1
1887
1912
10 721,5
.
5 890,8
22 858,1 10 721,5
Zunahme in Prozenten 103,2 98,1
•
6 046
19 652,3
225
beleuchtet. Nach der gleichen Schrift nahm der Gesamtaußen- tonnen sie nicht nur sämtlich ohne Krieg zu befriedigender| Germanen. Nun stehen zwar weder alle germanischen Völker handel der drei genannten Länder in den Jahren von 1887 Erledigung gebracht werden, sie waren auch in den letzten in dem als germanisch bezeichneten, noch alle slawischen Völker auf 1912 folgende Entwicklung( in Millionen Mart): Jahrzehnten auf dem besten Wege dazu, durch die Entwick in dem als slawisch bezeichneten Lager. Aber nehmen wir lung des internationalen Rechts auf friedlichem das Wort in seiner bedingten Anwendung. Es sind in diesem Wege gelöst zu werden. Was dieser Lösung noch im Wege Krieg mehr Slawen umgekommen als Germanen, lassen ivir stand, waren falsche Machtbegriffe, die in der Alten es die doppelte Zahl sein, wie wenig wird damit auf die Welt in den Köpfen der maßgebenden Gesellschaftsschichten Dauer am Zahlenverhältnis der Völkerschaften geändert! noch festsitzen, die aber die meisten Staaten der Neuen Geändert können nur Herrschaftsverhältnisse werden, Das nach Luft" schnappende Deutschland hatte 1912 Welt ins alte Eisen geworfen haben und sich dabei deren Einfluß auf den Fortbestand und die Lebenskraft der schon nahezu einen ebenso starken Außenhandel als England, ausgezeichnet stehen. Bir Sozialdemokraten haben diese Macht Völker zu allen Zeiten ein sehr beschränkter gewesen ist und das ihm 1887 nod) um 80 Proz. voraus war, und einen fast begriffe 3. B., daß ein Großstaat sich etwas vergibt, wenn heute geringer ist als je, wenn man nicht das Rechtswesen doppelt so starken Außenhandel als Frankreich , dessen Außen- er bei einen Streit mit einem fleinen Staat sich zu schieds- unserer Zeit um Jahrhunderte Kulturentwicklung zurüdhandel 1887 nur um ein Weniges geringer war, als der richterlicher Entscheidung oder Begutachtung versteht nic schrauben will. Deutschlands . anerkannt. Für uns ist die Macht nur ein Mittel zur Ver- Völferfragen in unserer Zeit und unserem Stulturkreis Aber warum viele Zahlen anführen, wo uns doch wieder wirklichung und Sicherung demokratischer Rechte der Völker durch willkürlichen Herrschaftswechsel lösen wollen, das können holt von offizieller Seite erklärt worden ist, daß der jetzige und der Persönlichkeit, aber niemals ein Rechtstitel für nur Menschen sich träumen laffen, die in den Auffassungen Krieg die Folge des Neides sei, mit dem die andern Länder Klassenvorrechte und ihnen entsprechende Rechte von Staaten hinter uns liegender Zeitalter leben. Und doch würde es diesem auf Deutschlands großartige Entwicklung geblickt hätten. Bon über andere Staaten der Kulturwelt. Sollen wir diese Aus- Strieg immerhin noch einen gewissen Sinn geben, wenn mit ihm die dieser letzteren Behauptung und der obigen kann ja doch fassung aufgeben? Sollen wir den leitenden Gedanken Lösung einer großen Völkerfrage bezweckt würde. Aber davon ist höchstens eine richtig sein: war Deutschland in seiner tvirt- unserer Auslandspolitik, der demokratische Völker nichts zu spüren, was man hört, zielt auf Me a cht verschiebungen schaftlichen Entwicklung unterbunden, so konnte es nicht ob politit heißt, zugunsten der imperialistischen Machtpolitit ab, die nicht einmal in der Jdee Lösungen bedeuten, in der deren Großartigkeit den Neid der reichsten Länder Europas antidemokratischer Gesellschaftsklassen aufgeben? Denn darauf Wirklichkeit aber nur die schon vorhandenen Fragen verewigen Wenn unsere bürgerlich- liberalen herausfordern; war sie aber so großartig, um Neid zu erzielt, ob ihre Verfechter sich dessen bewußt sind oder nicht, die und verschärfen würden. regen, so kann das mit der behaupteten Einschnürung nicht Parole vom„ Umlernen" im Hinblick auf die Beziehungen der Parteien bis in die äußerste Linke hinein sich damit abfinden, regen, so kann das mit der behaupteten Einschnürung nicht Staaten lezten Endes hinaus. Wir haben aber in diesen so ist dies unter anderem die natürliche Folge davon, daß ihnen ganz stimmen. Was will das Wort„ Einschnürung" besagen? Es soll Dingen nicht umzulernen, sondern zuri dzulernen. das grundsäkliche Denken abhanden gekommen ist. Sie haben nur noch mehr oder weniger verschwommene allgemeine Entwicklung von anderen Ländern gehemmt sei, wo- Zurückzulernen, ja wohl, und zwar ziemlich weit zurück. Ideen, im übrigen aber sind sie nicht nur Opportunisten im runter die Entwicklung seines Volkes wirtschaftlich leide. Da hatten wir im alten Programm der im Jahre 1875 ver- Krankheit, vor der man sich hüten muß wie die Best, denn sie Handeln, sondern auch Opportunisten im Denken. Eine Es legt dem Besitz von Kolonien cinc maßgebende einigten deutschen Sozialdemokratie den Sak:" Die Arbeit ist Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung der Staaten die Quelle allen Reichtums und aller Stultur". Er war in iſt die schlimmste Reaktion, viel schlimmer als die Reaktion in bei. Auf den Streit um stolonien läuft die Beweisführung diefer Faffung theoretisch falsch, da bei ihm der Naturfaktor Gewissen auf, fie aber vergiftet die Gewissen. Und wenn man Gestalt von Verfolgungsgesehen. Gegen diese lehnen sich die der Verkünder der Einschnürungsgefahr hinaus. Tatsächlich außer Betracht gelassen wurde. Aber ihm lag der richtige stchen nun aber die Dinge so, daß man mit gutem Zug Gedanke zugrunde, daß die Natur zwar die selbstverständliche uns Sozialdemokraten kommt und uns zumutet, auch in bezug sagen fann, Deutschlands Boltswirtschaft ist Vorbedingung der Arbeit ist, daß aber die Arbeit an der auf die Völkerfragen umzulernen", wenn man die rascher vorangeschritten als die Frankreichs Natur und ihren Schäzen der Hauptschöpfer alles Reichtums materialistische Geschichtsauffassung heranzieht, um mit ihrer und Englands, nicht obgleich fein Kolonial- und die Grundlage aller Kultur ist. Daß also, die unerläßlichen Hilfe die Geister gegen eine Eroberungspolitik abzustumpfen, der niemand schärfere Abweisung hätten zuteil werden lassen, als besik geringer ist als der dieser Länder, son- Naturbedingungen gegeben, die Arbeit es ist, die ein Land niemand schärfere Abweisung hätten zuteil werden lassen, als dern gerade weil es weniger Kolonien hat als reich macht und zur Höhe der Kultur emporträgt. Diesen Marr und Engels, die Schöpfer dieser Theorie, so ist es wohl sic. Das scheint parador, ist aber nur die Feststellung einer Satz beziehungsweise die in ihm liegende Wahrheit kann recht an der Zeit, den Ruf zu erheben nicht umlernen, sondern wissenschaftlich beweisbaren Erfahrung. Die Geschichte aller man heute nicht entschieden genug betonen. Wie eine an- 8urüdlernen.
*
Kolonialländer hat den Beweis geliefert, daß ein großer Stolonial steckende Krankheit ist die Ueberschäzung der Macht besitz ein außerordentlich zweifelhafter Segen für die innere der Staaten und die Unterschäzung der Arbeit Eine ernste, lehrhafte Maibetrachtung. Aber in dieser Entwicklung eines Landes ist. Der Reichtum, der von den für die Wohlfahrt der Völker über die Menschen gefommen. ernsten Zeit sicherlich nicht überflüssig. Gewiß fehlt es in ihr Kolonien kommt und der als Ueberschuß über seine Kosten heute Bei uns um so weniger zu rechtfertigen, als gerade Deutsch - auch nicht an Lichtblicken. Wir sehen trotz aller Verheerungen, aus einer ganzen Reihe von Gründen im Verhältnis sehr viel land den sprechenden Beweis dafür liefert, wvic i enig Macht die der Krieg angerichtet, bei uns und in anderen Ländern geringer ist als in früheren Zeitaltern, bleibt an ein- und wie viel Arbeit für die Entwicklung der Nationen be- die Kader der Arbeiterbewegung zwar numerisch gelichtet, zelnen Händen fleben. Unter dem Abzug an Menschen deutet. Sein großes Heer und seine ja erst im letzten Jahr aber im übrigen fest in Bestande. Ihre wirtſchaftlichen und Energien dagegen, den jede umfassende Kolonial- zehnt zu ihrer jetzigen Rangstellung emporgetriebene Kriegsflotte Organisationen haben sich glänzend bewährt, ihre politischen politik beansprucht, kann die Leistungsfähigkeit des Mutter- sind sehr unschuldig daran, daß das Tempo des Fortschritts Vertretungen sich in Gesetzgebung und Verwaltung wirkungslandes im Verhältnis zu seinen Konkurrenten schr bedeutend seiner Volkswirtschaft das anderer Länder übertrifft. Diese voll betätigt. Die Verbindungsfäden der Internationale geschädigt werden. Dagegen fommt bei entwidelter Welt- Tatsache ist das Produkt seiner Arbeit, der werden einer nach dem andern wieder angeknüpft und bewirtschaft der wirkliche Vorteil der Erschließung und Ent- geistigen wie förperlichen, der lehrenden festigt, die Verständigung von Land zu Land, wir dürfen widlung von Kolonien allen Ländern zugute, die in die und leitenden, wie der organisierten und sagen von Ländergruppe zu Ländergruppe, hat in den letzten Weltwirtschaft eingetreten sind, den einen den Besitzern ausführenden Arbeit, Güter, die kein Feind Monaten große Fortschritte gemacht. Alles dessen dürfen der betreffenden Kolonien-direkt, den anderen indirekt, ihm nehmen kann, er müßte denn die ganze wir uns freuen und daraus die Gewißheit schöpfen, daß und der Vorteil der letzteren Länder ist in den meisten Fällen Nation verpflanzen, was eine platte Unmög. die Internationale der Arbeiterklasse lebt und ihre volle größer, als der der ersteren, weil sie nicht, wie jene, die lichkeit ist und auch auf niemandes Programm Straft wieder gewinnen wird. Aber wir wollen uns auch nicht geringen Kosten des Kolonialbesizes zu zahlen haben. steht. Die Macht schafft nicht Reichtum, fie fann höchstens offen eingestehen, daß das letztere noch nicht erreicht ist. Er. Der Umstand, daß die große Masse derjenigen, welche seine Verteilung ändern. Aber im heutigen Völker- reicht fann es nur werden, wenn wir deutschen Sozialheute die öffentliche Meinung bilden, diese erfahrungsmäßig berkehr ist das zwischen Nationen nicht möglich, ohne das demokraten den Beweis ablegen, daß wir in bezug auf die feststehenden Tatsachen aus den Augen verloren haben, ist eigene Volt dadurch nachwirkend zu schädigen. bedeutungsvollen Grundsäße, die das Wesen der Internationa eine der hervorragendsten Ursachen, der dic Völfer Die Macht fann auch Wölferfragen nationaler Natur nicht lität bestimmen, ohne deren unerschütterliche Hochhaltung den gegenwärtigen Krieg verdanfen. Denn so weit sonst sach willkürlich lösen. Man spricht heute im Hinblic auf den fie eine Lüge wäre, weder umgelernt haben noch umzulernen liche Fragen der Völferbeziehungen in Betracht kommen, so gegenwärtigen Krieg vom Rassenfampf zwischen Slawen und Gefahr laufen. Diese Grundgedanken umfassen das Lebensmanche Augen der Kameraden feucht schimmerten, wenn einer der unseren fiel, und wenn Du den Ruf vernommen hättest:„ Hoch Deutschland, wir kämpfen für Deutschlands Freiheit!" dann würdest Du vielleicht verstehen, daß es jetzt so ganz anders aussicht. Heute ist der erste Mai und heute rufe ich mit heller Begeisterung und aus vollem Herzen aufs neue die Worte:" Freiheit und Gleichheit!" Jeht, Jda, wirst Du mich vielleicht verstehen."
Maifeier.
Mach fig, Lotte, Vater wird schon warten."
Mit diesen Worten stülpte sich die kleine dicke Frau Brenneke den Kapotthut auf ihr Haar und schlüpfte in den schon etwas vertragenen Mantel. Auch ihr Töchterchen, die vierzehnjährige Lotte, hantierte eilig im Nebenzimmer umher, galt es doch, den Bater,
der in einem hiesigen Lazarette war, zu besuchen.
Die Besuchszeit war nur furz, zweimal in der Woche von zwei bis rier Uhr, und regelmäßig an diesen Tagen pilgerte Frau Brennecke mit ihren beiden Kindern hin, um den verwundeten Gatten zu besuchen.
Heute fehlte der Sohn, der sechzehnjährige Jüngling war als Lehrling in eine große Fabrik eingetreten und arbeitete heute, am ersten Mai, dort. Diese wichtige Neuigkeit mußte man Bater erzählen, außerdem befand sich in der großen Handtasche von Frau Prennede eine schöne selbstbereitete Wurst, die dem Vater gewiß
munden würde.
"
mandem anders."
Geh mal raus, Rotte, und unterhalte Dich derweilen mit jcSchon wollte das Kind dem Wunsche nachkommen, da hielt Brennede es zurüd: Raz sic ruhig hier, Jda, fic fann es schon mit anhören. Es ist ja nichts weiter, lagt nur, cs wird schon vor übergehen." Und nach einer Weile fügte er Icise hinzu:" Nicht wahr, wir haben heute den ersten Mai?"
" Jatvoll, Alter, heute ist Sonnabend, der erste Mai." ,, Wie seid Jhr denn hierhergefahren?" Ausführlich berichtete Frau Jda den genommenen Weg. Sie erzählte, wie schön draußen schon alles sei. Im Friedrichshain hätten die Vögel gesungen, daß es eine Lust war, es würde wohl nicht lange dauern, dann dürfte auch er aufstehen und draußen spazieren gehen. Wieder eine bedrüdende Pause, dann hub Brennede zögernd an:
Und wie sicht es denn sonst im Friedrichshain aus?" Frau Brennede verstand erst nicht recht, erst als der Berwundete, mit einem scheuen Blick auf die übrigen Betten, die im Bimmer standen, Teise fortfuhr: Jch meine heute ist doch der erste Mai," da verstand sic.
Alljährlich, solange sie ihren Mann fannte, war der am ersten Der Weg zum Lazarett, in dem Brennecke nun schon seit mehreren Wochen sich befand, war weit. Es hieß die elektrische Bahn Mai nicht zur Arbeit gegangen, da war sein Feiertag. Da zog er benutzen, in der Gegend des Friedrichshains mußte man noch um- mit anderen Kollegen zum Friedrichshain , zu seinen Versammsteigen, um dann weiter zu fahren. Es war ein schöner Tag, über- lungen. Kehrte er heim, dann war er mürrisch, und ganz lästerall an den Bäumen und Sträuchern sproßte das junge Grün her- liche Redensarten, die der sonst nüchterne und fleißige Mann nicht vor und die Vögel sangen und zwitscherten, daß es ein Vergnügen machte, kamen über seine Zippen. war, ihnen zuzuhören.
Brennecke erwartete die Seinen sehnsüchtig. Er wußte ja ganz genau, daß zu jeder Besuchsstunde seine Jda mit den Kindern er schien, und war daher sehr erstaunt, daß der Paul heute fehlte. Als ihm Frau Brennecke dann den Grund des Fehlens berichtete, da nickte er mit dem Kopfe.
„ Er arbeitet heute?" " Jewiß doch, Justav, er ist heute eingetreten und fommt erst gbends um sechse nach Hause." Dann wieder eine Weile Schweigen, der Verwundete blickte gedankenvoll vor sich hin.
Frau Brennecke berichtete dann von allen ihren fleinen Erlebnissen, aber der Gatte schien heute nicht das rechte Interesse dafür zu haben. Frau Jda fühlte ganz genau, daß seine Gedanken andersivo weilten, und schließlich hielt sie es nicht länger aus: " Du hast was auf dem Herzen, Justav," meinte sie in ihrer geraden, etwas derben Weise.„ Sag mir doch, wo Dich der Schuh
Frudt."
Erst wehrte er lächelnd ab, aber Frau Brennede kannte ihren Mann genau, sie wußte, hier war etwas nicht ganz richtig. ViclTeicht wollte er nicht reden, weil das Kind dabei war. Rasch entschloffen wandte sie sich daher an die Tochter:
*) In der Beilage Die Frau" zum" Deutschen Kurier", die vom Propaganda- Ausschuß der Frauen der Nationalliberalen Partei herausgegeben wird, erschien vor einigen Tagen diese Skizze. Wir drucken sie nach, um zu zeigen, wie man die Jocale der deut schen Sozialdemokratie unter dem Burgfrieden herabseßen zu fönnen glaubt und wie sonderbar sich in nationalliberalen Köpfen die Welt des Sozialismus malt.
Heute hatte sie ganz vergessen, daß es der erste Mai war, darum schrat sie auch zusammen, als ihr Mann davon zu reden anfing. Fünf Monate hatte er draußen im Felde gestanden und hatte um sein Vaterland gekämpft, tapfer und pflichtgetreu, wie jeder gute Deutsche. Er hatte nicht gemurrt, nicht gezögert, als man ihn von der Arbeit weg auf das Schlachtfeld Holte. Nun lag er schon wochenlang hier im Lazarett und, gottlob, er ging seiner Heilung entgegen.
Mit aller Gewalt suchte sie dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, aber es gelang ihr nicht, die Gedanken ihres Mannes abzulenten. Der weilte noch immer bei dem ersten Mai.
„ Ob sie wohl wieder heute hinausgezogen sind und von Freiheit und Gleichheit reden?" Es flang fast, als spräche er vor sich hin. Freiheit und Gleichheit, atvei Worte, so inhaltsschwer und doch so verkannt. Jezt habe ich sie draußen verstehen gelernt; wir alle waren Kameraden, wir alle waren Brüder, wir alle kämpften um eins, um unsere Freiheit."
Frau Brennede erfaßte angstvoll die Hand ihres Mannes. " Justav, was redest Du da?"
Er blickte sie lange an, dann streichelte er ihr die Wange. „ Glaub's Dir gern, Jda, daß Du mich heute nicht verstehst. Aber weißt Du noch, heute zum ersten Mai, da kommen einem ganz absonderliche Gedanken. Im vorigen Jahre noch, da habe ich zu den Kameraden von Freiheit und Gleichheit gesprochen, aber draußen im Felde, da hat man mir gesagt, daß es auch etwas Schönes und Gutes um die Freiheit und die Gleichheit sein kann. Wenn Du gesehen hättest, Ida," seine dunklen Augen Ieuchteten plößlich in weichem Glange, wie unsere Offiziere mit uns Seite an Seite kämpften, wie sie mit uns den letzten Bissen Brot teilten, und wie sie um uns besorgt waren, wenn Du gefehen hättest, wie
|
Aus dem Bette nebenan hob sich ein blasser Männerkopf. " Freiheit und Gleichheit" flüsterten auch seine Lippen, und über sein Gesicht zog ein Leuchten. Brennecke sah es und wandte fich dem verwundeten Kameraden zu.
,, Den ersten Mai haben wir heute. Ich möchte meine Maia feier nicht missen, wir haben viel ba draußen auf dem Schlacht felde gelernt und es soll auf keinen unfruchtbaren Boden gefallen sein. Es ist schwer in der Welt, man kann es nicht allen Menschen recht machen. Auch da draußen auf dem Kampfplate ist nicht immer alles nach unseren Köpfen gegangen. Aber es war gut so. Heute wissen wir, warum es so sein mußte und darum will ich heute eine Maifeier halten nach meinem Sinn."
Er zog seine Frau an beiden Händen dicht an fein Bett heran. Dann hub er mit leiser, aber fester Stimme an zu singen: Deutschland , Deutschland über alles." In den nächsten Sekunden fielen die Verwundeten ein und das alte deutsche Zied brauste durch Wie eine Welle pflanzte es sich fort, flang den Krankenſaal. hinaus auf den langen Korridor, auf dem die anderen Verwundeten auf und ab gingen. Die griffen den Gesang auf, und so schallte das Lied von einem Saal zum anderen, in den herrlichen Maitag hinaus.
Frau.
Es verklang und Brenncde neigte sich dicht zum Ohr seiner
" Noch ein Lied muß ich fingen, Jda," flüsterte er ihr zu.„ Ich habe unseren Kaiser da draußen gesehen, er hat zu uns gesprochen und hat vielen von uns die Hand gedrückt. Auf seinem Gesicht stand ein hoher Stolz, aber auch Schmerz und Weh habe ich daraus gelesen. Und als wir blutbesprißt und staubbedeckt zurückkehrten, ein kleines, zusammengeschmolzenes häuflein, da haben seine grauen Augen einen feuchten Schimmer gehabt, und schweigend hat er sich abgewandt. Das habe ich gesehen, Jda, das will ich vor Gott und aller Welt bezeugen, und darum habe ich noch eine Schuld abzutragen. Ich habe es lange nicht mehr gesungen, das Lied, helft mir, wenn ich nicht mehr weiter könnte. Du, Lotte, stimm einmal unsere Nationalhymne an."
Mit heller Begeisterung begann das Kind: Heil dir int Siegerfranz", und wieder fielen die Kameraden fröhlich ein. Fast andächtig sang Brennecke das Lied mit, und als er zu den Worten tam:" Fühl in des Thrones Glanz die hohe Wonne ganz, Liebling des Volks zu sein", da schwankte seine Stimme merklich, aber mit doppelter Festigkeit und warmer Innerlichkeit schmetterte er hin aus:" Heilige Flamme glüh, glüh und erlösche nie."
Frau Jda schmiegte sich fest in seine Arme, und über ihr Antlitz rannen Tränen. Sie hörte das neue Gelöbnis und ein füßer Friede, eine heilige Ruhe zog in ihr Herz.
Als die Besuchszeit beendet war, als sie mit der Tochter, die finnend vor sich nieder blickte, wieder heim fuhr und als fic am Friedrichshain vorüber kamen, da flüsterten ihre Lippen:
" Das war eine Maifeier, unseres großen Deutschen Reiches würdig."