Nr. 51.
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Vorwärts
11. Jahrg.
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Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.
Freitag, den 2. März 1894.
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Der russische Handels- arbeiters find fast ganz unabhängig von dem Profit, den der Rolle und hielt für die Getreuen mit dem imperativen vertrag im Reichstage. rt, daß die Landarbeiter beſſeren Lohn erhalten, wenn die wirthschaft. In unterthänigster Reverenz gegen das JunkerDie Gegner des Handelsvertrages haben während der Herren Agrarier höhere Preise für ihre Erzeugnisse erzielen. thum und mit einem Seitenhieb gegen den Liberalismus der Debatte die sonderbarsten Ansichten über die Beweggründe Die Rennpläge, Offizier Kasinos und die Bade- und Er- Rickert und Richter, flang seine Rede in ein nationalgeäußert, die die Sozialdemokratie veranlassen, dem Vertrage holungsorte, wo die fashionable Gesellschaft fich ein Stell- schwärmerisches Gefasel aus. Sieb auf Hieb auf Hieb der suzustimmen. bichein giebt, genießen allein den Segen dieses Goldregens. Richter'schen Rede traf den Führer des ehemaligen„ Na
Der Lohn und die Arbeitsgelegenheit des Land- mehr Geschick spielte der Führer der Nationalliberalen seine Großgrundbefizer einsteckt. Man hat noch nie davon ge- Mandat auch gleich eine Rede über die nothleidende Land
Ein Schlauberger hat herausgefunden, daß die So lange dem Landarbeiter das Koalitionsrecht entzogen tionalvereins", so daß er nur noch als Entgegnung stammeln Sozialdemokratie für den Vertrag stimme, weil die Un- bleibt und er unter dem Drucke der brutalen Gesinde fonnte: Es war nicht mein politisches Testament, was ich zufriedenheit steigt, wenn es der Landwirthschaft schlecht Ordnung seufzt, ist er auf Gnade und Ungnade den Aus- heute in meiner Rede niedergelegt habe. geht und die Unzufriedenheit ja bekanntlich das rechte beutungsgelüften der Großgrundbesizer ausgesetzt, bleibt Was auch der Ausgang der Verhandlung bringen Futter sei für unsere Partei. niederer Lohn, erbärmliche Wohnung, übermäßige An- mag, das eine steht fest, leichten Raufes ohne jede Gegen
Auch Graf Mirbach nahm an, daß wir jetzt wieder be- strengung und unwürdige Behandlung sein Loos. Kein leistung an die nimmersatten Interessenten des Großgrundstrebt sind, der Unzufriedenheit ein neues Opfer zu bringen. Handelsvertrag und keine autonome Bollgefeßschranke, einzig befizes erreicht die Regierung ihr Ziel im gegenwärtigen Wir sehen nämlich mit hämischer Freude zu, so deduzirt der und allein die Befreiung von den Fesseln der Bevormundung, Reichstag nicht. Schon werden die neuen Geschenke, die Vertreter des Junkerthums aus einer unserer Schriften, die Gewährung der Koalitionsfreiheit und die Beseitigung neuen Liebesgaben auf Kosten des Volkes den Junkern wie die Industrie immer mehr auf den Export angewiesen der Gesinde- Ordnung kann das Loos der Landarbeiter präsentirt. Wie ein troziger Bursche, der für seine ist. Jede Störung des Exports bringt aber Tausende von innerhalb der heutigen Wirthschaftsordnung bessern. Leistungen mehr verlangt, weisen sie vorläufig noch diese Arbeitern außer Erwerb, wodurch die Zahl der Unzufriedenen Es ist übrigens recht charakteristisch, daß unsere sich so Anerbieten zurück. Steht ihnen aber weiter nichts in Aus national gebährdenden Junker gleichzeitig eine Bollmauer sicht, so werden sie auch mit den angebotenen Geschenken gegen Rußland zur Vertheuerung der Nahrung des deutschen zufrieden sein. Für den Westen Aufhebung der StaffelVolkes und eine Deffnung der Grenzen für russisch- polnische tarife, für den Osten Aufhebung des Identitätsnachweises, Arbeiter zur Herabminderung des Lohnes und damit der damit Ost und West nicht getrennt, sondern vereint in Lebenshaltung und Kultur der deutschen Landarbeiter, die schöner Harmonie die Auspowerung der Massen betreiben doch ihre Volksgenossen sind, erstreben. tönnen.
vermehrt wird.
Als ob wir eines größeren Maßes der Unzufriedenheit bedürften. Dafür, daß Unzufriedenheit in den Kreisen des ländlichen und des industriellen Proletariats weiter wuchert, forgen jene Herren am besten; da können wir uns ruhig ihrer Fürsorge anvertrauen; sie besorgen das so vorzüglich, daß jedes künstliche Mittel überflüssig ist.
Für den Kleinbauernstand, der nicht mehr produzirt Das ganz Verkehrte unseres Wirthschaftssystems zeigt Die Sozialdemokratie hat aber in ihrer bisherigen als selbst verbraucht, hat die Ablehnung des Handelsvertrages sich in dem Streben, worauf die ganze Debatte bafirt, daß Taktik nie die Politit der Bosheit befolgt, hätte sie für gar keinen Werth und die etwas mehr besitzenden Bauern haben, Gegenleistungen gewährt werden sollen, um in anderer eine solche Neigung, dann wäre freilich im gegebenen wenn überhaupt, nur einen so geringen Nugen vom Boll Form als durch Bölle die Preise für die nothwendigsten Moment die einzig richtige Tattit, gegen den Handels- trieg mit Rußland , daß es über alle Maßen frivol wäre, Nahrungsmittel in die Höhe zu treiben. vertrag zu stimmen; denn wir haben keinen Grund, uns damit eine Vertheuerung der Lebensmittel zu begründen. Das nennt man nationale Wirthschaftsvor einer Auflösung des Reichstages zu fürchten. Unsere Der Handelsvertrag hat den Vortheil, daß er den Ge- Politik. Erwägungen über das Für und Wider bei einer Vorlage lüften der Junker, innerhalb 10 Jahre eine Zollerhöhung werden aber lediglich beeinflußt von dem größeren zu erzwingen, ein Ziel setzt, was die Wuth dieser idealoder geringeren Vortheil, den dieselbe für die Arbeiter- veranlagten Seelen erklärt. Wir müssen für den Handelsklasse hat. vertrag troß Beibehaltung des noch immer viel zu hohen Getreidezolls stimmen, weil wir eine auch nicht befriedigende Besserung auf diesem Gebiet nicht von uns weisen können.
Der russische Handelsvertrag wird unzweifelhaft einen lebhafteren Export der industriellen Erzeugnisse Deutsch lands zur Folge haben. Die Aussichten wären noch bedeutend bessere, wenn Rußland einer gedeihlichen wirth schaftlichen Entwickelung entgegenginge, wozu gegenwärtig im Reiche des Baren und der Knute keine Aussicht vor handen ist.
Die Annahme des Handelsvertrages läßt sich nach dem bisherigen Verlauf der Debatte, wenn auch nicht mit voller Bestimmtheit, voraussagen. Von den Freikonservativen werden einige für den Vertrag stimmen, vom Zentrum, über deren Stellung man nicht ganz sicher war, erklärte der Steigender Export bedeutet für die Industriearbeiter Abgeordnete Lieber nach langen salbungsvollen Redensarten die Beschäftigung von tausenden auf die Landstraße ge- für die nothleidende Landwirthschaft, daß die eine Hälfte der drängten Arbeitslosen. Eine Verminderung dieser Bahl Bentrumsmannen für und die andere gegen ihn stimmen giebt den Arbeiterorganisationen neue Kraft im Kampf und wird. beffere Arbeitsbedingungen. Aber, wird mancher einwenden, Bei dieser Rede der Zentrumsleuchte wiederholte sich wie steht es mit dem Landarbeiter, hat der auch einen dasselbe Manöver, das die Partei seit langem übt, über Vortheil von dieser Handelspolitik? Der Landarbeiter ihre Stellung möglichste Unklarheit zu verbreiten. Sichtlich hat vom Handelsvertrage unserer Ueberzeugung nach weder hatte der Mann sich abgemüht, es seinem großen Meister Vortheil, noch Nachtheil. Ein Rückgang der Produktion Windthorst nachzuthun. Er benahm sich jedoch wie ein ist nicht zu erwarten, seine Arbeitskraft wird nach wie vor eitler Hausknecht, der seinem Herrn nachäfft. Mit etwas
Feuilleton.
Nachdruck verboten.]
Helene.
( Alle Rechte vorbehalten
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Sie waren in die untere Stadt, in ein Gewirr kleiner Häuser und ineinander laufender Straßen gekommen, als er sie plöglich mit einem Ruck in einen dunklen Thorweg hinein dirigirte.
" Wohin führen Sie mich?" fragte Helene erstaunt. Der Onkel lugte vorsichtig aus dem Versteck hervor. „ Sehen Sie ihn, da unten?"
" Ich sehe gar nichts."
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Da wartet er an der Ecke auf uns, aber da kannst Du lange warten," und lachend führte er sie durch das Haus, das einen zweiten Ausgang hatte, der auf ein kleines Plätzchen mündete, das steil abwärts nach der Kruggasse führte.
Es war ein altes enges Gäßchen und ein kleines dunkles Giebelhaus, in dessen Parterre sich das Café Keßler befand, von dem man unter diesen Lokalverhältnissen nicht erwarten fonnte, daß es sich als ein Raffeehaus modernen Stils präsentire.
Politische Leberlicht.
Berlin , den 1. März. Aus dem Reichstag . Vier lange Sigungen hat es bedurft, um die erste Lesung über den russischen Handelsvertrag zum Abschluß zu bringen und selbst diese lange Beit reichte nicht aus, um alle Parteien und Interessen= gruppen zum Worte gelangen zu lassen. So beschwerten sich heute der Führer der antisemitischen Reformpartei, sowie Dr. Sigl, daß ihnen durch den Debatteschluß die Gele genheit genommen sei, gegen den Vertrag ihr Sprüch lein aufzusagen. Ebenso hat von den Vertretern der Reichslande feiner das Wort erhalten.
Taß es so kam, daran trägt ausschließlich der unbezähmbare Redefluß der Rechten die Schuld. Nicht wenigerjals sieben fonservative Redner haben in diesen Tagen ihre Schleusen der Beredsamkeit über das Haus ergossen und nicht einer war darunter, der es unter einer Stunde gethan hätte. Freilich, wenn man den Gehalt dieser Neden mit ihrer Länge
Es konnte überraschend scheinen, daß sich hinter diesem Bewegung, um für sie Platz zu machen. Helene bat, färglichen Raum ein geräumiger Saal befand mit hübscher sich ihretwegen nicht zu bemühen, sie werde nach Hause Wandvertäfelung, mit Oberlicht und einem mächtigen Gas- zurückkehren. lüster versehen.
Aber da legte sich Frau Keßler ins Mittel und meinte, Herr Keßler hatte vor einigen Jahren seinen Hof über- auf der Gallerie, wo sonst die Musikanten fäßen, wäre noch decken lassen, und damit diesen Saal gewonnen, der sein Plag, nur einige Arbeiterinnen seien oben, und da käme Stolz und seine Freude war. sie wenigstens nur mit Weibsleuten ins Gedränge. Sie wintte Helene mit dem linken Zeigefinger zu sich und sagte mit Gönnermiene:
Hier pflegten die Internationale und die deutschen Sozialisten ihre Versammlungen abzuhalten. Sie waren öffentlich und Jedermann hatte Zutritt zu denselben.
Kommen Sie nur, Madamchen, Sie brauchen nicht einmal durch den Saal zu gehen."
Heute Abend stand ein Vortrag des Bürgers Ebner Helene nickte dem Onkel vergnügt zu und trippelte über Internationale Arbeitergesetzgebung auf der Tages- hinter ihrer Führerin her, die hölzerne Treppe hinauf, die ordnung. fie auf die Gallerie brachte.
Es war ein Thema, das damals in der Schweiz , das Einige Mädchen saßen da, die ihr freundlich Play eine fortgeschrittene Fabrikgesetzgebung hatte, vielfach ven- machten. tilirt wurde.
Als der rothe Postmeister mit Helene von der Straße aus die vordere Stube betrat, traf ein dumpfes Brausen ihr Dhr, es war das Stimmengewirr aus dem anstoßenden Saale.
Da haben wir heute die Bude voll," meinte der Postmeister zu Frau Keßler gewendet. " I da sind so Biele drin, daß sie kaum japsen fönnen," versicherte diese.
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Sie nahm die äußerste Ecke ein und konnte nun bequem den Saal übersehen.
Es waren zumeist deutsche und schweizer Arbeiter versammelt. Auch Arbeiterfrauen und einige ausländische Studenten hatten sich hier eingefunden.
Sie saßen dicht gedrängt an den Tischen oder begnügten sich mit einem noch bescheidener abgemessenen Stehplatz. Die Meisten hatten den Hut auf dem Kopfe und ein Glas Bier vor sich auf dem Tisch. Einige rauchten, Wollen' mal sehen." Als er aber die Thür aufriß, Alle beobachteten eine ernste, ruhige und zuwartende Hal Von der Kruggasse führte eine Glasthür, deren kleine purzelten sofort einige, die daran gelehnt standen, unter tung. Eben ließ man im Saal die Sammelbüchse für Scheiben durch rothe Vorhänge verhüllt waren, in einen lautem Lachen heraus und über ihn her. die Familien der Ausgewiesenen" zirkuliren. Es gab derlänglichen nicht allzu hellen Raum von einfachster Aus-" Da kommt nur mehr einer aus der vierten Dimen- zeit viel unschuldige Opfer in Deutschland und Tausende stattung, in welchem einige Tische und Stühle aufgestellt sion herein," versicherte ein hochgewachsener bulgarischer von Weibern und Kindern befanden sich im größten Glend, waren. Morgens und Mittags waren sie von Arbeitern Student, der vermöge seiner Größe stets für den Hinter weil ihre Ernährer oft binnen 24 Stunden den sicheren besetzt, denen Madame Keßler, die im Hintergrunde hinter grund bestimmt war. Als er aber den kleinen Postmeister Erwerb verlassen und von ihren Familien sich trennen einem großen Schanttische Posto gefaßt, eigenhändig Bier erkannte, der eine so hübsche Frau am Arme führte, fetzte mußten. und Kaffee tredenzte.
er fofort Stimme und Elboaen in ausgiebiger Weise in Helene konnte beobachten, wie Jeder und Jede der An