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1. Beilage zumVorwärts" Berliner Volksblatt. Nr. 31. Freitag, den 2. März 1894. 11. Jalzrg. V�rlsmenksverichte. Deutscher   Reichstag  . 60. Sitzung vom 1. März, l Uhr. Am Tische des Bundesraths: Graf von Caprivi  , von Marschall, von Bötlicher, Graf Posadowsky  , vonBerlepsch, Miquel. Die erste Berathung des Handels- und Schifffahrts- Vertrages zwischen dem Reiche und Rußland  wird fortgesetzt und zwar in Verbindung mit der Berathung des Antrages vor, K ar d or f f und Genossen wegen Erhebung von Zoll zu schlügen bei Valutadifferenzen. Abg. Hartmann(südd. Vp.) spricht als Vertreter des Klein- Bauern� und Bürgerstandes, der in Württemberg hauptsächlich vertre.'.en sei, sich für den Handelsvertrag aus. Die württem ber�'ischen Landwirthe haben nichts dagegen einzuwenden, daß ein Nieiiibegünstigungsvertrag auch mit Rußland   abgeschlossen wird, Nachdem solche mit andern Staaten abgeschlossen sind. Dadurch werde der Weltmarktpreis nicht alterirt werden und die kleinen Landwirthe haben bei der Futternoth des letzten Jahres gesehen, wie nothwendig die fremde Einfuhr ist. Die süddeutsche Volkspartei wolle die Annahme des Handelsvertrags nicht von der Aufhebung der Staffeltarife abhängig machen, obwohl diel selben Ausnahmetarife sind und eine Schädigung Süddeutschlands  herbeiführen können. Die Landwirthe in Württemberg und auch in andern süddeutschen Staaten besitzen nur kleine Grundstücke sie können meist Getreide kaum verkaufen; das ist nur einigen wenigen möglich und diesen allein käme der Schutzzoll zu gute Daß die russischen Produkte uns über den Hals kommen würden ist schwerlich anzunehmen; die Landwirthschaft wird einen besseren Absatz haben, wenn die Fabriken besser beschäftigt sind und die Arbeiter mehr verdienen. Besonders sollte man aber bedenken daß die Ermäßigung des Hopfenzolles für die Einfuhr nach Ruß land ein großer Vortheil für die kleinen Landwirthe ist, den man nicht so verächtlich von der Hand weisen sollte, wie es der Ab- geordnete Lutz gelhan habe.(Sehr richtig! links.) Es soll nicht be stritten werden, daß auch der württembergische Bauernstand unter dem Drucke der Zeit leidet; aber da spielen andere Faktoren eine Rolle als die Handelsverträge, namentlich die übergroße Militärlast, welche die Arbeitskraft der jungen Leute zu lange Zeit der Wirthschaft entzieht.(Sehr richtig: links.) Auch das Branntweinsteuer-Gcsetz schädigt die Landwirthe Süddeutschlands  . weil ihre Ausbeute bei der Branntweinbrennerei wegen ihrer einfachen Apparate so niedrig ist, daß sie eine Steuer nicht tragen können. Aenderungen aus diesem Gebiete sind viel noib wendiger als die Doppelwährung und andere Dinge. Die Aw nähme des Handelsvertrages wird zur Stärkung des Friedens beitragen. Abg. Graf Kanitz(dk.): Der Reichskanzler sagte in seiner vorgestrigen Rede. Ein so großes Land wie Rußland   läßt sich nicht difserenzireu. Das deckt sich vollständig mit meinen An- schauungen und ich bedaure nur, daß der Reichskanzler diesen Satz nicht schon im Dezember 1891 ausgesprochen hat; der österreichische Vertrag wäre dann nicht angenommen Rußland kann uns nur geringe Werthkonzessionen machen, weil es sich in einer ungünstigen Zahlungsbilanz befindet; seine 264 Millionen Rubel Schuldzinsen fließen fast ausschließlich ins Ausland ab und neben diesem Geldabfluß kann Rußland   eine starke Einfuhr nicht mehr decken. Ein armes Land hat eine schwache Einsuhr und eine starke Ausfuhr. Rußland   hat eine Mehrausfuhr von 800400 Millionen Rubel. Diese Mehraus fuhr muß Rußland   haben, um seinen Verpflichtungen nachzu kommen. Darum bm ich von Anfang an ein Gegner einer Vertragspolitik gewesen. Daß Rußland   der einzige Staat ist, mit dem wir keinen Handelsvertrag haben, wie es in der Begründung heißt, ist nicht richtig; es sind verschiedene Staaten: Schweden  , Norwegen  , Dänemark   u. s. w. ohne Handelsvertrag, denen wir trotzdem die Meistbegünstigung aus Liberalität eingeräumt haben. Der Reichskanzler hat früher nur die Höste dessen angegeben, was wirk lieh an Ausfällen entstehen wird, namentlich wenn der russische Vertrag hinzutritt. Die Freunde des Vertrages sollten also demselben nicht eher zustimmen, als bis sie die Steuerquellen bezeichnet haben, um den Ausfall zu decken.(Zuruf: Liebes gaben!) Der Vertrag ist eigentlich gar kein Verlrag.(Heiter­keit.) In Artikel 5 heißt es für die Durchfuhr, daß sie frei sein soll, soweit es sich nicht um Wege handelt, die verschlossen sind oder verschlossen werden; Einfuhrverbote dürfenaus schwer wiegenden" Gründen erlassen werden. Natürlich entscheidet immer der betreffende Kontrahent selbst, welche Durchfuhrwege er verschließen will und welche Gründe schwerwiegend sind. Wenn z. B. die oberschlesische Blechfabrikation den russischen Fabrikanten zu große Konkurrenz macht, dann erläßt die russische   Regierung ein Einfuhrverbot. Die Einsuhr von Kohlen und Koaks kann Rußland   nicht verbieten, ohne sich selbst zu schädigen. Deshalb hat es sich eine Zollerhöhung dafür vorbehalten. Die russischen Unterhändler haben sich gegen die zeh-jährige Dauer des Vertrages gesträubt, weil lange dauernde Verträge einem gesunden Schutzzoll-System wider­spreche»; denn niemand könne auf eine Reihe von Jahren voraussagen, ob der Zoll hinreichend schützen wird. Was nützt der Artikel 4, der die Aktiengesellschaften als Rechtspersonen an erkennt, aber es von den Landesgesetzen abhängig macht, ob sie zum Gewerbebetriebe zugelassen werden? Eine Aktiengesellschaft will doch ein Gewerbe treiben. Die russische Presse verkündet es laut, daß Rußland   beim Vertrage ein gutes Geschäft gemacht hat. In eigenthnmlichem Gegensatz dazu steht d,e überirieben ünstige Aufnahme des Handelsvertrages seitens der deutschen  rcihändlerischen Presse. Ich möchte doch vor all zu großen Hoff- nungen warnen; denn von einer Wiedererlangung des alten Ab fatzes nach Rußland   kann nie und nimmer die Rede sein. Die Zölle bleiben immer noch prohibitiv. so z.B. für Roheisen 59 M. pro Tonne, bei einem Werlhe des Roheisens von etwa 43 M. ein Zoll von mehr als 100 pCt. des Werthes. Welchen Werth hatte denn die Ermäßigung des österreichischen   Roheisen- zolles, die damals als die größte Errungenschaft bezeichnet wurde? Gar nichts ist auf diesem Gebiete erzielt worden gegen über der österreichischen Konkurrenz. Die Ermäßigung der russischen Schienenzölle auf 98 M. bei einem Werlhe der Schienen von 90 M. bedeutet ebenfalls die Prohibition. Unsere Unter- Händler sind daran nicht schuld; sie haben alles erreicht, was zu erreichen war. Ich möchte nur im Voraus warnen vor übertriebenen Erwartungen. Bezüglich der deutschen   Kon- Zessionen muß ich zunächst darauf aufmerksam machen, daß als geltender Tarif der Tarif vom l. Februar 1892 be- zeichnet wird. Das ist nicht richtig; dieser Tarif ist ein Konventionaltarif, während unser eigentlicher Tarif daneben weiter besteht, namentlich nach Ablauf des Vertrages oder, was ich hoffe, wenn derselbe vorher aufgehoben wird. Ich muß be- streiten, daß die Lage der deutschen   Landwirthschaft durch den Vertrag nicht verschlechtert wird. Wir werden durch den russischen Handelsvertrag eine große Einfuhr zu billigen Preisen zum Schaden der deutschen   Landwirthschaft haben, namentlich zum Schaden des Ostens. Graf Bernstorff wird seine Behaup- tung, daß der hannoversche Bauernstand den Vertrag über sich ergehen lassen kann, wohl nicht aufrecht erhalten, wenn er den Roggen so billig verkaufen muß, daß er noch 50 Mark auf die Tonne drauf legt.(Gelächter lmks.) Wenn die Herren in Hannover   das nicht nöthig haben, so liegt das daran, daß sie weiter von Rußland   entfernt wohnen. Bei uns liegt es so, daß ein weiterer Preisdruck die Landwirthschaft vollständig ruinirt. In Ostpreußen   sind in den letzten zwei Jahren zwangsweise versteigert worden 78 000, in Westpreußcn 96 000 Hektar, in Westfalen   dagegen nur 4000 und in Rheinland  6000 Hektar. 1891 wurden in Ostpreußen   15 600 Hektar, in Hannover   nur 1500 Hektar zwangsweise versteigert. Dabei'sagt das Statistische Amt, daß viele freiwillig verkaufen, ehe sie Zwangs- weise von ihren Gütern entfernt werden, daß die Gläubiger viele Besitzer halten, weil sie bei der Zwangsversteigerung Ver- luste befürchten. Diese Zahlen scheinen dem Reichskanzler be- dauerlicherweise unbekannt zu sein. Wenn er sich danach ein Bild machen wollte, er würde schwerlich Handelsverträgl abgeschlossen haben. Wenn ein Preisdruck eintritt, werden seh, viele Landwirthe dem Ruin verfallen, namentlich der Bauern� stand wird zu Grunde gehen, mag der russische Vertrag hinzu kommen oder nicht.(Sehr richtig! rechts.) Wir haben die Handelsvertrags-Politik von vornherein bekämpft; nachdem die Verträge zu stände gekommen waren, wollten wir uns aus diesen Boden stellen, wenn die Regierung uns schadlos hält. Wir haben auf die Währungssrage verwiesen. Der niedrige Silber- preis hatte den Charakter einer Exportprämie. Warum wurde die Währungsenquete nicht schon früher einberufen? Wenn der Vertrag jetzt zu stände kommt, sind wir nicht sicher, daß aus dem Gebiete der Währungsfrage etwas zu stände kommt.(Zuruf links: Gott sei Dank!) Wenn die Handelsverträge 10 Jahre in Kraft bleiben, werden viele unserer Berufsgeuossen ruinirt sein, ein großer Thei! unserer braven Landleute wird durch den Exekutor von der Scholle vertrieben sein. Es handelt sich um einen Kampf auf Leben und Tod. Sonst wird im Kriege das Privaleigenthum geschont; hier aber wird der Besiegte von Haus und Hof ge- trieben.(Widerspruch links.) Das ist die Situation, in welcher wir uns befinden; die Handelspolitik wird uns mehr kosten, als ein unglücklicher Feldzug. Meine Ueberzcugung ist, daß sobald wie möglich mit allen diesen Handelsverträgen gebrochen werden muß, daß wir unsere Handelspolitik in völlig neue Bahnen lenken müssen.(Lebhafter Beifall rechts.) Wir wollen keine Handelsverträge von lOjähriger Dauer, wir wollen uns nicht die Hände binden lassen.(Lebhafter Beifall rechts.) Staatssekretär v. Marschall: In dem Vorredner finde ich einen radikalen Gegner aller Handelsverträge: aber in eineni Punkte finde ich eine Brücke zur Verständigung. Der Vorredner ist auch ein Gegner aller Differentialzölle und da bietet sich hier eine gute Gelegenheit, sich als konsequenter Mann zu zeigen und ich hoffe immer, daß der Vorredner seine Stimme gegen die Beibehaltung der Differentialzölle gegenüberRußland abgeben wird. Es wäre der größte Fehler gewesen, mit Rußland   einen Vertrag auf eine geringere als eine zehnjährige Periode abzuschließen; denn weil die Zölle sehr hohe sind, müssen wir eine größere Garantie für d,e Dauer haben; ein Vertragsabschluß auf kürzere Zeit hieße mit der einen Hand etwas geben, mit der andern etwas nehmen. Auf welcher Grundlage soll die Berechnung der Zollausfälle aufgestellt werden? Wenn wir wirklich mit russischen Erzeugnissen überschwemmt werden, dann wird gar kein Ausfall, sondern eine Mehreinnahme entstehen!(Sehr richtig! links.) Das eine oder das andere muß falsch sein. Entweder entstehen Mindereinnahmen, dann kann keine Ueber- schwemmung mit russischen Erzeugnissen erfolgen, oder es ent- steht eine Ueberschwemmung mit solchen Erzeugnissen, dann könnte keine Mindereinnahme eintreten. Die Mindereinnahme rührt nicht aus dem Handelsvertrag, aus der Herabsetzung der Zölle her, sondern aus der Mindereinfuhr überhaupt mfolge der guten Ernte. Der Vorredner meint, der vorliegende Vertrag sei eigentlich kein Vertrag. Die Bestimmung über das Einfuhrverbot aus schwerwiegenden Gründen" ist von unserer Seile ausgegangen. um eine sanitäre Gefahr von uns abzuwenden. Hicrhat die Regierung aber besser für die Landwirthschaft gesorgt als Graf Kanitz für nöthig hielt. Daß die russische Presse von großen Erfolgen spricht, ist selbstverständlich; aus industriellen Kreisen klagt man aber über den Ruin der russischen Industrie infolge des Vertrages. Wenn ein Export von Roheisen zc. nach Rußland   unter den frühere» höheren Zöllen möglich war, dann wird er zu er- mäßigten Zöllen erst recht möglich sein. Wenn der Vorredner auf die deutschen   Roheiseupreise verwiesen hat, so verweise ich aus die Produklionsbedingungen in Rußland   überhaupt. Wenn Roheisen mit hohen Zöllen belegt wird, so muß die Einfuhr von Eiseusabrikaten noch lohnend sein. Rußland   ist angewiesen auf eine große Einfuhr von Maschinen, namentlich für die große sibirische Eisenbahn, deren Bau zehn Jahre erfordert. Einen Beweis für den Ruin der Landwirthschaft hat der Vor- redner nicht vorgebracht. Preußischer Finanzminister Miquel: Herr Gras Kanitz hat an diejenigen, welche für den Handelevertrag stimmen, den Apell «richtet, daran zu denken, daß die Einnahme-Ausfälle an Zöllen urch Steuern zu decken sein würden; er hat sich auf mich be zogen, daß infolge der Handelsvertragspolilik sich die Zofr einnahmen um etwa 35 Millionen vermindern würden. Darin kann ich ihm nur vollständig beitreten, sofern wirklich eine wesend liche Verminderung der Reichseinnal men eintritt, wird Für sorge für den Ersatz derselben du.ch andere Einnahme­quellen getroffen werden müssen.(Sehr richtig! rechts.) Wenn man aber die Wirkungen des russischen Handelsvertrages auf die Finanzen des Reichs untersucht, wird man doch die Gefahr für die Reichefinanzcn nicht so groß ansehen können, wie es der Gras Kanitz gelhan hat. Es ist vollkommen zu- treffend, daß ohne Rücksicht auf den Einfluß der Handelsverträge und die zukünstige�Einfuhr man auf etwa 35 Millionen Zoll- ausfall de kommt. Welchen Einfluß die Handelsverträge haben werden auf die Vermehrung der Einsuhr und in welchem Maße durch die Vermehrung der Einsuhr dieser Einnahmeverlust gedeckt werden kann, wird wohl niemand von uns mit einiger Sicherheit agen können.(Sehr richtig! rechts). Zweifellos korrespondirt eine Zollherabsetzung mit einer Vermehrung der Einfuhr wenigstens bei einer Reihe von Artikeln. Am wenigsten ist dies im großen und ganzen vielleicht zu befürchten oder zu erwarten bei der Einfuhr von Getreide, welches eine vom Zollsatz von 1,50 M. unabhängige Konsumtions-Nothwendigkeit mit sich führt. Wird der russische Handelsvertrag nicht abgeschlossen, bleibt der beutsch-österreichischen Handelsvertrages nicht ein Vertrag Oesterreich   gewesen ist, sondern ein Vertrag mit den wesentlich aus dem Gebiet der Gelreideproduktion konkurrirenden Staaten, daß dieser Vertrag im großen ganzen die deulschen Grenzen geöffnet hat, für die Einfuhr des Getreides der ganzen Well, vorläufig mit Ausnahme von Rußland  , zu einem Zollsatz von 3,50 M., o kann die Wirkung des Zollvertrages mit Rußland   aus finan- ziellem Gebiet zwar möglicher Weise sich dahin ge- kalten, daß die russischen Importeure gezwungen sind, de» höheren Zoll zu bezahlen ohne wesentliche Einwirkung aus die Preisgestaltung im Innern oder aber, daß der Import»on russischen Zollartikeln, von russischem Getreide überhauptfür die Inner ausgeschlossen wird. Die Entscheidung in dieser Frage ist nach der Ueberzeugung der Staatsregierung bereits gegeben; sie wurde gegeben beim Ab­schluß des österreichischen Vertrages.(Sehr richtig!) Die heute noch erörterten Fragen, ob es rathsam ist, Handelsverträge auf längere Dauer abzuschließen, welche Vorbehalte dabei zu machen sind, sind ebenfalls damals definitiv entschieden worden, wir haben also eigentlich gar keine Veranlassung mehr zu weiterer Erörterung. Da der österreichische Handelsvertrag die Gleich- begünstigung für Amerika  (Widerspruch rechts), England, Holland  , Belgien  , Argentinien   mit sich brachte, so unterstehen die Preise in Deutschland   der entscheidenden Einwirkung des Weltmarktes. Ja, sagt man, aber mit Ausnahme von Roggen. Dasür lassen sich vielleicht einige Argumente anführen. der Zollverwaltung war man, ich sage das ganz offen. von vornherein der Meinung, daß zwar auf einige Jahre bis zu einer gewissen Grenze die differentielle Behandlung Rußlands   betreffs des Roggens aufrecht erhalten werden könnte, daß es aber auf die Dauer dem Handel in seiner außerordentlichen Beweglichkeit gelingen würde, nachdem wir im Wesentlichen unsere Grenzen geöffnet haben, auch für Roggen die Differenzirung illusorisch zu machen. Hiernach hat die Frage, ob dieser Vertrag abgeschlossen werden soll, für die Land- wirthschaft auf die Dauer die Bedeutung nicht, die ihr so viele Herren beilegen. Aber könnten wir wirklich die Differenzirung dauernd durchführen und könnte uns auch der Handel kein x für ein U machen, so sind doch andere Staaten genug vornan- den, um den nöthigen Roggen für Deutschland   zu liefern. Ru- mänien, die baitischen Provinzen, selbst Amerika   wurden sich dann auf die Produktion von Roggen legen und die Lage für die Landwirthschaft bliebe dieselbe. Man hat betont, daß bisher keiner der Redner vom Bundesrathstische oder von der Reichs- regicrung sich nnt der Nothlage der Landwirthschaft beschäftigt hat. Ich bekenne ganz offen, daß die Worte des Grafen Kanitz vollständigen Widerhall im" Herzen und in der Ueberzeugung nicht nur der preußischen Regierung(Lebhafter Beifall rechts). sonder» auch der übrigen Regierungen und der Reichsregierung finden.? Ich bekenne mich nicht blos persönlich, sonder« namens der preußischen Staalsregierung(Lebhafter Beifall rechts) und sicher auch namens der Reichsregiernng dazu, daß wir die ge» fährdete und peinliche Lage der Landwirthschaft in allen europäischen   Kulturländern in vollem Maße anerkennen, daß wir sie in hohem Grade auch in Deutschland   finden, nicht blos im Norden und Osten, daß sie aber im Norden und Osten nicht blos eme peinliche und gefährdete ist, sondern mehr oder weniger schon dm Charakter einer Nothlage annimmt(Zustimmung rechts). Die preußische Regierung ist davon vollständig durchdrungen, daß es Aufgabe der nächste» Jahrzehnte sein wird, mit voller Fürsorge und Aufmerksamkeit diese Lage nicht blos zu beobachten, sondern auch wirksam ihr entgegenzuarbeiten(Beifall rechts). Aber trotz dieser Ueberzeugung der preußischen Regierung hat sie doch nicht anders konkludiren können, als daß aus der gegebenen Lage heraus sie mit voller Ueberzeugung diesem Vertrage ihre Zustimmung gab. Graf Kanitz hat diese Lage eme Zwangslage genannt; er meint, bei 3,50 M. Zoll wird die Landwirthschaft zu Grunde gehen, gleichviel, ob Riißland hinzu­tritt oder nicht. Es ist völlig zutreffend, daß eine Zwangslage vor- banden war selbst für diejenigen, die ursprünglich nicht auf dem Boden der Verträge standen. Alle diese Fragen waren ent- schieden, als die Reichsregierung, die verbündeten Regierungen und der Reichstag   die Grundlagen der Zollvertragspolibik akzeptirt hatten. Nun standen wir vor der Frage: Ist es möglich, auf die Dauer die differentielle Behandlung eines einzigen großen Nachbarstaates aufrecht zu erhalten? Diese Frage allein steht zur Entscheidung. Die politische Seite der Sache hier zu be­rühren ist meine Aufgabe nicht, das ist auch schon ausgiebig von >erer Seite geschehen; Jeder kann sich darüber eine Meinung bilden. Schon als der Vertrag mit Oesterreich   abgeschlossen war, wurden viele Stimmen laut, welche schon damals es für völlig selbstverständlich erklärten, daß man Rußland   denselben Getreidezollsatz zugestehe, weil die differentielle Behandlung aus die Dauer undurchführbar sei. Die Reichsregierung hat Rußland   den Konventionaltarif nicht ohne weiteres ewährt, sondern sie hat erhebliche Konzesstonen für Industrie, für Handel und Schifffahrt zu erreichen gesucht. )eehalb konnte keine Regierung trotz aller Rücksicht auf die Landwirthschaft einen Zustand aufrecht erhalten, der weder politisch noch wirthschaftlich auf die Dauer durchzuführen war. Wenn ich mich infolge meiner Amtsthätigkeit und meiner sonstigen Berührung mit wirthschaftlichen Verhältnissen nichr blos mit Guisbesitzern sondern auch mit Bauern unterhalte, dann können Sie wohl glauben, daß ich mir wohl überlege, ob eine schwere Schädigung der Landwirthschaft entsteht. Denn dieser Vertrag berührt diejenigen Provinzen, die an und für sich schon schwer getroffen sind. Wenn in Kannover die Schuldenzinsen 19 pCt. des Ertrages ausmachen, 60 pCt. und in Ostpreußen   43 pCt., so muß daß die Nothlage im Osten am schlimmsten ist. rechts.) Aber die Herren suchen die Heilung an.. Punkte; sie glauben eine Besserung durch Ablehnung des Ver- träges zu erzielen. Der Zollkrieg mit Rußland   hat das Gegen- theil bewiesen. Ich habe die Hoffnung, daß nach Abschluß des Vertrages die schweren Sorgen und Befürchtungen sich nicht be- Wahrheiten werden. Die Erfahrung wird das darthun und ich hoffe, daß dann auch die starken Gegensätze, welche sich ent- wickelt haben und die sich weiter zu entwickeln drohen, was ich für ein großes Uebel halten würde, wieder verschwinden werden, und daß man sich mit den gegebenen Thatsachen abfindet. Graf Kanitz hat von einem Kampf auf Tod und Leben der Landwirthschaft gesprochen. Man kann von einem solchen Kampf sprechen: denn aus keinem Gebiet hat die neuere Entwickclung gefährlicher für die europäischen  Verhältnisse gewirkt wie aus dem der Landwirthschaft. Durch die Erleichterung aller Verkehrsmittel und die große jftzn- kurrenz aller Länder und trotz des Schutzzolles, der nach meiner Meinung nur eine sekundäre Rolle spielt, sind die Preise in stetem Sinken und man muß die Befürchtung hegen, daß wir noch nicht am Ende der sinkenden Bewegung sind. Aus anderer Seite sind die Produktionskosten gestiegen. Aus diesen allgemeinen Gründen resultirt die schwierige Lage der landwirthschaft. Gegen diese große Wellenbewegung des wirthschaftlichen Lebens muß man ankämpfen. Eine intensivere Wirthschaft. eine Verbesserung der Verkehrsmittel, Landesmeliorationen, gute landwirichschaftliche Schulen, Verbesserung der Kreditverhältnisse, Verbesserung der Gesetzgebung, welche die Bewegung des Grund und Bodens regelt, solche Maßregeln müssen im Auge behalten werden. In diesem Sinne kann ich den AusdruckKanips auf Tod und Leben" nicht zurückweisen, aber wohl muß ich ihn zurückiveisen in bezug aus diesen Vertrag, der die Bedingungen für die Lage der Landwirthschaft nicht verändert. Preußischer Landwirthschastsminister von Heyden: Ich schließe mich den Ausführungen des Vorredners vollständig«n. muß sie aber ergänzen in einem Punkte. Er sprach von dem Interesse der preußischen Regierung an der Landwirthschaft« Das erregte das Mißfallen auf der rechten Seite; es wurde ge- sagt, nur Preußen. Ich muß der Wahrheit die Ehre geben: Als 1891 die Fürsorge für die Landwirthschaft ins Auge gefaßt wurde, da wurde die angestellte Untersuchung veranlaßt und ge» billigt von dem Herrn Reichskanzler. Abg. von KoseielSki wünscht namens der Polen   eine Kommissionsberathung. Die Polen   haben die Handelspolitik der Hannover  in Posen aber man zugeben, (Zustimmung einem falschen