Das Bild Lateinamerikas als aufstrebender Kontinent, der Diktaturen hinter sich gelassen und absolute Armut drastisch reduziert hat, spiegelt sich in der starken Präsenz von Frauen in allen Bereichen des öffentlichen Leben wider. Doch diese Erfolgsgeschichte stößt dort an Grenzen, wo die Rolle der Frau als Mutter angetastet wird. Trotz rechtlicher Gleichstellung und dem Aufbrechen des traditionellen Ernährermodells bleiben Frauen weiterhin für die Familienarbeit verantwortlich. Das mit wenigen Ausnahmen geltende Abtreibungsverbot wird auch von den links-progressiven Regierungen nicht angetastet und manifestiert das Tabu, dass Frauen über ihren eigenen Körper entscheiden. Indigene und afro-stämmige Frauen sind doppelter Diskriminierung ausgesetzt: Trotz indigener Emanzipationsbewegungen lebt der Rassismus auch 200 Jahre nach der Unabhängigkeit fort. Doch gerade wegen des tiefsitzenden Machismo der lateinamerikanischen Gesellschaften ist Lateinamerika eine Quelle neuer feministischer Ansätze, die nach Jahrzehnten des Gender-Mainstreamings wieder zur Politisierung frauenrechtlicher Bewegungen und feministischen Denkens beiträgt.