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r. 174. 32. Jahrgang.

1. Beilage des ,, Vorwärts  " Berliner Volksblatt. Sonabrud, 26. Juni 1915.

Sozialdemokratie und Frieden.

Fast ein Jahr lang rast nun die Kriegsfurie über den Erdball. Hunderttausende blühender Menschenleben sind ver­nichtet, unermeßliche Kulturgüter zerstört, ungeheuerliche Verwüstung der Volkskraft angerichtet. Millionen Mütter, Frauen und Kinder weinen um ihre Söhne, Männer und Bäter. Not und Elend gesellen sich zu dem Kummer, der auf den Völkern lastet.

Soll das entsetzliche Drama, wie es graufiger die Welt­geschichte nicht kennt, immer noch fein Ende nehmen?

Die Sozialdemokratie hat diese unheilvolle Weltkata­strophe kommen sehen, hat sie vorausgejagt. Deshalb hat sie in allen Ländern die imperialistische Ausdehnungspolitik und ihre Folge: das verderbliche Wettrüsten, bekämpft, die letzten Endes diesen schrecklichen Weltkrieg heraufbeschworen haben.

Die Sozialdemokratic hat unablässig für eine Verständi­hung der Völker zu gemeinsamer Kulturarbeit im Dienste der Menschheit gewirkt. Zehntausende von Versammlungen, Millionen von Flugschriften, die internationalen sozialisti­ schen   Kongreffe und zuletzt noch die deutsch  - französischen Ver­ständigungskonferenzen in Bern   und Basel   legen davon Zeug­

nis ab.

Als sich im vorigen Jahre die drohenden Kriegswolken om politischen Horizont zusammenballten, hat die deutsche Sozialdemokratic bis zur legten Stunde ihre ganze Kraft ein­gescht für die Erhaltung des Friedens. Sie war zum Unglück Der Völker in allen Ländern noch nicht stark genug, das schreck­liche Verhängnis aufzuhalten, das über Europa   hereinbrach. Die Kriegsfadel loderte hell auf und steckte die Welt in Brand. Als dann die Rosaken des Zaren plündernd und brennend die Landesgrenzen überschritten, da löste die Sozialdemokratic das Wort cin, das die Besten ihrer Führer dem deutschen  Volfe gegeben: fic ftellte sich in den Dienst des Vaterlandes und bewilligte die Mittel zu seiner Verteidigung.

Das Schicksal Ostpreußens   zeigt, was Deutschland   drohte, wenn das deutsche   Volk nicht einmütig zusammengestanden hätte, um den russischen   Eroberungszug aufzuhalten. Nach amtlicher Feststellung sind in Ostpreußen   gegen 400 000 Men­schen ins Flüchtlingselend gedrängt; 1620 Zivilpersonen ge­inordet, 433 verwundet, 5419 Männer, darunter hilflosc Greise, 2587 Frauen und 2719 Kinder nach Rußland   ver­schleppt, durch Brandlegung 24 Städte, 572 Dörfer und 236 Güter, insgesamt 33 553 Gebäude ganz oder teilweise zerstört, gegen 200 000 Wohnungen ganz oder zum Teil ausgeplündert oder verwüstet worden. Der todesmutigen Zapferkeit unserer Truppen, die in aufopfernder Hingabe die furchtbaren Strapazen eines Winterfeldzuges im Osten überwanden, ist cs nach monatelangen opferreichen Kämpfen gelungen, Ost­ preußen   von dieser Geißel zu befreien.

Aber nicht nur im Kampfe um die nationale Unab­hängigkeit und Selbständigkeit Deutschlands   hat die Sozial­Demokratie ihre Pflicht getan; sie hat auch im Innern des Landes, vor allem auf dem Gebiete der Volksernährung und Kriegsfürsorge, die Interessen der arbeitenden Volksschichten gegen Lebensmittelwucher und bureaukratische Engherzigkeit mit allen Kräften vertreten.

jenigen Bestrebungen, die den Frieden abhängig machen| fortzuführen, und hat sich gegen eine Zusammenkunft des wollen von allerlei Eroberungen. Wir haben von Anfang Internationalen Sozialistischen Burcaus ausgesprochen.

an den Standpunkt cingenommen, daß wir jeden Er- Nach der Kundgebung unserer Reichstagsfraktion für den oberungskrieg verurteilen. Daran halten wir fest!" Frieden im Dezember 1914 machte der französische   Minister­präsident am 22. Dezember in der Deputiertenkammer fol­gende Ausführungen:

Diese Ausführungen wurden in der gleichen Sitzung vom Genossen Scheidemann   scharf unterstrichen. Ebenso hat von der Tribüne des preußischen Abgeordnetenhauses unsere Bar­tei ihr Verlangen nach Frieden zum Ausdruck gebracht. Der Parteivorstand hat in der Weihnachtsnummer des Labour Leader", des Organs der englischen Unabhängigen Arbeiter­partei, eine Kundgebung veröffentlicht, in der es heißt:

" Unsere wärmste Sympathic ist in dieser schicksals­schweren Zeit bei allen Bestrebungen, die auf eine rasche Beendigung dieses männermordenden Völkerringens ge­richtet sind."

Am 12. und 13. April d.. traten die Vertreter der Parteileitungen der Sozialdemokratie Deutschlands  , Dester­reichs und Ungarns   in Wien   zu einer Besprechung zusammen, die eine Kundgebung zeitigte, in der es in bezug auf den Frieden heißt:

" In der jetzigen Stunde ist nur eine Politik möglich: Kampf ohne Gnade bis zur endgültigen, durch einen völlig siegreichen Frieden gesicherten Befreiung Europas  .

Getreu seiner Unterschrift im Vertrage vom 4. Sep­tember, wo es seine Ehre und somit auch sein Leben ein­setzte, wird Frankreich   die Waffen erst niederlegen, wenn cs das verlegte Recht gerächt, die gewaltsam geraubten Provinzen für immer an das französische   Vaterland ge­wiederhergestellt schmiedet, das heldenmütige Belgien  .. und den preußischen Militarismus zerbrochen haben wird, um auf Grundlage der Gerechtigkeit endlich ein neu­geborenes Europa   aufbauen zu fönnen..

Gegen diese unverhüllte Proklamation des Kampfes bis zum Weißbluten hatten weder die sozialistischen   Minister, Die sozialdemokratischen Parteien, die von jeher und noch auch die sozialistische Kammerfraktion, noch endlich auch ihrem Wesen nach für die Verbrüderung der Völker wirken, der sozialdemokratische Parteivorstand auch nur ein Wort des sind die berufenen Verkünder der Friedenssehnsucht. Diese Widerspruchs zu erheben! Warum sie schwiegen, erklärten sie entspringt dem Willen und der Kraft der Selbstbehauptung, kurz darauf in einem Manifest an die Partei"( Humanité nicht etwa dem Gefühl der Schwäche. Daraus aber folgt| vom 23. Dezember 1914): mit Notwendigkeit, daß nur ein Frieden möglich ist, der kein Volf demütigt, daß nur ein solcher Frieden das dauernde Zusammenarbeiten aller Kulturvölker gewähr­leisten wird.

Die bei der Zusammenkunft vertretenen Parteien stehen auf dem Boden der Beschlüsse der internationalen Sozia­listenfongresse, insbesondere des Kopenhagener Kongresses von 1910 und halten in diesem Sinne beim Friedensschluß folgende Sicherungen für notwendig:

den Ausbau der internationalen Schiedsgerichte zu obli­gatorischen Einrichtungen zum Zwecke der Schlichtung aller Streitigkeiten zwischen den einzelnen Staaten; die Unterwerfung aller Staatsverträge und Verein­barungen unter die demokratische Kontrolle der Volks­vertretungen;

die internationale vertragsmäßige Einschränkung der Rüstungen mit dem Ziele der allgemeinen Abrüstung; die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechtes aller Bölfer.

Weiter erklären die Vertreter der sozialdemokratischen Parteien Deutschlands  , Desterreichs und Ungarns  :

,, Getreu der Disziplin der Einigkeit, welche die Nation sich dem Feinde gegenüber auferlegt, hat die sozialistische Fraktion im Parlament auch nicht mit einem Wort die von allen Franzosen beschlossene Einheit trüben wollen. Sie hat sich jeder Erklärung enthalten. Sie hat bei dem allge­meinen Zusammenschluß die Losung akzeptiert, welche die verantwortliche Regierung formuliert hat."

des Internationalen Sozialistischen Bureaus, Genosse Van­ dervelde  , der in die Regierung seines Landes eingetreten war, bat am 18. April 1915 in einem Vortrage in Paris  ausgeführt:

Und der Vertreter der belgischen Genossen, der Vorsitzende

" Ich komme heute, um über den Krieg und für den Krieg zu sprechen... Als internationaler und sozialisti­scher Friedensfreund bin ich für den Krieg bis ans Ende... ich fühle Zorn gegen jene unserer Gesinnungsgenossen, die möchten, daß man Frieden schließe. Ach nein! Dem Ver­brechen muß die Sühne folgen!"

Gern stellen wir fest, daß es sowohl in England wie in Frankreich   sozialistische Gruppen gibt, die ebenso wie die deutsche sozialdemokratische Gesamtpartei und ihre Leitung für den Friedensgedanken wirken. Das kann uns aber nicht die Tatsache, daß die sozialdemokratischen Parteien der über die betrübende Tatsache hinwegtäuschen, daß die große friegführenden Länder ihr Land und Volk verteidigen, darf Masse der dem Internationalen Sozialistischen Burcau ange­fein Hindernis sein, die internationalen Beziehungen aller schlossenen Sozialisten Englands und Frankreichs  , ihre Or­sozialistischen Parteien zueinander aufrechtzuerhalten sowie ganisationen und Leitungen, mit ihren Regierungen den die Tätigkeit ihrer internationalen Einrichtungen fort- Krieg fortführen wollen bis zur völligen Niederwerfung zuführen. Deutschlands  .

Aber die deutsche   Sozialdemokratie hat sich keineswegs Unverantwortliche Irreführung der deutschen   Genossen damit begnügt, in solchen öffentlichen Kundgebungen immer ist es, wenn in anonymen Flugblättern und Pamphleten die Getreu den Pflichten, die allen sozialistischen   Parteien von neuem der Friedenssehnsucht und dem Friedenswillen des internationale Lage und Vorgänge in der Partei in ent­durch ihre Grundsäße und durch Beschlüsse internationaler werftätigen Volkes Deutschlands   Ausdruck zu geben. Keine stellter oder völlig wahrheitswidriger Weise dargestellt werden Songreffe auferlegt sind, hat die deutsche   Sozialdemokratie Schwierigkeiten und Widerstände, keine Verdächtigungen und der Vorwurf erhoben wird, die Parteileitung tue nicht vom ersten Tage der furchtbaren Kriegstragödie an für die scheuend, ist der Parteivorstand mit zäher Ausdauer bestrebt genug, um den Friedenswillen der Arbeiterklasse zur Geltung Herbeiführung cines baldigen Friedens gewirkt. Schon bei gewesen, die durch den Kriegsausbruch so jäh unterbrochenen zu bringen. der Bewilligung der ersten Kriegskredite am 4. August 1914 internationalen Verbindungen wieder anzuknüpfen, mit den gab die sozialdemokratische Reichstagsfraktion durch den Bruderparteien aller Länder darüber zu verhandeln, wie Mund des Genossen Haase eine Erklärung ab, in der es gemeinsam für die Herbeiführung des Friedens gewirkt wörtlich heißt:

werden kann.

gekommen.

Wir fordern, daß dem Kriege, sobald das Ziel der Auch allen diesem Zwecke dienenden Bestrebungen der Sicherung erreicht ist und die Gegner zum Frieden geneigt Sozialisten der neutralen Staaten sind wir gerne entgegen­find, ein Ende gemacht wird durch einen Frieden, der die Freundschaft mit den Nachbarvölkern ermöglicht." Die gleiche Erklärung wiederholte die Fraktion bei der Bewilligung der weiteren Kriegskredite am 2. Dezember 1914. Und als der Reichstag   zu seiner dritten Kriegstagung zu­fammentrat, hat am 10. März 1915 Genosse Haase namens der Fraktion ausgeführt:

Wer es mit der besonders in dieser ernsten Zeit und auch nach dem Kriege so bitter nötigen Einheit und Geschlossenheit der deutschen   Arbeiterbewegung ernst meint, muß sich mit Entschiedenheit gegen dieses parteizerrüttende Treiben wenden.

Die Reichstagsfraktion und der Parteivorstand der deut­ schen   Sozialdemokratie haben stets einmütig die Eroberungs­und Anneriouspolitik bekämpft. Wir erheben erneut den Als das Exekutivkomitee der Internationale mit der An- schärfsten Protest gegen alle Bestrebungen und Kundgebungen regung hervortrat, im Haag mit den sozialistischen   Parteien zugunsten der Annexion fremder Landesteile und der Ver­der friegführenden Länder einzeln über die Möglichkeit einer gewaltigung anderer Völker, wie sie insbesondere durch die gleichzeitigen Friedenskundgebung zu verhandeln, stimmte der Forderungen großer wirtschaftlicher Verbände und die Reden Vorstand der deutschen Sozialdemokratie dem unter der Vor- führender bürgerlicher Politiker der Deffentlichkeit bekannt aussetzung zu, daß auch die französische   Parteileitung ein- wurden. Schon die Geltendmachung solcher Bestrebungen Meine Partei, als die Vertreterin des internationalen verstanden sei. Obwohl deren Zusage noch nicht vorlag, be- schiebt den vom ganzen Voffe heiß ersehnten Frieden immer Sozialismus, ist stets die Partei des Friedens gewesen, gaben sich auf Einladung Mitglieder des deutschen   Partei- weiter hinaus. Das Volk will keine Annerionen, das Volk und sie weiß, daß dies für die Sozialisten der anderen vorstandes im März nach dem Haag, wo sie erfuhren, daß will den Frieden! Länder ebenso wie für sie gilt. Unser Wunsch ist ein dauer- wohl die Engländer, nicht aber die Franzosen zu solchen Ver- Soll der täglich neue Opfer fordernde Krieg nicht ins hafter Friede, ein solcher, der nicht neue Verwickelungen in handlungen bereit wären. Endlose sich hinziehen, bis zur völligen Erschöpfung aller fich schließt, nicht Keime neuer Zwietracht enthält. Das Trotzdem haben sie mit den Mitgliedern des Erekutiv- Völker dauern, so muß eine der beteiligten Mächte die Hand wird erreicht werden, wenn kein Volk das andere verge- komitees dort in freundschaftlicher Weise verhandelt. Sie zum Frieden bieten. Deutschland  , das von einer großen waltigt, wenn die Völker vielmehr ihre Aufgabe in dem gaben dabei ihrer Bereitschaft Ausdruck, zunächst auf das Uebermacht angegriffen, sich aller seiner Feinde bisher fieg­friedlichen Austausch der Kulturgüter erblicken... Gerade Zustandekommen einer Sizung des Internationalen Bu- reich erwehrt, den Aushungerungsplan zuschanden gemacht der Starke darf zuerst die Friedenshand ausstreden." reaus hinzuarbeiten und alle Maßnahmen zur Förderung des und bewiesen hat, daß es unbesiegbar ist, sollte den ersten Am 29. Mai d. J., nach dem Eingreifen Italiens   in den Friedensgedankens zu unterstützen, die von den sozialistischen   Schritt zur Herbeiführung des Friedens tun. Krieg, hat der Genoffe Ebert im Reichstag, nachdem er diese Parteien der kriegführenden Länder ergriffen werden. auf die durch die Tapferkeit unserer Volksgenossen in Waffen Im Namen der Menschlichkeit und der Kultur, gestüt den Krieg verlängernde Verschärfung der Kriegslage be- So hat die deutsche Sozialdemokratie durch ihre be­dauert, namens der Partei erklärt: rufenen Vertretungen den sozialistischen   Grundsäßen und den geschaffene günstige Striegslage fordern wir die Regierung " Mehr und mehr macht sich überall das Verlangen Beschlüssen der Internationalen Kongresse getreu für den auf, ihre Bereitwilligkeit kundzutun, in Friedensverhand­geltend, dem Entsetzen endlich ein Ende zu machen. Trok Frieden gewirkt. Iungen einzutreten, um dem blutigen Ringen ein Ende zu der verschärften Situation glauben wir, getreu unserer Mit schmerzlichem Bedauern muß demgegenüber kon- machen. fozialistischen Weltanschauung, auch heute dieser Friedens- statiert werden, daß bisher alle Versuche internationaler Ver- Wir erwarten von unseren Parteigentoffen in den anderen sehnsucht Ausdruck geben zu sollen. Dabei wissen wir uns ständigung gescheitert sind vornehmlich an dem Verhalten der friegführenden Ländern, daß sie in gleichem Sinne auf ihre in Uebereinstimmung mit großen Schichten aller Völker, die sozialistischen   Partei Frankreichs  , die an ihrer mit dem Zaren Regierungen cinwirken.

mit uns erstreben: einen Frieden ohne Vergewaltigung verbündeten Regierung durch mehrere hervorragende Mit­eines anderen Volkes; einen Frieden, der ein dauerndes glieder beteiligt ist. Sie billigt rückhaltlos deren Politik, die Zusammenwirken aller Kulturvölker wieder ermöglicht. darauf gerichtet ist, den Krieg bis zur Niederlage Deutsch­

Berlin, 23. Juni 1915.

Der Vorstand

Darum wenden wir uns mit Entschiedenheit gegen dic- lands, bis zur Vernichtung des deutschen Militarismus", der sozialdemokratischen Partei Deutschlands  .