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Nr. 52. 32. Jahrgang.
I JStilnjt i>tsPonnürtä" Aerlimr goMiili
Sonntag, 21. kebrnar 1915.
Der winterfelözug in Ostpreußen  .
Au? dem Grstzeu Hauprquartier wird uns geschrieben: e>eil Monaten waren unsere unter den Befehlen des Generals ti. Below in Ostpreußen   stehenden Truppen aus verteidiaungsweises Verhalten angewiesen. Aus 50 Proz. Landwehr-, 22 Proz. Land- stürm- und 22 Proz. anderen Truppen zusammengesetzt, verteidigten diese Truppen die Lande östlich der Weichsel  , vor allem die Provinz Ostpreußen   erfolgreich gegen einen mehrfach überlegenen Feind, dessen Aärke in sechs bis acht Armeekorps anfangs Februar noch etwa rund 200 000 Mann betrug. Die nu- merifche Ueberlcgenheit der Russen war auf diesem Kriegsschauplätze eine so große, daß die deutschen Truppen starke natürliche Stellungen aufsuchen mutzten, die sich an den großen masu- rischen Seen und hinter der Angerapp-Linie an- boten. Das Land zwischen diesem Gebiet und der Grenze mutzte dem Feinde überlassen wer- den. In wiederholten Angriffen versuchte dieser sich in den Besitz der befestigten Stellungen der Deutschen   zu setzen. Trotzdem er hierzu stets an .zahl überlegene' Kräfte aufbot, wurden alle seine Angriffe, die sich mit Borliebe gegen den Brücken- topf von Darkehmen   und den rechten deutschen Flügel auf den Paprodtker Bergen richteten, stets abgeschlagen. Bis zur Brust in Wasser durch- wateten am ersten Wechnachtsfeiertag Teile des III. sibirischen Korps das Sumpfgelände des Nietlitzer Bruchs. Ihr Angriff wurde ebenso ab- gewiesen, wie die noch im Januar und Februar gegen den linken deutschen Flügel versuchten Offensivunternehmungen. Anfangs Februar war endlich die Zeit ge. kommen, wo frische deutsche Kräfte verfügbar wurden, um nach dem oftpreutzischen Kriegs- ichauplatz gebracht und dort zu einer umfassen- den Bewegung gegen die Russen eingesetzt zu werden. Das Ziel dieser Operation war neben dem in echter Linie cchtvebten Waffenerfolge die Säuberung deutschen Gebiets von dem russischen Eindringling, der hier schrecklich gehaust hatte. Wohl vechchleiert durch die deutschen Stellun- gen und Grenzschutztruppen und sorgfältig vor- bereitet vollzog sich in den echten Februartagen hinter den beiden deutschen Flügeln die Per- sammlung der zur Offensive bestimmten Truppen. Am 7. Februar trat der eoüdslügel zum Angriff an, etwas später setzte sich die Nordgruppe diese aus der Gegend von Tilsit in Bewegung. Die Erde war mit Schnee bedeckt und scharf durchfroren, alle Seen waren von dickem Eile dedeckt. Am 2. Februar war außerdem erneuter Schneefall eingetreten, der das ganze Gelände mit einer außerordentlich kchhen Schneedecke über- zog; endlich setzte unmittelbar nach diesem Schneefalle erneut Frost und mit ihm ein eisig- kalter Wind ein, der an vielen Stellen zu den närliten Schneeverwehungen führte und damit den Verkehr aus Bühnen und Straßen ganz be- sonders erschwerte, ja den Kraftwagerwerfehr gänzlich ausschloß. Die deutsche Führung hatte sich aber auf die besonderen Schwierigkeiten eines Winterfeld- zuges wohl vorbereitet. Die Truppen waren mit warmer Bekleidung ausgestattet. Tausende von Schlitten, Hunderttausende von Schlittenkufen waren bereitgestellt worden. Um an die feind- lichen Hauptkräste heranzukommen, hatte der deutsche Südflügel zuerst die 40 Kilometer tiefe Waldzone des Johannisburger Forstes und dann den Piffeck zu überschreiten, der den Ausfluß dcS Spirdingsees bildet und auf russischem Gebiete als Pissa dem Narew zustrebt, in den er zwischen tlomza und Ostrolenko mündet. Ter Feind hatte sowohl im Walde seine Verhaue angelegt als auch die Pisseck-Uebergänge besetzt und befestigt. In Johannisburg   und Lialla lagerten stärkere rufst- fche Truppen, In einem der von ihnen befehlen Orte war für den Sonntagabend ein Tanzfeft angekündigt, als gerade an diesem Tage völlig
überraschend für die Truppen sowohl als die Führung die deutsche Offensive einsetzte. In aller Stille brachen sich die beut- scheu AngrifsSkolonnen ihre Bahn und gewannen am Nachmittag Fühlung mit dem Feind. Die jungen Truppen des Generals von Litzmann   erzwangen sich am Zlackzmittag u>ii> in der Nacht zum 8. bei Wrobeln den llebergang über den Pisseck. Trotz stark verschneiter
Wege und heftigen Schneetreibens, das den ganzen Tag anhielt und die Bewegungen erheblich verzögerte, haben Teile dieser Truppen an diesem Tage 40 Kilometer zurückgelegt. Die kämpf- erprobten Truppen des Generals v. Falck waren an diesem Tage bis dicht an Johannisburg   heranHekommen und nahmen Enopten im Sturm, wobei dem Feinde die ersten Gefangenen(2 Ofsizicrc, 420 Mann) und 2 Maschinengewehre abge- nommen wurden. Am nächsten Tage setzten die deutschen Truppen den Kampf um die Gc- winnung des Pisseck-Abschnittes fort. Tic süd­liche Kolonne des Generals v. Litzmann   war ge­rade im Begriffe, bei Gehsen das östliche Fluß- user zu betreten, als sie plötzlich in ihrer rechten Flaükc vom Feind angegriffen wurde, der aus Kolno   gekommen war. Sofort wandten sich die deutschen Truppen gegen diesen Gegner und warfen ihn wieder dorthin zurück, umher er ge- kommen war. 200 Gefangene, 5 Geschütze, 2 Wa- schinengavohrc, zahlreiche MunitionSwagcn und sonstiges Material blieben in der Hand der Teul- schen. während die Nachbarkolonne an diesem Tage bei Wrobeln 000 Gefangene inacküe und General Falck Johannisburg erstürmte, das von zwei russischen Regimentern verteidigt wurde. Hier verlor der Feind 2200 Gefangene, 8 Gc- fchütze und 12 Maschinengewehre. Die Pisseck-Linie war am 8. Februar in deutscher Hand. Am 9. begann der Vormarsch auf Lyck, Bialla   wurde iwck an diesen Tagen von den Russen gesäubert. Wiederum fielen 300 Russen in deutsche Gefangenschast. Indessen war auch der Nordflügel nich! müßig geblieben. Die hier zum Angriff bestimmten Truppen hatten sich zunächst in den Besitz der befestigten Stellung dcS russischen rechten Flügels zu setzen, die sich von«pullen aus zum Schoreller Forst uud von dessen Nordsaum fast bis zur russischen Grenze erstreckten. Für den Angriff gegen diese Stellungen, die mit Drahthindernissen wohl per- sehen waren, war der 9. Februar in Aussicht gc- nommen. Als sich aber beim Feinde Aitzeichen rückgängiger Bewegungen bemerkbar machten, schritten die Truppen, obwohl sie zum Teil weder über ihre Maschinengewehre noch über ihre ganze Artillerie verfügicn, schon am Ziachmittag des 8. Februar zum Angriff. Am 9. Februar waren die feindlichen Stellungen genommen; der Feind ging in südöstlicher Richtung zurück. Die deutschen Truppen folgten in Gcrvaltmärschcn. Trotz der allergrößten Schlvicrigkeitcn, die diesen Märschen die Naturgewalten entgegenstellten, er­reichten die deutschen Marschkolonnen am 10. die Linie Pillkallen WladiSlawow und am 11. die große Straße Gunrbinnen Wylkowyszki. Der rechte Flügel hatte bis zur Einnahme von Stalin  - pönen fast 4000 Gefangene gemacht, 4 Ma­schinengewehre und 11 Munitionstvagcn ge nommen. Die Mitte zählte bei der Wegnahme von Eydtkuhnen   Wirballen und Kibarty   10 000 Gefangene, 6 genommene Geschütze, 8 Ma­schinengewehre und erbeutete außerdem zahl. reiche Bagagewagen darunter allein 80 Feld­küchen, 3 Militärzüge, sonstiges zahlreiches rollendes Material, Massen von russischen Liebes­gaben und was die.Hauptsache war, einen ganzen Tagessatz Verpflegung. Beim linken Flügel endlich wurden 2100 Gefangene gemacht und 4 Geschütze genommen. Bis zum 12. Fe- bruar, an welchem Tage unsere Truppen, nun­mehr schon ganz auf russischem Boden, Wiztoiiih, Kalwarja und Mariampol besetzten, hatte sich die Zahl der von den Truppen des Nordflügcls g- nommenen Geschütze auf 17 gesteigert. Tie russische 73. und 28. Division waren bis zu diesem Zeitpunkte so gut wie vernichtet, die 27. Division aufs schwerste geschädigt. Der vor der Angerapplinic und den Acsesli- gungen von Lotzen gelegene Gegner hatte in- zwischen gleichfalls den Rückzug in östlicher Riä-
wie eln Jelöherrnantlitz ausfleht. DieFriseurgehilfen-Zeitung" enthält folgenden Beitrag zu: Kulturgeschichts des 20. Jahrhunderts: Der Friseur hat beim Rasieren und Haarschneiden überaus günstige und reichliche Gelegenheit, um die verschiedensten niännlichen Gesichts- und Kopfformen zu beobachten. Tie gleiche Gelegenheit haben die Damenfriseure zur Betrachtung dieser Formen beim weib- lichen Geschlecht. Sie sind auf diese Beobachtung angewiesen, um durch die Art des Haar- und Bartschnitts der Frisur die rechte Form zu geben, die erforderliche Uebereinslinimung herbeizuführen. Nicht minder der Theaterfriseur, wenn er auch nur die einfachsten thpischen Charaktermasken icharf und sicher herausarbeiten, sie lebenswahr er- scheinen lassen will, anstatt einfach nach Schema? zu schminken. Aber die Gelegenheit zu solcher Beobachtung tut es nicht allein. Vorab gehört dazu eine gewisse Beobachtungsgabe, etwas Scharfsinn, dann aber auch bestimmte Kenntnisse, je nachdem die Beobachtung wissenschaftlichen, künstlerischen oder handwerkerlichen Ztvecken dienen soll. Es ist leicht möglich, daß wenn ein Künstler sein Modell außer in den Sitzungen mehrmals so beobachten tonnte wie der Friseur seine Kunden, wenn er den Menschen in seinen gewohnten Be- wegunaen sähe, sich sein Werk lebendiger gestalten würde. Allein die Wiedergabe der empfangenen Eindrücke scheint dem Schriftsteller kaum weniger Schwierigkeiten zu bereiten als dem Künstler oder dem Theaterfriseur. Dafür mag die folgende Schilderung als Beweis dienen, die Wilhelm S ch m i d t b o n n als Kriegs- berichterstatter des»Berliner Tageblattes" in einem Bericht der Abend- ausgäbe desselben vom Donnerstag, den 14. Januar, gegeben hat. »...Bald sitze ich unter deutschen Offizieren am Abendtisch____ Ich sehe staunend und ehrfürchtig immer wieder in diese Ge- sichte t*), jedes anders, in jedem aber diese hellen, gradansehenden Augen, aus jedem Mund die unschwankenden Stimmen, jede Stirn in der Denkarbeit von Jahrzehnten zu diesen harten, wuchl- vollen, aufgewölbten Gebilden gefügt. Das künstlerischste, möchte ich sagen. Feldherrnantlitz sieht aus dem Gesicht des Generals V. K. selbst heraus. Goethisch senkrecht und hell unter vor- gedachter Stirn stehende Augen, die heiter um sich sehen, hinter
*) Tie Unterstreichungen machten wir. T. Red. der
kantigen Backenknochen eingegrenzt. Das Kinn so hart, daß ich nicht das Wort Eisen gebrauchen möchte, sondern anschauend immer an das durch die Jahrlausende bleich gehärtete Holz denken mutzte, ivie man es in Museen an den erhaltenen Pfählen cäsarischer Rhein  - brücken sehen kann. Wie atmet es sich gut, hier unter den Wagenden!" Unter der großen Zahl von Berufsgenossen, die häufiger Offizier- kundschaft bedient, ist sicherlich nicht ein einziger, der mit solchen Augen einmal ein Fcldherrnantlitz gesehen hat. Mögen böse Zungen den Friseurgehilfen nachreden, daß sie die Kunden ihrer Meister nur daraufhm ansehen, ob sie Trinkgeld geben und sich zum Kauf von irgendwelchen Toiletteartikeln bewegen lassen. Gewiß, das gehört nun einmal zun, Geschäft. Doch den jungen Friseurgehilfen, der zum ersten Mal in einem besseren Geschäft seine Tätigkeit aufnimmt, den durch- schauert schon bange, ehrfurchtsvolle Erwartung, sobald er die Namen der adligen Abonnenten auf der Liste gesehen hat. Wenn dann gar erst der Chef seine Offizierkundschast empfängt, einen nach dem andern nnt einemHabe die Ehre, Herr Baron" oder auch nur»Herr Ritt- meister",»Herr Oberleutnant", und der Gehilse sich plötzlich den Herren gegenübersteht, da wird er bis über die Lhren rot vor Ver- legenheit und muß dennoch genau aufpassen, damit er die Kunden das nächste Mal wiedererkennt, sich ihre besonderen Ansprüche merkt, und um. später das rechte Fach zu finden, worin ihre Utensilien verwahrt sind. Er steht noch völlig unter dem Banne der Uniformen, der adligen Namen und der selbstbewußten Persönlichkeiten ihrer Träger. Die Gewohnheit stumpft zwar bald ab; aber selbst wenn das Gefühl der Bewunderung in manchen Fällen durch minder edle Gefühle ver- drängt wird, so bleibt doch der Respekt. Nun haben wir ja schon off blutgefüllte Gesichter von Offizieren gesehen, mitunter gar eine leicht blutende Stelle darin, und haben auch kantige Backenknochen bemerkt. Doch wer von uns Fachleuten hätte jemals ein solches Kinn gesehen, ein Kinn, so hart wie ja, wie denn nun?... Wir betasten jedes Kinn, fühlen, ob eS hart oder weich ist, aber ein solcher Grad der Härte ist uns kaum je zum Bewußtsein gekommen._ Freilich, wer von uns hat wohl m einem Museum schon Holz gesehen, Holz, von dem er wußte, es rührt von Pfählen her. die unter der Herrschaft römischer Cäsaren in Germanien  benützt wurden, um Brücken über den Rhein   zu schlagen, Holz, das sich im Laufe der Zell  , fest Christi Geburt  , bleich gehärtet hat. Es genügt also noch lange nicht, einen Mann anzüftarrM. den man scharf beobachten will, um sein Aussehen zu schildern. Dazu gehören historische Kenntnisse, überhaupt eine gute Bildung und nicht zuletzt reichlich Phantasie, wie sie nur den Dichtern eigen ist. Schon um nur ein Kinn, ein hartes Kinn, das man nicht einmal an-
gefaßt hat, so herrlich beschreiben zu können, so klar und deutlich, dat; leoermann sofort weiß: so sieht ein F e l d h e r r n k i n n aus. Von den Barten meldet derselbe Berichterstatter t Macht man eine solche Tür auf fwic sie in einem Schützen- graben angebracht sind), so sieht man in ein Halbdunkel, aus dem die bekannten treuen bärtigen Gesichter herauSglänzcn. Welche B ä r i c! Ich gebrauche den Ausdruck eiueS anderen, der sie F u ß s ä ck c nannte. Sie sind sonderbar eckig um das ganze Gesicht gelegt. Urwald- b ä r t c. Nur die Augen leuchten uud bewegen sich darin, llnd dann geht plötzlich unten ein breiter Spalt darin auf, man sieht weiße Zähne.... Ein neues Geschlecht, an Gesicht den germanischen Ur- völkern wieder seltsam gleich geworden."
Die gezähmte Marseillaise. Der Pariser Korrespondent der klerikalen AmsterdamerTtsd" gibt seinem Blatt die beruhigende Mitteilung, daß dieMarseillatie jetzt zu einem Lied geworden ist. das auch ein überzeugter Katholik mit ruhigem Gewissen singen kann, da cS denLudergeruch der Revolution" völlig verloren hat. Noch vor einem Menschenalter. meint er, sei daS anders gewesen. Vor 1878 wurde das durlli die Kommune kompromittierte Lied sogar von den offiziellen Feierlichkeiten der Republik   ausgeschlossen. 1890 erregte es bei den Katholileu ärgerliches Aufsehen, als der an die Republik  ralliirte" Kardinal L a r i g e r i e bor   katholischen Studenten die Marseillaise   spielen ließ. Jetzt aber ninnm kein Gläubiger mehr daran Anstoß ja mcmche traten so- gar dafür ein, daß die Marseillaise   noch dem Gottesdienst ans den Kirchenorgclu gespielt werden soll. Ein flir den Klerus be- stimmtes Blatt lveist darauf hin. daß die Melodie ohnehin größten- teils ans einem Oratorium genommen sei, also sozusacftn in der Kircke Heimatsrecht habe. Auch könne man ja eine Strophe dazu dichten, worin Gottes Segen für Frankreich   ersteht toird. Dazu wäre zu bemerket!, daß die Marseillaise   in Frankreich  schon seit ellichcn Jahren den Eharattcr eines konservativen Liedes bekommen haue. Sie war einerseits die offizielle Hymne der bürgerlichen Republik, andererseits das Kampflied der Klerikalen, die es mit Vorliebe zur Zeit der Ordens- liquidationen und Kircheninvcnturen als ihreFrsihcitS"-tzyimic fangen. Die Proletarier aber sangen dieJnterualionalo". Das scheint nun freilich vorläufig suspendiert worden zu fein. Die Maiseillaise ist, im Zeichen des Burgfriedens, wieder Nationalhymne geworden. Ob nur die neue Strophe nicht die früheren, revolutionären, auffrißt?