Beschlagnahme der Gerste imd Höchstpreis« für Malz. — Abgeordneter Hoch hebt hervor, daß ti nicht damit getan ist, daß die entsprechenden Mengen vorhanden sind; es müssen auch die Preise erschwinglich sein. Die Liegierung scheint gar nicht zu wissen, welche Not in der Bevölkerung herrscht. Die ganzen jetzigen Verhandlungen sind zwecklos, wenn es nicht gelingt, die Preise herabzusetzen. Die Preisbildung bei den Kartoffeln ist völlig verfehlt. Weshalb setzt man nicht wenigstens jetzt die Höchstpreise herab? Wir wissen, unter welch schwierigen Verhältnissen die Bevölkerung heute lebt. Bei den Schweine- preisen sind die Kommunen schwer benachteiligt worden. Die Zentralstelle war ihrer Aufgabe offenbar nicht ge- wachsen. Die Vorschriften über die Verteilung von Mehl waren praktisch gar nicht erfüllbar. An den Bedarf der Teigwaren- und Keksfabriken hat man offenbar nicht gedacht. Den Gemeinden muß größerer Spielraum in der Festsetzung der Brot- raiionen gegeben werden. Unterstaatsekretär Richter gibt zu, daß manche Fehler gemacht worden sind; das lag aber mit an der schwierigen Situation, vor die man sich gestellt sah. Das Ziel der Regierung war stets, die Preise für Lebensmittel erschwinglich zu gestalten. Hierauf wurde die Sitzung auf Sonnabend vertagt.
politische Ueberflcht. Verfassung und Belagerungszustand. In der gestrigen Budgetkommisfion kamen, wie wir an anderer Stelle ausführlicher berichten, mehrere Fälle von Verletzung der Berfaffung durch Handhabung deS Belagerungszustandes zur Sprache: die Ausweisung des Reichstagsabgeordneten Genoflen P e i r o t e s aus Straßburg und seine Einweisung nach Münden in Hannover , die Jnternierung des elsäsfischen Landtagsabgeordneten Martin und seine Fernhaltung von der Sitzung des elsäsfischen Landtages sowie die Einleitung einer militärischen Untersuchung gegen den Reichstagsabgeordneten Genossen Dr. Karl Lieb- k n e ch t wegen vermeintlichen Ungehorsams gegen einen Dienstbefehl. Auch vom Staatssekretär Delbrück wurde anerkannt, daß ein Verfahren gegen einen Abgeordneten und auch die»Schutz- Haft' gegen einen solchen mit Artikel 31 der Reichsverfassung un- vereinbar ist. Von keiner Seite wurde eine gegenteilige Ansicht gut geheißen. Die Militärbehörde hatte sich ein Gutachten über die staatsrechtliche Frage erstatten lassen, das für die Zuläsfigkeit eines militärgerichtlichen Verfahrens sich aussprach. Seine Gründe müssen eigener Art sein. Denn Art. 31 der Reichsverfassung und die ent- sprechenden Artikel der einzelstaatlichen Verfassungen lassen weder nach ihrem Wortlaut noch nach ihrem Zweck und ihrer Entstehungs- geschichte eine andere Auslegung als die zu: die parlamentarische Immunität verbietet eine Verhaftung irgendeiner Art gegen einen Abgeordneten. Art. 31 der Reichsverfassung lautet: Ohne Genehmigung des Reickstages kann kein Mitglied des- selben während der Sitzungsperiode wegen einer mir Strafe be- dachten Handlung zur Untersuchung gezogen oder verhaftet werden, außer wenn es bei Ausübung der Tat oder im Laufe des nächst- folgenden Tages ergriffen wird. Gleiche Genehmigung ist bei einer Verhaftung wegen Schulden erforderlich. Auf Verlangen des Reichstages wird jedes Strafverfahren gegen ein Mitglied desselben und jede Untersuchungs- oder Zivil- hast für die Dauer der Sitzungsperiode aufgehoben. Dieser Artikel ist der preußischen Verfassung entnommen. In diese kam der verstärkte Schutz der persönlichen Freiheit eines Ab- geordneten, der in allen Ländern mit Parlamenten gegeben ist, aus Anlaß der Verhaftung des oppositionellen Abgeordneten Valdevaire im Jahre 1848 hinein. Es wurde später wiederholt auf Grund „juristischer Gutachten' versucht, dem Artikel entgegen zu handeln, Solchen Versuchen trat das Reichsgericht im Jahre 1891 entgegen, als der Abgeordnete Genosse Schmidt(Burgstädt ) vom Chemnitzer Landgericht zu 16 Monaten Gefängnis verurteilt war. Es hob das Urteil auf und stellte das Verfahren als ein verfassungswidriges ein. Diesem von Schmidts Verteidiger gestellten Antrag trat auch der damalige, bekannte Oberreichsanwalt Tessendorf bei. Auch späteren Urteilen und Beschlüssen gegen den Genossen Kunert, die an der klaren Absicht des Artikel 31 zu deuteln und zu rütteln suchten, trat das Reichsgericht in gleicher Weise entgegen. Die klar in der Verfassung zum Ausdruck gelangte Absicht des Gesetzgebers ist, das Parlament und seine Mit- glieder gegen jeden Eingriff zu schützen. Dieser Schutz der Volks- Vertretung ist insbesondere während der Kriegszeit erforderlich. Im Fall Peirotes und Liebknecht wird ja Remedur geschaffen. Aber ein dauernder, ausreichender Schutz gegen eine Verletzung der Immunität ist ebenso wie eine Vermeidung von Unbilligkeiten, die die Zensur der Presse und der Allgemeinheit zufügt, nur von einer Aufhebung des Belagerungszustandes zu erwarten. Hoffentlich wird der Reichstag nicht mit einer einfachen Kenntnisnahme von den Ver- Ictzungen der Immunität und von der Aufhebung der Beschränkung der persönlichen Freiheit der genannten Abgeordneten die Sache für erledigt betrachten._ Kriegswirtschaftsplan. Der Land Wirtschaftsrat trat am Freitag im Herren- haus zu einer außerordentlichen Sitzung zusammen, um einen Kriegswirtschaftsplan für daS Erntejahr 1915/16 aufzustellen. Den Vorsitz führte Graf Schwerin-Löwitz. Anwesend waren unter anderem Landwirtschaftsminister von Schorlemer, Vertreter des Preußischen Ministeriums des Innern, der Bayerische Bundesrats- bevollmächtigte Graf Lerchenfeld, Generaloberst v. Kessel.— Graf Schwerin-Löwitz sang in seiner Eröffnungrede der deutschen Land- Wirtschaft ein Loblied. Das erste Referat hielt Mehnert- Dresden , der Vorfitzende des sächsischen Landeskulturrats. Er hob hervor, daß die zu starke Zentralisation vielfach eine erschwerende und hemmende Wirkung auf die Volks- und Heeresverwaltung und auf das gesamte Erwerbsleben ausgeübt habe. Nachdem der Landwirtschaftsminister und der Vertreter der bayerischen Regierung sich für die Dezentralisation bei Aufstellung eines Kriegswirtschaftsplanes für 1916/16 erklärt hatten, wurde eine Anzahl Bestimmungen angenommen, nach welchen in der Hauptsache die Verteilung in die Hände der Kommunalverbände gelegt wird, außerdem die Beschlagnahme, die Feststellung des Be- darfs. die Verteilung der Vorräte, die Festsetzung der Höchstpreise. die Streckung des Brotgetreides, die Beschäftigung der Mühlen, die Verteilung der Kleie und die Regelung der Zentral- einkaufsgesellschaft bestimmt wird. Ferner wurde beschlossen, Vorverkäufe von Getreide der Ernte 1916, mit Ausnahme von Saatgut, sind ungültig. Die Anschaffung von Saatgut ist zulässig. Die Ausfuhr von Weizen, Roggen. Hafer, Gerste, Hülsenfrüchten, Mehl. Kleie, Kartoffeln, Heu und Futtermitteln ist zu verbieten, eine angemessene Ansammlung von Getreidevorräten und von Futtermitteln zur Sicherung der Volksernährung sowie zur Versorgung von Heer und Marine ist erforderlich. Da die Heeres- Versorgung in der Hauptsache aus Erzeugnissen der heimischen Land- Wirtschaft erfolgt, können die Interessen der Landwirtschast nur da- durch geuügend gewahrt werden, daß bei allen die Inanspruchnahme landwirtschaftlicher Erzeugnisse betreffenden Bestimmungen die Ent- jcheidung in die Hände der bei den LandeSzcntralbehörden bestehen-
J den laudwtrstchastkich« Verwaltungen gelegt wird. Nach Erledigung geschäftlicher Angelegenheiten erfolgte Schluß der Tagung.
Mehr Weizenbrot. Die KriegSgetreide-Gesellschast hat bei ihrer fast vollendeten Organisationsarbeit festgestellt, daß die Weizenvorräte im Verhältnis zu den Roggenvorräten reichlicher find, als man ur- sprünglich angenommen hat. Es ist daher zu erwarten, daß das Weizenmehl und Weizenbrot und selbst Kuchen von nun an wieder häufiger im HauShalt werden verwendet werden können als in den letzten Monaten. Es wird also künftighin kein„unpatriotisches Ver- brechen' mehr sein, Weizenbrot zu genießen. Sitz der Zivilverwaltung in Polen . Posen, 14. Mai. (W. T. B.) Der Sitz der Zivilverwaltung für Russisch-Polen wird am Sonnabend, den 16. d. Mts., von Posen nach K a l i s ch verlegt. Alle Eingaben find in Zukunft zu adressieren an die Kaiserlich deutsche Zivilverwaltung für Russisch-Polen in Kaiisch._ Verlängerung der Legislaturperiode in England. Manchester , 14. Mai. (W. T. B.) Wie der»Manchester Guardian' aus London meldet, hält die Regierung Neu- Wahlen im nächsten Jahre, falls der Krieg länger dauern sollte, für undenkbar und beabsichtigt, die Legis- laturperiode gesetzlich verlängern zu lassen, so lange der Krieg dauert.
Ein Kritiker öes„vorwärts". Wir erhalten folgende Zuschrift: Nach der Begründung, die die„Vorwärts'-Redaktion ihrer Behauptung gibt, daß ein Teil der Gewerkschaftsführer revisioni- stische Illusionen und politische Schrullen habe, und die GeWerk- schaftsmitglieder vor den politischen Irrungen gewisser Gewerk- schaftssührer gewarnt werden müßten, kann die Angelegenheit nicht als erledigt gelten. Die Redaktion behauptet, diese Erklärung wäre ihr von Winnig aufgedrungen, W. habe sich selbst als der Wortführer des Teils der Gewerkschaftsführer präsentiert, die von der Redaktion gemeint sind. Daraufhin habe ich die Artikel des Genossen W. Wort für Wort durchgesehen, wodurch sich meine Erwiderung einige Tage verzögerte. Nunmehr mutz ich feststellen, daß W. weder im Namen der Gewerkschaften noch in dem eines Teils der Gewerkschaftsführer spricht, sondern ausschließlich seine persönliche Ansicht vertritt. Den Artikel im„März' vom 28. No- vember 1914 zeichnet er als Mitglied der Hamburger Bürgerschaft, somit als Vertreter der Partei. Ueberigens ist in diesem Artikel das Wort Gewerkschaften nur einmal, und zwar in dem vom„Vor- wärts' in Nr. 117 zitierten Absatz enthalten. In dem gegen den „Vorwärts" gerichteten Artikel der„Sozialistischen Monatshefte' wendet Winnig die auch vom„Vorwärts' sehr beliebte Redewen- dung„wir" bei der Erhebung seiner Forderungen an. Damit ist nach journalistischem Brauch nicht gesagt, daß der Artitelschreiber die Ansichten einer Organisation oder einer bestimmten Gruppe zum Ausdruck bringt oder in deren Namen spricht. Die.Vorwärts'- Redaktion hat somit in der Polemik gegen die Ansichten des Partei- genossen, nicht des Gewerkschaftsführers Winnig eine durch nichts be- gründete Verdächtigung gegen einen Teil der Gewerkschaftsführer und gegen„gewisse" Gewerkschaftsführer ausgesprochen, zu deren Zurücknahme sie sich nach den Ausführungen in Nr. 124 nicht ver- stehen kann. Diese Tatsache darf bei der späteren Beurteilung der Sache mcht außer acht gelassen werden. Der„Vorwärts" stellt in seiner Erwiderung auf meine Aus- führungen durchaus richtige Grundsätze für das Verhältnis zwischen Partei- und Gewerkschaftsorganisation auf. Die„klare Trennung der Person vom Amt, des Politikers vom Gewerkschaftsfunktionär und der Partei- von der GewerkschaftStätigkeit' müsse gelten. Nur schade, daß diese Grundsätze seitens der„Vorwärts'-Redaktion so- Wohl in dem Artikel in Rr. 117 wie in den Ausführungen in Nr. 124 aufs gröblichste verletzt find. Es werden dort politische Illusionen und Schrullen nicht Parteigenossen, die gleichzeitig Ge-> Werkschaftsfunktionäre sind, sondern einem Teil der Gewerkschafts- führer vorgeworfen. Nicht die Parteigenossen, sondern die Ge- Werkschaftsmitglieder werden vor den politischen Irr- wogen gewisser in den Gewerkschaften tätigen Parteigenossen ge- warnt. Das steht in direktem Gegensatz zu dem, was die„Vor- Wärts'-Redaktion für die Abgrenzung der Tätigkeit von Partei und Gewerkschaften, für die Trennung der Person vom Amt, empfiehlt. Das gab mir Veranlassung, mich gegen den Artikel in Nr. 117 zu wenden. Die Warnung ist an die Gewerkschaftsmit- glieder gerichtet. Diese sollen doch nicht mit dem Warnungs- ruf des„Vorwärts" in der Tasche in die Gewerkschaftsversamm- langen gehen, sondern sie auch befolgen. Nach logischen Begriffen kann eine solche Warnung nur den Zweck haben, die betreffenden Parteigenossen an der Stelle zur Rechenschaft zu ziehen, wo dies allein in ihrer Eigenschaft als Gewerkschaftsführer geschehen kam,, d. h. innerhalb der Gewerkschaften. Ist dies nicht die Absicht, so hätte die Warnung des„Vorwärts" keinen Sinn. Niemand wird es dem„Vorwärts" verübeln, wenn er sich gegen Angriffe wehrt. Der Partei dient er jedoch zweifellos nicht, wenn er bei dieser Abwehr sich nicht gegen den Angreifer, sondern gegen dessen vermeintliche Gesinnungsgenossen wendet, ohne diese zu nennen. In diesem Falle handelt es sich um Personenkreise, deren aktive Mitarbeit von der Partei stets verlangt wurde und für die Partei nicht gleichgültig fein kann. Soweit die Polemik in Nr. 124 sich gegen mich richtet, nur einige Bemerkungen. Es wird mir der Vorwurf gemacht, auS einem 2% Spalten langen Artikel ein Zitat von 6 Druckzeilen herausgerissen zu haben. Von einem Herausreißen kann keine Rede sein. Der Artikel war den Lesern im vollen Wortlaut be- kannt. Was ich zitierte, war eine in sich abgeschlossene Schluß- folgerung. Ob diese eine Begründung von 2)4 oder 6 Spalten hatte, war bei ihrem klaren Wortlaut nicht entscheidend. Im Gegenteil, in diesem Falle war sie konstruiert, ohne durch die Äc- gründung, durch die Polemik gegen die Ansichten eines Partei- genossen, gerechtfertigt zu sein. Die„Vorwärts'-Redaktion empfiehlt mir, zu prüfen, ob das gegen Winnig Gesagte auf mich zutrifft und danach selbst zu be- stimmen, ob ich zu einer„gewissen" Gruppe von Gewerkschafts- führern gehöre. Der betreffende„Vorwärts'-Redaktcur vermeint sicher, einen Witz gemacht zu haben. Leider ist es kein Witz, son- dern das, was der„Vorwärts"„Verkriechen" nannte. Noch einmal stelle ich deshalb die Frage: Wer ist der Teil der Gewerkschafts- führer mit revisionistischen Illusionen und politischen Schrullen, welches sind die„gewissen" Gewerkschaftsführer, vor deren poli- tischen Irrwegen die Gewerkschafts Mitglieder gewarnt werden müssen? Die Beantwortung oder auch die Nichtbeantwor- tung dieser bestimmten Frage dürfte für die Parteiorganisation bei späteren Erörterungen nicht ohne Bedeutung sein. Berlin . 10. Mai 1916. C. Legien. Diese neue Zuschrift beweist, daß es Genossen gibt, denen man es überhaupt nicht recht machen kann. Wehrt man Angriffe von Genoffen ab, indem man sie als Personen für ihre Ausftihrungen haftbar macht, so ist das eine„persönliche" Kampfesweise. Be- handelt man die Angreifer als Träger von Anschauungen, die einer größeren Anzahl von Genossen gemeinsam sind, weil sie zum Teil aus einer bestimmten Richtung ihrer Tätigkeit erwachsen, so„ver- dächtigt" man wiederum, angeblich zu Unrecht, ganze Richtungen, macht sich also unzulässiger Verallgemeinerungen schuldig. Man mag sagen was man will— gegen Silbenstechereien und Spitz- findigkeiten ist man wehrlos. Sie werden aber von der Masse der Genossen sicherlich richtig gewürdigt werden. So ist es nichts als unerquickliche Silbenftechereft wenn der
Genosse Legre« nach mühseligen textkritischen Untersuchungen„fest- stellt", daß Winnig sich nicht mit dürren Worten als Wortführer eines Teiles der Gewerkschaftsführer„präsentiert" habe. Wenn ein angesehener Gewerkschaftsführer ein umfangreiches gewerk- schoftliches und politisches Programm aufstellt(Legien mag sich hier getrost wieder an das Wort Programm klammern), so ver- steht es sich für jeden verständigen Leser von selbst, daß er auch als Gewerkschaftsführer spricht. Und wenn er sich in einer Form äußert, die es für jeden normalen Leser evident macht, daß er nicht nur für seine Person spricht, sondern auch für ihn bekannte und befreundete Kreise seiner Ge- sinnungsgenossen, so darf man wohl ohne die geringste Uebcrtrei- bung und verdammenswcrte Generalisierungssucht sagen, daß er sich auch als Wortführer eines Teiles der Gewerkschaftsführer präsentiert. Wer scholastische Neigungen verspürt, mag am Aus- druck mäkeln— der minder wortklaubcrische Leser weiß, was gemeint ist. Damit erledigt sich auch Legiens scharfsinnige Untersuchung darüber, ob er sechs Druckzeilen aus dem Gesamtinhalt unseres Artikels herausgerissen habe oder nicht. Ein paar Sätze, die man aus 2% Spalten herausgreift und für sich gesondert betrachtet, beweisen nicht das geringste. Sie erhalten ihren Sinn und ihre Bedeutung erst durch den Zusammenhang. Dieser Zusammenhang war aber ganz unverkennbar der, daß Winnig zu Unrecht den „Vorwärts" der Unfreundlichkeit gegen die Gewerkschaften geziehen habe, daß er vielmehr als Unfreundlichkeit empfinde, was nichts anderes sei, als die Ablehnung einer politischen Auffassungsweisc, die zwar von Winnig und gleichgefinnten Gewerkschaftsführern ver- treten würde, aber von den Grundsätzen der Sozialdemokratie be- dauerlich abweiche und den wahren Interessen der Gewerkschaften keineswegs diene. Für Legien persönlich lag um so weniger Anlaß vor, in die Debatte einzugreifen, als er weder genannt noch die Gesamtheit der Gewerkschaftsführer von uns mit den Auffassungen Winnigs identifiziert worden war. Zudem hatte gerade Genosse Legien um so weniger Ursache, sich mit übertriebener Empfindlichkeit gegen eine Warnung des„Vorwärts" vor politischen Abwegen eines„Teiles der Gewerkschaftsführer' zu verwahren, a l s er doch selbst seinerzeit in einer Versammlung von Gewerkschaftsfunktionären politische Fra - gen, sogar interne parteipolitische Streitfra- gen, erörtert hatte, die innerhalb der Partei selbst und von den dazu berufenen Parteiinstanzen zum Austrag zu bringen sind! Winnig, doch ein Gewerkschaftsftihrer von Ruf, konnte schreiben was er wollte, da? rührte Legien nicht, als aber der„Vorwärts" sich seiner politischen Pflicht gemäß gegen Winnig und seine Ge- sinnungsgenossen wandte, erfreute uns Legien sofort mit einer Zuschrift. Wenn Legien uns schließlich mit einer Retourkutsche„Ver- kriechen' vorwirft, weil wir ihm die naheliegende Antwort gaben, er könne doch sicherlich selbst darüber am besten Aufschluß geben, ob er Winnigs Ansichten teile, so legen wir diese Liebenswürdig- kcit gelassen zu anderen Freundlichkeiten Legiens. Was wir als „revisionistische Illusionen und politische Schrullen' kennzeichnen wollten, haben wir deutlich genug gesagt und werden wir nötigen- falls stets mit gleicher Deutlichkeit wieder sagen. Wir würden, wenn der Anlaß dazu vorläge, auch Legien gegenüber mit unserer Meinung wahrhaftig nicht mehr zurückhalten als gegenüber Winnig. Statt sich über die angebliche Quertreiberei des„Vorwärts" zu entrüsten, sollte Legien vielmehr jene Mahnungen beherzigen. die das.Schuhmacher-Fachblatt' in der Nummer vom 2. Mai d. I. unter dem Titel„Besonnenheit' an manche Gewerkschaftler richtet. In diesem Artikel des genannten Gewerk- schaftsblattes heißt es: „Aus alledem geht hervor, daß den Gewerkschaften schwere Kämpfe bevorstehen, und um diese führen zu können, ist deren Einheit und Geschlossenheit erste Lebensbedingung. Es wird deshalb von den Gewerkschaften alles fern zu halten sein, was ihre Kräfte lähmt, ihre Entwickelung hindert und deren Einheit stört. Es ist deshalb unbegreiflich, wie eine große Anzahl G e w e r k sch a f t s b l ä t t e r sich in den Streit der sozialdemokratischen Partei mischen, und alö ob es gar nichts wichtigeres zu tun gäbe, ihre Spalten mit langen Erörterungen füllen, ob die Haltung der Mehrheit oder Minder- heit der Fraktion in der ganzen Kriegsfrage die richtige ist. Wir haben bis heute in unserem Blatte keine Stellung zu dieser Frage genommen und zwar aus obigen Gründen. Nach- dem aber der Kampf sich immer schärfer zuspitzt, halten wir cS für dringend nötig, zur Besonnenheit zu mahnen. Wir meinen, die Austragung des Zwistes wäre z u- nächst Sache der Partei und gehe die Gewerkschaften jetzt direkt nichts an. Und wo bleiben dann in dieser Frage die Neu- tralitätsfexe? Aber man befürchtet, so sagt man, daß ein halbes Dutzend„Quertreiber",„Illusionäre",„politische Irrlichter". „Phrasendrescher",„theoretische Hanswürste" usw. es darauf av- gesehen hätten, die Partei in Grund und Boden zu verderben, zu vernichten und den Angehörigen der Partei die Köpfe unheilbar und mit teuflischer Gewalt mit ihren verrückten Illusionen zu imprägnieren. Um diese Gefahr abzuwenden, stürmen die Politiker Heine, Heinemann, Südekum und der größte Teil der Partei- und G e w e r k s ch a f t s p r e s s e gegen das halbe Dutzend Quertreiber an, und die Parteiinstnnzen und die Generalkommission belegen dieselben mit dem Bannstrabl ewiger Verdammnis, nachdem sie dieselben vorher noch mit dem Geruch der Anarchisterei parfümiert haben. Wir fragen uns, ist ein solches Aufgebot von Anstrengungen wirklich um ein halbes Dutzend„Querköpfe" nötig? Oder hat die Sache noch einen anderen Grund. Uns dünkt das letztere der Fall zu sein. Es ist bekannt, daß außer diesem halben Dutzend sogenannter Ouertreiber noch einige Dutzend Abgeordnete in der sozialdemo- kratischcn Fraktion sind, welche sich in Opposition gegen die Mehrheit der Fraktion hefinden. Diese können zur Zeit der de- stehenden Zensur weder durch Wort noch Schrift so für ihre Ansichten kämpfen, wie es die Mehrheit kann, und welche illoyaler Weise diesen Zustand benutzt und der Opposition, die sich nicht wehren kann, auf den Leib rückt. Nun haben die ftihrenden Größen der Fraktionsmehrheit schon öfter zu verstehen gegeben. daß sie hinter ihrer Politik die Gewerkschaften haben. So weit dies die Generalkommission und einen großen Teil der Gewerk- schaftspresse betrifft, scheint dies der Fall zu sein, ob bei deit Massen der Mitglieder, scheint fraglich, mindestens läßt sich das zurzeit nicht einwandfrei konstatieren. Es wäre aber und ist ein Verbrechen an den Gewerkschaf te n, den Streit der Partei in diese hineinzutragen. Denn selbstverständlich gibt es Anhänger beider Rich- tungcn in den Gewerkschaften, und keine Rich- tung wird der anderen gutmütig das Feld räumen. Mit dem Kampf in den Gewerkschaften wäre aber deren Macht gebrochen. Hoffentlich besitzen die Gewerkschaftsmitglieder Kraft und Willen genug, jeden Versuch, den Streit der Partei von sich kräftigst abzuwehren; den mag die Partei austragen. Die führenden Gewerkschaftskämpen in diesem Streit mabnen wir zur Besonnenheit. Vertreter und Beamte, die an einer so ungeheuer verantwortungsreichen Stelle stehen, wie die General- kommission, müssen mit der allergrößten Vorsicht und Ilmsicht zu Werke geben, um jede Störung von den Gewerkschaften ab- zuwenden. Das Verhalten einiger der Kollegen entspricht dem nicht. i Die Gewerkschaften brauchen ihre Machtund I Einheit zu besseren Dingen."