!!" « Wieder war einmal der April gekommen. In der Residenz- iladt sammelten sich die Menschen. Ein Zug bildete sich. Er zog durch die Straßen und überall strömten die Arbeiter und Tätigen herbei und vermehrten die Zahl der Demonstranten. So zogen sie vor das Regierungsgeöäude. Die Obersten des Landes standen auf den Ballonen und erwarteten das treue Volk, um sich von ihm huldigen zu lassen. Das Volk stellte sich vor dem Gebäude auf. Ter Kanzler des Reiches trat vor und begann zu reden: „Treues Volk! Den Ausdruck Deiner Zufriedenheit, den Du unserer Regierung heilte---—" Weiter kam er nickt. Das Volk begann laut zu lachen und schrie zu dem Ballone hinaus »April! April!" Und stürmte in da« Regierungsgebäude, jagte die Herren hinaus und schickte sie für ewige Zeit in den April. Sepp Oerter. vom Jahrmarkt Ses Lebens. Die neuen Triarier. Die Oldenburg , Kardorff, Westarp und Konsorten, Sr. Majestät allergetreuestc Triarier, sollen avgehalfert werden. An ihre Stelle wollen die Teutschvölkischen rücken. Ter in den Wahrhcitsprozessen chemisch gereinigte Herr B r u h n und d>e anderen Mitinhaber der neuen Firma, die, aus zwei vleitegegangenen entsprossen, sich Deutschvölkische Partei nennt, wollen es nicht mehr mit ansehen, »datz der KreiS jener Fremdlinge immer größer wird, die sich in daS Licht der Hofsonne zu drängen verstanden haben und bestrebt sind, zwischen Fürst und Volk eine trennende Mauer zu ziehen." Mit Wehmut gedenkt in seinem WahrbeitSbkatt« Herr Bruhn der schönen Zeiten, als Wilhelm II. in seiner Jugend Maienblüte Sympathien für die antisemitische Berliner Bewegung empfand. und er hofft, daß diese schönen Zeiten zurückkehren werden.»Es ist höchste Zeit geworden, daß eine neue Götterdämmerung auf- zieht!" Wenn alle Stricke reißen, bleibt ja immer noch der junge Herr übrig, der, ww er sich tröstet, in Königsberg das Be- kenntnis zum deutfchnationalcn Volkstum abgelegt habe. ES wird ein heißer Kampf werden zwischen den alten und den neuen Stützen von Thron und Altar. Wenn Bruhn von der Das weh! öer Nation. i. Sitzungszimmer des Vereins für Volkswohlsahrt. Herr Pfarrer Oelig hat das Rednerpult soeben unter großem Beifall verlassen. Fabrikant Nietenschlag spricht. Er ist im besten Zuge. Fabrikant Nieten schlag:»Wie so sehr rech:, ineine Herren, hat doch Herr Pfarrer Oelig, wenn er sagt, daß das Wohl der Nation auf einem gesunden, zahlreichen Nachwuchs beruht. Viel Kinder, viel Segen, wie es schon in der Bibel heißt— viel Segen für die Nation. Wir brauchen Soldaten, sage ich, wir brauchen einen reichlichen Nachwuchs, wenn wir ün Wettstreit der Nationen nichts ins Hintertreffen kommen wollen, sage ich. Darum ist der Geburtenrückgang, wie ihn Herr Oelig mit Recht recht gefährlich ausgemalt hat. eine Gefahr für die Nation, die wir bekämpfen müssen, wo und wie eZ immer geht. Viel Kinder, viel Segen für die Nation, drum müssen wir die Geburtenzunahme fördern, wo und wie wir nur können, sage ich.../ Reicher Beifall lohnte den Redner. « Zwei Tage später. Fabrikant Nietenschlag lehnt im Klub. sessel seines Privatkontors. An der Tür ein Arbeiter, scheu, ver- legen, mit einem Temutsblick von unten her. Nietenschlag:„Sie haben mich persönlich sprechen wollen — was ist lo»!" Der Arbeiter:„Ich wollte drum bitten— ich dachte— Herr Nictenschlag, ich habe vier Kinder und meine Frau geht mit dem fünften und da-- Niet enschlag:„Ja, aber da kann ich dock nicht dafür. Bin ich schuld?" Ter Arbeiter:»Nein, aber ich dachte, weil ich doch mit soviel Kindern schwer zu kauen habe und weil da« Fünfte unter- wegs ist--" Nictenschlag:„Ja, aber Mann, bin ich daran schuld? Ich habe auch dreie!" Der Arbeiter:»Ich dachke nur, vielleicht könnte mir etwas zugelegt werden..."\ Nietenschlag:»Ausgeschlossen, ausgeschlossen! Ist jetzt ganz unmöglich! Ich muß mich nach der Konkurrenz richten, sonst sehr gern. Man muß sich nach der Decke strecken. Man darf nicht mehr Kinder in die Weit setzen, als man ernähren kann." o, Städtische Entbindungsanstalt. Sprechzimmer des Oberarztes. Vor dem Oberarzt eine hochschwangere Frau mit bittendem, ver- zweifeltem Gesicht. »Wahrheit", Lebt US von der„Staatsbürger Zeitung", mit seinen Mitarbeitern Cohn und Nathansvhn die junkerlichen Triarier abgehalftert haben und erst vom Licht der Hofsonne de- schienen werden, wird wohl das goldene Zeitalter für Deutschland hereinbrechen. Vorausgesetzt natürlich, datz die neue Firma Deutschvöltische Partei biö dahin nicht genau so zusammengebrochen ist, wie alle früheren antisemitischen Parteigruppicrungen. Manchem gibt's öer tzerr im Schlaf! Eine recht ergötzliche Geschichte von einem zitternden und beben- den Parlamentsredner und Zentrumsführer weiß die in Köln erscheinende„Katholische Kirchenzeitung" zu erzählen. Danach wurde ein berühmter Parlamentsredner und Zentrum s- führer einst geftagt, ob und wie er sich auf seine herrlichen Reden vorbereite. Seine Antwort lautete: Von Natur bin ich ein ängstlicher, dabei höchst nervöser Mensch. Wenn ich nun den Aus- trag erhalte oder weiß, daß ich vor einer großen Versammlung reden muß, ergreift mich eine große Furcht. Ich zittere und bebe, so daß es mir schwer wird, auch uur einen klaren Gedanken zu fassen. Sofort greife ich dann zumeinemRofen- kränz und bete mit möglichster Andacht das Gesetz:„Der für uns im Garten Wut geschwitzt hat." Die Ruhe kommt. Fühle ich nach der Rede, daß sie gut war und daß man mit mir zuftieden sein kann, bete ich voll Dank das Gefetz:»Der uns den Heiligen Geist gesandt hat." Werde ich darauf von den Gegnern an- gegriffen und geschmäht, so tröstet mich:„Der für uuS ist gegeißelt worden." Loben mich meine Freunde, so hält mich in der Demut: „Der für uns mit Dornen ist gekrönt worden." Habe ich ver- geben« gekämpft, erreiche ich nicht, was wir wünschten, so beuge ich mich unter das Kreuz und das Gesetzlein:»Der für uns daS schwere Kreuz getragen hat," richtet mich wieder auf. Ist eine Sache gut gegangen, haben meine Genossen und ich erlangt, wonach wir strebten, so folgt im Jubel:»Der dich, o Jungfrau, in der Himmel ausgenommen" und„Ter dich, o Jungftau, im Himmel gekrönet hat". Nur eine Möglichkeit hat der gebetSlüsierne Abgeordnete ver- schwiegen. Wenn er mit leeren Händen vor seine Wävler tritt, spricht er mit Hiob :»Ter Herr hat's gegeben, der Herr hat'S genommen. Der Name de« Herrn sei gelobt." flrmes Preußen. Dieser Tage hat Herr v. Ä a r d o r f f im Abgeordnetenhause wieder einmal seinem bedrängten Herzen Lust gemacht über die Dreistigkeit der Regierung, die jetzt sogar schon dazu übergeht, an Stelle der zuverlässigen Landräte besondere Steuerkommissare zu verlangen. Preußen, so sagte Herr v. Kardorfs, brauche eine starse Regierung.»Preußens Stolz und Ansehen beruht nicht aus diesem Hause." In seinem Eifer für die gute Sache hat Herr v. Kardorff ein großes Wort gelassen ausgesprochen. Einem von uns, der auch der Auffassung Ausdruck gab, daß Preußens Stolz und Ansehen nicht auf dem Abgeordnetenhause beruhe, bat diese Wahrheit sechs Wochen Gefängnis eingetragen. Aber auch mit der starken Regierung ist e« eine eigen« Sacyc. Nach konservativer Auffassung sind doch die Fürsten von Gottes Gnaden die gegebenen Rcgierer. Da ist Preußen im Augenblick sebr schlecht daran. Wenn man«inen Blick in die Zeitung wirft. so erfährt man. daß die Reisesaison in diesem Jähr recht friih begonnen bat. Wilhelm II. weilt in Korfu . sein Bruder Prinz Heinrich in Südamerika und vom jungen Herrn, dem Kronprinzen, erfahren wir durch die Zeitungen, daß er auf einer Automobiltour in Erfurt angelangt. Eigenrlich fovie eS ja etwas weiter gehen. Sollte das deutsche Volk doch in diesem Sommer im Geiste eine Reise noch den deutschen Kolonien mit- erleben, wofür man die Kleinigkeit von 180 000 M. verlangen wollte. Aber leider ist der schöne Gedanke an der Knickrigkeit der Reichsboten zerschellt. Arme» Preußen! Nicht einmal den Genuß de» ReileyrgdbucheZ aus Südwest lassen dir die Gesetzemacher zukommen. Oberarzt:„ES tut mir sehr leid, liebe Frau, aber die Anstalt ist voll und die Vorschrift verbietet mtw noch eine Frau aufzunehmen. Sehen Sie zu, daß Sie rasch nach Hau;« kommen— Ihre Sache kann jede Stunde vor sich gehen. Die Frau:»Aber was soll ich denn daheim. Herr Ober- arzt? Ich habe ja keine Pflege, ich habe schon meine drei Kinder weggeben müssen und das bißchen Verdienst von urein Mann i? jetzt nicht die Rede wert-- und ich bin so schwächlich—�können Sie mich nicht lvenigstenS einem Krankenhaus überweisen!" Oberarzt:„Ja, wenn Sie täglich zwei Mark fünfzig zahlen können? Nein?— Ja, unentgeltlich wird eine Wöchnerin nur auf- genommen, wenn sie während der Entbindung unterstandSloS ist. Seh'n Sie zu, daß Sie rasch nach Hause kommen, Ihre Sache kann jede Stunde vor sich gehen." « Eine Stunde später. Die schwangere Frau lehnt bleich an einem Hause der Vorstadt draußen, kann nicht mehr laufen, steht sich hilfesuchend um und sinkt stöhnend an der Hausmauer zu» sammen. Leises Wimmern dringt unter dem Rock der Frau her» vor. Ein Blutstreif zieht über den Bürgersteig... Kinder laufen zusammen, umringen die ohnmächtige grau; Erwachsene eilen herzu, tragen Mutter und Kind in den Hau?» flur, holen eine Droschke heran, transportieren Mutter und Kind nach dem Krankenhause. Am Abend erfährt ein Akonn, daß seine Frau im Krankenhaus in schwerem Kindbcttsieber danieder liegt. 3. Schwurgericht. Die Geschworenen schauen mit strengen Blicken nach der Ancklageecke. aus der eine kleine, hagere Frau mit stumpfem Blick ins Leere starrt, während der Staatsanwalt im bestem Zuge ist. Ter Staatsanwalt:»... Die Beweisaufnahme hat tveiier ergeben, daß die Angeklagte sich der Tragweit« ihrer Hand- lung bewußt war. Sie hat gewußt, daß sie ein Verbreche» beging, als sie die Frucht ihres Leibes abtrieb. Bedenken Sie, meine Herren, daß wir in der Zeit des Geburtenrückganges leben, daß es sich um das Wohl der Ration handelt, gegen das die Angeklagte gefrevelt hat. Was hat sie denn zu ihrer Verteidigung vorbringen können? Nichts, gar nichts! Daß ihr Mann lange Zeit arbeitslos gewesen ist, datz sie bereits viermal geboren hat, datz sie an Blut. armut leide— soll man daS alles ernst nehmen? Heute, wo Wohl- tätigkeitSvereine, Entbindungsheime, Krankenkassen sich um jede mittellose Schwangere bemühen, wo— ach schenfen Sie mir all.. Hinweise auf die ausgedehnte Armenfürsorge unseres Staates und lassen Sie die volle Schwere de» Gesetzes aus die Angeklagte niederfallen, denn e» handelt sich um da» Wohl der Nation. //
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