Der Kommandant der russischen Osttrnppe ist GeneralI iv a n o f f. Er ist ein hervorragender Artillerist und einReorganisator des russischen Artilleriewesens. Dies erklärt esauch, warum gerade bei der Kiewer Armee die Artillerie eineso große Rolle spielt. Dazil gesellt sich eine große numerischeUeberlegenheit der Russen, die sich bei unserer Osttruppe sehrempfindlich fühlbar macht. Auch viele schwere Geschütze habendie Russen. Trotzdem ist die Widerstandskraft unserer Ost-tnippen ungebrochen.Der Seekrieg.Verluste öer englischen Marine.Berlin, 7. September. sW. T. B.) Die heute hier ein-getroffene„TimeS" vom 2. d. M. enthält eine Nachtragsvcrlustlisteder Admiralität, in der Namen der Besatzung der geschützten Areuzer„Arethusa" und„Fearleß" sowie der Torpedoboots-Zerstörer„Druid",„Laertrs" und»Phönix" enthalten find.Ein pastagieröampfer auf eine Minegeraten.London, 6. September.(W. T. B.) Die Admiralitätgibt bekannt, daß der Passagierdampfer„Nuno" der Wilson-Linie am 3. September nachmittags nahe der englischen Ost-küste auf eine Mine gelaufen und gesunken ist. Die Be-mannung und die Passagiere seien gerettet, bis auf etwa20 Russen, die aus Paris geflüchtet waren.Kriegsbekanntmachungen.Löhnung öer Einberufenen.Mehrfach find Anfragen an uns gerichtet, welche Löhnung de»zur Fahne einberufenen jedoch noch nicht auf dem Kriegs-schauplatz Verwendung findenden Mannschafte»zusteht. Nach von unS eingezogener Information steht diese» Mann-schaften nicht die Friedenslöhnung, sondern die für immobil«Formationen besonders festgesetzte höhere SriegSlöhnung zu. Siebeträgt monatlich neben freier Bcrpflegiing und freiem Quartier:für Gemeine, berittene... 11,40 M.», unberittcn«.. 9,90„, Gefreite, berittene,.. 12,90,». unberittene.. 11,40,die Zelöpost.In der„Nordd. Allg. Ztg." werden folgend« Mitteilungen ge-macht:Am 14. August d. I. wurde die Feldpost eingerichtet. Di« obersteLeitung des FeldpostwesenS auf dem Kriegsschauplatze und die ein-heitliche Regelung und Ueberwachung des DienftbetriebeS bei allenFeldpostanstalten hat der Feldoberpostmeister. Ihm unterstehenaußer Feldoberpostinspektoren die Armeepostdirektoren und alle Feld-Postanstalten.Dem Armeepostdirektor liegt die Herstellung und Erhaltung derPostverbindungen der betreffenden Armee mit der Heimat usw. nachAnordnung deS FeldoberpostmeisterS ob. Er leitet die Post bis indie Hauptquartiere der Armeekorps oder bis in deren Nähe und vondort zurück. Dem Armeepostdirektor unterstehen Armeepostinspek-toren zur Ueberwachung des Postbetriebs, Feldpostanstalten mitFeldpostbeamten und ein Postpferde- und Wagendepot.Die Reife nach Srufsel.B r ü s s e l, 2. September 1914.I.Kriegerisch ausgerüstet, mit straffen Beinbandagen und be-riemten Rucksäcken, im sieghaften Bewußtsein unserer LegitimationS-Talismane in der Brieftasche, so dämmerte uns am Kölner Haupt-bachnhof«in aoldklarer Morgen. Viele, viele wollten mit uns,wenn auch nicht alle über die Grenze; Soldaten und Saniiätsleutemischten sich dichtgedrängt mit den verschiedenen Möglichkeiten desZivils, und als endlich unser Zug in die Halle dampfte, da gab esfür einige Minuten ein Durcheinander, das allen königlich preußischen Bähnpolizeivorschriften widersprach. Nach langem Wartenbesinnt sich unsere Lokomotive auf ihre Mision: Hurrageschrei ausden Fenstern, Gesang. Wir schlendern an kleinen Stationen vor-über, Militärzüge und Transporte überholen und begegnen uns,und man sieht im Vorbeifahren graue und rote Streifen und hörtabgeriffene Begrüßungsrufe. Winken und Tücherschwenken anjedenr Uebergäng, aus jedem Häuschen, das auf grünen Feldernsteht, und'in D...... erscheint über der Landschaft, wie einstrahlender Sonnenkönig, der Zeppelin, umwittert vom Nimbusder Bomben, die er verderbenbringend abwarf, uird von Kugeln,die nach ihm gesandt wurden.Nachen! Ein Zug mit Verwundeten läuft«in und eS schalltvielhundertstimmig von Zug zu Zug:„Guten Tag. Kameraden!Woher kommt Ihr, wo geht schr hin? Habt Ihr neue Nachrichten?"Die Ankommenden, die mit ihren verbundenen Armen und lahmenBeinen, soweit sie es können, aus dem Mteil steigen, stauen sicha» unseren Fenstern, und bald ist alles erzählt. 70 000 Ruffen—daß es noch mehr sind, wußten wir da noch nicht— gefangen!Hurra! Alle sind frohgemut; kein einziger, auf. dessen Gesicht sichder Schmerz der Verwundung oder Ermattung nach schweren Stra-pazen widerspiegelt. Wir steigen aus und besehen»ns mit einigenSoldaten eine Schar Gefangener, drei Engländer und sieben Fran-zosen. Gleichgültig sitzen die Engländer und reagieren auf nichts;eine unendliche Trauer aber liegt in den schlaffen Blicken der Fran-zosen. Hier zeigte sich schon, was uns während des ganzen Aufent-balts in Belgien, sobald wir mit deutschen Soldaten sprachen, auf-fiel: sie haben eigentlich keinen Haß gegen die Franzosen, denensie zubilligen, daß sie eben auch ein Vaterland zu verteidigen haben.Stärker schon ist der Groll gegen die Belgier, denen man die Eni-setzlichkeiten des Franktireurkrieges niemals verzechen kann. Hem-mungslos aber ist die feindliche Abneigung gegen die englischenSöldner, und es kommt schon gelegentlich vor, daß ihnen unsereTruppen im Dialekt des jeweiligen Landesteiles Titel beilegen,bei denen man sich freut, daß sie nicht verstanden werden. Abersolche Schimpfereien werden von anderen Soldaten zurückgewiesen.„Es sind ebensolche Menschen wie wir, sie müssen doch mit undkönnen nichts dafür," so sagt einer bei einer solchen Szene mit un-versälscht hamburgischer Aussprache, und die anderen werden still.Auch wir versuchen, zwei Soldaten klarzumachen, daß man auchi» Worten den Gesangenen Menschlichkeit zeigen soll. Daraufkommt die Antwort:„Ja, gewiß— aber die Engländer haben esdoch gar nicht nötig, niemand hat ihnen was tun wollen; die Sol-datcn arbeiten für Tagelohn und sie kriegen Lohnerhöhung, wennsie siegen. Die sollen wir noch mit Seidenhandschuhen anfassen?Nee!" Man hat schwere Mühe, die Leute umzustimmen. Und siefchilderNt um uns zu widerlegen, Einzelheiten von ihren Zusammen-Für jedes Armeekorps ist ein Fcldpostamk, für jede Divisioneine Feldpostexpedition«ingerichtet.Dem Armeepostdirektor werden zur rechtzeitigen Herstellungder Postverbindungen— soweit es die Kriegslage gestattet— überdie bevorstehenden Absichten und Marschbewegungen von demArmeeoberkommando die nötigen Mitteilungen gemacht.Daß diese Mitteilungen bisher bei der strengen Geheimhaltungunseres Aufmarsches recht beschränkt gewesen sind, wird man wohlverständlich finden. Infolgedessen war eZ für die Armeepostdirektoren besonders schwierig, frühzeitig vorausschauende Maßnahmenzu treffen. Gerade die Geheimhaltung unseres Aufmarsches, welchedie Vorbedingung zu unseren bisherigen Erfolgen gewesen war, istein Grund gewesen, weshalb in der ersten Zeit die Feldpost nichtso arbeiten konnte, wie es von den Angehörigen in der Heimat so-wohl wie von der Truppe so sehnlichst gewünscht wurde. Die Heeres-Verwaltung hat diesen Wunsch wohl verstanden und gewürdigt.Hinzu kommt, daß im Verlaufe der letzten Wochen die Etappen-Verbindungen auf unserem äußersten Nordwestsllügel noch eine ganzbesondere Ausdehnung infolge der großen Marschleistungen unsererTruppen angenommen hatten. Die Armeepostdirektoren konntenhier mit dem ihnen zur Verfügung stehenden Personal, Pferdenund Postwagen die Beförderung der ins unermeßliche gehendenBriefsendungen überhaupt nicht bewältigen. Auf Anordnung desHerrn Kriegsministers sind daher vor einigen Tagen dem Reichs-Postamt für die Feldpost eine bedeutende Anzahl von Kraftwagenüberlassen worden, die auf die einzelnen Armeen und derenEtappenlinien verteilt worden sind. Ebenso hat der Herr Chef desFeldeisenbahnwesens im Interesse der Feldpost angeordnet, daß so-weit angängig alle Militärzüge Feldpost mitbefördcrn sollen.Wenn neben diesen Verkehrserleichterungen die im Armeever-ordnungsblatt"(vom 1. Sptember Nr. 242) nochmals bekannt-gegebenen Bestimmungen über die Beförderung durch die Feldpostsowohl vou den Truppen als auch von den Angehörigen in derHeimat genau beachtet werden, kann man mit Sicherheit annehmen,daß ein geregelter Feldpostverkehr nunmehr eintritt und die Klagenüber seine bisherigen Unregelmäßigkeiten aufhören werden.Die Beförderung von Privatpaketen durch die Feldpost ist zur-zeit noch ausgeschlossen(f. Feldpostdienstordnung§ 23).ES schweben aber bereits Erwägungen, wie auch in der Paket-besörderung Erleichterungen eintreten können. Sobald die Eni-scheidung hierüber, welche von den Bewegungen des Heeres abhängt,getroffen ist, werden diese Vereinbarungen zur allgemeinen Kennt-nis durch die Presse bekannt gegeben.Der englische öotschaster überSie Kriegserklärung.Die englische Regierung veröffentlicht die Darstellungihres Botschafters in Berlin über die letzten Verhandlungenvor dem Kriegsausbruch. Sir Edward Goschen berichtet:„Am 4. August(dem Tage des englischen Ultimatums) war ichbei dem Staatssekretär v. I a g o w und bot alles auf, um diebelgische Neutralität zu schützen. Herr v. Jagow schlugeine nochmalige Besprechung mit dem Reichskanzler vor, ich begabmich daher zu diesem. Ich traf den Reichskanzler in sehrerregter Stimmung. In einer Red«, die ungefähr 20 Minutendauerte, führte er aus, daß der Schritt der englischen Regierungunverantwortlich sei. Wegen eines bloßen Wortes, Neu-tralität genannt, das gerade von gegnerischer Seite im Kriege sooft beiseite geschoben werde, wolle England einer befreundetenNation Krieg erklären, mit der seine Beziehungen sich gerade i nletzter Zeit vertrauensvoller gestaltet hätten. Meseine(deS Reichskanzlers) Bestrebungen, mit Großbritannien inFreundschaft zu bleiben, seien zunichte gemacht durch diesen furcht«baren Schritt. Was wir getan hätten, sei ihm unbegreiflich und nurmit der Handlungsweise eines Menschen vergleichbar, der einemanderen in den Rücken falle, während dieser mit seinen Angreifernum sein Leben kämpft.Ich protestierte auf das entschiedenste gegen diese Auffassungund erklärte, daß ebenso, wie der Durchmarsch durch Belgien fürDeutschland, nach den Worten JagowS, eine Frage auf Leben undTod sei, es auch für Großbritanniens Ehre eineLebensfrage wäre, die eingegangenen Verpflichtungen ein-zuhalten.„Aber um welchen Preis wollen Sie diese Verpflich-tungen erfüllen?" wandte der Reichskanzler ein,„haben Sie daSbedacht?" Ich versuchte, ihn zu überzeugen, daß die Furcht vorden Folgen uns nicht abhalten könne, unsere Verpflichtungen zu er-füllen, aber Se. Exzellenz war so aufgebracht und erschüttert vonunserem Vorgehen, daß ich die Zwecklosigkeit eines weiteren Argu-mentierens einsehen mußte.Abends gegen Sss Uhr besuchte mich Herr Zimmermannvom Auswärtigen Amt und teilte mir mit, daß die deutsche Regie-rung nicht in der Lage sei, auf unser Ultimatum eine bestlemgenoeAntwort zu geben. Inzwischen hatte das„Tageblatt" in einerbesonderen Ausgabe verbreitet, daß wir den Krieg erklärt bätten,und bald hatte sich eine riesige Menschenmenge um unser Bot-schaftsgebäude versammelt, die laut johlte und scindlicheRufe ausstieß. Die kleine Polizeimacht, die ausgesandt war, umdas Palais zu beschützen, erwies sich als zu schwach, und dieHaltung der Menge wurde immer drohender. Solange nur ge-lärmt wurde, nahm ich von dem Auflauf keine Notiz, als aberkurz darauf die Fensterscheiben klirrten, und Steine in unfern„Drawing Room" fielen, in dem ich mich mit den Herren der Bot-schaft befand, hielt ich es für gut, an das Auswärtige Amt zutelephonieren. Herr v. Jagow benachrichtigte sofort den Polizei-Präsidenten, worauf berittene Polizei herbeieilte und die Straßesäuberte.Nachdem die Ordnung hergestellt war, kam Herr v. Jagowund sprach sein Bedauern über das Vorgefallene aus. Er ver-sicherte mir, daß die Verbreitung der Extrablätter auf den Straßenvon der Regierung nicht gutgeheißen wäre. Die Nachricht sollteerst am nächsten Morgen bekannt werden. Herr v. Jagow beriefsich darauf, daß die Menge angeblich durch höhnische Gesten deran den Fenstern stehenden Mitglieder der Botschaft gereiztworden sei.Am nächsten Morgen, dem 5. August, sandte mir der Kaisereinen Adjutanten mit folgender Meldung:„Se. Majestät habe ihnbeausttagt, sein Bedauern über die Geschehnisse von gestern abendauszusprechen. Ich möge jedoch aus diesen Vorfällen erseben,welche Empörung das Volk darüber empfinde, daß Großbritanniensich mit anderen Gegnern gegen die einstigen Bundesgenossen vonWaterloo vereinige." Der Kaiser ersuche mich, dem König zusagen, daß er bisher auf die ihm verliehenen englischen Würdenund Ehrenstellen stolz gewesen sei, aber nach dem, was geschehen,auf sie verzichtet habe.„Ich füge hinzu." bemerkte Sir Edward,„daß diese Mitteilungnoch verschärst war durch die Art und Weise, in der sie mir über-mittelt wurde."Zum Schluß lobt der ehemalige Botschafter die zuvor»kommende und rücksichtsvolle Behandlung, dieden Mitgliedern der Botschaft und den mitreisenden britischenUntertanen bei der Abfahrt von Berlin zuteil geworden sei.ftößen mit den englischen Truppen. Wiederholt sei es vorgekommen,daß diese die weiße Flagge hißten, um beim Herannahen der Deut-scheu, auf 60 bis SO Meter Entfernung, mit allen Kräften zu feuern.Unsere Soldaten würden von den Franzosen, von denen sie lachendsagen, daß sie schlecht schießen, sonst aber„gute Kerle" seien, nocheine bessere Meinung haben, wenn sie sich nicht die Turkos mit-gebracht hätten. Diese sind, nach den übereinstimmenden Erzäh-lungen, von unbezähmbarer Tapferkeit und Wildheit, und sie lassensich bei der Gefangennahm« eher töten, als daß sie ihre Waffeabliefern.Endlich, endlich kommen wir nach Herbesthal, der Grenz-station. Schon hatten wir uns gefreut, glatt weiterfahren zukönnen, als es auf einmal hieß:„Alle Zivilisten heraus! Vorn zurKontrolle!" Beim militärischen Kommandanten des Bahnhofeshat man ein umständliches Legittmieren zu überstehen, aber endlichwird der Passierschein ausgestellt, und die Fahrtarte kann gelöstwerden. 6,40 Mark für eine Fährt vierter Klasse von der Grenzenach Brüssel— Donnerwetter! Die Eisenbahnverwaltung scheintden Preis für die Fahrkarte nicht nach der Kilometerlänge, sondernnach der Länge der Stunden zu berechnen, die man in diesen Tagenfür eine Fahrt nach Brüssel braucht. Am Schalter drängt sich esbunt: Deutsche, die vor vier Wochen geflohen waren und nun nachden Resten ihrer Habe sehen; Frauen, die zu ihren zurückgeblie-benen Familienangehörigen wollten; Geistliche und„neutrale" Aus-länder. Endlich ist alles fertig, und wir kommen auf belgischesGebiet. Das erkennen wir freilich nur an den französischen Schil-dern und Reklametafeln und an den düster blickenden Leuten, dieunserem Zuge aus den Fenstern und an den Wegen nachsahen; keinWinken und kein Rufen mehr. An allen Uebergängen, an allenwichtigeren Punkten der Eisenbahnstrecke stehen kräftige deutscheLandwehrmänner und hakten Wache.In W e I ck e n r a e d I, der Grenzstation auf belgischem Gebiet,funktioniert der Eisenbahnbetrieb längst mit erstaunlicher Sicher-heit, und alles regeln unsere blaumützigen Eisenbahnbeamten.Unser Zug fährt endlich in Dolhain ein, das nach vielenMeldungen ein Raub der Flammen geworden sein soll, weil manaus den-Häusern ein vernichtendes Feuer auf unsere gen Lüttichvorrückenden Truppen gerichtet habe. Diese Meldungen warensicher sehr übertrieben. Die Straßen deS kleinen Ortes, der jetztunheimlich still daliegt, find unversehrt; nur auf einem Hügel reckensich schauerlich dieBrandmauern eines größeren Hauses in die Höhe,und durch leere Fensterhöblcn sieht man den blauen Himmel. AmBahnhof haben sich die deutschen Truppen ein sinnvolles Lagerzurechtgemacht. Ein zeichnerisch Veranlagter malte neben einerdeutschen Kriegsdepcsche einen ungeheueren Franzosen, ein Vor-spiel zu den vielen zeichnerischen Grüßen, die dem Vorbeifahrendenentgegenwinken. Aus alten EisenbahnwaggonS und verfallenenBauhütten liest man:„DieLandwehr stirbt, doch sie ergibt sich nicht."„Wilhelm der Zweiie, König von Preußen, Kaiser von Europa."An einer anderen Stelle rollt man an einer ungeheueren Landkartevon Europa vorüber; über die Köpfe unserer Diplomaten hinwegwurde mit dicker, schwarzer Umrandung Belgien, ein Teil des öst-lichen Frankreich und die Ostseeprovinzen darauf für Deutschlandannektiert! Di« häufigste Inschrift aber lautet vor allem an denkleinen Blockstationen:„Zeitungen! Zeitungen! Werft Zeitungenheraus!" Nachrichtenhungrig sind unsere Truppen da draußen;die Züge rollen an ihnen vorbei, nur ein verhallende? Wort kannihnen das Wichtigste zuschreien, und sie haben, ohne den Wachtdienstzu versäumen, lange Stunden der Muße genug, um nach aktuellemLesestoff zu dürsten.Im gemächlichen Tempo durchquert unser Zug die Ardeunen.Im grünen Glänze liegt die Landschaft, ruhig weidet das Vieh,die Bauern bringen Heu und Getreide herein und nichts gemahntean den Krieg, wenn nicht die zahlreichen Tunnels die mühseligeArbeit in Erinnerung brächten, die hier deutsche Eisenbahntruppenzu leisten hatten. Aus Furcht vor der deutschen Invasion hattenoie Belgier bekanntlich die großen Tunnels von Dolhain bisgängen eine Menge Lokomotiven aufeinanderfahrea— in demTunnel bei Dolhain waren es nicht weniger als siebzehn— diesich darin aufbäumten und sich ineinander bohrten. Kisten Dynamitsollten gleichzeitig den ganzen Tunnel in die Luft sprengen.Daraus wurde eS nun nichts. Bei der Keffelexplosion wurdendie Zündschnüre durchnäßt und versagten, und unsere Truppenfanden die Dynamitkisten unversehrt. Aber welch angestrengtesterArbeit bedurste es, um die Maschinen zu entfernen, die auf-gerissenen Schienen zu flicken und die gebirgige Strecke wiederpassierbar zu machen! Heute sieht? bei den Tunnels und aufden Strecken wieder ordentlich aus, als wären sie nie von wilderZerstörungslust angegriffen worden; nur noch ein zerschellterWaggon, der unten am Damme liegt, und eine verrostete undexplodierte Lokomotive erinnern an die Tage bor vier Wochen.In V e r v i e r s, von dessen Rathaus die schwarz-weiß-rote Flaggeweht und dessen zahlreiche Fabriken eine weiße Fahne heraus-gehängt haben, ist alles ruhig; scheu duckt sich eine Schar Arbeits-loser hinter den Häusern in der Nähe einer Unterführung. KeinSchornstein raucht, keine Maschine dröhnt; die lebhafte Textil-industrie von Verviers, die zahlreiche Beziehungen zu Deutschlandhatte, ist lahmgelegt.In L ü t t i ch aber, wo unser Zug innerhalb der Stadt einelange Weile halten muß, gärt es weiter unter dem wallonischenVolke; vorbeiziebende deutsche Patrouillen erzählen, daß nochimmer hinterrücks geschossen werde, und später wind über dieGleise ein etwa dreizehnjähriger Bengel geführt, der sich mit demBrowning vergnügt hatte. Unser Zug wird indessen von zahl-reichen Kindern umschwärmt, oie den deutschen Soldaten An»sichtskarten, Zigaretten und allerhand Getränke verkaufen undgute Geschäfte mache». Scherzworte fallen zu drallen belgischenMädchen herüber, doch stolz gehen sie ihres Weges. Tann geht eSweiter, das unvergleichliche Panorama der Stadt enthüllt sich; wirfahren in den Bahnhof ein, wo es von deutschen Truppen wimmelt.Zug um Zug langt an und rollt ab, Truppenmassen kommenund gehen; Offiziere melden sich beim BabnhosSkommandanten,der an der Halle von seinem Stab umgeben sitzt und tausenderleiGeschäfte hat. Hinter dem großen Gitter, das den Bahnhof vonder Straße trennt, sammelt sich die Bevölkerung in Mengen undstarrt und starrt.... Endlich weiter nach Brüssel. Keuchendnimmt der Zug die Höhen hinter Lütttch; rechts und links sehenwir in weiter Entfernung einige Forts, von� denen die deutscheFlagge weht. Dann— T i r l e m o n t; alles stürzt an das Fenster.um die Brandmauern zerstörter Straßen zu sehen. Rötlich glänztder Abendhimmel, doch seine Röte wird überglänzt von blinkendemFeuerschein im Westen. In Löwen br e nnt es�immer noch,und jeder spürt das Schicksal der unglücklichen Stadt. Vor dergroßen Eisenbahnbrücke Löwens halten wir. Rechts und linksalles niedergebrannt und in Dunkel gehüllt. Im rasenden Laufeilt ein Soldat an den Abteilen vorbei:„Wir mußten wiederHäuser anstecken. Einen von unS,«inen Radfahrer, haben wirheute darin gesunden; die Arme und oie Beine lvaren ihm ab-gehauen!" Alles erschaudert; selbst den Berliner Sanitätssoldaten.die sich vorher keine Gelegenheit zu faulen Witzen entgehen ließen.verging die Lust zum Skat. Schweigend verbringen wir weiterelange Stunden bis Brüssel. Achtzehn Stunden hatte die Fahrtgedauert!