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Nr. 38.

Erscheint täglich außer Montags. Breis pränumerando: Viertel­jährlich 8,30 Mart, monatlich 1,10 mt, wöchentlich 28 Pfg. fret in's Haus. Einzelne Nummer 6 Pfg. Sonntags- Nummer mit illuftr. Sonntags- Beilage Neue Welt" 10 Pfg. Poft- Abonnemen:: 8,30 Mt.pro Quartal. Unter Preuz band: Deutschland   u. Deiterreich: Ungarn   2 Mt., für das übrige Ausland 3 Mt.pr.Monat. Gingert. in der Boft Zeitungs- Breislifur

für 1894 unter Nr. 6919.

Vorwärts

11. Jahrg.

Infertions- Gebühr beträgt für die fünfgespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Wfg., für Vereins- und Beriammlungs Anzeigen 20 Pfg Inserate für die nächite Nummer müssen bis 4 Uhr Nachmittags in ber Grpedition abgegeben werden. Die Expedition ist an Wochen­tagen bis 7 Ubr Abends, an Sonn und Festtagen bis 9 Uhr Vor mittags geöffnet. Eernsprecher: Amt I. 1508 Telegramm- Adresse: Sozialdemokrat Berlin  !

Berliner   Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands  .

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.

Donnerstag, den 15. Februar 1894.

Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.

Bur Gefinde- Ordnung. Gesinde unstatthaft" und daß deshalb eine Aufhebung der An Stelle der Lederpeitſche war kraft Gefeßes die Hunger­

so äußerst wichtigen Verhältnissen zwischen Herrschaft und Macht, dies Recht auszuüben und in Anwendung zu bringen.

Etwas von dem Ausnahmerecht, dem

in Deutschland   Millionen Dienstboten und ländliche Arbeiter unterworfen sind. I.

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Leute."

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vielen Provinzial- und örtlichen Gesinde- Ordnungen, die peitsche getreten. Ueberdies hatte dem ländlichen Arbeiter theils mit dem Geiste der Gesetzgebung nicht mehr und dem Gesinde gegenüber das Gesetz dafür gesorgt, daß vereinbar" und eine einheitliche Regelung des Gesinde auch rein äußerlich das Abhängigkeitsverhältniß dieser verhältnisses für ganz Preußen geboten sei. freien Leute" thatsächlich von den früheren faum zu unter­fcheiden war.

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Daß die Gefinde- Ordnung( in ihrem§ 11) sogar auch von einem Recht auf die Person des Dienstboten im Gegensatz zu dem Recht auf seine Dienste spricht, mag allerdings auf einem Flüchtigkeitsfehler beruhen, ist aber immerhin bezeichnend für die Stellung, die das Gesinde und der ländliche Arbeiter auch nach der Martinifreiheit" ein­nehmen sollten und bis heute noch einnehmen.

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Nach dem Datum dieser Verordnung entsteht fernerhin Diese neue Gesinde- Ordnung wiederholt in 176 Para­fein unterthäniges Verhältniß, weder durch graphen meist wörtlich die Bestimmungen, welche das am Geburt, noch durch Heirath, noch durch Uebernehmung einer 1. Juni 1794 unter voller Herrschaft der Erbunterthänig­unterthänigen Stellung, noch durch Vertrag," verhieߧ 10 feits- und Dienstzwangsinstitutionen in Kraft getretene des preußischen Edikts vom 9. Ottober 1807.§ 12 dess allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten in seinen selben Edikts verkündete sogar: mit dem Martini§§ 1-176 Theil II Titel 5 unter der Ueberschrift" Vom 1810 hört alle Gutsunterthänigkeit in gemeinen Gesinde" enthielt. Eine wesentliche, wenn auch unseren sämmtlichen Staaten auf: nach furze Aenderung wurde vorgenommen: dem Martinitage 1810 giebt es nur freie Das Landrecht erachtete, seiner patriarchalischen Denn diese den feudalsten Anschauungen und An­Auffassung entsprechend, daß das Gesindeverhältniß in engstem sprüchen Rechnung tragende Gesinde Ordnung von 1810 In voller Uebereinstimmung mit diesem Editt lehute Busammenhang mit dem Familienleben stehe- ein Gesinde ist noch heute in Preußen in Geltung. Ja noch Herrschafts- Ver­Minister von Stein das Erlassen einer Gesinde- Ordnung ab, verhältniß nur dann für vorliegend, wenn gewisse häus mehr: jüngere Geseze haben das der Arbeitgeber und Die Botmäßigkeit welche die als preußische Landstände zusammengetretenen Ii che Dienste auf eine bestimmte Zeit geleistet werden hältniß" feudalen Junker entworfen hatten. Er führte durchaus zu sollten." Die neue Gesindeordnung schob zwischen häusliche" der Arbeiter noch schärfer ausgeprägt werden doch treffend aus, daß es nach dem Edikt vom 9. Oktober 1807 und Dienste" die Worte oder wirthschaftlich e" auch im gewöhnlichen Sprachgebrauch die beiden Kontrahenten feiner Bestimmung weiter über Gesindelohn, über Dienste ein. Dadurch wurde den Bestimmungen der selten anders als mit Herrschaft" und" Knechte" bezeichnet. und Taglöhnerarbeit der Unterthanen bedürfe, sondern daß Gesinde Ordnung auch der größte Theil Eine Reihe dieser Geseze hat insbesondere durch aus es den freien Menschen" überlassen werden müsse, wie sie der ländlichen Arbeiter, die vordem aus den nahmegesetzliche Bestimmungen dem Dienstboten und länd ihre Verträge über Anwendung und Benuhung ihrerj Kräfte Unterthanen" zwangsweise genommen wurden, unterworfen. lichen Arbeiter den Stempel eines Bürgers niederer Klasse So tamen die mit dem Martinit age 1810 zu freien aufgedrückt. schließen wollten". Meinte man es in den regierenden Allerdings feudale Verherrlicher der bestehenden Gesinde Kreisen mit dieser Ausführung und mit dem Edift von 1807 Leuten" umgewandelten Unterthanen" aus ihrer lieben Ordnung meinen, diese habe in patriarchalischem Wohlwollen crust, so genügte die Einreihung des Gesindevertrages unter Gewohnheit und ihrem früheren Recht nicht hinaus. die Verträge über Berdingung der Arbeitskraft überhaupt Bereits vor dem Ebitt von 1807 hatte, noch unter für das Gesinde dafür Sorge getragen, daß das Element -cin Weg, den der Code civile wenige Jahre zuvor( 1803) voller Herrschaft des Dienstzivanges und der Erbunter der Zugehörigkeit zum Hausstand und zum gemeinschaft­das Landrecht ja bereits( im§ 226, lichen Familienleben nicht ganz zurückgedrängt" werde; im mit seinem Artikel 1780 eingeschlagen hatte. Meinten der thänigkeit, bestimmt, daß wegen des Verhältnisses Wesen des Gesindevertrages liege eine gegenseitige, wortbrüchige preußische König Friedrich Wilhelm III. und II, 7) der Herrschaft und den ihr als Ge- innere, sittliche Beziehung, die wie bei den Gliedern seine ihm ebenbürtige Kamarilla, die eben erst bei Jena   zwischen und Auerstädt eine glänzende Probe von ihrer Feigheit, finde dienenden Unterthanen die Vorschriften der Geseze der Familie rechtliche Wirkungen erzeugt". Schauen wir Unfähigkeit und Verkommenheit abgelegt hatte, mit der von Herrschaft und Gesinde überhaupt Anivendung finden an der Hand der Bestimmungen der Gesinde- Ordnung zu, " Freiheit" von Martini ab es ernst, oder wollten sie nur sollen, soweit nicht ausdrückliche Abweichungen*) davon im wie der wohlwollende Gesetzgeber die gegenseitigen inneren, weite Kreise des preußischen Volkes in den Glauben ver- Landrecht begründet sind." Die Unterthanen" hatten fittlichen Beziehungen des Gesindevertrages" vertheilt hat setzen, ihre gesetzliche Knechtung und Mißhandlung durch also im wesentlichen lediglich ihre Bezeichnung gewechselt. Das Gesinde diese freien Leute" muß von der Die junterliche Kanaille sei aufgehoben, sie hätten nun ein Sie waren freie Leute" geworden. Sie waren Besizer Obrigkeit durch Zwangsmittel zum Dienstantritt angehalten volles Recht und guten Grund zur Liebe und Aufopferung jener gefeßlich verbrieften papierenen Freiheit" geworden, werden"(§ 51 Ges.- Ord.). Es muß allen häuslichen für ihr Vaterland? Lag schon damals die Absicht vor, die an die Luft des wirklichen Lebens gebracht wie eine Einrichtungen und Anordnungen der Herrschaft sich Sie hatten das Recht der Vertrags unterwerfen.(§ 73.) neun durch das Volk die Fremdherrschaft abgeschüttelt Seifenblase zerplatt. sein würde, die Freiheit  " des Volkes in noch freiheit, das Recht", frei zu sein, erlangt, waren aber auch stärkere Fesseln Sei( wie alle Arbeiter)" frei" von jedem Mittel, frei von jeder wie zuvor zn schlagen? dem, wie ihm wolle Dor zweiten Tage dem Martinitage 1810, von wo an alle Preußen freie Diese ausdrückliche Abweichung bestand im wesentlichen Seine Dienste muß es treu, fleißig und aufmerksam Leute" sein sollten, erschien eine Gesinde Ordnung für darin, daß dem Gesinde Unterthan gegenüber festgestellt war verrichten(§ 64). Auch außer Diensten ist das Gefinde sämmtliche Provinzen der preußischen Monarchie vom( S$ 227, 229 II, 7 21. 2. R.): die Ertheilung der Stockschläge ist schuldig, der Herrschaft Bestes zu befördern, Schaden und 8. November 1810". Die königliche Verordnung, welche gefezwidrig, dagegen aber der Gebrauch einer ledernen Peitsche Nachtheil aber, so viel an ihm ist, abzuwenden"(§ 70). diese Gesinde- Ordnung einführte, nahm auf die Martini- laubt, mit welcher auf dem Rücken über die het er time, Holthet Selbst zu Denunziationen gegenüber einem Mitgeplagten Anzahl von Hieben gegeben werden kann." Die Pflicht, solchen Bemerkte Untreue des Nebengesindes", freiheit nicht Bezug. Die Verordnung gab vielmehr als sieben sich unterwerfen zu müssen, stellt die Gesinde- Ordnung ist es verpflichtet. Grund ihres Entstehens an, daß eine Ungewißheit der nicht, wenigstens minder ausdrücklich, fest. heißt es in§ 71, ist es der Herrschaft anzuzeigen ver­Rechte und Pflichten in den so allgemein verbreiteten und bunden". Entsteht durch Unterlassung dieser Denunziations­

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Feuilleton. Helene.

Nachdruck verboten.]

[ Alle Rechte vorbehalten

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Roman in zwei Bänden von Minna Rautsty. Ihr zunächst saß Schwester Wjerotschka. Sie hatte teinen Brief erhalten und auch keinen erwartet. Ihre breiten Hände ruhten auf den weit vorgestreckten Knieen, in der schönen Symmetrie einer egyptischen Statue, und mit der Unbeweglichkeit einer solchen gab sie sich der Ver­dauung hin.

Auch die übrigen Ordensschwestern pflegten nach der Mühfal des Tages der Ruhe; ihre Gemüther waren durch feine Sorgen und kein Verlangen bewegt und so konnten fie ihre Kraft für den Dienst ungeschmälert erhalten- welch ein Segen!

Aber mit diesen Freiwilligen war es anders. Die gehörten nicht sich an, die gehörten noch den Anderen. Das Außenstehende machte seine Rechte über sie geltend, und so tamen fie unaufhörlich ins Gedränge.

Liebe oder Haß war es, was ihre Gemüther bewegte und sie innerlich aufrieb.

In leidenschaftlicher Erregtheit war diese kleine Tania hinweggeeilt, und wie bewegt fah Sofia   aus, troß ihrer Regungslosigkeit.

Ob trotzdem geprügelt wird?

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,, Die Befehle der Herrschaft und ihre Verweise muß das Gesinde mit Ehrerbietung und Bescheidenheit an nehmen."(§ 76.)

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überall herum liegen läßt. Und Und hier Helene steht der junge Gebhart gleich am nächsten Tage zu uns ges nicht auch fie im Rampfe mit ihrer Liebe oder mit kommen ist, um wenigstens uns Alles aufzuklären und zu ihrem Haß? sagen, daß er Dir den Rath gegeben hätte, nach Bulgarien  zu gehen."

Ihre Augen blieben auf Helene haften. Sie saß grade vor ihr. Der Brief, den sie erhalten hatte, lag noch un­geöffnet vor ihr am Tische, der Kopf war gesenkt, geröthet die Lider ihrer fest geschlossenen Augen, deren lange Wimpern tiefe Echatten über die bleichen Wangen warfen.

Mit Aufmerksamkeit verfolgte die Oberin jede Linie dieses schönen Gesichtes, und die Sympathie, die sie für Helene empfand, schien noch zu wachsen.

Sie mußte grausam gelitten haben, wohl durch eigene Schuld, aber ihre Seele war rein.

Wäre es nicht verdienstlich, sie vor ferneren Rämpfen zu schützen, denen diese zarte Empfindlichkeit nicht ge wachsen schien?

Jetzt streckt Helene langsam, fast widerwillig die Hand nach dem Brief aus, dessen Schriftzüge ihr wohlbekannt waren. Es war ein Brief ihres Mannes, der erste, den er an sie geschrieben, seit sie sein Haus verlassen hatte. Sie konnte sich denken, was er enthalten würde, Vorwürfe, An­flagen, Beleidigungen vielleicht.

Bald nach ihrer Ankunft in Siftowo hatte sie Mitthei­lungen von ihren Eltern erhalten und daraus erfahren, daß ihre fluchtartige Entfernung aus dem Hause ihres Gatten ungeheures Aufsehen erregt hatte, daß man sie ausnahmslos verdammte und ihn bedauerte.

Legte ihre Mutter damit nicht das naive Geständniß ab, daß, wäre es nicht geschehen, die eigenen Eltern ihre Tochter verdächtigt hätten, weil sie von denselben Voraus­segungen ausgingen? Der Schlußsaz ihres Briefes be­träftigte dies.

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Ein Glück ist's," hieß es da, daß der Gebhart so trank ist, so ganz am Hund, denn sonst würde man gleich Gott weiß was denken, die Leute sind einmal so schlecht." Damals, als sie den Brief erhielt, hatte dies alles keinen Eindruck auf sie gemacht.

Die Aufregungen und Anstrengungen, die ihr neuer Beruf über sie verhängten, waren so groß und gewaltig ge­wesen, daß das Maß physischer und seelischer Erregungen, das ein Mensch ertragen kann, voll war und nicht mehr gesteigert werden konnte.

Jetzt fiel ihr das alles wieder ein und sie lächelte

bitter. Sie riß das Rouvert auf und entfaltete den Brief ihres Mannes. Er enthielt kalte, dürre Worte, die sie eben so kalt entgegennahm, verwundert fast, daß sie feinen Eindruck auf sie hervorbrachten.

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Er verlangte Scheidung, vollständige Scheidung. War sie nicht schon vollzogen? Hatten sie sich nicht längst mit jeder Faser des Herzens von einander geschieden? Er verlangte gerichtliche Scheidung, gut, sie wird ihre Einwilligung nicht versagen, er soll sie haben.

Dr. Hartmann hatte seine Großmuth an eine Un­Ein so reicher, zärtlicher, ja sinnlicher Zug spielte um ihre halbgeöffneten Lippen, die zu lächeln schienen, während würdige verschwendet, hieß es, die sich so weit erniedrigte, ihre Augen ernst und träumerisch gegen das Fenster daß fie mit einem Proletarier durchgegangen war. So spricht man von Dir, meine arme Helene," Erft zum Schluß schlug der tühle Ton seines Briefes starrten. Sie denkt an den Mann, den sie liebt", sagte sich hatte ihr die Mutter jammernd geschrieben. Jeder ist der in einen erregten um: Nur in wilder Bügellosigkeit, hieß die Oberin ,,, und wahrlich, fie verräth sich kaum weniger Meinung, daß Du von Deinem Manne nur fortgelaufen es darin, könne eine Frau thun, was sie gethan habe, die deutlich, als diese gute Petromna, die die Bekenntnisse bist, weil Dir ein Anderer lieber war, und Niemand unbekümmert um Ansehen und Stellung des Gatten, die ihrer heimlichen Liebe in ein Tagebuch krizelt, das sie kann sich was anderes denken. Wie gut war's daher, daß Tortur eines unerhörten Standals über ihn gebracht habe.