Nr. 163. 31. Ichtgaus. 1. Itilnjt Ks Joroiärts" Dnlim JlolteWilt. Dlinnerstilg, 18. Juni 1914. Gewerkschaftliches. Deutschnationale Komööie. Der Deutschnationale Handlungsgehilfenverband hatte zu seinem rheinisch-westfälischen Gautag die Elberfelder Handelskammer ein- geladen. Das erscheint selbstverständlich für diesen Verband. Predigt U doch, allen Tatsachen deS wirtschaftlichen Lebens zum Trotz, die schöne Mär, daß zwischen Prinzipalen und Angestellten die vollste Jnteresfenharmonie bestehe. Deshalb kennen die deutschnationalen Handlungsgehilfen denn auch keinen größeren Feind als die gewerk- schastliche Organisation ihrer Berufsangehörigen, den Zentralverband der Handlungsgehilfen, der keine Harmoniephrasen predigt, sondern die Angestellte» im Handelsgewerbe zum Klassenbewußtsein zu er- ziehen und ihre Interessen zu vertreten sucht ohne Rücksicht auf das Wohl- oder Uebelwollen der Unternehmer. Also hat doch wohl die Elberfelder Handelskammer die Ein- ladung zu dem deutschnationalen Gautag mit Dank angenommen und durch Entsendung einer Vertretung den Deutschnationalen Hand- lungsgehilfenverband gxehrt?— O nein, das tat die Handelskammer nicht. Sie lehnte vielmehr die Einladung ab mit der Begründung: der Deutschnationale Handlungsgehilfenverband habe die Handels- kammern recht oft in gehässiger Weise angegriffen. Nach Empfang des Absagegebriefs gab es lange Gesichter bei den Deutschnationalen. Ihr Gauvorsteher ersuchte die Handels- kaminer ganz ergebenst, sie möge doch ihre Behauptung beweisen.— Prompt erhielt er die Antwort:„Sie baten uns, Ihnen Ihre aus- gesprochene Handelskammerseindlichkeit zu beweisen. Dieses Ersuchen erscheint uns sehr befremdlich, da Sie nach nur flüchtigem Durch- blättern Ihrer Verbandszeitschrift„Deutsche Handelswacht" wohl kaum noch das Bedürfnis empfunden haben dürften, von uns Be- weise für unsere Behauptung zu erbitten. Da Sie also scheinbar über den Inhalt der Mitteilungen Ihres Verbandes nicht sehr gut unterrichtet sind, gestatten wir uns, Sie auf einige Stellen darin aufmerksam zu machen, in denen Sie die Handelskammern... in gehässiger Weise kritisieren.� Darauf folgten dann einige Zitate aus der„Deutschen Handelswacht". O weh l Solche Störung der schönen Harmonie. Aber daS kommt davon, wen» man in seiner Harmonieduselei nicht konsequent ist. Die Handelskammer würde gewiß nicht zürnen, wenn sie das Spiel des deutschnationalen HandlungsgehilsenorganS durchschaute. Wenn dies Organ gelegentlich auch an dem Verhalten der Handels- Herren Kritik übt, so ist das nur eine Komödie, die keinen anderen Zweck hat, als die betörten Anhänger in den Glauben zu versetzen, die Deutschnationalen täten eS in der Vertretung von Angestellten- intereffen dem Zentralverband gleich.— So eine Komödie kann natürlich auf keiner Seite Beifall finden. Serlin und Umgegend. Streik der Rohrer. Seit Dienstag, den 16. Juni, stehen die Berliner Rohrer in einer allgemeinen Lohnbewegung. Da die Unternehmer im Jahre 1S12 bei den damaligen Verhandlungen wegen Ver- längerung des Vertrages an die Arbeiter das Ansinnen stellten, in eine Kürzung des Allordpreises um 2 Pf. einzuwilligen, kam ein Vertrag nicht mehr zustande. Infolge der schlechten Baukonjunktur fiel hierauf der Akkordpreis des Quadratmeters von IS auf 13 bis 16 Pf., während andererseits auch die Unternehmer keinen Borteil von ihrem Vorgehen hatten, da auch sie sich die Preise fortwährend herunterdrückten. Jetzt endlich sahen auch die Rohrer wieder ein, daß es so nicht weiter gehen könne und legten am Dienstag ein- mütig die Arbeit nieder. Wir ersuchen besonders die Putzer und Zimmerer, den Streikenden gegenüber vollste Solidarität zu üben. Deutscher Bauarbeiterverband. Achtung, GastwirtSgehilfcn! Die Differenzen im..Heideschloß Hohenbinde"(Inhaber Lehmann) bei Erkner sind zu beiderseitiger Zufriedenheit von der Organisation durch Tarifabschluß geregelt und die Sperre somit aufgehoben. Verband der Gastwirtsgehilfcn, Berlin I . Deutsches Reich . Unter allen Umständen politisch. Die Politisch-Erklärung des Transportarbeiter-VerbandeS in Breslau , die vor einigen Wochen vom Amtsgericht ausgesprochen war, unterlag anr Dienstag der Nachprüfung des dortigen Land- g e r i ch t S. Um die Absurdität dieser Rechtsprechung zu kenn- zeichnen, führte der Verteidiger, Justizrat Heilberg, der Führer der Fortschrittlichen Volkspartei in Breslau eine Liste von bürgerlichen Vereinen auf, die reif seien, für politisch erklärt zu werden, wenn die gelegentliche Einwirkung auf die Gesetz- gebung zu solchen Entscheidungen genüge. Zu diesen Ver- einen gehören: der D e u t s ch e R i ck> t e r b u n d.<!) denn er hat sich auf seiner letzten Tagung mit der Reform der Zivilprozeßordnung beschäftigt, die vom Staate verlangt wird; der Srenographen- b u n d, denn er wünscht die gesetzliche Einführung der Einheits- stenographie und propagiert dieses Ziel; die T i e r s ch u tz v e r e i n e, denn sie bearbeiten die Regierung für den Erlaß gesetzlicherBestimmunge» zum Schutze der Vögel; der Verein zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, denn er rufe die Hilfe der Behörden zur Bekämpfung der großen Volksübel auf. Aber alles das blieb auf den Gerichtshof ohne jede Einwirkung. Gewiß sei der Handels- und Transportarbeiterverband in erster Linie ein Verein zur Wahrnehmung der wirtschaftlichen Jffteressen seiner Mitglieder, aber er überschreite doch in manchen Punkten die Grenze, die nach der politische» Seite hin gezogen ist, besonders durch seine Reichssektion der Eilenbahner. Die Interessen der Eisenbahner könnten gar nicht vertreten werden ohne die staatlichen Behörden zu beeinflussen, und das sei eben Politik. Vergeblich verwies der Verteidiger auf den soeben in Breslau tagenden Verband der Lokomotivführer, für den dasselbe gelte und der doch nicht als politisch angesehen werde l— Es half alles nichts, der Transportarbeiterverband ist eben eine freie Gewerkschaft und deshalb politisch I Von Rechts wegen! Streikbruch der Christlichen . In den Orten Büchlberg , Hauzenberg , Tittling , Edensietten und Metten , die in der Zentrumsdomäne Niederbayern liegen, streikten etwa oOO Steinarbeiter. Der Kampf, der soeben beendet wurde, dauerte 3 Wochen. Etwa 300 Steinarbeiter sind abgereist. Dadurch wurde» die Unternehmer geneigt, zu verhandeln. Die Mitglieder des christlichen Steinarbeiterverbandes(Sitz Köln ) streikten einen Tag mit und ließen dann dur�h die bürgerliche Presse verkünden, sie hätten mit den Unternehmern abgeschlossen. Die Christlichen arbeiteten nun die neun Wochen ruhig weiter. Soeben haben in Passau unter dem Vorsip des Bezirksamt- mannes mit den Streikenden, die dem Zentralverband der Steinarbeiter(Sitz Leipzig ) angehören, EinigungSverhand- lungen stattgefunden. Dazu fand sich nun auch der christ- liche Sekretär Lechner mit einigen Getreuen ein. Auf den Hinweis der Arbeitervertreter, daß doch die Christlichen ihren Abschluß schon in der Tasche hätten, erklärte der Führer der Unternehmer, Konrmerzienrat Kerber, daß mit den Ehrt st en absolut kein Abschluß erfolgt sei. Darüber großes Erstaunen bei den Anwesenden. Diese Kon- statierung mußte wie ein Peitschenschlag auf die Christen wirken. Der christliche Vertreter unternahm es nicht im geringsten, sich zu rechtfertigen. Die Streikbrecherei der Chri st liche n aber war damit glatt erwiesen. Die Christlichen haben nun den Erfolg, daß sie die S Proz. Zulage, die auf die Grabsteinarbciten erzielt wurden, ebenfalls einstecken, trotz des ver- übten Streikbruches. Eine nette Gesellschaft, diese Christen. Man darf sich bei ihnen über nichts mehr wundern. Metallarbeiterstreik in Halle. Bei der Finna Paul Feller. Maschinenfabrik in Halle a. S., haben am Montag sämtliche Arbeiter die Arbeit eingestellt. Die Streikenden hatten eine Erhöhung des Stundenlohnes um 3 Pf. beantragt, die trotz der schlechten Lohn- Verhältnisse aber abgelehnt wurde. Die Hallesche Verwaltungsstelle des Metallarbeiterverbandcs ersucht, Arbeitsangebote der Firma ab- zulehnen._ Der Zentralverband der Gärtner im Jahre kiU3. Mit einem Mitgliedcrgewinn von 515 konnte der Verband das Vorjahr abschließen. Die Mitgliederzahl stieg im Jahresdurchschnitt von 6350 auf 7465. Ist der Fortschritt mit Rücksicht auf die un- günstige Lage des Arbeitsmarktes auch zufriedenstellend, so bleibt er doch hinter dem der Vorjahre zurück. Der Kassenbestand erhöhte sich von 65 688 M. auf 78 628 M. Davon befinden sich in den Ortskassen 24 042 M. Die Einnahmen betrugen 138 304 M. Die Gesamtausgaben betrugen 185 365 M.: davon entfielen 30 770 M. auf Unterstützungen und 17 102 M. auf Arbeitskämpfe. Auf die Unterhaltung der Arbeitsnachweise ist von jeher in diesem Gewerbe großes Gewicht gelegt worden; sie er- forderte eine Ausgabe von 3173 M. Gemeldet wurden im Berichts- jähre den Arbeitsnachweisen 5380 offene Stellen, von denen 4125 besetzt wurden. Lohnbewegungen ohne Arbeitseinstellung wurden 13, Angriffsstreiks 12 geführt. Der Erfolg dieser Bewegungen war für 553 Personen eine Arbeitszeitverkürzung von durchschnittlich vier Stunden und eine Lohnerhöhung von durchschnittlich 2 M. pro Mann und Woche; außerdem wurden für 434 Personen sonstige Ver- besserungen, wie Bezahlung der Uebersiunden, Beseitigung deS Wohnungszwanges usw. erzielt. Neu abgeschlossen wurden sechs Tarifverträge für 465 Personen. Wie der wirtschaftliche Niedergang auf den Gärtnereiberuf wirkt, zeigt die Arbeitslosenstatistik des Verbandes. 1312 wurden 4300 Arbeitslose mit 41 462 Arbeitsloscntagen, 1313 hingegen 5342 Arbeiter mit 60 232 Arbeitslosentagen gezählt. 1312 kamen auf jeden Fall der Arbeitslosigkeit S'/z Tag. 1313 aber II1/« Tag. Busfond* 50 000 Streikende in Baku . Am 10. d. M. traten die Arbeiter fast sämtlicher Naphthawerke in Baku , insgesamt über 50 000 Personen, in den. Ausstand und stellten neben einer Reihe von Forderungen, die auf eine Auf» besserung der Arbeitsbedingungen hinzielen, vor allem die Forde- rung der Errichtung von Arbeitersiedelunge» auf, in denen die Arbeiter vor den stets wiederkehrenden Seuchen- geschützt sein sollen. Diese Forderung ist nicht neu. Schon seit 1838 währt der Kampf der Naphthaarb-iter in Baku um menschen- würdige Behausungen. Offizielle Regierungskommisfionen und Organe der Raphthaindustriellen haben selber mehrfach die un- geheuerlichen und den elementarsten Forderungen hohnsprechenden Wohnungsbedingungen der Naphthaarbeiter konstatiert. Aber jedes- mal, wenn die Cholera- oder die Pestepidemie vorüberging, oder wenn die Welle der Arbeiterbewegung sank, haben die Naphtha- Millionäre es verstanden, sich von der Erfüllung dieser Forderung zu drücken. Ter jetzt ausgebrochene Streik ist eine direkte Folge dieser verbrecherischen Politik der Unternehmer. Die Antwort darauf ist das geschlossene Vorgehen der Arbeiterschaft inBaku, die schon im vorigen Sommer gezeigt hat, daß sie genügend Disziplin und Ausdauer besitzt, um dem Uebermut der Unternehmer einen Dämpfer aufzusetzen. Und wenn jetzt in der russischen und westeuropäischen(auch in der kleines§euilleton. Machen Sic den Kerls Stimme! Es geht gegen ein Uhr mittags. Die Sonne sengt gerade herunter vom blaugrauen Firmamente. Die Luft zittert. Kein Windhauch regt sich. Auf der Straße liegt feiner Staub. Tritte erschallen. Hier und da hört man zwischen den Tritten Töne, wie sie sich mühsam ausgetrockneten und vollgestaubten Kehlen entringen. An der Straßenbiegung erscheint ein Trupp Soldaten. Es sind lauter junge Menschenkinder— und doch kein einziges, lachendes Gesicht darunter! Bitter, voll scheuer Verdrossenheit ist ein jedes Gesicht. Unter den aus der Stirne gerückten Helmen rinnen Schweißbächlein über die Wangen, die braun gebrannt sind. Der Schweiß rinnt zwischen grauen Rändern. Müde setzen die Soldaten Fuß um Fuß vorwärts. Tie dreckig grauen Hosen stecken in schweren Stiefeln. In den müden Händen zntern die Gewehre. Der Ober- körper ist vorgebeugt. Auf dein Rücken-lastet der Tornister. Manche» Soldaten schlägt neben dem Seitengewehr noch eine Picke oder Schaufel taklmäßig an das Bein. Einige Soldaten tragen sogar zwei Gewehre aus de» Schultern. Neben dem Trupp marschieren einige Unteroffiziere, hinterher auch. Dann kommen einige Soldaten, die verschiedene Geräte tragen, und endlich zwei Offiziere zu Pferde. Sie tragen Mützen auf den Köpfen und leichte, weite LitewkaS statt der Waffenröcke. Die Offiziere unterhalten sich und rauchen Zigaretten dabei. Der Gesang der Soldaten besteht nur aus einzelnen Tönen. Ein Soldat stößt ein Wort aus, das unverständlich bleibt; der zweite ein anderes, der dritte das weitere. Mit der Zeit werden die Worte verständiger:„Franzosen --„Hosen--*,„Mädchen--", „Wein und bei Bier--",„Lust'ge Grenadiere sind wir--". Bei den letzten Worten zuckt da und dort ein Grinsen überS Gesicht, wie geboren aus Zorn und Selbstverhöhnung. Der Gesang wird immer vereinzelter, matter. Einige Häuser stehen an der Straße und die Bewohner schauen voll Mnleiv auf den müden Trupp Menschen, der an ihnen vorbei treibt. Da richtet der eine der Offiziere sich im Sattel empor und schreit mit rostiger Stimme:„Serfchant Mühläääh, was ist das for schlappes Singään!? Machen Sie den Kerls mal Stimmäääh!" Der Sergeant ruft den Soldaten etwas zu. Und lauter fetzt ihr Gesang ein, ein Gesang zwar, ober ein gemachter, und deshalb «ine schallende Anklage gegen ein System, das durch Befehle Fröhlichkeit und Schmiß erzwingt, erzwingt von müden, abgehetzten Menschen. Eine Arbeiter-Kunstausftellung. Tie moderne Arbeiterklasse dringt fast auf allen Kulturaebieten zu einem eigenen wurzclhaften Leben vor. und so regen sich in ihr auch auf künstlerischem Gebiet Kräfte, die immerhin von diesem Gesichtspunkt aus Beachtung verdienen. Deshalb sei hier die Rede von der Arbciter-Kunstaus- stellung, die vor einigen Tagen �im Züricher Kunsthaus eröffnet wurde. Sie ist die erste in der Schweiz , übertrifft aber, wie man Uns schreibt, an Umfang und Bedeutung alle bisherigen derartigen, z. B. auch in Deutschland unternommenen Versuche. Die Gesichts- punkte, nach denen die Ausstellungskommissjon, zu der auch drei Parteigenossen gehören, aus den etwa 2000 eingeschickten Arbeiten die 568 ausgestellten auswählte, war folgende. Man berücksichtigte jeden Einsender mit mindestens einer Arbeit. Kopien wurden so- viel als möglich zurückgestellt und nur angenommen, wenn keine Originalarbeit vorlag. Besonders bevorzugt wurden die Arbeiter, die in ihrem Beruf keine Berührung mit Malen und Zeichiren «ich keine besondere AuSbildhing genoffen haben. Ausnahmen wurden nur in den Fällen gemacht, wo der künstlerische Wert der eingesandten Arbeiten sie rechtfertigte. Als im eigentlichen Sinn künstlerisch wurden vor allem aber solche Arbeiten bevorzugt, die den Stoff ohne Vorbildung und Routine urwüchsig und selbständig zu gestalten suchten. Es find deshalb auch Bilder angenommen, die dem strengen Maßstab, den nran an Berufskünstlcr anlegt, nicht gewachsen, sind. Auch darin unterscheidet sich diese Ausstellung von den sonst üblichen, daß bei ihr die Individualität der einzelnen Aussteller hinter dem kollektiven Gcsamtcindruck, der das allgemeine künstlerische Niveau betrifft, zurücktritt. Sehr mit Recht vermeidet man es, die dilcttaniicrenden Arbeiter auf den trügerischen Weg des Bcrussiünstlers zu locken, auf dem die meisten von ihnen nur Steine statt Brot finden würden. Der erste Eindruck der Ausstellung löst Erstaunen aus über den Reichtum und die Fülle der Kräfte, die sich da regen. Es ist in der Schweiz , im Lande der lieblichen Alpentälcr und der erhabenen Pracht erstarrter Firnen nur natürlich, daß die Land- schaft bei weitem vorherrscht. Da hat ein 38jähriger Milchführer aus Luzern sechs Gebirgslandschaften ausgestellt, vor denen man ganz vergißt, daß ein Dilettant sie malte. Noch mehr überrascht der 13jährige Malerlehrling Paul Welti mit dreizehn vorzüglichen Bildern, von denen sein Selbstporträt und eine Phantasie„Ver- suchung" eine starke Gestaltungskraft zeigen. Von diesen Leistungen, bis herab zur schlichten Bleistiftskizze, die die unbeholfene Hand eines Hilfsarbeiters zeichnete, birgt die Ausstellung die mannig- fachsten Formen und Motive. Das Porträt nimmt einen großen Raum ein. Teils sind es verblüffende Originale, teils mehr oder weniger gelungene Kopien. Bebels Kopf ist häufig �nachgebildet. Durch ihren Humor zeichnen sich zwei Bruder Straubing «!- Aquarelle eines Schriftsetzers und ebenso eine Reihe vortrefflicher Plastilinarbeiten eines Konditors aus, der Volkstypen mit glück- licher Hand gestaltet hat. Unter den Plastiken ragt namentlich eine große Brutusgipsbüste eines 26jährigen Marmoristcn hervor. Trefflich gelungen ist eine kleine Bebelwachsbüstc, die ein junger Gießer geformt hat. Durch ihre Originalität reizt eine Reihe von Holzmaskcn, die ein Briefträger nach Photographien schnitzte. Am meisten fesseln aber jene Bilder, aus denen unmittelbar die Proletaricrsecle und ihr Klaffengefühl zu uns sprechen. Da sehen wir auf einem mittelgroßen Oelbild eine Manncsgestalt einsam und mit gesenktem Kopf in die düstere Ferne einer Wüste schreiten, an deren Horizont der letzte magische Schimmer des Abendlichtcs verglüht. Ms man den 36jährigen Mcfalldreher fragte, wie das Bild heißen solle, antwortete er:„Mein Leben". Dieses Bild hinterläßt den stärksten Eindruck. Eigenartig sind zarte, an Fidus erinnernde Federzeichnungen eines 27jährigen Schriftsetzers, der es vermag, einen abstraften Gedankeninhalt in eine kurze künstlerische Formel zu bannen. Am gelungensten ist sein Revolutionsblatt. Mit sieghafter Kraft streckt ein Weib als Speer eine Feder empor, die in einem aufgeschlagenen Buche geschrieben hat, aus dem ein wcihrauchwcdclnder Pfaffe und ein aktenbeladener Jurist aufgescheucht berauShuschen. Ein- drucksvoll ist auch ein malerisch zwar unbeholfenes, aber seinem Phantasieinhalt nach reiches Marseillaisebild eines Mechanikers. Nur eines vermissen wir in der Ausstellung, die politische Satirc. Das Fabrikleben ist mehrfach dargestellt, mit besonderer Wucht in dem Oelbild eines L6jährigen Dekorationsmalers. Mit der Veranstaltung dieser Ausstellung hält die Kommission ihre Aufgabe noch nicht für erschöpft. Sie läßt jeden Aussteller einen ausführlichen Fragebogen beantworten und erhält so ein überaus interessantes Material, das psychologisch-statistisch verarbeitet im Druck erscheinen wird. So sehr dies Unternehmen zu begrüßen ist, so sehr ist auch zu wünschen, daß bei der Bearbeitung des Materials mit der nötigen Kritik verfahren wird, denn häufig läßt man bei derartigen Erhebungen die mannigfaltigen indivi- duellen Motive, aus denen heraus die persönlichen Fragen- bcant» wortet wurden, unberücksichtigt und gelangt dann zu unhaltbaren Fehlschlüssen. Der Fürst als Mäzen und Theaterzcusor. In Regensburg „residiert" der Fürst von Thnrn und Taxis, einer der reichsten Agnaten Bayerns . Ihre zahllosen Millionen verdankt die Familie Thür » und Taxis dein Umstände, daß sie jahrhundertelang das Monopol auf das Postwesen in Deutschland besaß und sich, als die einzelnen Staaten die Post selbst übernahmen, schwere Abfindungen bezahlen ließ, solch reiche Leute find natürlich auch„Kunstfreunde". Davon mackit der RegenSburgcr Fürst keine Ausnahme. Er hat bisher dem RegenSburgcr Stadttheater einen jährlichen Zuschuß von 60 000 M. geleister. Aber dem jetzigen Fürsten fiel eS vor kurzem plötzlich ein zu erklären, daß er von nun an nichts mehr bezahlen werde. Dadurch wurde die Existenz des Theaters in Frage gestellt. Nach längeren Verhandlungen ließ er sich zu der Zusage herbei, den bisherigen Zuschuß weiter zu leisten, doch unter der Bedingung, daß Stücke, die gegen die Religion, die guten Sitten und die Autorität verstoßen, nicht aufgeführt werden dürfen. Was das bedeutet, wird man begreifen können, wenn man hört, daß der Fürst ein guter Katholik und was nach Zentrumsansicht dazu gehört ist. Er will sich also um 60 000 M. das Recht erkaufen, dem Regensburger Theaterpublikuin vorzuschreiben, wie es seinen Geschmack einzurichten hat. Man ist sehr gespannt darauf, ob der Theaterdireltor aus diese entwürdigende Beding,, ng eingeht. Notizen. — Keine R e i ch s e i n h e i t s st e n o g r a p h i e! Die Ver« suche, eine einheitliche deutsche Stenographie zu schaffen, dürfen vor- läufig als gescheitert gelten. Der Kompromißentwurf, den der Soch- verständigenansschuß ausgearbeitet hat, hat keine Aussicht, in der entscheidenden Sitzung vom 20. Juni eine Mehrheit zu erzielen. — Der dritte internationale Kongreß für Berufskrankheiten, der in, September in Wien tagen wird. wird sieben Hauptfragen beraten: die Ermüdung oder die Physiologie und die Pathologie der Arbeit mit Bezug auf das Nervensystem, ans die Knochen usw., niit besonderer Berücksichtigung der Nachtarbeit, dann die Arbeit in feuchter und heißer Lust, den Milzbrand, die Stauberlrankungen der Lunge, Verletzungen durch Elektrizität in industriellen Betrieben, die Schädigungen der Gehörsnerven durch die Berufstätigkeit, die industriellen Gifte. Gleichzeitig mit dem Kongreß wird eine Ausstellung veranstaltet werden, um die Entwickelung und Verhütung von Berufskrankheiten und den Einfluß bisheriger Beschäftigungen auf Gesundheit unv Gesundheitspflege im allgemeinen zu veranschaulichen. — Ein literarischer Verleumdungsprozeß. Auf den Angriff KarlStreckerS in der„Deutschen Presse", Otto E r n st habe unliebsame Beurteiler seiner Schriften" dadurch zu be- seifigen versucht, daß er sie bei ihren Verlegern und Chesredaltcuren durch Schmäh- und Drohbriefe verdächtigte, um sie wirtschaftlich zu ruinieren", veröffentlicht Otto Ernst eine Erklärung, in der er diese Behauptung als unwahr bezeichnet und mitteilt, daß er Strecker wegen Verleumdung verklagt habe. Die Beschuldigung Streckers gegen den Großborsteler Dichter war so schwer, daß man nunmehr erst den Ausgang des Prozesses wird abwarten müssen, ehe man ein endgültiges Urteil fällt. Von vornherein stehen wir nicht an zu sagen, daß wir dem harmlosen Appelschnutpoeten wohl einen verständnislosen Wut- auSbruch gegen Nietzsche , keineswegs aber eine Gemeinheit, wie die ihm von dem„Täglichen Rundschau"-Mann unterstellte, zutrauen.
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