Nr. 208.

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Berliner Volksblaff.

31. Jahrg.

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Telegramm Adresse: ,, Sozialdemokrat Berlin".

Zentralorgan der fozialdemokratischen Partei Deutschlands .

Redaktion: S. 68, Lindenstrasse 69.

Fernsprecher: Amt Morigplak, Nr. 1983.

Sonntag, den 2. August 1914.

Expedition: S. 68, Lindenstrasse 69. Fernsprecher: Amt Morikplak, Nr. 1984.

Ein Edelopfer des internationalen Blutrausches

Jean Jaurès von einem nationalistischen Mordbuben getötet

Paris , 1. August. Gestern abend gab ein gewiffer bedingungen der Bebelschen Resolution im Sinne des revolu-[ frieges ihren entschiedenen Widerstand entgegenseßen sollen. Raoul Villain in einem Kaffeehaus mehrere Revolverschüsse auf tionären Marrismus fügte, nachdem er im Kampfe gegen sie Da fam, mitten in den wüsten Nachrichten über die diploma­den Sozialistenführer Jaurès ab. Jaurès wurde am Kopf unterlegen war. tischen Ränke und die Kriegsheße der blutdürftigen ,, patrio­getroffen und starb bald darauf. Der Mörder ist 29 Jahre An der Spize der geeinigten französischen Arbeiterpartei, tischen" Preßmeute ein Telegramm aus Berlin , das wie ein alt und Sohn eines Schreibers am Zivilgericht in Reims . neben den alten Führern Guesde und Vaillant und mit ihnen heller Lichtstrahl in die Situng fiel: Die Nachricht über die Paris , 1. August. Jaurès saß mit einigen Freunden im Bund machte Jaurès eine andere Idee zum Leitmotiv Friedensdemonstrationen der Berliner sozialdemokratischen im Café Croissant in der Nähe einer Nische, die auf die feines Wirkens: die Verbrüderung des französischen und des Arbeiterschaft am 28. Juli. Wie strahlte da stolz das Auge Straße führt und mit einem Vorhang abgeschlossen war. deutschen Volkes zum gemeinsamen Kampfe gegen die Bar- Saurès, wie erhellten sich seine markigen Züge! Plötzlich erschien hinter diesem Vorhang eine Hand und ehe barei des Militarismus. Er war es, der den Mut und die Abends sprach Jaurès in der grandiosen Demonstra­Jaurès eine Bewegung machen konnte, wurde er von zwei Kraft besaß, der Revancheidee des französischen Chauvinis- tionsversammlung der Brüsseler Arbeiter im Zirkusgebäude. Kugeln in den Kopf getroffen und sank um. Der Täter wurde mus, die 30 Jahre lang wie ein Alb auf Frankreich lastete, Tausende und aber Tausende Männer und Frauen drängten einige Augenblicke später verhaftet; er weigerte sich, seine Personalien anzugeben. Man fand bei ihm zwei Revolver und eine Karte, aus der hervorging, daß er die Louvreschule besuchte.

Paris , 1. Auguft. Die Behörden und Aerzte kamen sofort nach dem Attentat auf Jaurès am Tatort an. Die Aerzte konnten nur den Tod feststellen. Die Behörden ver­nahmen die Personen, die bei der Tat zugegen gewesen waren. In den Straßen herrschte ungeheure Aufregung. Es wurde Vive Jaurès! gerufen.

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Ein furchtbarer Schlag hat die internationale Sozialdemo­fratie, die Arbeiterklasse aller Länder mitten ins Herz ge­troffen. Der geliebteste Führer des französischen Proletariats, die mächtigste und einflußreichste Persönlichkeit der sozialisti­schen Internationale, Jean Jaurès ist von ruchlosen Händen eines nationalistisch verheßten Mordbuben meuch­lings erschossen worden. Der heraufziehende düstere Brand des allgemeinen Völkermordes und Kulturmordes, verkündet fich würdig durch ein tolles Verbrechen, vollzogen an dem edelsten der Menschen, an dem Träger der höchsten Mensch­heitsideale, an dem Vertreter der feinsten Geisteskultur des Jahrhunderts.

Jaurès fam zur Sozialdemokratie von der bürgerlichen Demokratie, er fam als reifer Mann, als sein Name bereits vom Glanz seiner unvergleichlichen Rednergabe und vom mächtigen politischen Einfluß seiner Persönlichkeit erstrahlte. Doch offenbarte sich gerade an ihm wieder, daß der Sozialis­mus heutzutage die einzige Zufluchtstätte für alle wahrhaft großen Geister und warmfühlenden Herzen ist. Es zeigte sich, Daß die verfallende bürgerliche Welt feine Heimat mehr fein fann für fühne und schöpferische Persönlichkeiten, die erst in der heißen historischen Werkstatt der Zukunft, im Lager des ringenden Proletariats ihre Geistesgaben entfalten und ihre glühende Seele befriedigen können.

sich unten und bis zur höchsten Galerie, ein wogendes Meer von Köpfen, alle Augen gerichtet auf den Mann mit dem ge­waltigen Kopf auf den mächtigen Schultern, der mit seinem brausenden Organ und seinen erhobenen geballten Fäusten die Mauern zu erschüttern schien.

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" Ich, der ich mein Lebtag in meinem Lande die Wahrheit laut sagte sprach Jaurès - ich habe jetzt das Recht, vor Europa für mein Land Zeugnis abzulegen. Ich erkläre feierlich, daß das französische Volk in dieser Stunde der Kriegsheße und der Provokationen völlig und restlos, ohne Hintergedanken und ohne Rüdhalt, ehrlich und heiß den Frieden will und ihn zu erhalten wünscht. Sollten morgen die Würfel fallen und Rußland sich in den Krieg stürzen, dann erklären die fran­ zösischen Arbeiter: für uns eristieren keine staatlichen Geheim­berträge, wir fennen nur den einen offenen Vertrag mit der Menschheit und mit der Kultur! Aber diesmal sind wir nicht allein. Wie viel mal haben uns, haben mir speziell, der ich für die Aussöhnung mit Deutschland kämpfte, unsere Chauvinisten entgegenhalten: ja, wo ist denn die Friedens­liebe des deutschen Volfes? Sie fordern von uns Franzosen, daß wir unserer Regierung in den Arm fallen, aber die deutschen Arbeiter rühren sich nicht, jie lassen ihre Kriegshezer gewähren, sie leisten ihnen keinen Widerstand. So rief man mir unzählige Male zu und hielt uns bösen französischen Sozialisten die braven deutschen Sozialdemokraten als Muster vor. Nun, dieses falsche Gerede ist zum Schweigen gebracht, dieser falsche Schein ist zerrissen. Die Berliner Arbeiter haben gleich den Pariser Arbeitern auf der Straße ihre Stimme gegen den Völkermord erhoben. Die deutsche Sozialdemo­fratie hat der Welt gezeigt, daß sie nicht bloß einen mächtigen Körper bildet, sondern daß in diesem Körper eine starke Seele und eine kühne Tatkraft wohnt, die in schwerer Schicksalsstunde mit Donnerwort sich vernehmlich machen kann. Und ich sage Ihnen, noch nie hat die deutsche Sozialdemokratie, die sich Jaurès fam zu uns als bürgerlicher Ideologe, der den offen den Krieg zu erklären und sie in glänzendem Treffen schon so viele Verdienste vor dem internationalen Proletariat Sozialismus nur für die legte logische Konsequenz des bürger- aufs Haupt zu schlagen. Er war es, der die Aussöhnung des erworben hat, einen so großen Dienst der Sache der Mensch­Lichen Republikanismus hielt und die unerschrockenheit be- französischen und des deutschen Volkes zu gemeinsamer sozia- heit geleistet, als jetzt, indem sie gezeigt hat, daß sie ein faß, seine republikanischen Ideen zu Ende zu denken. Noch listischer Kulturarbeit mit der ganzen gewaltigen Macht seines aftionsfähiger, mächtiger Faktor im Leben des Landes ist. im Jahre 1896 legte er in glänzenden Reden im französischen Wortes unermüdlich predigte und das Wutgeheul der natio- Ich danke den Berliner Arbeitern im Namen der französischen Parlament dar, daß sich das sozialistische Gesellschaftsideal nalistischen Meute übertönte. Ihm danken wir es in erster Proletarier und ich schwöre, daß wir ihnen weiter in dem direkt aus den republikanischen Staatseinrichtungen ergebe. Linie, daß heute trotz aller Provokationen der fäbelrasselnden entschlossenen Kampfe gegen den Attilaritt der wilden Kriegs­Mit dieser ideologischen Auffassung blieb er eine Zeitlang Diplomatie sich uns aus Frankreich Millionen Bruder- rotten brüderlich zur Seite stehen werden tren bis in den noch innerlich ein Fremdling im Lager des französischen hände entgegenstrecken und gemeinsam mit uns dem Tod!" Das war die letzte Rede seines Lebens. Jaurès hielt Sozialismus, der bereits durch Guesde und Lafargue auf den historisch- materialistischen Boden der Marrschen Lehre auf- Ariege den Krieg erklären. Wort. Er blieb der Sache der Völkerverbrüderung treu bis gebaut war. Aber Jaurès war eine lebhafte, umfassende, Jaurès kämpfte für die deutsch - französische Verbrüde- in den Tod, er fiel, als ihr erstes Opfer, mit seinem edlen rastlos arbeitende Intelligenz. Indem er immer mehr mit der rung noch in anderem Sinne. Es war das höchste Ziel seiner Blute besiegelte er den Bruderbund des französischen und des Arbeiterbewegung verwuchs, sich ihr mit Leib und Seele er- Wünsche und seines Strebens, den geistigen Ausgleich zwischen deutschen Proletariats. gab, wuchs er innerlich und schwang sich immer mehr zum den besonderen Fähigkeiten der Arbeiterschaft seines Vater- Die bürgerliche Presse, die über die Ermordung des öster­geborenen Führer des Proletariats auf. Die beiden Fähig- landes und der unserigen herbeizuführen, den französischen reichischen Erzherzogpaares vor heiserer Wut und kreischender keiten des politischen Führers, wie ihn die aufstrebende Arbeitern den Sinn für deutsche Organisation und Disziplin Entrüstung in Krämpfe fiel, registriert fühl und gelassen die Arbeiterklasse in ihrer historischen Mission braucht, besaß beizubringen, die deutschen Arbeiter mit der flammenden Ermordung eines Fürsten im Reiche des Geistes, dessen Leben Jaurès in höherem Maße als irgend ein Lebender: die Fähig Aktionsfähigkeit des französischen Proletariats zu durch in der Kulturgeschichte mehr wog, als eine Legion von Erz­feit, Massen zu sammeln, zu vereinigen, zu organisieren, und die Fähigkeit, zu handeln, die Massen zur Aktion zu bewegen. dringen. Er wurde nicht müde, den Arbeitern seines Landes herzogpaaren, und dessen Schatten im Pantheon der Mensch­Durch beide Fähigkeiten trat er im französischen Volksleben das Beispiel der deutschen Sozialdemokratie und ihr syste- heit neben den Größten ragen wird, wenn man die heiteren zuerst in den Vordergrund, als er während der Dreyfusaffäre matisches Bauwerk der Organisation zur Nachahmung zu Spiele der Monarchie und die Schrecken der Kriege wird die Losung der sozialistischen Einigung gegenüber dem alten empfehlen und sein Wirken blieb auch auf diesem Felde nicht längst vergessen haben. wirren Fraktionshader der französischen Arbeiterparteien auf fruchtlos: mit Bewunderung muß man die tüchtigen und Arbeiter Deutschlands , Eure Tatkraft, Euer erster An­ den Schild erhob und zugleich das ganze Gewicht der sozia- ernsten Ansätze, die schönen Fortschritte unserer Bruderpartei lauf zum Kampfe gegen die Schrecken des Weltkrieges waren listischen Arbeiterklasse gegen die klerikal- militaristische Re- jenseits der Vogesen auf dem Gebiete der Organisation aner- die lehte Huldigung, die Ihr dem gefallenen Kämpfer dar­aftion mit entschlossener Hand in die Wagschale warf. Ihm kennen. gebracht habt. Senkt die Fahnen am Grabe Jean Jaurès ' verdanken wir die sozialistische Einigung in Frankreich , für die er nicht bloß durch seine mächtige Feder und Stimme jahre­Aber auch die deutschen Arbeiter haben die Hoffnung nein, ergreift die Fahnen und eilt vorwärts, mit seinen lang unermüdlich Tag für Tag wirkte. Wir verdanken sie Jaurès ' nicht getäuscht. Es war in der letzten Sigung des Worten auf den Lippen: Treu der Verbrüderung auch der wunderbaren Disziplin und großmütigen Be - Internationalen Sozialistischen Bureaus in Brüssel , wo die mit dem französischen Volke, treu der Sache scheidenheit, mit denen Jaurès sich den Beschlüssen des Vertreter aller Länder gemeinsam berieten, wie das klassen- des Friedens, treu dem internationalen Amsterdamer internationalen Kongresses und den Einigungs- bewußte Proletariat dem drohenden Verbrechen des Welt- Sozialismus bis in den Tod!

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