Konstantinopel und Sie Dardanellen . Konstantinopel ist der Brückenkopf der schmalen Meerenge, die dos Mittelländische mit dem Schwarzen Meer verbindet. Die ersten militärischen Operationen gegen die Türkei richten sich gegen die Dardanellen, die aus dem Aegäischen Meere, dein sich zwischen Griechenland und Kleinasien erstreckenden Teil des Mittelländischen Meeres, in das Marmarameer und durch den Bosporus , eine andere Meerenge, in das Schwarze Meer führen. Aus ihrer Lage am Bosporus erklärt sich die gewaltige militärische, politische und kommerzielle Bedeutung der türki- scheu Hauptstadt. Sie liegt an den wichtigen Wegen, die nach Südost-Europa , Kaukasien, Transkaukasien und Nordanatolien führen. In das Schwarze Meer münden Flüsse, die für den zsntral-europäischcn Binnenverkehr von ungeheurer Bedeutung sind. Die von Regensburg an schiffbare Donau , um die sich die Länder der österreichisch -ungarischen Monarchie gruppieren, nach deren Unterlaus Serbien , Bulgarien , Rumänien gravitieren, mündet in das schwarze Meer. Ebenso der Tnjepr, die wich- tigste Wasserstraste des südwestlichen Rußlands , längst deren sich schon in früher Zeit der Handel nach dem Norden bis an die Tünamündung in die Ostsee vorwagte. In einem Teil des Schwarzen Meeres , in das Asowsche Meer , mündet der Ton, in dessen Gebiet der bekannte russische Staatsmann Witte mit allen Mitteln des neuen Merkantilismus eine hochentwickelte Eisenindustrie in verblüffend kurzer Zeit in das Leben gerufen hati der Don ist mit dem größten europäischen Strom, der Wolga , verbunden, die ihre Fluten in das Kaspische Meer wälzt. Bei dem Mangel an Eisenbohnen bietet das Schwarze Meer noch immer den kürzesten Zugang zu der gewaltigen südöstlichen Grenzscheide Europas und Asiens , dem Kaukasus , und zu Ar- menien, dem festungsartigen Hochland, das strategisch alles Land von Kleinasien bis an den persischen Golf beherrscht. Wer Konstantinopel besitzt, beherrscht das östliche Mittel- meerbecken und das Schwarze Meer . Tie günstige Lage der Stadt bewog Konstantin, der als erster christlicher Kaiser gilt, im Jahre 330 nach Christi seine Residenz aus Rom nach Bhzanz zu verlegen, das nach seinem kaiserlichen Förderer, Konstan- tinopcl, Stadt des Konstantin, genannt wurde. Im Mittel- alter war es der Sitz der griechischen 5paiser und eine Haupt- stütze des italienischen Orienthandels. In der Mitte des ' la. Jahrhunderts Wurde es von dem aus den sibirischen und turanischen Ebenen hervorgebrachten Nomadenstamm der Türken erobert, die bald die christliche Welt mit dem Schrecken ihres Namens erfüllten. Die Balkanhalbinsel , die Donau - länder einschließlich Ungarn , das Schwarze Meer mit seinem ganzen Küstengebiet fielen in ihre Hände. Das Jahr 1683 bedeutet endlich eine Wende. Vor den Toren des von chnen hart bedrängten Wiens erlitten die Türken eine schwere Niederlage. Kaiserliche Truppen holten den Halbmond von der Osener Burg nieder und drangen in fast ununterbroche- nem Siegeslauf bis tief nach Serbien vor. Nirgends hielt die lose Heeresorganisation und veraltete Taktik der Türken dem wohleinexerzierten Berufsheer des Kaisers stand, das von Feldherren wie dem Prinzen Eugen geführt wurde. In der Abwehr des Islams fand sich Oesterreich-Ungarn, das damals sein heroisches Zeitalter erlebte. Bis an dos Ende des 18. Jahrhunderts blieb der Kampf gegen die Türkei eine respektierte Tradition der österreichischen Politik. Um diese Zeit tritt ein radikaler Umschwung em: die Erhaltung der Türkei wurde Glaubenssatz. Das war natürlich keine bloße Kaprice eines Diplomaten. der sich in Gegensätzen zu bewegen liebt. In seinem Vor- marsch auf Konstantinopel erwuchs Oesterreich em starker Konkurrent, gegen den es sich mit dem Sultan zu gemein- samer Abwehr verbündete. � r. Schon unzählige Male ist Rußland eine großartige Welt- wirtschaftliche Zukunft prophezeit worden. Man sagt ihm ungeheuere Mineralschätze nach und bemerkt, daß seine Be- völkerung von fast 17V Millionen Menschen einen ungeheueren Markt bietet. Das ist aber mehr Hoffnung als Erfüllung. Tie großen Schätze, die die russische Erde birgt, werden ins Phantastische übertrieben, die z. B. in Ural sehr grotze Ent- 1
Ostdeutschlands Sturmtage. in. Soltmu. Was man jetzt so„Bahnhof " nennt! Daß mall in dieser Zeit kein Handgepäck abgeben, nicht auf jedem Bahnhof telegraphieren. im Wartesaal nichts zu effen noch zu trinken haben kann, das ist eben der Krieg! Aber weshalb mag auf dem Bahnhof Soldan sogar die Halle der Bedürfnisse vernagelt worden seini Ganz gleich, aus welchem Grunde— die Folgen lassen sich erraten.... Im Orte steht alles in höchster Gefechtsbereist chaff.... „Soldau ist geräumt! Das Betreten verboten!"... Das Nislio der Gefahr muhte ich auf meine Kappe nehmen. Beim Gang durch Soldau bekam ich zum ersten Male das Ge- fühl, das mich die folgenden Tage noch oft beschlich: daß jene Recht haben, die da sagen, nur wer dies da gesehen hat, könne es fassen, glauben, begreifen. Wir alle haben Brandrumcn ge,ehen. der und jener sah vielleicht schon ganze Ortschaften vom Feuer zerstört. Aber dies hier—' das ist eben Frcuer und Bombardement: ein Ozean von Steinen und Geröll, wie ihn denn doch wohl kein Einsturz, kein Brand zusammendringt. Ganz abgesehen davon, daß wir Menschen zudem, besonders wir Sozialdemokraten, ele- mentare Katastrophen schließlich doch noch mit ganz anderen Augen und Gefühlen besehen, als diese grausigen Kriegszerstörungen. Mein freundlicher Führer zeigte mir nicht bloß, er berichtete auch: 5000 Einwohner hatte Soldau vor dem Kriege; zetzt— nach der zweiten Flucht vor den Russen— leben sie in der Umgegend herum, die bedauernswerten Menschen; bisher hat man ste mit Liebesgaben gefüttert, aber nun ist's damit zu Ende, und tvaS werden soll, weiß kein Mensch. Dann aber das Allerscheutzlichste: Tie Russen plündern— schließlich sind sie dann ja in Feindes- land. Wer aber kann Plünderung und Plünderung, Plünderer und Plünderer auseinanderhalten, wenn in Soldau bis zum 9. Ndvember einschließlich aus den verlassenen, aus den demolierten Säusern tagtäglich alles Mögliche herausgestohlen wurde, wo doch die Russen nicht mehr oder noch nicht wieder im Orte waren, und das Städtchen jetzt von unseren eigenen Truppen stark besetzt lag. Die paar Soldauer, die ich sprach, haben sich über diese Vor- kommnisse und über das Diebsgesindel, von dem Gendarmerie und Soldaten einiges abfaßten, sehr bitter geäußert. Ich werde mich wohl hüten, ihre Worte wiederzugeben. Mit einem Rundblick über den von gänzlich niedergebrannten und zerschossenen Häusern umsäumten Marktplatz nahm ich trauri- gen Abschied, nicht ohne noch einmal das Auge auf jenes hohe Haus links hinten geworfen zu haben, das der Eigner inmitten des Kriegslärms und zwischen der ersten und der zweiten Flucht hatte richten lassen--- der Kranz schwebte noch immer unversehrt und hoffnungsgrün- am Dachbalken. Und was das Allermerk» würdigste war: die Kanonaden der letzte» Tage, die wieder jo viel
fernung zwischen den Kohlenlagern und Eisenerzen wird der- gessen, die Tauer der intensiven EntWickelung des inner- russischen Marktes unterschätzt und besonders die— ungünstige geographische Lage Rußlands übersehen. Rußland hat keinen freien Zugang zum Weltmeer. Allerdings existiert der Schiffahrtsweg von Archangelsk , an der Dwinamündung ins Weiße Meer , einem Teil des nördlichen Eismeeres, um das Nordkap in den Atlantischen Ozean . Doch ist dieser regelmäßig nur von Mai bis Oktober passierbar. Darum bemüht sich jetzt die russische Regierung, niit starken, in Kanada gekauften Eisbrechern die Einfuhr von Kriegsmaterial zu sichern. Einmal schien Rußland schon am Ziele seiner Wünsche. Peter der Große , von dessen Regierung an man �Rußland zu den europäischen Großmächten rechnet, zwang Schweden in einem zwanzigjährigen Kriege zur Abtretung von Lifland, Estland , Jngermannland und einem Teil von Finnland . Zur dauernden Erinnerung gründete er an der Mündung der Newa , in dem Finnischen Meerbusen, im Jahre 17V3 Petersburg. Solange Teutschland politisch zersptittert, militärisch ohnmächtig war, boten die russischen Ostseehäfen einen un- kontrollierten Zugang zum Atlantischen Ozean. Aber heute darf sich kein russischer Panzer über die schützende Minen- sperre wagen, kein russisches Handelsschiff seine Flagge zeigen, kein Dampfer mit Kriegsmaterial passieren. T i e Ostfee i st ein deutsches Meer. . Gleichzeitig mit dem Bestreben, an der Ostsee festen Fuß zu fassen, gingen die Bemühungen, Süd- und Zentralrußland einen Hofen zu geben. Ter Krieg Peter des Großen gegen die Türkei verlief unglücklich. Aber einer Zarin, der Kaiserin Katharina II. , einer deutschen Prinzessin aus dem Hause Holstein-Gottord, blieb die Ausführung seines Testamentes vorbehalten. Sie eroberte den nördlichen Teil des Schwarzen Meeres . Von Peter dem Großen bis auf unsere Tage gilt der Kampf gegen den Türken, der ein Kampf um das Schwarze Meer und dessen Schlüssel, den Bosporus und die Tarda- nellcn, ist, als Leitmotiv der russischen Politik. Nicht weniger als vier große Kriege führte Rußland im 19. Jahrhundert gegen die Türkei . Seine Truppen drangen bis vor die Tore Konstantinopels . Aber der Erfolg entsprach nicht den Opfern. Oesterreich fürchtete das Andreaskreuz auf der Hagia Sofia , die Umklammerung durch Rußland im Norden, Osten und isüdosten. Engtand sah in Rußland bis in das 20. Jahr- hundert den gefährlichen Konkurrenten in Asien . Erst der russisch -japanische Krieg belehrte es eines Besseren und über- zeugte die englischen Staatsmänner, daß eine Eroberung Indiens durch Rußland eine politische Unmöglichkeit ist. Da- mit änderte sich die englische Politik gegenüber Rußland . Jahrzehntelang war sie von der Furcht bestimmt, daß Kon- stantinopel in russische Hände komme und einer gegen den Suezkanal operierenden Flotte als Basis dienen werde. Seit- dem da§_ Prinzip:„der Balkan den Balkanvölkern" eine Selbswerständlichkeit geworden ist, fällt auch dieser Anlaß zu einer ontirussischen Politik Englands weg. Aber im Jahre 1854 war seine Russenfurcht so groß, daß es, als Nikolaus I. die Türkei unier nichtigen Vorwänden angriff, im Verein mit Frankreich eine Flotte nach der Halbinsel Krim entsandte, welche die russische Flotte zerstörte, ein Heer landete und Sewastopol zur Uebergabe zwang. Der Krimkrieg endete 1836 mit einer eklatanten Niederlage Rußlands . Tieselbe Haltung nahm England nach dem letzten russischen-türkischen Krieg 1877/78 ein. der zur faktischen Vernichtung der euro - väischen Türkei führte. Oesterreich-Ungarn und England er- hoben Protest, und auf dem Berliner Kongreß mußte sich Rußland zu bedeutend milderen Friedcnsbestimmungen der- stehen. England erhielt damals die Hinsel Zypern zur Ver- waltung gegen das Versprechen, die asiatischen Provinzen der Türkei gegen einen russischen Angriff zu schützen. Heute ist die Insel von den Engländern annektiert und eine Opera- tionsbasis der englisch -französischen Flotte, die den Eingang in die Tardanellen forciert. Tie Beziehungen Deutschlands zur Türkei waren lange Jahre äußerst bescheiden. Erst in den letzten Jahrzehnten begann ein lebhafter deutscher Kapitalexport noch der enro- väischen und asiatischen Türkei . Frankreich , England und Rußland fühlten sich in einem Erdstrich, den sie als ihre un-
zerstört hatten, waren bis dahin dem eben aufgerüsteten jungen Hause ferngeblieben, trotzdem es über viele seinesgleichen hervor- ragte. Wer an Symbole und so'was glaubt, der mag sich aus dieses Zufallsspiel irgendeinen paffenden VerS machen. In der Nähe des Bahnhofs hatte ein Marketender seine Bude aufgeschlagen; doch außer Tilsiter Käse und— Zucker gab's nichts mehr zu kaufen. Da kam mancher Soldat in Bedrängnis. Weit schlimmer aber ging es den Bauern der Nachbardörfer, die— sofern sie nicht geflohen waren— allerlei Bedarf, besonders an Mehl, nicht zu decken vermochten, nachdem ihnen mit Soldau ihre bis- herige Bezugsquelle zerstört war. Tiefdunklc Nacht im Wartesaal des Soldauer Bahnhofs. End- lich brachte cm junger Musketier ein Lichtstümpfchen aus der Hosentasche, und wir konnten nun wenigstens die Hand vor den Äugen sehen. Auch das Gespräch kam jetzt in Gang, und siehe da! Ein Haufen Brandenburger saß neben mir: Soldaten aus Berlin , Kottbus , Frankfurt ; sie wurden wegen leichter Lungen-, Herz-, Bronchienerkrankungen ins Lazarett gebracht. Gut ging'S ihnen also gerade nicht, aber keiner klagte darum. Nur eins quälte sie — das jetzt 15 Wochen alte Lied: Keine Nachrichten! Von Sause und vom Kriege wissen wir gar nichts!(Ich hab'S den Leuten nicht gesagt, aber bei mir selber sprach ich: Warum werden nicht Vorkehrungen getroffen, den Soldaten wenigstens den Inhalt der Mitteilungen aus dem Großen Hauptquartier bekannt- zugeben?) In ein fesselndes Gespräch kam ich mit einem Soldaten aus Kassel . Der wußte, was er wollte! Darum ließ er sich vor allen Dingen die Frage beantworten:„Wie ist die Stimmung in Berlin ?"— •• * Zwischen Soldau und Teutsch-Eylau kamen auf jeder Station fragende Menschen an den Eisenbahnzug. Flüchtlinge aus Soldau : „Bon wo kommen Sie?"—„Wie steht es dort?"—„Haben die Russen heute wieder geschossen?"—„Werden die Russen wieder durchbrechen?"—„Werden wir bald zurückkönnen?"—„Für immer?"—„W tri) noch immer geplündert?"—„Kom. men noch Verstärkungen für uns?"—„Wie viel?"—„Werden die Russen wieder in die Sümpfe bei Soldau getrieben werden, oder werden diesesmal unsere armen Soldaten dran glauben müssen?" IV. FlllchtlingSclrnb. Zum ersten Male auf all meinen Reisen kam ich nach M a r i e n b u�r g. In jeder anderen Zeit hätte sich«in Besuch dieser alten Stadt des deutschen Ritterordens, eine Besichtigung des Schlosses— mindestens von außen— ganz von selber ver- standen. Am ö. und am 10. November 1314 gab es in Marien- bürg ganz andere Dinge zu sehen als Kirchen, Rathäuser, alte Schlösser. Während Fremde mit Gell) in der Tasche das letzte Nacht- quartier Marienburgs(ein seltenes Ereignis für dieses Städtchen!)
bestrittene Domäne betrachteten, in den Hintergrund gedrängt. Fast keine größere politische Ausemanöersetzung der letzten Jahre ist ohne Bezug auf die orientalische Frage. Aber die widerstreitenden Interessen erschienen nach den Balkan - kriegen durch politisch-wirtschaftliche Interessengemeinschaften zwischen Teutschland, Frankreich und England ausgeglichen werden zu können. Die Verhandlungen waren, wie die füh- renden Staatsmänner der drei beteiligten Länder bei keiner Debatte über auswärtige Politik zu erklären verabsäumten, sehr weit gediehen, als der Weltkrieg alle Hoffnungen ver- nichtete._
Uebertrieben? Eing in London lebende, an einen englischen Arzt ver- heiratete Deutsche schreibt aus London , den 3. November. folgenden Brief, den wir ohne jede Aenderung zum Abdruck bringen: ..... Ich möchte darauf hinweise«, daß die Artikel in her „Kölnischen Volkszeitung" und den„Hamburger Nachrichten" von Dr. Beters über die Deutschen in England sehr übertrieben waren. Die Deutschen sind nicht gerade beliebt hier, augenblick- lich. L'esl la guerre! Aber die Regierung hat sich durchaus anständig benommen. Wenn es zu Massenberhaftungen und Einsperrungen in„Konzentrationskamps" gekommen ist, so nur auf Grund der Zeitungshetzen. Der„Globe" in erster Linie hat alles getan, um die Gefühle deS Publikums gegen die „Aliens ", naturalisiert oder nicht naturalisiert, aufzuhetzen, so daß das„Home office " schließlich dagegen Stellung genommen hat und die weitere Veröffentlichung dieser Korrespondenzen untersagt hat. Es war ihnen aber inzwischen gelungen, das Publikum aufzuwiegeln, und wenn immer mehr Aliens fest- genommen wurden, so geschah es nach meiner festen Uebcrzeu- gung auch teilweise, um sie vor der Wut des Mobs zu schützen. ES kam zu Ausschreitungen, und es kann wieder zu solchen kommen. Was nun die Behandlung in den Kamps anlangt. so kann ich nur sagen, daß die der Kriegsgefangenen durchaus nicht schlechter ist, als die der Soldaten. Ich weiß es aus per- sönlicher Erfahrung. Victor Lopa, der Sohn von Frau Winter, der zuerst in Olympia und dann nach der JZle of Man kam, schrieb, daß er sehr�gut behandelt wird. Sie bekommen keine Betten, aber die Soldaten auch nicht. England hat keine Kasernen, wenigstens nicht in dem Matzstabe. UeberdicS sind in den Kamps meist Leute interniert, die infolge des Krieges beschäftigungslos und oft obdachlos sind. Was sollen sie wohl tun, wenn sie freigelassen werden? Die verheirateten Männer kamen, soweit Platz war, in die Farmtolonie, dort baben sie sogar Betten und die Behandlung ist sicherlich gut. Ich hatte mit Dr. Müller gesprochen, er ist Oesterreicher und macht den besten Eindruck. Für die zurückgebliebenen Frauen und Kinder wird nach Möglichkeit gesorgt. Im übrigen sind meistenteils Kellner, Köche, Barbiere eingesperrt, wie gesagt, Leure, die infolge der patriotischen Stimmung sowieso brotlos waren. Tic bemitteltere Klasse ist noch auf freiem Fuße. Es wäre zu bedauern, wenn Deutschland gegen die Engländer vorginge. Es würde eine ganz andere Klasse getroffen werden, überdies nur unnütz böses Blut machen und die Lage der Deutschen bier nur erschweren. Würdest Du über daS, was ich Dir mitgeteilt habe, auch den„Vorwärts" und die„Frankfurter Zeitung " unter- richten? Ich bin so gut unterrichtet, wie nur jemand hier und komme infolge meiner Tätigkeit mit den verschiedenen Jnsii- tutioncn und den Familien der„Aliens " in Berührung, bin überdies infolge meines Denkenz und Fühlens ganz neutral. Ich bedauere vieles, kann es aber verstehen und versuche nur gerecht zu sein." Wir möchten dazu bemerken, daß uns noch eine Reihe Briefe ähnlichen Inhalts von in London lebenden Deutschen zuge» gangen sind._
Ein belgischer Soldatenbrief. Ein holländischer Parteigenosse schreibt uns: Amsterdam , 13. November. Ein bekannter belgischer Ge- nosse, dessen Sohn als Freiwilliger bei den Karabinieren in der belgischen Armee dient, schickt mir die Abschrift eines Briefes dieses Sohnes, der ihn am 22. Oktober aus dem Lazarett in Calais ver- schickte. Wir geben den Inhalt wieder: „Seit meiner Einstellung habe ich drei Schlachten mitgemacht. die für das Karabinierregiment unheilvoll waren. Ich will Ihnen die Details des letzten Gefechtes, an welchem ich teilnahm, erzählen. Es war drei Uhr morgens, am Mittwoch. Wir nahmen den Weg nach Peroyse, ein Ort zwischen Dixmuiden und Nteuport. Wir
gemietet hatten, lag das FlüchtltngSelend der Armen aus dem Bahn- bof vor allen Blicken bloß. Die sonst so ängstlich gehüteten heiligen Hallen des Wartesaals I. und II. Klasse beherbergen jetzt genau so gut wie der weniger vornehme Bruder III ter und IV ter all die Not, den Kummer und Hunger dieser bedauernswerten Kriegsopfer. Man kann sich kaum der Tränen erwehren, wenn man die vielen, vielen kleinen Kinder sieht, den Stolz und die Hoffnung des Reiches, die sonst so frischen Gesichtchen der Dorf- und Kleinstadtjugend bleich und übermüdet, matt und teilnahmslos. Auf einem Raum von knapp drei Quadratmetern zählte ich— in einer Ecke des mit Stein- fliesen belegten BorflurS— 16 Kleine: dicht an, ja beinahe aufeinander gebettet, zu hartem, kaltem Kinderschlummer. Eins mit Stickhusten darunter und alle viel zu leicht bedeckt für die rauhe Um- gebung und die kalte Jahreszeit. Auch das Schicksal der steinalten Weiber— eine zählte 87— greift ans Herz. Die Familien sind auseinander gerissen: die Väter großenteils im Kriege, die Mütter mit den Kindern oder mit ein paar Kindern auf der Flucht, die anderen irgendwo in der Well— ob sich die ganze Familie einst wieder zusammenfinden wird(und wann?), das soll die Zukunft lehren. In einem Winkel ist eine junge Mutier eingeschlafen, ihr Söhnchen schlummert zu ihren Füßen; plötzlich fahrt sie mit schwerem Seufzer in die Höhe:„Wo ist mein Jung?" Es wird alles Erdenkliche getan, den armen Menschen zu helfen, aber dieses Massenleid, diese Massennot spottet aller Hilfsorganisa- turnen. So gut wie möglich sucht man die Bedürftigen unterzu- bringen und zu verpflegen, man stellt Flucht lingszüge aus Wagen aller Gattungen zusammen, die dielen als Wohn- und Schlafstätte und schließlich als Beförderungsmittel dienen müssen. Manche, die ihren Zufluchtsort selber beyimmen wollen, kratzen das Fahr- geld zusammen; die anderen lassen sich verschicken und trauen den guten Menschen, daß sie ihnen ein erträgliches Obdach im West- fälenschen, Posenschen oder sonstwo in Deutschland bereiten werden. Als ich im Marienburger Wartesaal Abschied nahm von dem großen Haufen Unglück, der hier zusammengeballt war, ließ gerade ein angetrunkener Soldat seinen„Witz" leuchten, und„Ein Ka- viarbrötchen!" schrie er, daß einem der Ekel in die Kehle stieg. «» « Für Dienstag morgen war Alle«stein mein Ziel. Auf dem Wege dorthin sah ich Verwundetenzüge, Flüchtlingszüge und die gerade zur Gestellung entbotenen Landstürmer junger und aller Jahrgänge. Deren Gespräch drehte sich in allen Wagen darum: weshalb man sie wohl zwinge, die paar Groschen für die Fahrt auS der eigenen Tasche zu bestreiten, und wo ich nur konnte, beruhigte ich, indem ich sagte: sie würden diesen Betrag ja wohl zurück- erstallet bekommen. Allenstein mit seinen 43 000 Einwohnern stand gerade wieder mitten in einer Russenpanik, die sich zunächst noch rncht beschwichtigen ließ, obschon Markt in der Stadt abgehalten wurde und trotz- dem das Generalkommando am Abend zuvor bekannt gemacht hott«: es gebe keinerlei Grund zu Besorgnissen.