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Nr. 64.
Erscheint täglich außer Montags. Prets pränumerando: Vierteljährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 mt, wöchentlich 28 Bfg. frei in's Haus. Einzelne Nummer 6 Pfg. Sonntags- Nummer mit illuftr. Sonntags- Beilage Neue Belt" 10 Pig. Poft- Abonnement: 8,30 Mt.pro Quartal. Unter Kreuz band : Deutschland u. DefterreichUngarn 2 Mt., für das übrige Ausland 3 Mt.pr.Monat. Etnger:. In der Poft Beitungs- Breisliste für 1894 unter Nr. 6919.
Vorwärts
11. Jahrg
Infertions- Gebühr beträgt für die fünfgespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pfg., für Vereins: und Beriammlungs Anzeigen 20 Pfg Inferate für die nächste Nummer müssen bis 4 Uhr Nachmittags in be: Grpedition abgegeben werden. Die Ervedition in an Wochen: tagen bis 7 Uhr Abends, an Sonn: und Fefttagen bis 9 Uhr Vor: mittags geöffnet. Fernspredjer: Amt I. 1508. Telegramm- Adresse: Sozialdemokrat Berlin !
Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.
Im Namen des Königs! In der Strafsache gegen den Redakteur Friedrich August Enders zu Berlin , 3. 3. im Straf gefängniß in Plößensee, geboren am 3. November 1856 zu Schnee berg , Kreis Zwickau , evangelisch, wegen Beleidigung mittels der Presse, hat die 1. Straffammer des tgl. Landgerichts I zu Berlin in der Sigung vom 12. Februar 1894, an welcher Theil genommen haben: 1. Landgerichts- Direktor Ried als Vorsitzender, 2. Landgerichtsrath Dieß, 3. Landgerichtsrath Amelung, 4. Landrichter Röser, 5. Landrichter Tackmann als Richter, Staatsanw. Dr. Oppermann, als Beamter der Staatsanwaltschaft, Referendar Schröder, als Gerichtsschreiber, für Recht erkannt: Der Angeklagte wird wegen öffentlicher Beleidigung mit sechs Wochen Gefängniß be= ftraft und verurtheilt, die Kosten des Verfahrens zu tragen. Den Beleidigten( kaiserl. Ober- Postdirektion zu Oppeln und dem Postverwalter Mildner zu Slawengit) wird die Befugniß zugesprochen, binnen vier Wochen nach Mittheilung der Rechtsfraft des Urtheils den entscheidenden Theil desselben einmal durch Abdruck im Vorwärts" und zwar an dessen Spize, im Deutschen Reichs- und Preußischen Staats- Anzeiger" auf Kosten des Angeklagten öffentlich bekannt zu machen. Ferner wird angeordnet, daß der Artikel mit der Ueberschrift: 3um Poftetat" in Nr. 236 der in Berlin erscheinenden Zeitung Vorwärts" vom 8. Oftober 1892 in allen Exemplaren, sowie alle zu dessen Herstellung bestimmten Platten und Formen unbrauchbar zu machen sind. Von Rechts wegen. Die Richtigkeit der Abschrift der Urtheilsformel wird beglaubigt und die Vollstreckbarkeit des Urtheils bescheinigt. Berlin , den 13. Februar 1894. L. S. gez. Hasse, Gerichtsschreiber des tönigl. Bandgerichts I, Straffammer I in Vertretung.
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Die Reichspost
als staatliche Musteranstalt.
Der Adressensturm, den kürzlich ein Theil der ReichsPostbeamten gegen die Aeußerungen der sozialdemokratischen Abgeordneten im Reichstag in Szene sette, weil angeblich die Zustände in der Reichs Postverwaltung durch die genannten Abgeordneten zu schwarz gemalt worden seien, erhält eine grelle Beleuchtung durch eine an den Staatssekretär Dr. v. Stephan eingereichte Petition. Dieselbe ging von der Wittwe eines Postunterbeamten aus, der sich im Jahre 1892 wegen seiner Ueber bürdung mit Arbeit das Leben nahm, ein Motiv zum Selbstmord, das die schwerste Anklage enthält, die gegen eine Verwaltung oder gegen einen Unternehmer erhoben werden kann.
Wir veröffentlichen die Petition wortgetreu, denn die schlichte Sprache derselben, in der sich die Wittwe des zum Selbstmord getriebenen Beamten an den Leiter der Reichspost um Hilfe wendet, spricht mehr für sich, als es die best stilifirten Auseinandersetzungen vermöchten.
Die Frau schreibt( Anfangs Dezember 1892):
Exzellenz!
Gine arme verlassene Wittwe wagt es, in ihrer grenzenlofen Verzweiflung in nachfolgendem vorstellig zu werden:
Mein Ehemann, der Postschaffner Aug. Weber, war bis aum 12. September d. J. beim Bahn- Postamt 2 thätig, der felbe war mit arbeiten start überhäuft und mußte von früh
Feuilleton.
Nachdruck verboten.]
Helene.
Sonnabend, den 17. März 1894.
Morgens 51/2 Uhr bis nach 10 Uhr Abends stets auf dem Posten sein; selbst um die Mittagszeit war es ihm nicht vergönnt, sein Essen in Ruhe einzunehmen. Ram mein Mann um 1 Uhr nach Hause, so wurde das Essen in schleuniger Haft hinuntergewürgt, dieweil um 1½ Uhr sein Dienst bereits wieder anfing.
Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.
der volle 18 Jahre 5 Monate treu und gewissenhaft seine Pflicht erfüllt hat, durch angestrengte überhäufte Arbeit in den Tod getrieben wurde.
Alles weitere Wohlwollende überlasse ich in Hoffnung Ew. Exzellenz dem Herrn General Postmeister Dr. v. Stephan, Ritter 2c.
Gegenüber diesem Uebelstande hatte ich mich oft ent- Man hätte erwarten sollen, daß die Betentin aus dem Reichs schlossen, meinem Manne das Essen nach dem Bahn- Bostamt 2 postamt eine Antwort erhalten hätte, in der ihre Angaben zu bringen. Die einzige freie Zeit war Dienstags und Sonn- als unrichtig oder übertrieben dargestellt würden. Statt tags Nachmittags von 11/2 Uhr bis zum Gasanstecken, aber
das Grundstück zu verlassen war ihm nicht gestattet, denn ob- deffen erhielt sie auf ihre Anklagen nicht ein Wort der das Grundstück zu verlassen war ihm nicht gestattet, denn obwohl die Hauswartstelle zum Postamt 46 gehört, war meinem Richtigstellung, kein Wort der Widerlegung, woraus ge= Manne vom Herrn Ober- Postsekretär Kaul bedeutet worden, schlossen werden muß, daß die Anklagen der Petentin als daß er doch Hauswart sei und deshalb das Grundstück nicht wahr angesehen worden sind. Das einzige Lebenszeichen verlassen dürfe! Also die Arbeit wurde immer drückender und der Oberpostdirektion zu Berlin war folgendes Schriftstück, schwerer, und ich selbst mußte beim Schneefegen mithelfen, das der Wittwe unterm 31. Dezember 1892 zuging: wofür ich keine Entschädigung erhalten habe. Eo fam es nun, daß mein Mann mit Arbeiten übermenschlich überhäuft war; sein einzigster Wunsch und Gedanke war nur etwas Ruhe, aber diese wurde ihm nicht gestattet.
Außerdem mußte er die Telegramme in Empfang nehmen und des Nachts damit herumlaufen, am folgenden Morgen wie gewöhnlich wieder seinen Dienst verrichten; ob er nun geschlafen hatte oder nicht, das wurde nicht berücksichtigt. Nun wollt ich Ew. Excellenz noch mittheilen: nach dem mein Mann diesen gethan hat, sind
sofort zwei Leute worden. Ferner
hatte mein Mann den ganzen Monat Nachtdienst und es sind kaum sechs Nächte, welche er in seiner Wohnung geschlafen hat, und diese wenigen Stunden wurden ihm noch gestört durch eingelaufene Telegramme, welche ihrer Erledigung harrten.
Dit genug hat mein Mann seinen Kollegen mit weinenden Augen über die zuviel aufgebürdete Arbeit geflagt. Bei seinen Borgesetzten wagte er hierüber nicht vorstellig zu werden, indem er doch keine Hoffnung hatte, Gehör zu finden.
Nun machte er in seiner verzweifelten Lage diesem qualvollen Leben am 12. September d. J. durch Erhängen ein Ende, nicht erwägend, daß er seine arme Familie in bedrängter Lage zurückließ. Noch in jener unheilvollen Nacht sollte er nach dem angestrengtesten Tagesdienst auch noch Nachtdienst leisten, wie schon oft vorgekommen war, und dazu fühlte er sich bei der immerwährenden Ueberbürdung außer stande, sodaß er den Tod vorzog, der ihm dann auch endlich die erwünschte
Ruhe brachte.
Hierbei muß ich noch bemerken, daß mein Mann bei Lebzeiten oft geäußert hat, wenn er nicht mehr da sein werde, würde das Bahn- Postamt zwei Mann beschäftigen- und so
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Auf die vom Reichs- Postamt zur Erledigung hierher ab gegebene Eingabe vom 10. erwidere ich Ihnen, daß Ihre Behauptung, daß nach dem Ableben Ihres Ehemannes bei dem Bahnpostamt Nr. 2 eine zweite Unterbeamtenstelle für den inneren Dienst eingerichtet worden sei, nicht zutrifft, vielmehr die Verhältnisse hinsichtlich des von Ihrem Ehemanne s. 3. wahrgenommenen Dienstes noch unverändert fortbestehen. Der faiserliche Ober- Postdirektor, Geheime Ober- Postrath. Griesbach.
.An
die verwittwete Frau Postschaffner Weber G. 24757.
hier, SW.
Diese Antwort, wie gesagt, die einzige, die die Pe tentin erhielt, bezieht sich auf eine ganz nebensächliche Ausführung der Petition.
Antwort, muß also angenommen werden, daß die Angaben Nach dem Sprichwort: Keine Antwort ist auch eine der Wittwe auf voller Wahrheit beruhen und daß der Bostschaffner Weber durch Ueberbürdung mit Arbeit zum Selbstmord getrieben worden ist. Damit ist aber über gewisse Zustände in der Reichspost- Verwaltung eine Verurtheilung ausgesprochen, wie sie vernichtender nicht gedacht werden kann. Herr v. Stephan hat alle Ursache, in seiner Verwaltung gründlich Umschau zu halten, damit Vorfälle, wie der angeführte, fürderhin unmöglich sind.
iſt es auch geschehen zwei Beamte verrichten jetzt dieselbe Politische teberlicht.
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Arbeit, welche meinem Manne allein aufgehalst war.
Nun möchte ich Ew. Exzellenz die Frage vorlegen: Warum ist diese Einrichtung nicht schon zut Aus dem Reichstage. Die Koffer waren bereits gemeines Mannes Lebzeiten getroffen worden? packt und der Eisenbahnzug, mit dem die Heimreise anDann wäre meinem Manne und uns viel bitteres Ungemach getreten werden soll, bereits bestimmt, nur halben Ohres erspart geblieben, und ich mit meinen armen Kindern brauchte wurden die Redner mehr angehört und sobald ein solcher nicht vor dem Ruin und Bettelstab zu stehen, wodurch unser
Leben für immer vergiftet ward. Wer trägt nun zur Verfor- sich gar ein zweites Mal erhob, um noch ein paar Worte gung und Erziehung meiner Kinder bei? Das ist für mich zu sagen, so fonnte er sicher sein, daß dieses sein Thun eine Frage, welche ich nicht im Stande zu beantworten bin. von allen Seiten des Hauses mit einem Oho! begrüßt In meiner trostlosen Lage vermag ich mir nicht anders zu helfen, als inden ich Ew. Exzellenz den ganzen Sachverhalt zur Prüfung vorlege, und bestätige hiermit, wie ein Beamter,
Sie reißt das Blait an sich und liest, in eine Beile zusammengedrängt, daß Schreckliche: Eugen Wassiljewitsch ( Alle Rechte vorbehalten ist wahnsinnig geworden.
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Noman in zwei Bänden von Minna Rautsty. Da reißt er die Augen plötzlich auf ein Gedanke fährt bligartig durch dieses Gehirn, bewegt es noch einmal in Schmerz und Sorge.... Der Wille, Anderen zu helfen, Unschuldige zu retten, setzt noch einmal seine Nerven zu einer legten Kraftanstrengung in Spannung.
Er öffnet den Mund, aber kein Ton will aus der Kehle da hebt er die Hand... preßt sie an die Brust... da," röchelt er, da," und verscheidet.
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Ausgelitten!" Sie bleibt unbeweglich, den todten Mann im Schooße... Ihre Hände halten ihn noch, so weich und lind... sie hat keinen Gedanken im Sinn nur Weh im Herzen... sanft drückt sie ihm die Augen zu, dann erhebt sie die ihrigen und sicht, daß seine Hand noch immer auf der Stelle ruht, die er bezeichnet hat: Da
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da!"
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Es ist sein Vermächtniß. Sie schiebt die erfaltende Hand bei Seite, befühlt die Stelle und zieht eine Brieftasche hervor.
Sie öffnet fie. Da sind Aufzeichnungen von seiner Hand, Briefe, Adressen.
Das darf nicht gefunden werden. Sie hat die Freiheit. das Leben vieler Genossen in ihren Händen. Sie will es wahren.
Eilig schiebt sie die Blätter wieder in die Brieftasche zurück. Aber da steht am Rande ein Wort, das sich ihren Augen gleichsam von selbst aufdrängt, es ist der Name ihres
Mannes.
Und sie starrt darauf und lächelt. Es ist ein Krampf, der ihr Gesicht graufig verzerrt.
Hat fie's nicht längst geahnt, unsagbar deshalb gelitten- nun endlich hat sie Gewißheit!
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wurde.
Die Entscheidung war ja bei der zweiten Lesung schon gefallen, die Annahme des Vertrages gesichert und nun
Was soll sie thun? Soll sie ihm Hilfe angedeihen oder den Mann hier verderben lassen, um die Freunde zu warnen und die Papiere, die andere gefährden können, wenn man sie bei ihr fände, vorerst in Sicherheit bringen?
Aber wenn sie Lazar an diesem Punkte zurückläßt, wird nicht der erste Vorüberkommende ihn entdecken und, Sie entlockt ihr feine Thräne mehr die Schwäche ist der Blutspur folgend, den Anderen finden? Wird dann vorüber Haß ist ihre einzige Empfindung. nicht alles ebensogut verrathen sein und früher vielleicht, Funerlich hatte sie gebangt und vor dem Schrecklichen ehe es ihr gelungen war, die Freunde zu alarmiren, und gezittert, als Andere es thun wollten nun will sie selbst mit ihrer Hilfe den Todten heimlich hinwegzubringen? es thun. Lazar mußte fortgeschafft, mindestens den Augen der Nur das Eine fürchtet sie jetzt, daß ihr ein Anderer Vorüberkommenden entzogen werden, es war das wichtigste. Sie versucht den Berwundeten zu heben, mühsam zuvorkommen könne, Schon hat sie die Brieftasche unter dem Kleide geschleppt sie ihn weiter in den Weinberg hinein. Aber ihre Kräfte versagen, sie kann nicht mehr.
borgen.
Sie legt den Kopf des Todten auf den Boden und erhebt sich. Sie klimmt die Wand aufwärts.
Am Rande des Tobels angelangt, sieht sie sich noch einmal nach dem Freunde um, der ihr immer ein Bruder gewesen war.
weiter.
Mit festen Augen blickt sie nach ihm hin, als wolle sie sich die greuliche Verstümmelung, der er erlegen war, unauslöschlich ins Gedächtniß prägen. Beide Beine abgerissen. es war gute Arbeit." Sie nickt dem Todten zu und wendet sich und geht Bald bemerkt sie die Blutspur, die Lazar zurück gelassen hat. Sie folgt ihr, gelangt auf die Straße und findet Lazar. Etwas feitwärts vom Weg ist er hingesunken, in tiefer Ohnmacht. Sie beugt sich nieder, sie erkennt, daß hier noch Rettung sei, aber sie müßte rasch zur Stelle sein.
Als sie jetzt Schritte hört, die den Berg heraufkommen, thut sie einige Sätze von Lazar hinweg. Sie duckt sich und zwischen den dicht belaubten Reben hindurch, blickt sie aufmerksam gegen die Straße.
Jeht springt sie auf und den Herankommenden ents gegen; sie hat sie erkannt: Es sind die Freundinnen Sofia und Helene.
Bald darauf find alle Drei um den Verwundeten beschäftigt, um ihm, so gut es geht, einen Nothverband anzulegen. Dann tragen sie ihn vorsichtig, sich gegenseitig ablösend, den Berg hinab. Sie nehmen den Weg, der durch den Weinberg hindurchführt, gegen Vogelsang zu. Dort befand sich die Villa eines Russen. Sie war unbewohnt, denn ihr Besitzer lebte in Paris . Fürst Krapottin pflegte sie, wenn er nach Zürich tam, als Absteigequartier zu benußen und Lazar, der ihm eng liirt war, besaß, wie Sofia wußte, den Schlüssel dazu.