Einzelbild herunterladen
 

Nr. 61.

Erscheint täglich auße: Montags. Breis pränumerando: Viertel: jährlich 8,30 Mart, monatlich 1,10 mt, wöchentlich 28 Big. frei in's Haus. Einzelne Numme: 6 Pfg. Sonntags: Nummer mit illuftr. Sonntags Beilage Neue Belt" 10 Pfg. Boft- Abonnement: 8,80 Mt.pro Quartal. Unter Kreuz band: Deutschland   u. Defterreich: Ungarn   2 Mt., für das übrige Ausland 3 Mt.pr.Monat. Gingerz. in der Boft Beitungs Breisliste für 1894 unter Nr. 6919.

Vorwärts

11. Jahrg.

Infertions- Gebühr beträgt für die fünfgespaltene Beritzeile oder deren Raum 40 Big.. für Vereins: und Versammlungs Anzeigen 20 Big Inferate für die näcite Nummer müssen bis 4 Uhr Nachmittags in Der Erpedition abgegeben werden. Die Grpedition in an Wochen: tagen bis 7 Ubr Abends, an Sonn­und Feittagen bis 9 Uhr Vor­mittags geöffnet. Ferufpredjer: Amt I, 1508. Telegramm- Adresse: Sozialdemokrat Berlin Berliner  

Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands  .

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.

Von den Bauernfreunden.

Dieser Tage ist eine ausgezeichnete Schrift zur Ge­schichte der Bauerubefreiung*) erschienen, auf die näher ein­zugehen wir uns vorbehalten. Karl Grünberg  , ein Schüler Knapp's, hat für Desterreich dieselbe Arbeit geliefert, wie der Lehrer in seinem muftergiltigen Werke für Preußen. Das Wesen des Junkerthums wird durch die Erforschung der Agrargeschichte so trefflich klargelegt, der Typus des junkerlichen Bauernfreundes tritt so scharf hervor, daß es gerade jetzt, da die Agrarier der Bauernschaft ihre Liebe mit doppelter Jnbrunst betheuern, gar nüßlich ist, aus der Historie des Nachbarstaates etwelche Thatsachen mit zutheilen.

Das Märchen von dem Gleichklang der Jnteressen des Groß und Kleingrundbesiges wird von den brot vertheuernden Gegnern der Handelsvertrags- Politik mit Iautem Schalle in alle Welt hineinposaunt. Die Geschichte aber lehrt, daß stets und überall der Junker des Bauern schlimmster Feind gewesen ist.

Im Laufe der Entwickelung wird der Grundherr zum Gutsherrn, er bemächtigt sich der Arbeitskraft des Grund­holden in immer stärkerem Maße, er sichert sich dank seiner politischen und wirthschaftlichen Machtstellung die Landwirthschaftlichen Zwangsdienste, er richtet den Groß­betrieb auf der Grundlage der Erbunterthänigkeit ein und schafft das nichtsnußige System der Frohndienste.

In der zweiten Hälfte des fiebenzehnten und im acht­zehnten Jahrhundert ist in den böhmischen Ländern der gutsherrliche Betrieb ebenso, ja noch viel mehr entfaltet, als in den Bezirken Deutschlands   östlich der Elbe  . Die großen Güter, die vor allen den Fürsten  , Grafen  , Baronen gehören, im Besitze des Herrenstandes sind, umfassen durch­schnittlich dreißig Dörfer. Die Herren stehen meist in taiserlichen Diensten, als Heerführer, Diplomaten u. f. w., Verwalter und Beamte führen auf den Herrschaften die Verwaltung.

Die Frohndienste der Unterthanen spielen in dem land­wirthschaftlichen Großbetriebe jener Tage die Hauptrolle. Aber noch über andere Einnahmen aus dem Titel der Grundherrlichkeit verfügt die Grundobrigkeit. Da giebt es Geld- und Getreidezinsungen, da giebt es eine Reihe au­derer Naturalabgaben, die sogenannten Ehrungen. Solche Ehrungen bestehen aus Eiern, Geflügel, gesponnenem Garn, Flachs, Honig, Meerrettig, Federn, auch aus Vieh. Dahin *) Karl Grünberg  , Die Bauernbefreiuung und die Auflösung des gutsherrlich- bäuerlichen Verhältnisses in Böhmen  , Mähren  , Schlesien  . Erster Theil. Ueberblick der Entwickelung. 3weiter Theil. Die Regulirung der gutsherrlich- bäuerlichen Ver hältnisse von 1680 bis 1848 nach den Atten. Leipzig  . Verlag von Duncker u. Humblot. 1893 und 1894.

Feuilleton.

Nachdruck verboten.]

Helene.

( Alle Rechte vorbehalten [ 66

Roman in zwei Bänden von Minna Kautsky  .

"

Was willst Du thun, Lazar?" fragte sie erblassend.

"

Du gehst mit Atschin?"

" Ich muß zurück, ich gehe nach Rußland  ."

" Ja."

" Und Tania wird Euch begleiten?"

Auch sie hat eine Mission zu erfüllen." Sofia   war weiß im Gesicht geworden:

Und warum lasset Ihr mich bei Seite? Seit wann bin ich ausgeschlossen aus der Gemeinschaft? Was habe ich denn verbrochen?"

Sonja, so darfst Du es nicht auffassen Du sollst mir Antwort geben."

-

Mittwoch, den 14. März 1894.

Expedition: SW. 19, 33enth- Straße 3.

gehören auch die sogenannten Klaubungen), d. h. die unter- brungen, so bei Hochzeiten, Kindtaufen, Begräbnissen thänige Verpflichtung zum Sammeln und Abliefern einer( Hochzeit, Kinder, Sterbemahlzeiten, Sterbe- und Todten­gewiffen Menge von wildem Hopfen, Kümmel, Eicheln, biere). Haselnüssen, Schwämmen, Schnecken u. a. m. Auf dem Papier stand die Vorschrift, daß das Allein­Einzelne Bauern und die ganze Gemeinde sind ver- verkaufsrecht von den Unterthanen freiwillig anerkannt sein pflichtet, das obrigkeitliche Jungvieh aufzuziehen und zu mußte. Die Unterthanen waren aber zu dieser freiwilligen" übersömmern, und zwar zumeist unentgeltlich. Vielfach Anerkennung so leicht zu bringen, wie die Bostunterbeamten sind die Ehrungen bies gilt namentlich für die Gespinst im Reiche des Herrn von Stephan zu freiwilligen" fchuldigkeit auch in Geld abgelöst. Neben den Ehrungen Cholerakollekten oder zu freiwilligen" Rundgebungen gegen haben die angesessenen Unterthanen auch Grundzinsen in die sozialdemokratischen Bostetats- Redner. Geld oder Getreide zu entrichten.

-

-

Seit dem dreißigjährigen Kriege darf der Unterthan feine Waffen tragen und sich nicht des Waidwerks an­maßen. Wenn der Bauer das Wild, das seine Fluren zertritt und seine Saaten vernichtet, erschlägt oder in Fallen fängt, so verfällt er hohen Geld- und Leibesstrafen, die ganz willkürlich von den Obrigkeiten bestimmt werden. Auf dem Papier besteht freilich die Verpflichtung der Herren, den Unterthanen den Wildschaden zu vergüten. Das geschieht aber nicht, oder doch nur in ungenügender Weise.

Dazu kommt der Mühl- und Getränkezwang, der erst unter Josef II.  ( 1788 und 1789) aufgehoben worden ist. Die Jusaffen eines Dominiums müssen ihr Getreide aus schließlich auf den obrigkeitlichen Mühlen mahlen lassen. Die Herrschaft allein ist zum Ausschank von Wein, Bier, Branntwein befugt. Sie allein hat das Recht, in dem ihr unterworfenen Bezirk Bier und Branntwein zu erzeugen. Läßt es sich einmal ein Unterthan beifallen, auf einer fremden Herrschaft zu trinken oder sich seine Getränke von dort zu holen, so wird er mit unterhörten Geldbußen oder oft mit grausamen Leibesstrafen belegt.

Auf vielen Herrschaften sind die Gemeinden als solche häufig zur Abnahme bestimmter Mengen von Getränken bei besonderen Gelegenheiten, wie Kirchweihen u. s. w., oder auch abgesehen von solchen in jedem Jahre verpflichtet.

In den Salzpatenten der Regierung waren die Salz preise genau ausgemessen, die Großgrundbesitzer aber Schröpften trotzdem ihre Unterthanen durch Ueberhaltung der Salzpreise, ein stilles Salzkartell vor hundert Jahren! In den Bergwerken, wo neben freien auch unterthänige Arbeiter beschäftigt wurden, entfaltete sich dies Monopol der Grundherrschaften zum schimpflichsten Truck.

Trotz der Verfügungen der Regierung beuten die Krons und Gesetzwächter ihre Uebermacht gemächlich aus, Jahr. hunderte hindurch.

Das Gegenstück zu dem Alleinverkaufsrecht bildete der 3wangslauf von Wirthschaftserzeugnissen der Unterthanen, von Vieh, Gerste, Häuten, Gespinnst, Flachs u. s. w. Bis weilen läßt sich nicht die Herrschaft selbst die Waaren liefern, sondern sie bestimmt hierzu den Bestand( d. h. Pacht-) juden. Der Vortheil des Zwangskaufs bestand in der willkürlichen Festsetzung des Preises durch die Obrigkeit. Der Preis blieb eben hinter dem marktgängigen zurück.

An den Mühlen  -, Getränke und Brauzwang schoß Die unterthänigen Handwerker werden dazu verhalten, sich gewohnheitsrechtlich eine Art von obrigkeitlichem für die Herrschaft wohlfeiler zu arbeiten. Nach großen Monopol für alle von den Unterthanen gebrauchten Gegen- Viehfällen holte der Gutsherr sich durch den famosen stände und Wirthschaftserzeugnisse, die die Herren ihnen Zwangskauf das Bauernvieh. War die gutsherrliche liefern konnten. Das Alleinverkaufsrecht war ein Werkzeug Fechsung mißrathen, der Junker beschlagnahmite die Gerste schmählicher Auswucherung der Unterthanen. Was die des Bauern und diktirte den Preis. Nach der Ueber= Obrigkeiten nicht brauchen oder sonst nicht anbringen fonnten, winterung, wenn der Bauer die Kuh am nöthigsten braucht das hängten sie den Bauern auf, verdorbenes Fleisch, Ge- und von ihr erst Nutzen erhofft, holt ihm der Herr das tränke, Geflügel, Fische, Butter, Schmalz, sonst unver- legte Haupt aus dem Stall. täufliches Vich.

Vich. Der Der Unterthan mochte sehen, 100 Damit nicht genug, reißen die Obrigkeiten oft den Ge er damit blieb, er konnte die minderwerthigen Er- treidehandel ganz an sich. Entweder werden die Bauern zeugnisse selbst gebrauchen oder weiterveräußern. Daß gezwungen, ihr verkäufliches Getreide der Obrigkeit anzu­der Wiederverkauf unmöglich war oder nur mit großem bieten. Oder es wird den Bäckern und Getreidehändlern ver­Schaden geschah, fümmerte die Edelsten und Besten" nicht. boten, innerhalb des Gutsbezirkes anderswo als auf dem Db der Unterthan die verdorbenen Gegenstände gebrauchen herrschaftlichen Schüttboden Getreide zu erstehen. fonnte oder nicht, die Herrschaft tehrte sich nicht daran. Natürlich verfügt die Junkerschaft auch über die Die Unterthanen werden- ein ganz gewöhnliches Vor- Patrimonialgerichtsbarkeit, fie richten in eigener Sache, sie fommniß zu Zwangszehrungen und Zwangsgelagen bei führen die Vormundschaft, verwalten und verrechnen die allen möglichen festlichen oder betrübenden Anlässen ge- Waisengelder, sie führen das Grundbuch. Sie sind ferner *) tlauben sammeln.

-

=

leid? Schlägt Dein Herz und Dein Gewissen nur für die Andere nur für die Todte?!"

-

Seine Augen blißten auf, einen Augenblick schien es, als wolle er sie in seine Arme reißen, dann taumelte er zurück.

Seine Leidenschaft drohte ihn zu ersticken, zugleich mit dem Gefühl seiner Ohnmacht:" Du bist ungerecht, Sonja", preßte er mühsam hervor. Er ging von ihr weg, trat ans Fenster und sah hinaus.

" Sie ging hin und her.

Dann trat sie ganz nahe an ihn heran.

"

Richter in allen den Fällen, die teine öffentlichen Leibes­und Lebensstrafen nach sich ziehen, viele Dominien haben

war, aber sie mußte geschont werden, nichts durfte ihren Frieden stören, nichts sie bekümmern." Und doch ich meine immer, sie hat alles Woraus schließest Du das?"

-

gewußt."

"

sie

Hätte sie sonst sich geweigert mit mir zu gehen? Hätte nicht einmal nach mir gerufen in all der Zeit?"

" Ihrer Liebe fehlte die Kraft dazu."

" Sie hat der meinigen gefehlt."

--

-

Auch sie war aufgesprungen. Sie hatte die tiefgehende" Wie Du Dich marterst. Hast Du Natalie nicht besser Wirkung ihrer Worte bemerkt und sie bereute sie. Mußte erkannt? Hätte sie um unsere Neigung gewußt, sie wäre sie nicht durch ihre Exaltation die seinige vermehren? die erste gewesen, die sie begünstigt hätte. Niemals wäre Immerhin zwischen ihnen mußte Alles zur Klarheit sie Deinem Glück im Wege gestanden, sie wußte, daß die kommen. Sie selbst fühlte sich freier nach diesem Aus- Zeit für sie vorüber war, wo sie Dir alles sein konnte, aber bruch, die allzu heftige Spannung ihrer Nerven hatte nach- sie dachte gar nicht einmal daran sie war schon zu krank gelassen. und zu apathisch dazu.. nun ist sie todt... ein Opfer der Tyrannei, nicht das Deine... und der Kampf entbrennt heißer, auch wir stehen darin- in vollem Glauben in voller Begeiste rung, ich, wie Du morgen zählen auch wir zu den Opfern, aber heute sind wir noch da- heute athmen wir noch, wir leben, wir lieben, können wir uns daraus einen Vor­wurf machen?" Er hatte jedes Wort von ihren Lippen genommen, jetzt warf er sich vor ihr nieder und in einem plöglichen Umschwung seiner Vorstellungen umschlang er ihre Knie und füßte ihre Hände, die schmal und bleich geworden waren, die ihm verriethen, wie sehr sie gelitten hatte, und er fühlte, daß es kein Unrecht gebe gegen die Todten, nur gegen die Lebenden.

Mein Freund," laß uns ruhig sein," und als fie Nun denn, in Rußland   bereiten sich ernste Dinge vor merkte, daß ein Bittern durch seinen Körper ging, nahm sie die Entscheidung wird in wenigen Händen liegen sie seine Hand, führte ihn zu seinem Plaz zurück und setzte sich sind im Voraus bezeichnet." neben ihn. Als Opfer bezeichnet."

-

" Man denkt doch immer an Sieg, Sonja." " Wohlan, laßt mich mit Euch gehen, laßt mich Euch anschließen."

Lazar, wir müssen uns aussprechen, Menschen, wie wir find, müssen sich alles sagen dürfen... wir aber sind nicht immer wahr gewefen gegeneinander."

Hätte ich mir, hätte ich Dir Alles gestanden, Sonja, dann hätten wir uns trennen müssen- und das wollte ich das konnte ich nicht Und heute glaubst Du es zu können?"

" Nein, Sonja!" Er streckte ihr beide Hände entgegen, in einem Aufflammen unaussprechlicher Zärtlichkeit: Du nicht sollst leben!"

" 1

"

Sofie

-

-

Aber dieser leidenschaftliche Ausbruch des Mannes, den" Heute stehen die Sachen anders, heute denke ich nur Kurze heiße Worte fielen von beiden Seiten, dann fie liebte, hatte auch in ihr die Schranken niedergerissen, an Dich­es muß sein hatte sie seine Hände ergriffen und hielt sie fest, die sie bis dahin banden. Nein, nicht an mich nur an sie denkst Du weil während sie mit einem großen und schönen Blick ihm in Leben, sagst Du, leben!" sie schlug in voller Exaltation Du Dich schuldig glaubst ihr gegenüber. Aber ich sage Dir, die Augen sah. die Hände zufammen, aber Du tödtest mich! merkit Du es Lazar, Natalie ist kein Unrecht geschehen, dazu haben wir denn nicht? Hast Du kein Auge für mich und fein Mit- sie beide zu lieb gehabt. Wir wußten, daß sie verloren

Willst Du Dich noch von mir trennen, Lazar?" Du siehst ja, ich kann nicht."