Nr. 326. 31. Jahrgang.
1. KtilW i»cs.Amilck" Kerlim WksM.
Sonntag. 39. November 19l4.
politische Uebersicht. Versammlungsverbot. Eine für Sonnabend geplante Versammlung in A l t o na, in der über die Lebensmittelversorgung während des Krieges gesprochen werden sollte, ist auf Anordnung des Stellvertretenden Generalkommandos des IX. Armeekorps verboten worden. Zwang zur Beteiligung a« der Jugendwehr. Trotz der Versicherung, daß die Beteiligung an der staat lichen Jugendwehr im freien Belieben jedes Jugendlichen stehen sollen, werden an manchen Orten indirekte Zwangsmittel angewendet. So sind in allen Orten, die zum Amtsgericht Oberstein gehören, an alle Vormünder von jungen Männern im Alter von 15 bis etwa 20 Jahren Karten mit folgendem gedruckten Inhalt versandt worden: Grotzherzogliches Amtsgericht zu Ober st ein im Oktober 1814. Es wird Ihnen dringend empfohlen. Ihre dazu geeigneten Mündels zum Eintritt in die jetzt ins Leben gerufene Jugendwehr auzuhatten, welche zur militärischen Vorbildung junger Männer vom vollendeten 16� Lebensjahre(bei guter Entwicklung auch schon vom 15) bis rum Eintritt in das Heer bestimmt ist Eine etwaige Unterlassung ist von Ihnen spätestens bis zum 18. November d. I. dem Amtsgericht anzuzeigen und zu begründen bei Brüche lein dort gebräuchlicher Ausdruck für Buhe. D. R.) bis zu 300 M. Soweit die Beteiligung an der Jugenvwehr stattfindet, bedarf es einer Anzeige nicht. Selbstverständlich entbehrt dieses Vorgehen einer gesetz- lichen Unterlage._ Schlimme Jolgen. Was von der Arbeiterpresse fortgesetzt betont worden ist. daß die amtlich festgesetzten Höchstpreise für Getreide, vor allem aber ihre Steigerung ab Januar, schlimme Gefahren für die Ernährung des deutschen Volkes bringen müßten, wird jetzt durch eine Meldung aus H a lle a. S. bestätigt. Tie dortigen Hildcbrandtschen Mühlen- werke, die mit 2400 Zentnern täglichem Kornverbrauch das größte Müllereiunternehmen der Provinz Sachsen sind, haben sich tele- graphisch an die Regierung und das Generalkommando des IV. Armeekorps in Magdeburg gewandt mit dem Ersuchen, Maß- nahmen zu treffen, daß die Mühlen genügende Mengen Korn zur Verarbeitung kaufen können. Das sei in den letzten Wochen nicht mehr möglich gewesen, da die Landwirte und Getreidcgroßhändler die Vorräte an Korn, namentlich an Roggen und Weizen, im Hin- blick auf die Steigerung der Höchstpreise ab 1. Januar zurück- hielten. Die Mühlenwerke müßten, so führen sie in der Eingabe weiter aus, beim Andauern dieses ZustandeS des VersagenS der Zufuhr zu einer Stillegung des Betriebes und zur Entlassung ihrer 120 Arbeiter schreiten. Unter diesem unhaltbaren Zustande leiden auch die übrigen Mühlen des Halleschen Bezirks und dadurch wird natürlich die Ver- sorgung der Bevölkerung mit Brot ernstlich gefährdet. Die Re- gierung wird deshalb nicht umhin können, einer Steigerung der Kornhöchstpreise energisch entgegenzutreten und den Verkaufszwang einzuführen, selbst wenn die spekulativen Landwirte und Groß- Händler dadurch eine Enttäuschung erleben. Wer in dieser ernsten und opferreichen Zeit es über sich bringt, dem Volke den reichen Erntesegen dieses Jahres vorzuenthalten, um elenden Gewinnes willen, und es zum Hungern und zur Arbeitslosigkeit verdammt. der verdient keinerlei Rücksichtnahme.
halten sich ostpreußische Flüchtlinge auf. Durch Vermittlung der Behörden werden sie jetzt auf die einzelnen Provinzen verteilt. So sind in SchleSwig -Holstem und im Regierungsbezirk Lüneburg je 20 000 ostpreußische Flüchtlinge untergebracht. Auch der Regierungs> bezirk Stade soll mit einer gleichen Zahl Flüchtlinge belegt werden. Tausende von Flüchtlingen halten sich auch in Berlin auf, wo man aber bestrebt ist, sie nach Möglichkeit in andere Bezirke zu schicken._____ Militärisches Alkoholverbot. Der stellvertretende Kommandeur des 10. Armeekorps hat für den Küsten- und Grenzbezirk bestimmt: „Im Regierungsbezirk Aurich. den Kreisen Aschendorf. Hümm ling, Meppen , Lingcn, Bentheim und Soltau sowie im Grotzherzog� tum Oldenburg, in dem Amte Jever, soweit das Amt nicht mit dem Festungsbereich Wilhelmshaven zusammenfällt, wird der B r a n n t weinauSschank und der Kleinhandel mit Branntwein und Likören'verboten. Auf Grund schriftlicher ärztlicher Ver Ordnung darf der Tagesbedarf an einzelne Personen verkauft werden. Für die Insel Borkum und daS Festungsgebiet von Wilhelmshaven sind von den Kommandanten besondere Bestim mungen getroffen."_ Verurteilung wegen aufrührerischer Rufe. In Z a b e r n wurde, wie die„Straßburger Post" mitteilt, die 71 Jahre alte ledige Rentnerin Marie Sayer wegen A u S- st o ß e n s aufrührerischer Rufe und öffentlicher Aus- stellung eines aufrührerischen Zeichens zu drei Monaten Gefängnis, 100 Mark Geldstrafe und Tragung sämtlicher Kosten verurteilt. Die Angeklagte hatte am 13. August die ein- rückenden Franzosen mit dem Rufe: Vivent les frangais begrüßt und eine französische Fahne ausgehängt. Sie gibt an, daß sie den Franzosen habe einen guten Empfang bereiten und dadurch ihr HauS schützen wollen. Im übrigen habe sie ihre Sympathie für Frankreich nie verhehlt, zumal sie auch verschiedene Verwandte als Offiziere in der französischen Armee habe.
Ostpreustische Flüchtlinge. Von dem KriegSelend ist die ostprcußische B-völlcrung am un- mittelbarsten betroffen worden. Fast in allen Gebieten deS ReickieS
Arbeitslosenfürsorge. Die Versicherungskasse gegen Arbeitslosigkeit in Köln , eine der ersten rm Reiche, hat zu Beginn der Mobilmachung satzungsgemäß ihre Tätigkeit eingestellt. Als Ersatz ist nun von der Stadt eine sogenannte„Vorschutzkasse" gebildet worden, die Arbeitslosen einen„Vorschuß" gewährt. Diese Bezeichnung ist gewählt worden, weil die Beträge nicht als Armenunterstützung gelten sollen. Die Stadt behält sich das Recht vor, die jetzt an die Arbeitslosen ge- zahlten Unterstützungsbeiträge zurückzufordern» wenn die betreffen- den Arbeiter später in bessere Verhältnisse kommen sollten. Jedoch ließ sie durch den Mund des Oberbürgermeisters erklären, daß die Stadt keine hartherzige Gläubigern sein werde. Die Höhe der Unterstützungen beträgt für alleinstehende Ledige 4,20 M. wöchent» lich; für verheiratete Männer mit unterhaltungsbcdürftigen An- gehörigen 6,30 M. und für dergleichen Frauen 5,60 M., für Ehe- leute 8.10.M. wöchentlich; außerdem für Kinder bis zum voll- endeten zehnten Lebensjahr je 1,75 M.. für Kinder von elf bis vierzehn Jahren 2,10 M... für sonstige erwachsene Angehörige je 2,45 M. wöchentlich. Die gesamte städtische Unterstützung darf den Betrag von 15 M. wöchentlich bei drei, von 16 M. bei vier und von 17 M. wöchentlich bei fünf und mehr unterstützungsbedürftigen Familienangehörigen nicht übersteigen. Von Unterstützungen aus privaten Mitteln kommen Beträge bis zu 3 M. wöchentlich nicht in Anrechnung, höhere Beträge nur zur Hälfte. Von etwaigem Verdienst kommt ebenfalls nur die Hälfte zur Anrechnung, Unfall- renten und Pension bleiben voll angerechnet. Gewährt wird die Unterstützung vom achten Tage nach Beginn der Arbeitslosigkeit. Die Bezieher der Unterstützung haben sich täglich einmal zu melden. In eine zur Schlichtung von Streitigkeiten gewählte Kommission wurde auch ein Vertreter der freien Gewerkschaften zugezogen.
Keine Maßnahmen gegen die Steigernng der Lebens- mittelpreise in Königsberg . Königsberg ist eine der Städte, die zurzeit die höchsten Lebens- mittelprcise haben. Als in Ostpreußen die Händler im Oktober für Schweine 30 bis 40 M. pro Zentner Lebendgewicht bezahlte», kostete in Königsberg das Pfund Schtveinefleisch 80 bis 85 Pf. und die Karbonade 1 M. bis 1,10 M. Jnr Großhandel waren die Fleischpreise Ende August zum Teil niedriger als im Juni; die Kleinhandelpreise aber waren 20 bis 30 Pf. pro Pfund höher. Satz kostet jetzt immer noch 15 Pf. pro Pfund. Köhlen sind sehr knapp und kosten 1,70 bis 1,80 M. pro Zentner. Schmalz kostet 1,20 M. pro Pfund. In der letzten Zeit stiegen andauernd die Lebensmittel- preise, und deshalb fragte die sozialdemokratische Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung den Diagistrat an, was er zu tun gedenke, um der fortgesetzten Steigerung der Lebensmittelpreise entgegenzutreten. Gefordert wurde von sozialdemokratischer Seite der Ankauf von Lebensmitteln durch die Stadt, da viele taufende Familien nur von der kärglich bemessenen Kriegsunterstützung leben und daher Not leiden. Oberbürgermeister Körte bestritt, daß ein wirklicher Notstand vorliegt. Er mußte aber zugeben, daß die Preissteigerungen noch nicht zum Abschluß gelangt und daß die Höchstpreise Normalpreise geworden seien. Den Konsumverein stellte der Oberbürgermeister als eine sehr schätzbare Einrichtung hin, der seine Kunden gut be- diene und eine mustergültige Bäckerei habe. An sich seien die Kon- sümvercinspreise billiger. Die Stadt selber könnte nicht einkaufen� da dann die Preise nur steigen würden. Die Vertreter des.Handels hielten es natürlich für selbstvcr- ständlich, daß die Stadt nicht Einkäufe mache. Sic verteidigien den Handel, obwohl der eine, Syndikus Simon, zugeben mußte, daß einzelne während des Krieges sehr schön verdient hätten, p.id ein anderer, Kaufmann Orlopp, ganz offen aussprach, es sei das gute Recht des Kaufmanns, die Konjunktur auszunutzen. Da- gegen hatten die Herren nicht das geringste einzuwenden. Als aber Genosse Merlins sagte, getvisse Kreise wollten sich am Kriege bereichern, nannte das der Oberbürgermeister eine gewissen- lose, ohne jeden Beweis in die Welt geworfene frivole Behauptung. Dabei hatte Genosse MertinS nur unterstrichen, was vor ihm Kauf- mann Orlopp gesagt hatte. Schließlich brachte die bürgerliche Mehrheit zum Ausdruck, das; sie sich mit den bisherigen Maßnahmen des Magistrats zur Linderung der Not der Ernährung einverstanden erkläre. Vorher war sie noch über eine Petition des Handlungsgehilfenverbandes, eine Kricgsarbeitslosenfürsorge einzurichten, zur Tagesordnung übe» gegangen._ Kommunale Kriegsfürsorge. Der Magistrat der schlcsischen Stadt Schweidnitz hat eine Vorlage in Vorbereitung, die während der Kriegs- zeit eine Unterstützung der Arbeitslosen aus Gemcindemitteln vorsieht. Nach dem Entwurf der Vorlage ist der Bezug dieser Unterstützung— über die Höhe ist noch nichts bekannt— an eine 14 lägige Arbeitslosigkeit und halbjährige Ansässigkeit am Orte ge- bunden. Unterstützt fallen auch solche Einwohner werden, die durch' den Krieg ihre ganze Existenz verloren haben, also nicht nur Arbeiter und Arbeiterinnen, sondern auch kleine Handwerker und G ewerbetreibcnde. Ausgeschlossen von einer Unter« stützung find Familienangehörige der Kriegsteilnehmer, soweit diesen bereit« auf Grund der Gesetze vom 28. Februar 1888 und 4. August 1814 zustehenden Unterstützungen gewährt werden. Der Stadtrat von Mannheim beschloß für die weitere Dauer deS Krieges die Arbeitslosenunterstützung zu erhöhen. Sie beträgt dann täglich 70 Pf. für den Arbeitslosen und 10 Pf. für edeS Kind deS Arbeitslosen unter 15 Jahren. Der Magistrat der Stadt Breslau hat dem Antrag der sozialdemokratischen Stadtverordnetcnsraktion auf Schaffung eines Mieteeinigungsamtes zugestimmt.
Die Umorganisierung öer öeutschen?nöustrie. Ter Krieg hat eine Erschütterung des deutschen Wirtschafts- lebenS. mit sich gebracht, die unendlich viel schwerer ist als wir sie sonst auch bei härtesten wirtschaftlichen Krisen erlebt haben. Diese Erschütterung übertrifft auch bei weitem die infolge früherer Kriege aufgetretenen, denn seit dem letzten großen Kriege, den wir geführt haben, den von 1870/71, hat die Verknüpfung der Völker durch internationale Handelsbeziehungen und ihre dadurch bedingte Abhängigkeit vom Weltmarkte riesenhafte Fortschritte ge- macht. Es tritt dies vielleicht am deutlichsten in der Tatsache zu- tage, daß die neutralen Staaten, die in früheren Kriegen nur wenig in ihrem Wirtschaftsleben berührt wurden, diesmal fast ebenso schwer zu leiden haben wie die kriegführenden. Die Schärfe der wirtschaftlichen Schädigung läßt sich auch daraus ermessen. daß die vom Reichs-Arbeitsamt veröffentlichten Arbeitsloscnberichte der Gewerkschaften für Ende August einen durchschnittlichen Ar- beitsloscnsatz von 22,4 Prozent nachwiesen, und dies, obwohl zu jenem Zeitpunkt doch bereits mehrere Hunderttausende von Ar- heitern unter die Fahnen gerufen waren. Dagegen erreichte die höchste Arbeitslosenziffer, die seit Aufmachung jener Statistik im Frieden beobachtet wurde, nur den Satz von 4.8 Proz. Für unsere deutsche Industrie ergab sich aus diesen Verhält- nissen nach dem ersten schweren Anprall die Notwendigkeit einer möglichst raschen Umorganisierung. sollte nicht ein allgemeiner Zu- sammenbruch von unerhörter Schärfe Teutschland dem Wirtschaft- lichen Ruin überliefern, dessen unheilvolle Folgen sich natürlich auch bis zu den Schlachtfeldern erstreckt hätten. Welche Wege diese Umorganisierung eingeschlagen hat und welche Erfolge sie bis jetzt erzielt hat. darüber finden wir eine recht interessante Zu- sammcnstellung ans der Feder D r. O. S t i l l i ch s in der Zeit- schrift„Die Bank". Von der durch den Krieg geschaffenen Situation mußten neben den Luxusindustrien vor allem diejenigen Industriezweige ge- troffen werden, die entweder auf die Zufuhr ausländischen Roh- Materials oder auf den Absatz ihrer Produkte im Auslande an- gewiesen sind; zunächst und am schwersten zweifellos die letzteren. Tie wichtigsten dieser Industrien sind die Maschinenindustrie mit einer Ausfuhr von 680 Millionen Mark, die Eisenindustrie mit einer solchen von 724 Millionen Mark, die Steinkohlenindustrie mit 663 Millionen Mark, die Textilindustrie mit 264 Millionen Mark, die Zuckerindustrie mit 265 Millionen Mark, die Papier - industrie mit 263 Millionen Mark und die chemische Industrie mit 254 Millionen Mark Ausfuhr. Zum großen Teil haben diese Industriezweige nun eine Eni- schädigung für den Verlust ihrer auswärtigen Absatzgebiete gefun-
den in den Lieferungen für die Armee, die ihnen übertragen wur- den. Mit einer außerordentlichen Anpassungsfähigkeit hat sich das Kapital in kürzester Zeit auf die Fabrikation derjenigen Artikel geworfen, die augenblicklich die größten Gewinne versprechen. Bei dieser Umorganisierung sind zwei Gruppen von Unternehmungen zu unterscheiden: solche, die im allgemeinen keine Aenderung ihrer Produktion, sondern nur eine Verschiebung ihres Absatzes vorge- nommcn haben und solche, die auch ihre Produktion selbst wesent- lich umgestaltet haben. Zu der ersten Gruppe gehören beispielsweise die Unter- nehmungen der Nahrungsmittclproduktion. Die Kon- scrvenfabriken, die Mühlen, die Großbäckereien, die Schokoladen- fabrikcn, die Betriebe zur Herstellung von Wurst und sonstigen Dauerwaren produzieren heute zum großen Teil für die Bedürf- nisse des Heeres. Dasselbe gilt für die ganze Textilindustrie. Tie Webereien haben mit der Herstellung von Militärtuchen, von Decken, von Zeltstoffen usw. zu tun, die Trikotagenfabriken mit der Herstellung von wollenem Unterzoug und Strümpfen. Die Strumpfwirkereicn sind so mit Aufträgen überladen, daß sie keine neuen LicfcrungSvcrträge für die nächsten Monate annehmen. Für den Lazarettdicnst werden ungeheure Mengen von Verbands- Material usw. verlangt. Spinnereien und Zwirnereien sind ent- sprechend stark beschäftigt. Außerordentlich groß ist die Nachfrage nach L c d e r, das, nachdem die meisten Staaten Ausfuhrverbote erlassen haben, stark im Preise gestiegen ist. Es werden daher auch schon Surrogat- fabrikate hergestellt. So fabriziert die Gubener Hntindustrie Militärhelme aus Filz, die auch feldgrau sind und mit Metall be- schlagen werden. Tic Pelz läger sind geräumt, die Preise ge- stiegen. Die Kartonnagen fabrikcn haben ihre Produktion jetzt hauptsächlich auf die Herstellung von Kartons zum Verschicken von Kriegssendungcn, Liebesgaben usw. zugeschnitten. Die Zigarren fabrikcn haben eine„Deutsche Zentrale für Kriegs- lieferungen von Tabakfabrikatcn" in Minden ins Leben gerufen, die alle Aufträge von der Heeresleitung annimmt und sie dann nach einem vereinbarten Verhältnis an die fünf deutschen Tabak- fabrikationsbezirke verteilt, um so eine gleichmäßige Arbeits- gelegenhcit zu schaffen. Die umfassendste derartige Organisation ist der vom Zentral- verband deutscher Industrieller und dem Bund der Industriellen, also den beiden großen Verbänden der Schwer- und der Leicht- industrie bald nach Beginn des Krieges errichtete„Kriegs- ausschuß der deutschen Industrie", dessen Ziel es ist, „die verfügbaren Kräfte in rationellster Weise zu sammeln und zu organisieren, damit vor allem Zersplitterung und Vergeudung wirtschaftlicher Machtmittel vermieden werde". Der Ausschuß sorgt vor allem für die schnellste Verbreitung der LicferungSauS- schreiben des Staates sowie für die Herausgabe fortlaufender Mit- tcilungen. Es ist ihm gelungen, in die ursprünglich ganz regellose
Kriegsproduktion Ordnung zu bringen. Auch sonst haben sich kon- kurriercnde Gruppen von Privatbetrieben mehrfach zu Ovgani- sationen zusammengeschlossen, die die erhaltenen Aufträge ver- teilen. In Guben haben Sie Hut- und Tuchfabriken einen„Zweck- verband" gegründet, der die Kriegslieferungen empfängt und verteilt. Innerhalb wie außerhalb dieser Organisationen gibt cS nun eine ganze Reihe von Unternehmungen, die der zweiten der oben» erwähnten Gruppen angehören, die also seit Beginn des Krieges eine wesentliche Aenderung ihrer produktiven Tätigkeit vor- genommen haben. An der Spitze dieser Unternehmungen steht die Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft in Berlin , die A.E.G., die in einem ihrer Betriebe neben und statt Dynamos Granaten her- stellt. In anderen Betrieben stellt sie Metallknöpfe und sonstige militärische Utensilien her. Die Siemcns-Schuckertwerke bauen eifrig Telegraphen- und Telcphonanlagen für die Heeresleitung. Auch eine Reihe anderer Eisengießereien und Maschinenfabriken sind mit der Herstellung von Granate», Nähmaschincnfabrikcn mit der von Schrapnells beschäftigt. Schrcibmaschincnfabrikcn produ- zieren jetzt Fahrräder für das Heer, Halb- und Teilfabrikate für die Armeeausrüstungen. Eine Maschinenbauanstalt in Frankfurt a. O. hat sich auf die Anfertigung von Eßnäpfen, Trinkbechern und Kochgeschirren für unsere Soldaten geworfen. Eine Fabrik für photographische Artikel fabriziert jetzt Koppelschlösser, eine Fabrik für Gewächshausbau Werkzeugkasten, Fcldstühle usw. Zum Teil haben diese Fabriken infolge des Krieges jetzt mehr zu tun als vorher. Die Eisengießereien haben ihre Gußwarenpreise infolge- dessen um 10 Proz. erhohen können, während der Verband der deutschen Zinktvalzwerke den Preis für den Doppelzentner Zint- blech um 3 M. auf 57,20 M. erhöht hat. Also bei gesteigerter Tätigkeit erhöhte Preise: ein Beweis, wie angebracht die von sozialistischer Seite erhobene Forderung auf eine recht empfind- liche Besteuerung des durch den Krieg erfolgten Vermögens- Zuwachses ist. Endlich sei noch erwähnt, daß die chemische Industrie, nachdem die Fardstofferzeugung, außer der für das Färben von Militärstoffen bestimmten, ganz daniederliegt, dafür gut beschäftigt ist mit der Herstellung pharmazeutischer Artikel, Jmprägnierstoffc für Eisenbahnschwellen, von Jsolieranstrichfarben für Lazarette und Gefangenenlagern, von Kaffee» und Bouillonwürfeln, Essenzen usw. Mag diese ganze Produktion durch und für den Krieg letzten Endes doch unproduktiven Zwecken dienen und die hierauf ver- wendete Arbeit der eigentlichen Kulturarbeit entzogen werden, so dient sie innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft doch dazu, das Wirtschaftsgetriebe wenigstens einigermaßen aufrechtzuerhalten und damit das Gespenst der Arbeitslosigkeit ein wenig zu bannen. Ihr ist es zu danken, daß die Arbeitslosenziffer der Gewerkschaften bis Ende September von 22,4 Proz. auf 16,0 Proz. zurückging und seither tisch weiter gesunken ist.