Min 18. Mai, Nest der zweiten Lesung des Etats. In einer neuen Sitzung soll an demselben Tag die dritte Lesung ersolgen.) Schluß 7 Uhr. Die Gewerkschastsfrage in öer SuögetkommWon. (Amtlicher Bericht.) Berlin , 13. März 1915.' Ein Antrag auf Aenderung des K 3 Ais. 1 des Vcmnsgescyes vom 19. April 1908 wurde von einem Koituniisionsmitgliede damit begründet, daß bczwellt werde, die bisherige Behandlung der G e- w c r l s ch a s l c n als„politische Vereine" im Sinne deS Vereins- gesehes zu beseitigen. Schon die Begriffsbestimmung des„politi- scheu Vereins" im Neichsvereinsgeietz wirke den Gcwerkichaften gegenüber als Ausnahmegesetz und stelle diese schlechter, als sie unter dem preußischen Vereinsgesctz standen, nach welchem ein Verein nur dann ein politischer Verein war, wenn er bezweckte, poli- tische Gegenstände in Versammlungen zu erörtern. Zu dieser Definition müsse man zurückkehren. Es gehe nicht an. daß eine bloße Ein- Wirkung auf politische Angelegenheiten als entscheidend angesehen werde. Die Nechlsprechung der höchsten Gerichtshöfe habe den Be- griff„politischer Verein" übermäßig ousgedehnr. Da die Ver- waltnngsbehörden an diese Rechisprechnng gebunden seien, habe man jeden Arbeiterverein und sogar Turnvereine als politische Vereine bebandelt. Vor allem seien die Gewerkschaften vielfach als solche erklärt worden. Während des Krieges hätten allerdings die Verwaltungsbehörden derartige Verfügungen zurück- gezogen, aber nur unter Aufrechterhaltung deS Prinzips. Aus dem durch die Auslegung des'Gesetzes im Wege der Recht- sprcchung geschaffenen Dilennna sei nur durch eine Aenderung des Gesetzes herauszukonnnen. Schon während des Krieges eine solche Regelung nach Maßgabe des vorliegenden Antrages vorzunehmen, sei möglich, da es sich bei diesem Vorschlage nur uni eine einfache Aenderung des Vereinsgesetzes handle, dagegen die weit komplizierteren Fragen des KoalilionsrechteS und der pridatrechtlichen Seite des Gewerkschaftswesens außer Betracht gelassen seien. Es sei aber auch nötig, die Regelung nicht zu verschieben, da andernfalls nach dem Friedensschluß der innere Kampf sofort wieder ausbrechen würde. Wir wollten doch aber alle auch nach dem Kriege ein einiges Voll bleiben. Die Gewerkschaften hätten bei Ausbruch deS Krieges ihre Hilfe auS freiem Entschluß angeboten und würden sie weiter leisten, wie lange auch der Krieg noch dauern möge. Sie wünschten auch nicht Gabe gegen Gabe. Aber inan solle das Vertrauen der draußen Kämpfenden nicht enttäuschen und das Beste und Reinste, das dieser Krieg uns gebracht habe, nicht verderben. Der Staatssekretär des Innern gab, anknüpfend an die letzten Worte des Vorredners, der Hoffnung Ausdruck, daß uns die bedeutsame Errungenschaft dieses Krieges, die Einigung zwischen Volksteilen, die sich bisher bitier bekämpst hätten, über den Krieg hinaus erhalten bleiben werde als ein dauerndes Vermächtnis dieser großen Zeit. Hüben wie drüben habe man sich jetzt über vieles besser belehrt als bisher. Er habe deshalb auch die llebcrzeugung, daß, loenn die Zeit gekommen sei, es gelingen werde, Gesetz und Verlvaltungspraxis den veränderte» Verhältnissen anzupassen. Alle Schwierigkeiten in der Handhabung der— doch recht liberalen— Gesetze, tvie z. B. des Vereinsgesctzes, lägen ja nicht in der Struktur der Gesetze, selbst, sondern in dem scharfen innerpolitischen Gegensatz, der zwischen einzelnen Parteien sowie zwischen der Regierung und einzelnen Parteien bestanden habe. Der Krieg lasse eine Beseitigung der Anschauungen, die zu diesen Gegen- sähen geführt hätten, erhoffen. Nur aus diesem Wege, nicht durch eine mehr oder weniger veränderte Formulierung der Gesetze, könne man zu den wünschenswerten innerpolitischen Ergebnissen gelangen. Wollte inan jetzt das Vereinsgesetz in der Weise revidieren, ivie der vorliegende Antrag anrege, so ivürde man sofort wieder denselben Schwierigkeiten begegnen, die sich bei Erlaß des Gesetzes gezeigt hätten. Was die Gewertschaftsfrage anlange, so sei es nach seiner schon vor Jahren im Reichstag vertretenen Auffassung ein Fehler der gesetz- gcberischen Behandlung gewesen, daß man die Gewerkschaften sich als freie Vereine habe entwickeln lassen, ohne die Vorteile, aber auch ohne die Schranken, die eine feste Eingliederung in unser Rechtsleben mit sich gebracht haben würde. Während des Krieges könne, an eine Aeilderuiiz dieses Zustandes nicht herangetreten werden. Sollte es später zu einer gesetzlichen Neuregelung kommen, so werde sie, wie er ebenfalls früher bereits ausgesprochen habe, so gestaltet werden müssen, daß sie den Gewerkschaften die erforderliche Freiheit biete, ihre wirtschaftlichen und charitativeil Aufgaben zu erfüllen, aber auch g e w i s s e S ch r a n k e n insofern ziehe, als die Gewerk- schoften ihren bedeutenden Einfluß nicht für Zwecke verwenden dürften, für die sie nicht bestimmt seien. Schon nach dem gegenwärtigen Recht sei lein Anlaß gegeben, eine Gewerkschaft als einen„politischen Verein" im Sinne des s 3 des Vereinsgesetzes zu behandeln, soweit sie sich lediglich in Erfüllung der Aufgaben aus Z 159 der Gewerbeordnung betätige. Dies sei dielmehr erst dann der Fall, wenn sie, über den Rahmen des rein Wirtschaftlichen hinaus, auf das allgemeine, rein politische Gebiet übergreife. Dem Reichstag bei seinem nächsten Zusammentritt ein neues Vereinsgesetz vorzulegen würde ein vergeblicher Versuch sein. Ein solcher Entwurf würde aller Voraussicht nach die gesetzgebenden Körperschaften noch länger als ein Jahr beschäftigen. Biel wichtiger sei es, wenn in weiten Kreisen die Erkenntnis zum Durchbruch käme, daß die Gewerkschaften wirtschaftlich notwendige Organisationen seien, die während des Krieges ihre Mittel und Einrichtungen in ganz besonderem Maße in den Dienst der vaterländischen Interessen gestellt hätten, und daß sie dementsprechend in der Verwaltungs- praris zu behandeln seien. Das schließ- nicht aus, daß nach dem Kriege auch der angedeuteten gesetzgeberischen Regelung der Ge- Werkschaftsfrage nähergetreten und dabei auch die Stellung der Gewerkschaften zum Vcreinsgesetz von neuem geprüft werde. Bei der Abstimmung wurde der Antrag, betreffend Aenderung des K 3 Absatz 1 des Reichsvereinsgesetzes. dem Reichskanzler zur Berücksichtigung überwiesen. Die Anträge, in demselben Gesetz die IL. 14 Ziffer 8, 6,§ 19 Ziffer 3 und§§ 17, 18 Ziffer 5, 6 zu streichen, wurden angenommen. Es wurde sodann zur Beratung eines Antrages übergegangen, nach welchem in 8 139 der ReichSversichcrungsordmmg hinler dem Worte„Versicherung" eingefügt werden soll:„die ihm einen RechlS- am'pruch auf Krankenhilfe gibt". Begründet wurde dieser Antrag damit, die durch die Rechtivrechung des Reichsversicherungsamts dieser Bestimmung gegebene Auslegung habe zur Folge, daß die von den Gewerkschaften gewährte Krankenunterstützung den Unter- nehmern und nicht den Arbeitern zugute komme, da sie nur die Fabrikkrankenkassen entlaste. Würde hier nicht eine Aenderung her- beigeführt, die nur im Wege der Gesetzgebung zu erreichen sei, so würden sich die Gewerkschaften zu ihrem Bedauern in die Not- wendigkeit versetzt sehen, ihrerseits die Gewährung von Kranken- Unterstützung gänzlich einzustellen. Ein Regierungsvertreter erwiderte, der§ 189 der Reichs- vcrsicherungsordnung habe nicht neues Recht geschaffen, sondern ent- halte nur den Grundsatz, der sich schon im 8 des Kranken- versicherungsgesetzes nach dessen letzter Fassung finde. Danach solle die Erkrankung eines Arbeiters ihm unter keinen Umständen höhere Einnahmen bringen dürfen, als er sie regelmäßig beziehe. Solange diese Vorschrift bestehe, dürfe eine verschiedene Behandlung der Rechtsansprüche und' der gewerkschaftlichen Unterstützungsansprüche nicht erfolgen. (Der Bericht ist der Redaktion erst am Freitag früh zugestellt tpordc». Tic Red. d.„V.")
Kriegspflichten im Lanöe. Der Reichstag hat gestern die zweite Beratung des Haus- haltsplans für das Reich fortgesetzt und dabei die Maß- nahmen besprochen, die durch den Krieg notwendig geworden sind. Bei dem Etat �iber den ollgemeinen Pensionsfonds hob der Berichterstatter hervor, daß die Militärinvalidengesetze und das Militärhinterblicbenengesetz air die Budgelkommission verwiesen werden sollen, dannt sie«nach sozialen Gesichtspunkten" verbessert werden. Die Kommission soll die Beratung so beschleunigen, daß sie dem Reichstag bei seinem nächsten Zusammentreten den Entwurf zur Verbesserung jener Gesetze vorlegen kann. Daher ist zu hoffen, daß noch während des Krieges die Entschädigungen für unsere erwerbsunfähig ge- wordenen Kriegsteilnehmer und für die Hinterbliebene» unserer ge- fallenen Kriegsteilnehmer zeilgemäß erhöht werden. Aus dem großen Bereich des R e i ch s a m t s des Innern wurden gestern nur die sozialpolitischen Fragen besprochen. Genosse Robert Schmidt wies eingehend und sachlich nach, was aus diesem Gebiete geschehen müsse. Abg. Bassermann sprach die Hoffnung aus, daß die notwendigen sozialpolitischen Maßnahmen über kurz oder lang durchgeführt werden können. Dabei trat er aber dafür ein, daß bei der von Genossen Schmidt geforderten Regelung des Arbeilsnachweiswesens die von den Unter- nehinern eingerichteten Arbeitsnachweise erhalten bleiben sollen. Genosse Schmidt dagegen hatte im Einverständnis mit allen gewerkschaftlichen Organisationen die Beseitigung jener Arbeitsnachweise gefordert. Ihm trat Genosse Bauer eutstbieden entgegen, da die Arbeitsnachweise in Wahrheit Kontroll- und Maß- regelungsbureaus gegen die Arbeiter sind. Der Staatssekretär im Reichsamt des Innern, Dr. Delbrück, gab schöne Versprechungen für die Zukunft. Während des Krieges aber sei die größte Zurückhaltung notwendig, da bei jeder Streitfrage die Gegensätze zwischen den Parteien hervortreten würden. Dies müsse unbedingt vermieden werden. Aus diesen Gründen erklärte er sich auch da- gegen, daß eine gründliche Regelung des Arbeitsnachweiswesens umgebend durchgeführt werde, obgleich Genosse Schmidt aufs klarste die dringende Notwendigkeit dieser Verbesserung nachgewiesen hat. Dagegen versicherte er, daß unverzüglich die Wochenhilfe für die Wöchnerinnen und die sonstigen Unterstützungen der Familien der Kriegsteilnehmer verbessert werden sollen. Der fortschrittliche Abgeordnete Wein hausen stellte dann auch sofort fest, daß er und seine Freunde durch das geringe Entgegen- kommen der Regierungen enttäuscht seien. Die Beratung tvird morgen fortgesetzt, und darauf werden die Abstimmungen stattfinden.
politische Ueberflcht. Die Fraktion und der Etat. Das„Berliner Tageblatt" weiß zu melden: „Die sozialde in akratische Fraktion bat, tvie wir hören, beschlossen, bei der Abstimmung über den Etat f ü r den Etat zu stimme n." „Flaumacher". In der„Ethischeit Kultur" nimmt der Charlottellburger Stadtrat Dr. P e n z i g sehr scharf Stellung gegen den Vor- Wurf der„Flaumacherei", der denjenigen gemacht tvird, die sich die Lösung des jetzigen- Krieges rmderS denken als Freiherr v. Zedlitz und dessen Mitläufer. Sind doch in den „Hamburger Nachrichten" sogar mäßigende Aeußerungen von Rohrbach, Zorn, Delbrück , Oncken, v. Liszt u. a. als„lln- kraut" verdammt. Stadtrat Penzig schreibt: „Aber es soll ja eben der schein erweckt werden, als ob die „Flaumacher" für einen übereilten Frieden um jeden Preis ein- träten. Und wenn ernste, ihrer Verantwortung vollbewußte Männer aus den Lehren der Geschichte den Schluß ziehen, daß heute Landerwerb oder gewaltsame Angliederung fremder Volks- teile, im Gegensatz zu früheren Zeiten, dem wahren Interesse ihres Vaterlandes zuwider seien, daß aber eine Politik des gegenseitigen Vertrauens die einzige verläßliche Grundlage sei. die einen Dauerfrieden, ein Gemeinsamkeitsarbeiten der Völker, nicht nur im Interesse der andern, sondern eben im best- verstandenen Interesse der eigenen Nation verbürge, so könnte man diesen Standpunkt mit wohlerwogenen Gründen sicherlich bekämpfen, aber man begibt sich allen Rechtes auf ernst- hafte Beachtung, wenn man die Träger solcher Ansichten mit einem aus dem Börsen-Kauderwelsch entnommenen Schimpfwort herab- zusetzen unternimmt, statt sie zu widerlegen." Erfreulicherweise steht also die Sozialdemokratie mit ihren grundsätzlichen Anschauungen über die Kriegsziele nicht allein da.
Beschränkung der Freizügigkeit in Bayern . Eine sehr wichtige Verfügung hat. wie sich die„Tägliche Rundschau" von ihrem Münchener Vertreter telegraphieren läßt, das stellvertretende Generalkommando des 1. baherischen Armeekorps für die ländlichen Dienstboten und Landarbeiter herausgegeben. Nach dieser Verfügung dürfen für die Daner des Kriegszustandes landwirtschaftliche Dienstboten und Ar- bester vor Abschluß der Erntearbeiten ihre D i e n st- stellung ohne Einwilligung des Arbeitgebers nicht verlassen. Landwirtschaftliche Arbeitgeber dürfen ihrerseits ländliche Dienstboten und Arbeiter nicht aufnehmen, die nicht eine Bescheinigung bringen, daß sie mit Einwilligung ihres letzten Dicnstherrn die Stellung verlassen haben. Ver- fehlungen gegen diese Anordnungen werden mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft.
Unsere Brotversorgung. Von unterrichteter Stelle erfahren wir: Die erste Aufnahme der Getreidebestände vom k. Dezember hat sich vielfach mit Schätzungen behelfen müssen. Man hat da- mals angenommen, daß der wirkliche Getreidebestand das Auf- nahmeergebnis übertreffen werde, da man von der Auffassung aus- ging, die landwirtschaftlichen Kreise würden vielfach zurückhaltende Angaben gemacht haben. Eine zweite Aufnahme vom 1. Februar hat nun die Hostnungen vom Dezember nicht erfüllt. ES hat sich bei dieser genaueren Aufnahme weniger ergeben, als hätte vor- handen sein müssen, wenn die Schätzungen vom Dezember richtig gewesen wären. Aus diesem Grunde sei auch die Herabsetzung der Tagesquote von L25 auf 290 Gramm erfolgt. Es läßt sich jetzt mit aller Bestimmtheit sagen, daß die vorhandenen Vorräte, die nun nicht mehr auf Schätzungen, sondern auf genauen Aufnahmen beruhen und die zumeist zur Verfügung der Kriegsgetreidegesell- schaft stehen, bis zur neuen Ernte reichen. Es ist obendrein noch ein Reservefonds, der 29 Proz. des gesamten Bestandes beträgt, an- gelegt worden. Ob er sich unangegriffcn wird erhalten lassen, ist noch die Frage. Sicher ist aber, daß wir bis tief in den August
hinein mit unseren Beständen ausreichen. Wir müssen zwar spar- sam bleiben bis aufs äußerste, und es ist vor allen Dingen not- wendig, die sogenannten Selbstversorger zu kontrollieren; dort liegt noch eine gewisse Gefahr.
Zur Beschlagnahme der Futtermittel. lieber die Sicher st ellung der Kraftfutter mittel wird amtlich mitgeteilt, daß diese in derselben Weise durchgeführt werden soll, wie sie hinsichtlich der zuckerhaltigen Futtermittel bereits geschehen ist. Die Verordnung wird sich daher nur auf die im Inland befindlichen Vorräte beziehen, während die nach ibreni Jnkraftlreten aus dem Ausland eingeführten von ihr nicht ergriffen werden.
LandtagSersatzwahl. In der gestrigen Landtagsersatz Wahl im Wahl- kreise F r a u st a d t- Lissa-Rawitsch-Gostyn wurde Oberbürger- meister P o h l m a n n- Kattowitz zum Abgeordneten mit allen 314 Stimme» gewählt.
Das Mandat TVetterlv. Wie bereits mitgeteilt, hat die Geschäftsordnungskommission des Reichstags dem Plenum empfohlen, das Mandat deS Priesters Wetterlö für erledigt zu erklären. In sachlicher Beziehung wird dieser Antrag wie folgt begründet:„Es muß angenommen werden, daß das Mandat deS bisherigen Abgeordneten Welterlü er- ledigt ist. Die ReichStagsmitgliedschast hört außer durch Ablauf der Legislaturperiode und Auflösung des Reichstages auch aus durch freiwilliges Ausscheiden eines Mitgliedes, sogenannte Mandats- niederlegung, Mandatsverzicht. Dies ist in einer mehr als 19jährigen Praxis deS Reichstags anerkannt und zu einem allgc- meinen Gewohnheitsrecht geworden. Die Entscheidung der Frage, ob in einem gegebenen Falle ein gültiger Verzicht tatsäch- lich vorliegt, steht ebenfalls allein dem Reichstag zu und ge- schiebt am sichersten im Wege der beschlußmäßigen Feststellung seitens des Reichstages, wenn auch im Einzelsalle zur Geschäftsvereinfachung bei ganz klarer Gültigkeit des Verzichts von einer solchen Feststellung bisher Umgang genommen wurde. ES gibt leine gesetzliche Bestimmung, die eine bestimmte Form für den Verzicht auf die Mitgliedschaft zum Reichstage vorschreibt. Es genügt, daß der Wille deS Verzichts in einer klaren, u n z w e i- d e u t i g e n Weise zum Ausdruck gelangt. Der Verzicht kann nicht bloß durch direkte, ausdrückliche Erklärung gegenüber dem Reichstag oder dessen Präsidenten ausgesprochen werden, sondern auch durch schlüssige Handlungen seitens des Verzichtenden. Ddr bisherige Abgeordnete des fünften elsässischen Wahlkreises hat durch eine Reihe solcher Handlungen seinen Willen des Mandatsverzichts zw» Ausdrucke gebracht. Er hat u. a. eine» Artikel, der zunächst die Aufmerksamkeit der Oeffentlichkeit auf sich lenkte und der ihm die steckbriefliche Ver- folgung wegen Hochverrats zuzog, in der französischen Zeitung „l'Echo de Paris" vom 21. August 1911 mit seinem Namen und mit dein Zusätze„Exääxute au Reichstag" gezeichnet, et hat ferner einen Artikel in der französischen Zeilschrist„J'ai vu" vom 19. November 1911 sowie in der französischen Zeitung„France de Demain" vom 22. Dezember 1914 mit E. Wetterlö„Anciea deput6" unterschrieben. Er hat aber nicht nur durch diese Handlungsweise öffentlich seinen Willen, freiwillig als Mitglied des Deutschen Reichstags aus- zuschciden, bekundet, sondern insbesondere durch Verlegung seines Wohnsitzes nach Frankreich kofort nach Ausbruch des jetzigen Krieges Anfang August und durch die Unterlassung der Rückkehr nach Deutschland seit dieser Zeit den unzweideutigen Willen bekundet, nicht mehr zum deutschen Volke zu gehören und natürlich auch nicht mehr als dessen„Vertreter" aufzutreten. Wetterlä wurde zudem auch auS der Liste der elsässischen Geistlichkeit durch Verfügung der zu- ständigen geistlichen Behörden gestrichen. Aus all diesen Gründen muß angenommen werden, daß das Mandat deS früheren Abgeordneten Wetterlü für den fünften Wahl- kreis Elsaß-LothriiigenS durch Verzicht erloschen ist."
Scheidemanns Rede in der bürgerlichen Presse. Die Rede des Genossen Scheidemann findet in der bürger- licheu Presse nur so weit Anerkennung, als sie die Bereitwilligkeit zur Verteidigung der deutschen Grenzen zum Ausdruck brachte. Bon einer Zustimmung und dem Eingeständnis der Bereitwilligkeit zur Anerkennung der Forderungen ist mit wenigen Ausnahmen keine Rede. So weit Genosse Scheidemann dem Bürgertum ent- gegenkam, findet er Beifall; im übrigen aber Schweigen 06er Miß- billigung. Die„Kreuz-Zcitung" schreibt: „Nur die Sozialdemokratie hat das Bedürfnis, keine Gelegen- heit, hervorzutreten, zu verpassen. Sie schickt diesmal bezeichnender- weise den Abgeordneten Scheidemann vor. Er ist der Mann, der dem im Kriegsfeuer geläuterten Vaterlandsempstnden weiter Kreise der bisherigen sozialdemokratischen Wähler ungezwungen eine Verbeugung machen kann. Die Ausdauer und die Tapferkeit unsrer Soldaten bekommen ihr ungeschmälertes Lob. Auszuhungern sind wir nicht, und erneut gibt die Sozialdemokratie das Versprechen, getreulich mitzuarbeiten an der vaterländischen Sache. Aber beengend fällt auch hier der Schatten der Partei- doktrin aus den Gang der Rede. Herr Scveidemann wird nicht verübeln dürfen, wenn das, was er über die Wurzeln der deutschen Kraft, über Vereins- und Versammlungsfreiheit, allgemeines, gleiches Wahl- recht und was er sonst noch alles ursächlich mit dem jetzigen Erfolgs des deutschen Abwehrkrieges zusammenbringen wollte, nicht über- all überzeugt." Die„Deutsche Tag es z ig." urteilt: „Die Rede, die der sozialdemokratische Abg. Scheidemann gestern im Reichstage hielt, war ohne Frage sehr geschickt,— bei weitem geschickter als die seines Parteigenossen Haase bei der ersten Lesung des Haushaltsplanes. Manches von dem, was Scheidemann sagte, konnte von dem ganzen Hause unterschrieben werden.... Daß seine Rede einige Spitzen gegen die Regierung und gegen die politischen Gegner enthielt, war nicht anders zu er- warten; aber diese Spitzen waren nicht so scharf und nicht so aus- fällig, daß sie einen sofortigen Widerspruch hätten als unbedingt nötig erscheinen lassen. Den Hinweis auf den 18. März des Revo- lutionsjahres hätte er sich füglich versagen können.... Daß ihm weder vom RegierungStische noch seitens der bürgerlichen Parteien entgegnet wurde, läßt sich bei der Lage der Tinge verstehen. Der„Lo ka l- A n z e i g e r" schreibt: „Der Sozialdemokrat Scheidemann legte in durchaus eiittvand- freier Form dar, welche Stellung die äußerste Linke jetzt zu den die Zeit beherrschenden Fragen einnimmt. Er verleugnete mit keinem Worte seine sozialdemokratische Ueberzeugung, aber er ver- letzte auch mit keinem Worte Andersdenkende. Was er über den Krieg sagte/hätte ebenso gut ein bürgerlicher Abgeordneter sagen können, so daß ihm nicht nur aus den Reihen der eigenen Partei wiederholt lebhafter Beifall entgegentönte. Für den Geist, von dem seine ganzen Ausführungen getragen waren, spricht mit aller