je 47 Wochen in Beschäftigung stand, obwohl er es behauptet. Ter Anspruch wurde daher in allen Instanzen abgewiesen. Ter Referent bemerkte, daß die getroffenen Entscheidungen zweifellos unanfechtbar und nach den gesetzlichen Be- nimmungen auch vollkommen richtig seien. Aber es empfehle sich doch, den Wunsch des Petenten, eine diesbezügliche Ab- änderung des Gesetzes mit rüawirkender Kraft vorzunehmen, in Erwägung zu ziehen, da man doch annehmen müsse, der Petent habe so lange gearbeitet, als er irgend Gelegenheit dazu hatte. Der Regierungsvertreter erklärte, daß man eine solche Aeuderung nicht vornehmen könne. Der ganze Charakter dieses Gesetzes bedinge eine vorherige Gegenleislung des Rentenempfängers. Wenn man für den Uebergang auch davon ab- gesehen habe, so müsse doch eine bestimmte Grenze gezogen sein, sonst würde die Belastung des Reiches eine zu er- hebliche. Demgegenüber bemerkte unser Genosse Schmidt (Frankfurt ), daß durch die bestehende Bestimmung viele Saisonarbeiter, namentlich aber fast alle Bauarbeiter, die zur Zeit des Inkrafttretens der Altersversicherung das 70. Lebensjahr erreichten, von dem Bezug der Rente aus- geschlossen seien, da dieselben während des Winters nicht nur 5 Wochen lang, sondern oft 10—12 Wochen und länger die Ar- beit unterbrechen müssen und beim Eintritt des Winters auch meist entlassen werden. Nur die Arbeiter, die bei demselben Unternehmer, während mehrerer Jahre hindurch, nach der Unter- brechung die Arbeit wieder aufnahmen, die also nicht als„ent- lassen" von den Unternehmern betrachtet worden seien, und dem- gemäß eine Bescheinigung erhielten, wären vielleicht zu dem Bezug der Rente gekommen; es beträfe dieses wohl zumeist Werkführer und Poliere, die jener Unterstützung weit weniger als andere Arbeiter bedürftig seien. Ein einziger der- artiger Fall sei ihm bekannt; während in über einem Dutzend ihn, bekannten Fällen die Arbeiter abgewiesen werden mubten. Es empfehle sich daher dringend eine Abänderung des Gesetzes mit rückwirkender Kraft. Der Regierungsvertreter meinte, daß solche Arbeiter doch noch Aussicht aus den Genuß der höheren Invalidenrente hätte, was Genosse Schmidt bestritt' denn es würde den Betreffenden noch weit schwerer halten, den Nach- weis zu führen, daß sie während fünf Jahren, je 47 Wochen in Arbeit standen oder verstcherungsgemäße Krankenunterstütznng bezogen haben, weil sie wegen vermeintlicher oder wirklicher ge- ringer Leistungsfähigkeit immer seltener dauernde Beschäftigung erhalten, je älter sie werden, trotzdem sie relativ gesund bleiben. Die Petition wurde dem Reichskanzler als Material für die beabsichtigte Aenderung deZ Invaliden- und Alters-Bersicherungsgesetzes überwiesen.— Der ,,V e r b a n d deutscher L o h n f u h r u n t e r n e h m e r" hat schon wiederholt durch den Vorsitzenden Weih in Frank- s u r t a. M. um Abänderung der 37 und 76 der Gewerbe- ordnung gebeten; es wird von den Interessenten vorgeschlagen, die Festsetzung der Taxen den Interessenten selbst, vorbehaltlich polizeilicher Genehmigung, zu überlassen, und den Erlaß vo.. Troschkenordnungen und ähnlichen Bestimmungen erst nach Zu- stimmung der Berussintereffenten zu verfügen. Im Jahre 1892 halte der Reichstag die Petition als Material überwiesen; oer Bundesrath beschloß jedoch, dem Vorschlage keine Folge zu geben. Ter Regierungsvertreter erklärte auch diesmal, daß kein genügender Grund vorhanden sei, die betreffenden Gesetzesbestimmungen zu ändern. Genosse Schmidt(Frankfurt ) führte als Korreferent dagegen namentlich die langwierigen Streitigkeiten der Fuhrunternehmer in Frankfurt mit der dortigen Polizeibehörde ins Feld. Habe sich dort auch gegenwärtig, in- folge der Vermittlung des Regierungspräsidenten zu Wiesbaden. der aber nach dem Gesetz hierzu nicht verpflichtet gewesen sei, ein leidlicher Zustand Giltung verschafft, so seien dagegen in zahlreichen norddeutsche» Städten noch neuerdings ähnliche Miß- Helligkeiten eingetreten. Nachdem der Regierungsvertreter noch- mals erklärt halte, daß die verbündeten Regierungen nicht ge- willl seien, eine diesbezügliche Gesetzesänderung vorzunehmen, und auch einige Kommissionsmitglieder die.Wüusche der Petenten als etwas zu weitgehend erachtet hatten, empfahl der Kor- referent doch wenigstens den Eventualvorschlag der Petenten zu berücksichtigen. Dementsprechend stellte der Referent, Graf v. Bernstorff, den Antrag, die Petition der. Reichskanzler insoweit zur Berücksichtigung zu überweisen, daß er ein Einvernehmen zwischen den verbündeten Regierungen herbeizuführen suche, wonach die Ortspolizeibehörden angewiesen werden, vor dem Erlaß von Taxen oder sonstigen das Fuhr- »vesen betreffende Bestimmungen, einige durch die Berussinler- essenten gewählte Vertreter zu hören. Dieser Antrag wurde mit großer Majorität angenommen.— Besonderes I n t e r- esse für unsere Genossen dürfte die Petition des Handlungs- gehilsen Stephan, in Leipzig -Volkmarsdorf. erregen. Stephan ,var nach der Verlängerung des ,k l e i n e n B e l a g e r u n g s- z u st a n d e s" ausgewiesen worden, obwohl er sich niemals zu unserer Partei bekannte. Nach seinen etwas schwülstigen Ausführungen zu urtheilen, hat er sich wahrscheinlich zum öfteren über sozialistische Fragen am Biertisch u. f. w. lebhaft unterhalten; aber Sozialdemokrat ist er offenbar nicht. Es wurde ihm auch nach 6 Jahren der Ausenthalt in Leipzig wieder gestaltet, weil man sich wahrscheinlich von seiner„Un- gefährlichkeit" überzeugt hatte. Der Petent bezog, nach seiner Angabe, zur Zeit der Ausweisung ein Gehalt von 2400 M. In der Folge war er sehr häufig lange Zeit gänzlich arbeitslos, es wurde ihm fast überall mil Mißtrauen begegnet und er mußte sich mit sehr gering besoldete» Stellen begnügen. Er verlangte deshalb von der sächsischen Staatsbehörde eine Entschädigung, wurde aber natürlich überall abgewiesen. Im vorigen Jahre richtete er eine Petition an den Reichstag , die durch die Auf- lösung nicht zur Erledigung kam und die er nun abermals einreichte. Er fordert eine Entschädigung von 7200 M a r k, für jedes Jahr seiner Verbannung die Halste seines früheren Einkommens. Um das Reich nicht �n sehr zu b e I a st e n, weil jedeasulls noch von verschiedenen Seiten Ansprüche gellend gemacht wurde«, will er seine Forderung nicht höher stellen. Der Korreferent, Ge- nosse Schmidt(Frankfurt ), hatte in seinem Votum erklärt, dap der Wunsch des Petenten nur durch den Erlaß eines b e- sonderen Gesetzes erfüllt werden könnte, und deshalb die Zuziehung eines Regierilttgskoinmissars, sowie die Ueoerweisung an den Reichskanzler zur Erwägung beantragt. Den. eiu- gegen beantragte der Referent Hüpede u(kons.)„Uebergang zur Tagesordnung". Genosse Schmidt begründete seinen Antrag, indem er ausführte, daß die fächsische Polizeibehörde allerdings rnu auf grund des Sozialistengesetzes die Ausweisung des Petenten verfügt habe, und deshalb auch nicht veranlwortlich für den Verlust des Betreffenden gemacht werden könne, da dieser sich eiu- geslandenermaßen mit sozialistischen Problemen befaßt habe, wen» er auch offenbar kein Sozialdemokrat sei. Jedes Ausnahmegesetz aber, als welches sich auch das ver- st offene„Sozialistengesetz" charakterisirte, sei in eimm geordneien Rcchisstaate, nach der Ansicht namhafter Rcchtslehrer, als verwerflich zu betrachten. Da jenes zu Unrecht bestandene Gesetz offenkundig eine erhebliche Zahl von Staatsbürgern empfindlich geschädigt habe, so könne man sich gar nicht wundern, wenn vis Belroffenen Entschädigung verlangten. Es sei dem Korreferenten allerdings bis jetzt nicht bekannt geworden, ob von einem oder dem anderen seiner durch die Ausweisung gemaßregelten Genossen solche Ansprüche erhoben wurden; das halte ihn jedoch nicht ab, die Forderung der Petenten zu befürworlen. Der Reichstag in seine» gegen ivärligen Zusammensetzung werde allerdigs sch-verlich ge- nergt sein, aus eigener Entschließung ein solches Entschüdigungs- gesetz zu beschließen. Aber vielleicht sei die Reichsregierung, nachdem sie, in Erkenntniß des Unrechts, keinen Antrag aus Ver- längerung des Sozialistengesetzes mehr gestellt habe, nunmehr gesonnen, noch einen Schritt weiter zu gehen durch die Vor- läge eines„Entschädigungsgesetzes". Vielleicht aber tönne die Peiition auch als Dämpfer dienen, wenn etwa die Lust nach einer neuen Auflage des Sozialistengesetzes sich geltend mache. Er modifizire daher seinen Antrag auf„Ueber- Weisung als Material". Der Regierungskommissar, Geh. Re- gierungsrath v. Jonquiöres, erklärte, daß die Regierung nicht beabsichtige, ein Entschädigungsgesetz vorzulegen; das Sozialisten- gesetz sei nicht mehr verlängert worden, weil es überhaupt nur für eine begrenzte Zeitdauer benimmt gewesen. Ob die Absicht bestehe, ein ähnliches Gesetz wieder einzuführen, darüber sei ihm nichts bekannt; er vermuthe es nicht. Würde man jedoch den Erlaß solcher Bestimmungen durchaus für nothwendig erachten, dann würde man sich auch nicht durch derartige Entschüdigungs- ansprüche abschrecken lassen. Der Vorsitzende der Kommission erachtete den Vorschlag:„Uebergang zur Tagesordnung" noch für zu weitgehend; er beantragte„ungeeignet zur Erörterung im Plenum". Ein nationalliberales Mitglied befürwortete lebhast diesen Antrag mit der Begründung, man müsse eine solche „unliebsame" Debatte vermeiden; worauf Genosse Schmidt bemerkte, daß nach der Geschäftsordnung eine Erörterung dieser Petition nicht verhindert werden könne, wenn er es mit 14 seiner Genossen beantrage. Nach kurzer Debatte wurde der Antrag Schmidt abgelehnt; außer unseren Genossen stimmten nnr Galler(Demokrat) und Weiß(Frs. Vp.) dafür. Der Antrag des Vorsitzenden wurde angenommen. PetitionS -Kommission. In der letzten Sitzung wurde eine Anzahl Petitionen vorgelegt, in denen von Postbeamten, Postunterbeamten und Po st- Vertrauensärzten gegen die von sozialdemokratischer Seite bei der ersten Berathung des Postetats angebrachte Kritik der Verhältnisse jener Beamten- Kategorien„protestirt" wurde! Die Petitionen waren meist korrekt abgefaßt und von recht geübter(wahrscheinlich Post- sekretärs-) Feder geschrieben, jedoch auch weniger verdächtig er- scheinende Form und Schreibart befand sich darunter!— Die guten Leute wollten von ihren oft selbst bitter beklagten persön- lichen Beschränkungen und Besoldungen plötzlich nichts spüren, und namentlich die bösen Sozialdemokraten nicht als ihre Wort- führer anerkennen. Freilich werden auch diese freiwilligen oder unfreiwilligen Protestler gar bald durch die Roth ihrer Verhältnisse zu diesem Anerkenntniß gezwungen werde»!— Die Petitions -Kommission beschloß, in eine Erörterung dieser Petitionen nicht einzutreten, sondern nur gelegentlich der dritten Etats- berathung dem Reichstage durch den Berichterstatter(ohne ein. gehenden Bericht) den Uebergang zur Tagesordnung zu empfehlen. Pavlcinatfipirftlen, Breslau . Am 15. März, Nachmittags 5 Uhr, kehrt unser Genosse Karl Thiel. Redakteur der„Volksmacht", nach einer Gefängnißstrafe von 17 Monaten in die goldene Freiheit zurück. Während dieser Zeit wurde er einmal gegen eine Kaulion von 6000 M. auf eine Woche beurlaubt, u>n dem Begräbniß seiner in Tilsit verstorbenen Mutter beiwohnen zu können. Genosse Karl Thiel verbüßte unter anderen Strafen auch eine von sechs Monaten wegen Beleidigung' des Landgerichts- Direktors Schmidt von hier. Bekanntlich hatte dieser in einer Gerichtsverhandlung gegen Thiel erklärt, daß die sozialdemo- kratische Parteileitung den Meineid empfehle. Genosse Thiel protestirte energisch gegen diesen Vorwurf und berief eine Volks- Versammlung ein, zu welcher Herr Schmidt besonders eingeladen war, um seine Angriffe zu rechtfertigen. Derselbe erschien jedoch nicht und die sehr zahlreich besuchte Ver- sammlnng nahm einstimmig eine von Thiel vorgeschlagene Resolution gegen Schmidt an. Durch dieses Vorgehe» Thiel's fühlte sich Herr Schmidt nun beleidigt und stellte gegen Thiel Strafanlrag. Der„Vorwärts" hatte seinerzeit mit Recht darauf hingewiesen, daß dies der interessanteste Prozeß sei, der sich je vor einem deutschen Gerichtshofe abgespielt habe. Die Strafe von sechs Monaten Gefängniß war nun selbst eine für Breslauer Verhältnisse ungemein hohe und wurde namentlich damit begründet, daß dies den ersten Anlauf der Sozialdenw- kratie gegen die heutige Justiz bedeute und deshalb empfindlich zurückgeschlagen werden müsse. Nun sind ain 15. März sämini- liche Strafen„abgebüßt" und Genosse Karl Thiel tritt als„un- verbesserlicher Sozialdemokrat" wieder in die Reihen der Genossen zurück, um mit frischen Kräften den Kampf gegen Unterdrückung und Ausbeutung aufzunehmen. Daß die Lorberen der„Rh. Wests. Ztfl." auch die alte Kloake am Rhein nicht ruhig schlafen lassen wurden, war wohl jedem klar und so leistet sich dieses ehrenwerthe Blatt neuer- Vings nachstehendes Elaborat, welches verdient niedriger gehangen zu werden: Bochum , 6. März. Unsere Stadt kam gestern aus sVe- unruhigungen nicht heraus. Nicht genug, daß es einem frechen Schurken gelungen war, durch Legen von Dynamitpatronen die Bürgerschaft in Schrecken zu setzen, auch eine sozialdemokratische Versammlung erregte die Gemüther. Der Dynamitheld ist in der Person des LSjährigen früheren Bergarbeiters Pfeiffer aus Düssel dorf , der 2ds kg. Dynamit gestohlen hatte, verhaftet. Er erklärte, wenn ihm nicht die Zündschnur ausgegangen wäre, würde er die übrigen von ihm gelegten Patronen ebenfalls zur Explosion ge- bracht haben. WaS die sozialdemokratische Versammlung betrifft, so fand dieselbe gestern Abend oder vielmehr Nachts in der Ton- Halle statt. Die Partei führte den Genoffen den früheren Predigtamts-Kandidaten v. Wächter vor, der mit einer Be- geisterung, oie einer besseren Sache würdig gewesen wäre, über den Zusammenhang zwischen Chnstenthum und Sozialdemokratie sprach. Hiesige Redner versuchten ihn zu widerlegen, machten aber keinen Eindruck und hätten sich füglich die Mühe sparen können. Vor Volksversamnilungen kommt es meist weniger auf die Sache, als die Zungengewandtheit an. Ändert- halb Stunden nach Mitternacht ging die Versammlung erst zu Ende. Auf«ine Hand voll mehr oder weniger kommt es da den Ehrenleuten nicht an, wo es gilt, den j-H- Sozialdemokraten eins auszuwischen, und wenn das nichts hilft, so ist Malhäi am Letzten. Das köstlichste an der Sache ist das naive Eingeständ- nch des Blattes, daß dortige Redner de>. Genossen zu widerlegen suchten, damit aber keinen Eindruck machten und sich also die Liebesmüh hätte» sparen können. Denselben Rath hätte sich die werthe Redaktion selbst geben können. Zur Behandlung politischer Gefangeucr. Genosse Hülle hatte, bevor er seine letzte Gefängnißstrafe von 14 Tagen antrat, ein Gesuch an die Staatsanwallschaft um Strafaufschub öi? nach Erledigung der zahlreichen-m Monat Februar ge�en .hn anstehenden Prozeßverhandlungen gerichtet und gleichzeitig gebeten, ihm für den Fall der Ablehnung schriftstellerische iTelbstbeschästigung und zu diesem Zwecke die Lektüre von H. vv.. Sybel's„Geschichte der Begründung des Deutschen Reiches" und Eorviws„184ß— 1871, Geschichte der Neuzeit" zu gestatten.— Ans seine Eingabe erhielt Hülle am 17. Februar, als er schon 3 Tage im Gefängniß zugebracht, in beziig aiss den erbetciien Strusausschub ablehnenden Bescheid, über seine Beschäftigung im G-fängniß werde nach seiner Einlieferung entschieden werden. Eine definitive Antwort auf fein Gesuch um Selbst- beschäfligunc, �at Hülle nicht erhalten. Er wurde während seiner .yast mit Nähen von„Hosenträgerstrippen� beschäftigt. Jede Zeklüre war ihn» entzogen, wenn man nicht das„Evangelische Sonntagsblatt", das ihm während der beiden in seine Haftzeit fallenden Sonntage verabfolgt wurde, als solche bezeichnen will. Die Beleidigungsklage Hülle's gegen den Ersten Staatsanwalt Loreiij, liegt gegenwärtig beim Amtsgericht. Revolutionär. Gegen den Genossen Haug in Müt- hausen i. E. ist von der Staatsanwaltschaft bei dem Kaiser - lichen Landgericht Mülhausen Strafantrag gestellt wegen„Aus- stoßenS aufrührerischer Rufe". Derelbe hat nach der Anklage- schrift„am 15. Januar d. Js. in der„Dreikönigshalle" eine zahlreich besuchte sozialdemokratische Volksversammlung geleitet und am Schlüsse derselben an die Umstehenden Sie Aufforderung gerichtet, noch ein Hoch auf die revolutionäre internationale Sozialdemokratie auszubringen. Das Hoch selbst brachte er dann mit den Worten aus:„Die Sozialdemokratie lebe hoch!" Die Bemühungen des Staatsanwalts werden nun dahin gehen, daß der betreffende Ausruf ein„auftührerischer" im Sinne des Gesetz- gebers ist. Ein solcher kann ihm nicht beigelegt werden, da die Sozialdemokratie— das ist in vielen Schriften niedergelegt und in unzähligen Reden gesagt— revolutionär ist nur im Sinne der geschichtlich sich vollziehenden Entwicklung. Einzelne Ver- suche in Sachsen ausgenommen, hat es auch noch nie eine Be- Hörde unternommen, gegen Hochausbringen vorzugehen. Die Wahlkreis- Konferenz des IX. württem- b e r g i s ch e n Reichstags- Wahllreises findet am 25. März zu Ebingen im„Gasthaus zur Wachtel" statt. Die Tages- ordnung lautet: Anträge zur Agitation, Stellungnahme zu den Landtagswahlen und Verschiedenes. ** Polizeiliche?, Gerichtliches er. — Abgelehnt wurde der Antrag des Genoffen Schenderlein in Greiz um Wiederaufnahme des Ver- fahrens in der Beleidigungsklage des Pfarrers H o f f m a n n in Dölau gegen T r o g n i tz und Schenderlein. Soziale Aebeelickrk. Auch im Lande der Knute besinnen sich die Arbeiter darauf, daß sie Menschen sind. In der großen Spinnerei von Guensberg in Zaworze, so wird aus Warschau vom 13. d. M. gemeldet, haben über 3000 Arbeiter einen Generalstreik eröffnet. Es braucht wohl kaum erst erwähnt zu werden, daß die russische Polizei bei dieser Gelegenheit ihr Recht auf Bestialität durch zahlreiche Verhaftungen bethätigte. Die Sonntagsruhe der Bäcker in Ungarn . Eine De- putation von 70 Gehilfen in Budapest hat sich, ivie die„Austria " meldet— zum Handelsminister begeben, un» ihn zu bitten, daß er seine Berfüaung, womit die Sonntagsruhe bei den Bäckern abgeschafft werde, zurückziehen oder wenigstens umändern möchte. Herr Lukäcs erklärte— wie die„Austria " mit Genugthuung hervorhebt— er habe diese Verfügung im Interesse der Kon- sumenten erlassen und warne die Gehilfen eindringlich, etwas dagegen zu nnternehmen, was de»» Frieden zwischen Arbeit- gebern und Arbeitnehmern stören könnte. So also stellen sich die Regierungen den„Friede n" vor zwischen Arbeitgebern und Arbeituehinern. Zu de« 400 Streikende« der Lampensabrik von Gebr. Brünner in Wien sind noch 800 der Firma Dittmar hin- zugetreten, sodaß jetzt 1200 Arbeiter der Lampenbranche im Aus- stand sich befinden. Die Unterhandlungen haben noch zu leinen» Resultat geführt. Zuzug ist streng fern zu halten; die Unter- nehmer versuchen Arbeiter ans Deutschlands zu erhalten. Anfragen und Senduugen sind zu richten an L. Exner, Wien III, Wassergaffe 4. TtzeÄlker. Im Neuen Theater wurde am Sonnabend ein Schauspiel: „Margnerite B e r n a r d" nach dem Französischen des Frederic C a r m o n zum ersten Male gegeben.„I-a. r'emms", das Weib, heißt das Stück im Original. Es reiht sich der end- losen Summe französischer Bühnenwerke an. i» denen einzig und allein das geschlechtliche Verhältniß zwischen Mann und Weib erörtert wird. Mann und Weib aber sind hier nicht im weitesten Wortsinn aufzufassen. Es handelt fich immer nur um einen winzigen, bevorrechteten Bruchtheil der Gesellschaft. Für diese Gesellschaft ist es charakteristisch, daß der Bühnenautor bei seinen Männern fast niemals einen Beruf, ein Arbeitsziel anzu- geben weiß. Aus der Welt müßiggehender Vornehmer holt sich der Verfasser seine Beispiele und seine Typen. In dieser Welt der Verzärlelten spielt die geschlechtliche Liebe mit ihren Entartungen, mit ihren nervösen Ueberreizungen, mit ihren über- h itzten Phantastereien allerdings eine ungleich bedeutendere Rolle, als in der Welt derer, die im werkthätigen Leben stecken. Durch ihre Einseitigkeit sind die Franzosen zu den erstaunlichsten Variationen über das Thema geschlechtliche Liebe der Beschäfti- gungslosen gekommen, aber trotz einzelner geilen Triebe am Stamm der französischen Bühnenproduftion verkümmerte dieser Slamm in der Gegenwart. Es hat sich an den Pariser Bühnen- autoren gerächt, daß sie vom werkthätigen Leben und den mannig- fachsten Empfindungen, die aus ihm emporquellen, sich so eng- herzig abschloffen. Sie sind heute verarmt. Und wenn der gute dicke Sarcey im Pariser Temps, der Kritiker, der von der Pariser Bourgeoisie wie ein Oelgötze verehrt wird, bei jedem neuen Pariser Bühnenwerk seinen Lesern vorkaut, was er ihnen nun schon seit Jahrzehnten predigt, und wenn eilfertige Korrespondenten über jeden Pariser Quark ihren Blatten spaltenlange Berichte senden, heute läßt es sich nicht mehr vertuschen: die Pariser Komödie muß, soll sie sich von ihrem Nieder- gang erholen, wieder Beziehungen zur lebendigen Gegen- ivarr suchen. Sie muß aus dem unsäglich engen Kreis, in den sie heute gerathen ist, auf freiere Höhen treten. Denn schließlich versimpelt selbst der witzigste und erfinderischste Mann, wenn er ewig aus einem ausgepreßten und verdorrten Thema frische Säfte gewinne» soll. Wie schildert Herr Carmon „Das Weib"? Wie eine vollständig Entartete, die gewissenlos. albern und roh wird, wenn ihr Satan naht. Dieser Satan ist ein nnbedeutender junger Herr, der ans das verschlaffte Gemüth und Gewisien eine suggestive Wirkung ausübt, die alle übrigen Empsindungen in der"Frauenseele tödtet. Er hat Frau Mar- tucrite verführt und sie mit einem Kinde sitzen lassen. Frau llargiierite hat geheirathet und ihre Vorgeschichte verschwiegen. Ihr Gatte trieft von Edelinuth. Seine überzärlliche Liebe macht ihn sogar zum Schwächling und alle Opfer, die er bringt, ver- möge» nichts vor Frau Margnerite. Sie braucht nur die Tritte ihres Verführers in der Nähe zu hören, und I-a I'eiMiw, die Niederträchtige, legt sich wimmernd dem gemeinsten Mann zu Füßen. Dies Zerrbild auf die Frau ist gewiß ungeschickt gemacht und Herr Carmon verfügt nicht über die große Kunstfertigkeit. mit der mancher Pariser Bühnenautor seine Jdeenarinuth verkleidet, Aber dennoch ist sein Machwerk bezeicknend für die ganze, so kläglich einförmige Art der Pariser Bühnenautoren der Gegen- wart. Man findet einen Typus des Weibs, das in schwüler Atmosphäre zur Hysterischen ausgeivachsen ist, keck verallgemeinert man sein bischen wirkliche oder geheuchelte Erfahrung und ruft aus:„Siehe, die Frau!" ha, Femme! Schade um die Mähe, die sich so tüchtige Schauspieler, wie Frl. Bertens(Mir- guerile), Herr Jarno(ihr Gatte) und Herr Ritter»ahmen. An den ernstesten Stellen war das Publikum zur Heiterlcir geneigt._ Vernrisicktkes. Dresden , 12. März. In der Nacht von Sonnabend zu Sonntag wurde auf der Pferdebahnstrecke Zirknsstraße-Blasewitz während der Fahrt in der Nähe des Siegesplatzes von Un- bekannten auf den Kondukteur Jelel geschossen. Der Schwerver- letzte wurde in das benachbarte Karolahans gebracht, woselbst er nach 2t/z Stunden verstarb, ohne die Bestnnung wieder er- halten zu haben. Die Geldtasche wurde mit vollem Inhalt vor- gefunden, sodaß ein Raubmord ausgeschlossen ist. Vom Thäter fehlt jede Spur, ebenso ist daS Motiv der Thal unbekannt. Unter der Bevölkerung herrscht große Aufregung.
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