betreffs der Vorgänge in der letzten Periode. Hierauf folgte die Verlesung der angemeldeten Interpellationen und Anfragen. Crispi schlug die Begründung derselben vor. Jmbriani beantragte, in die sofortige Verhandlung einzutreten. was mit allen gegen die Stimmen der äußerüen Linken ab- gelehnt wurde. Der Vorschlag Crispi's wurde mit gleicher Majorität angenommen. Infolge eines lebhaften Zwischen- falles zwischen Jmbriani. der sofort sprechen wollte, und dem Vizepräsidenten wurde die Sitzung suspendirt. Nach Wieder- aufnähme derselben wurde die Berathung der Anfragen und Interpellationen einem abgeänderten Antrage Crispi's ent- sprechend aus Freilag anberaumt und alsdann mit großer Majorität die sofortige Veröffentlichung der Akten der parla- mentarischen Enquelekommission über die Emissionsbanken be- schlössen.— In Rumänien wollten zahlreiche Offiziere wegen unpopulärer Maßnahmen des Kriegsministers streiken. Als die Regierung aber den Offizieren den Abschied bewilligen wollte, zog ein großer Theil der Helden ihre Austritts- erk lärungen zurück.— VArletlnenksvisttzes. Die Budgetkommifsion hielt bisher jeden Tag in dieser Woche ihre Sitzung ab. Am Montag bildete den Hauptgegen- stand der Verhandlung die Forlsetzung der Debatte über die Reisekosten und Tagegelder. Von seilen der Regierungsvertreter gab man sich die größte Mühe, die Höhe der Ersparniffe bei einer Aenderung als nicht erheblich und die Regulirung auf neuer Basis als äußerst schwierig darzustellen, aber die Kom- Mission war den gehörten Gründen unzugänglich. Sämmt- liche Abgeordnete stimmten darin überein. daß eine Aenderung de? Systems im Sinne erheblicher Ersparungen, mit der Ausnahme, daß die Tagegelder für die unteren Rangklassen, die schon jetzt zu niedrig'eien. erhöht würden, eintreten müsse. An der Debatte betheiuglen sich die Abgg. Prinz v. Arenberg. Bebel. Bürklin. Enneccerus, Gröber, v. Podbielsky. Richter und Singer, und fand schließlich ein Antrag des Abg. Gröber Annahme, wonach der Reichskanzler ersucht wurde, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der Tagegelder und Reisekosten aus grund der in der Debatte zum Ausdruck ge- kommenen Gesichtspunkte festsetze. Des weiteren wurde eine Resolution des Abg. Gröber angenommen, welche die Regierungen ersucht, für die Hinterbliebenen solcher Personen des aktiven Dienstes und des Beurlaubtenstandes eine entsprechende Fürsorge zu treffen, die infolge der bei Friedensübungen er- littenen Beschädigungen verstorben sind. In der Sitzung am Dienstag erklärte Herr v. Massow im Namen seiner Freunde, daß sie übereingekommen seien, am Militäretat möglichst hohe Ersparungen vorzunehmen und daß sie deshalb alle erstmaligen Forderungen für Neubauten streichen würden, andere Raten aber nur in der Höhe bewilligen würde». als angenommen werden dürfe, daß die Gelder im Laufe des Baujahres auch wirklich zur Verwendung kämen. Die Abag. Richter und Gröber erklärten. daß sie diesen Grundsätze» zu- stimulten. Infolge dieser Erklärungen wurde eine Anzahl Forderungen abgelehnt. In der heuligen Sitzung setzte die Kommission ihr löbliches Thun fort. Abermals fielen eine Reihe größerer Forderungen dem Sparsamkeitsteufel zum Opfer. Der Kriegsininifter war darüber so erregt, daß er erklärte, es mache aus ihn einen höchst deprimirenden Eindruck, daß gerade bei seiner Verwaltung diese Abstriche erfolgten; die Militärverwallung hätte sich in ihren orderungen schon auf das Aeußerste eingeschränkt. Aber die ommission war unerbittlich und strich weiter. Nächste Sitzung Freitag. sPAvkeinsrftvickken. Die Freuden eines sozialdemokratischen Redakteurs sind gar vielseitiger und eigenartiger Natur. Besonders sorgen die Herren Staatsanwälte stets für allerhand Ueberraschungen Unsere Genossen Hülle und Güldenberg, die Redakteure der„Thüring . Tribüne" zu Erfurt , sind in letzter Zeit nament- lich sehr von jener Seite bedacht worden. Dem genannten Parteiblatt entnehmen wir darüber folgende Einzelheiten:„Die Gesäugnißthürcn haben sich gestern hinter Genossen Hülle wiederum aus einige Wochen geschloffen, nachdem ein Gesuch des letzteren um Ausschub des Strasantrittes bis zum LS. d. von der Staatsanwalt- schaft unbeantwortet geblieben. Am 2L. ds. Mts. stehen vor der Strafkammer nicht weniger als acht Strafsachen gegen die ver- antwoitliche» Redakteure unserer Zeitung zur Verhandlung. Hiervon entfallen aus Genossen Hülle sechs Anklagen. Unter diesen befindet sich auch die Kortüm'sche Gehaltserhöhungs-An- gelegenheit. Die weiteren zwei Sttassachen betreffen den Genossen Güldenberg. Herr Rechtsanwalt Dr. Harmening-Jena wird an genanntem Tage die Vercheidigung in sämmtlichen acht Preß- Prozessen übernehmen.— Die Erfurter Slraskammer hat den 22. Februar als besonderen Verhandlungstag für die„Thüringer Tribüne" eingelegt. Eine Statistik über das Älter seiner Mitglieder hat vor kurzem der sozialdemokratische Wahlverein des l. Hamburger Wahlkreises vorgenommen. Das auch für weitere Kreise nicht uninteressante Ergebniß der Untersuchung war folgendes: Es wurden gezählt im Alter bis zu 20 Jahren 101, von 20 bis 25 Jahren 507, 26 bis 20 Jahren 873, 30 bis 40 Jahren 1298, 40 bis 60 Jahren 574, 60 bis 60 Jahren 176, 60 bis 70 Jahren 24 und über 70 Jahren 2 Mitglieder. Es waren also nur i/e der Mitglieder unter 26, V« dagegen über 26, 2/3 sogar über 30 Jahre alt.— Das sind also die„grünen Jungen" des be- kannten sächsischen Junkers Frege.— Ein vorsichtiger Mann scheint der Gemeindevorsteher zu Gütterlitz bei Weimar zu sein. Der Anmelder einer Volksversammlung erhielt von ihm folgendes Schreiben: Geehrter Herr......! Nach genauer Prüfung Ihres Briefes theile ich hierdurch mit. das ich nicht in der Lage bin. Ihnen die Bescheinigung zur Erlaubnis der Volksversammlung auszustellen Da jetzt kein Grund liegt Versammlungen abzuhalten und mir scheint, daß der p. Fischer aus Weimar ein Agitator der Sozialdemokratie ist. Gütterlitz , den 13. Februar 1894. Der Gemeindevorstand. Sörgel. Gütterlitz wäre also diesmal noch glücklich der Gesabr entronnen. den p. F i s ch e r aus Weimar , der nack Herr» Sörgel„ein Agitator der Sozialdemokratie zu sein scheint", in seinen Mauern zu bergen. Vielleicht dürfte später doch einmal „Grund vorliegen", eine Versammlung abzuhalten, denn auf die Dauer wird es die Gemeinde wohl nicht ihrem Vorsteher aNein überlassen, darüber zu entscheiden. Militärschnüffelei i« Sachsen . Unserein Chemnitzer Partei-Organ hat der Zufall, der ja bekanntlich Sozialdeiuolraten überhaupt sehr günstig ist, ein sogenanntes„vertrauliches Alten- stück" zugeweht. Dasselbe hat folgenden Wortlaut: Geheim I Hierdurch erhalten Sie Befehl, Erörterungen darüber anzu. stellen, ob in den Landgemeinden Ihres Distrikts unter den dies- jährigen Rekruten sich Personen befinden, welche bereits eine ge- wisse Führerrolle in der sozialdemokratischen Partei eingenommen haben oder wenigstens als eifrige und zielbewußte Verlreter ihrer Lehren gellen. Der Er>lg ist wegen des Anfang Juli 1890 stattfindenden Ober- Ersatzgeschätfs spätestens bis zum 21. Juni 1890 anher anzeigen. Im Uebrigen ist auch Anzeige jedesmal dann ander zu erstatten, sobald Ihnen noch nach der Aushebung weitere Personen der gedachten Art bekannt werden sollten. Annaberg , den 6. Juni>890. Königliche Amtshauptmannschaft. An Herrn Gendarm in..... Das Schriftstück stammt aus dem Jahre 1890, kommt also etwas spät. Nichldestoweniger immer noch früh genug, um zu zeigen, wie schon seit langer Zeit die Praxis besteht, die jungen Leute, die zur Armee treten, aus ihre politische Gesinnung hin zu prüfen. Diese Bekämpfung der Sozialdemokratie durch die Behörden ist nur ein Beweis, welch große Bedeutung unserer Bewegung beigemessen wird. « Die WahlrechtSbewegnng in Oesterreich wird nicht nur von unseren Genoffen in Wien , sondern auch in der Provinz in engster Weise betrieben. Die steiermärkis che Landesorganisation veranstaltete am vergangenen Sonnlage in 16 der größten Städte des Landes Versammlungen. Das gleiche geschieht in Böhmen . Die Tagesordnung in allen diesen Ver- sammlungen ist: Das allgemeine Wahlrecht und der Acht- stundeutag. » Polizeiliches. Gerichtliches ,e. — In Elberfeld wurden in der Buchdruckerei des Genossen Grimpe die zwei Lieder:„Der letzte Generalmarsch" und„Der freie Sänger" auf Antrag des Slaalsanwatts zu Magdeburg beschlagnahmt, am nächsten Tage aber bereits wieder freigegeben. Sozial» ZUelrerfittzl. Achtung! Textilarbeiter! In der Fabrik von Gebr. Naundorf in Großenhain (Sachsen ) ist ein Streik sämmtlicher Weber und Weberinnen ausgebrochen. Die Löhne, die jetzt nur 8 Mark pro Woche für viele Arbeiter betragen, versuchte der Unternehmer noch um 20 pCt. zu kürzen. Das konnten selbst die„zufriedenen" bedi.rfnißlosen Weber sich nicht bieten lassen, sie beschlossen einstimmig, den Kampf aufzu- nehmen. Zuzug ist strengstens fern zu halten. Alle Zusendungen sind zu richten an Richard Richter, Augustus- Allee 669 Großenhain. Alle arbeitersreundlichen Blätter werden um Abdruck gebeten! Schule und Paster. Ein Pastor H i n z l e r war von der Kreisregierung in Speyer als Direktor einer höheren Töchter- schule beanstandet worden, weil er es ablehnte, einem Lehramts- examen sich zu unterwerfen. Vom bayrischen Kultusminister hin- gegen ist er bestätigt worden, ohne daß er zuvor den Nachweis führte, ob er auch als„Seelsorger" die pädagogische Be- fähigung für den Tireklorposten einer Bildungsanstalt besitzt. Steht das Ministerium auf dem Standpunkt, daß das Erstere einfach das Zweite in sich schließe? In Lehrerkreise» soll diese Entscheidung, die für die Bedeutung, welche man der Schule bei uns beimißt, äußerst charakleristisch ist, allgemeines Kopsschntteln hervorgerufen haben. Die Lehrer mögen sich nur beruhigen; hat man in einer Festung in Preußen es für richtig befunden, die Erziehung der J> gend einem gewesenen Wochtmeifler anzuvertrauen, so wird in Bayern wohl auch ein Pastor gut genug hierzu sein. Auch eine Begründung. Der Gemeinderath von A m st e r- dam lehnte die Forderung. 7000 Mark zur Speisung von Schul- lindern zu bewilligen, mit großer Majorität ab, weil man mit der Annahme dieses Antrages einen gefährlichen(!) Präjudiz- soll für die sozialdemokratischen Forderungen schaffe. Tort giebi man wenigstens den Nolhstand zu, will nur vermeiden den sozial- demokratischen Antragstellern Konzessionen zu machen. Hier in Deutschland ist man noch praktischer, hier existirt keiner, wenigstens nicht in den Parlamenten. Eine städtische Arbeitsvermittelung soll bekanntlich in trankfurt a. M. errichtet werden. Der Magistrat hat nun dieser age ein 11 Paragraphen umfaffendes Regulativ zu derselben dem Gemeinderalhe zur Genehmigung vorgelegt. Der Etat ist darin wie folgt aufgestellt: Gehalt des Geschäftsführers und des etwaigen männlichen und weiblichen Hilfspersonals 4000 M., Miethe 2000 M., desgleichen für die Wohnung des Geschäits- führers 400 M.. Drucksachen 200 M., Heizung, Beleuchtung, Reinigung. Verschiedenes 700 M., zusammen 7300 M. Tie Be- rathung soll beschleunigt werden, um das Arbeitsamt baldmöglichst ins Leben rufen zu können. Geheuchelte Entrüstung. Die„Fränkische Tagespost", unser Nürnberger Partei-Organ, brachte den von uns s. Z. veröffentlichten Artikel:„Ein Appell an den Magen", zum Ab- druck. In diesem wurden auf grund statistischer Erhebungen die sanitätswidrige» Zustände in den W i e n e r Bäckereien gegeißelt. Darüber gerielhen die Nür, berget Bäckermeister so in Ausregung, daß sie einen förmliche» Entrüstungsrummel veranstalteten. Und zwar ganz mit Unrecht, denn wie sich nun herausstellt, hat die Polizei die Entdeckung gemacht, daß Einer der entrüsteten Meister zwei mit der K r ä tz e beHaftel« Lehrjungen sogar beim Teig- kneten beschäitigl. Man steht, wie nolhwendig beim Bäcker- gewerbe polizeiliche Visitationen sind, damit das Publikum sein Brot mit Appetit effen kann. Anständige Meister wrrd dieselbe so wenig inkommodiren wie die Besitzer anderer Betriebe, die der Inspektion unterworfen sind, und rücksichtslosen Ausbeutern wird dadurch das Handwerk gelegt. Die Bevölkerung Frankreichs weist nach dem neuesten Bericht des„Journal offiziell" über den Stand derselben im Jahre 1892 wrederum einen Rückgang aus. Die Zahl der Todes- fälle überwiegt die der Geburten um 20 041. Dieses ungünstige Ergebniß wird— und wir glauben nicht mit Unrecht— zum großen Theil aus die Kriegsjahre 1870/71 zurückgeführt. In diesen Jahren haben infolge der zerrütteten Zustände nur wenige Geburten slattgesnnden, sodaß es letzt an heirathsfähiaen jungen Leuten fehlt.— Das sind die Errungenschaften des Kriegshand- werks. die noch Jahrzehnte lang nachwirken. Fabrikinspektion in England. In einer Audienz, welche im Laufe voriger Woche die Abgeordneten Jodn Burns, Wilson und F e n w i ck beim Minister des Innern, Asquith , hallen, erklärte dieser, daß er im vorigen Jahre 16 neue Fa. brikinspektoren ernannt bade. Seine Wahl sei auf praktische Arbeiter gefallen, welche bis jetzt in Werk- stätten thälig gewesen; gerade dort aber blühe das Schweiß- system. Der Diinister erklärte schließlich, daß er die Genehmi- gütig des Schatzkanzlers zur Ernennung von zehn weiteren Fa- brikinspektoren und zwei Jnspeklorinnen erhallen habe. Er hoffe, auck die Docks und Werften bald unter staatliche Beaufsichtigung bringen zu können. Das Vorgehen der englischen Behörden in Sachen des Achtstundentages wirkt auch aus die Privalindustrien bereits zurück. In vier großen Privalsadriken ist fetzt der acht- stündige Arbeitstag eingeführt worden. 16 000 Arbetter in chemi- .fchen Fabriken arbeiten jetzt nur 50 statt 66 Stunden.— Wie lange werden unsere Abgeordneten noch vergeblich die Forderung stellen muffen. Arbeiter als Fabrikinspektoren und weibliche In- spektoren»u stellen? Für Deritschland empfehlenSwerth ist die Bestimmung der englischen Regierung in Irland . Dieselbe hat verfügt, dag in Zukunft die Re�ierungs-Truckarbeiten nur an solche Finnen vergeben werden, welche rhren Arbeitern einen anständigen Lohn und eine vernünftige Arbeitszeit gewähren. Sind diese Begriffe auch etwa» dehnbar, so ist nicht zu vergeffen. daß man in England unter vernünftiger Arbeuszett und Lohn doch noch etwas ganz anderes versteht, als in Deutschland . Verla unnlungen: Etne gntbesuchte Volksversammlung tagte am 20. Febr. im Saale der Norddeutschen Brauerei; das Lokal war polizeilich abgesperrt. Aus der Tagesordnung stand:„Fortsetzung der Diskusston aus der Volksversammlung vom 14. Februar über das Thema: Staatsreligion und Sozialdemo- k r a t i e." Als erste Rednerin sprach Frau Henrich-Wilbelmi. Sie wandte sich gegen den unter der Spitzmarte:„Freireligiöser Gewiffenszwang" m Nummer 42 des„Vorwärts" abgedruckten Loknlartikel, welchen sie als eine Verhöhnung und Lächerlich- machung der Besucher jener Volksversammlung vom 14. dieses Monats wie der augenblicklich tagenden be- zeichnete. Sie bemerkte, daß es ihr und ihren Meinungs- freunden in der Sozialdemokratie nicht einfalle, wie es nach dem Artikel scheinen könne, religiös veranlagte Partei- genossen zur A b l e g u n g ihrer Religiosität zwingen zu wollen. Sie und ihre Freunde betrachteten es nur als ihre Auf- gäbe, in geistigem Streite die Parteigenossen, welche mit allen religiösen Jrrlhumern gebrochen haben, von der Nothwen- digkeit zu überzeugen, auch äußerlich mit der betreffenden Religionsgemeinschaft zu brechen. Außerdem wäre ihre Ansicht, entgegen der im angeführten Artikel zum Ausdruck kommenden, daß der Programmpunkt:„Erklärung der Religion zur Privat- fache", nicht zu verstehen sei, als solle am„religiösen Wahn" großer Volksschichten nicht gerüttelt werden. Stellte sich die Sozialdemokratie auf diesen sonderbarer Weise von manchem Sozialdemokraten vertretenen Standpunkt, dann bedeutele es einen Rückschritt im Kampfe gegen das Bestehende. Wie wolle man die Riesenarbeit vollbringen, wirthschafts- poli- tische Umwälzungen im Sinne der sozialdemokratischen Theorie herbeiführen und das Geschaffene zu erhalten, ohne Freidenker im besten Sinne des Wortes, sittlich freie und geistig in jede r Beziehung selbständige Menschen zu erziehen, soviel wie möglickz. Wirthfchastspolitische und freidenkerisch- naturwissenschasllic'hi Ausklärung müffe Hand in Hand geben. Das Nichterfchew.en der eingeladenen Reichstagsabgeordneten, welche noch mcht aus ihrer Religionsgemeinschaft geschieden sind, miß- billigt die Rednerin. Sie meint, dieselben hätten nicht davor zurückschrecken sollen, ihre Meinung in öffentlicher Vol'ks- Versammlung auszusprechen, und verwahrt die Versammlung da- gegen, ein Ketzergericht sein zu wollen. Die Versammlung und die Einladung der Abgeordneten habe nur die Herbeifubr ung eines freien Meinungsaustausches über einen der dehnbarsten Programmpunkte zum Zwecke gehabt. Nach der Refer entin sprachen Frau Pötting-Jänick«, Köhn, Adolf t o f s m a n n(Pankow ), Tapezirer Feder, Frl. W a b n i tz. ars, Dornbusch, Domschack, LandS, Frau W i l h e l m i und Dr. Bruno Wille . Hoffmann wendet sich, wie fast alle Redner, gegen den Artikel:„Religiöser Ge- wiffenszwang" und außerdem noch speziell gegen den Bericht über die letzte Volksversammlung im„Vorwärts". Es werde, führt er aus, immer von„unabhängigen Quängeleien" im Zentral- organ gesprochen, sowie Genoffen mal das sozialdemokratische Prinzip der freien Meinungsäußerung erproben wollten und öffentlich Ueberzeugungen aussprächen, die nicht die der Redaktion sind. Es komme ihm das beinahe vor, als wolle man bei den fönst Gleichgiltigen der Großstadt und den Genossen der Provinz eine gewisse Voreingenommenheit gegen die Arrangeure. Be- suchet und Redner betreffender Versammlungen erzeugen. wenigstens habe es diesmal den Anschein. In dem Beschluß, daß VolkSversamnilungen der Genehmigung der Vertrauensleute bedürfen, erblickt Redner eine polizeilichere als polizeiliche Be- schrävkung des Vereins- undBersammlungsrechts. Nochmals aufden Bericht über die vorige Versammlung im„Vorwärts" zurückkommend, erklärt er, obgleich ei sonst die DenunziationSwuth des„Intelligenz- Blattes" verurtheile und sie auch betreffs seiner zu kosten be- kommen habe, müsse er doch deffen Bericht über jene Versamm» lung als besser und vor allem objektiver als den des„Vorwärts" bezeichnen. Im übrigen giebt Redner der Referentin Recht und behauptet, während achtjähriger Agitation aus dem Lande gerade infolge steter Berücksichtigung religiöser Fragen große Erfolge erzielt zu haben.— Das Nichterscheinen der eingeladenen Ab- geordneten wurde mit Ausnahme Dornbus ch's von alleir Rednern mißbilligt, die darauf eingingen. Der Auffaffung des Arlikelschreibers im„Vorwärts" von dem:„Religion ist Privab- fache", oder richtiger:„Erklärung der Religion zur Privad- fache", wurde von Niemandem zugestimmt. Bruno WiCe bemerkte betreffs des letztgenannten, im sozialdemokratische'.r Programm enthaltenen Satzes, er könne nichts anderes bedeutt'a, als daß Religion bislang nicht Privatsache sei. sondern erst zu einer solchen gemacht werden folle, was wiederum bedeute, die Einmischung des Staats in religiöse Dinge solle abgeschafft werden. Durch Reichstags-Beschlüffe werde die Religion geroiß nicht zur Privatsache gemacht werden, dagegen sträube sich natür- lich der heutige Staat mit Händen und Füßen. So bleibe nur vorläufig übrig, durch private Handlungen den Austritt auS der Kirche, Religion zur Privatsache zu machen. Aber nur der Maffenanaustritt trage dann gute Früchte. Will« giebt der aus Sozialdemokraten bestehenden großen Mehrheit der Versamm- lung den Rath, sofern sie ihrem Fühlen und Denken nach zur Partei gehöre, einzelnen als Mißstände empfundenen Umständen gegenüber sich nicht passiv zu verhalten oder gar sich ganz zurückzuziehen aus Unlust, sondern kräftig für ihre Ansichten zu wirken und sie in der Partei zum Durch- bruch zu bringen.— Folgende Resolution fand Annahme: „Die Versammlung protestirt auf das Energischste gegen den heutigen Artikel des„Vorwärts"(Freireligiöser Gewissenszwang). Sie betrachtet denselben als einen Schlag ins Gesicht der denken- den Arbeiter. Sie verwahrt sich dagegen, ein Ketzergericht zu sein: sie findet dasselbe vielmehr auf seilen der Redaktion des „Vorwärts". Die Versammlung unterschreibt voll und ganz die Ausführungen der Frau Wilhelmi, sowie des Genossen Hoffmann über den Satz des Parteiprogramms: Erklärung der Religion zur Privatsache, und über das Ausbleiben der eingeladenen ReichStags-Abgeordneten. Sie erwartet vom„Vorwärts", daß er die Verbandlungen der Versammlung ausführlich bringt." Beschlossen wurde noch, in nächster Zeit die Versammlung fortzusetzen. (Wir haben vorstehendem Bericht nur die Bemerkung beizu- fügen, daß wir weder in dem Vortrage der Frau Wilhelmi noch in den Reden der übrigen Sprecher etwas gefunden haben, was uns zu einer Aenderung unseres Urtbeils bestimmen könnte. Wir lassen Jedermann innerhalb der Partei nacb seiner Fagon selig werden, und halten nach wie vor jeden Versuch Glaubens- zwang zu üben und die religiöse Frage in den Vordergrund zu schieben, für reaktionär, oder mindestens für einen Beweis rückständiger politischer Bildung. R.d.V.) Der sozialdemokratische Wahlverein für den S. Ber- liuer ReichstagSwahlkreiS ehrte in seiner am 20. d. M. im Schönhauser Bezirk(Berliner Prater) abgehaltenen zahlreich be- suchten Milgliederversammlung das Andenken des verstorbenen Vereinsmitgliedes Genossen Preuß durch einmttthiges Erheben von den Plätzen und nahm sodann einen Vortrag des Genossen N ä t h e r über den russischen Handelsvertrag und die Stellung der Parteien zu demselben mit Beifall entgegen. Ohne Diskusston wurde in den Punkt„Vereinsangelegenheiten" eingetreten und einstimmig der Antrag genehmigt, aus der Bereinskaffe der Ar- beiter-Bildungsschule 100 M. zu bewilligen. Auch wurde den- Genossen nahe gelegt, für den Verein und für den„Vorwärts" eifrigst zu agitiren. Nach Erledigung des Punktes„Verschiedenes" erfolgte der Schluß der Versammlung.
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