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Nr. 174. 32. Jahrgang.

2. Beilage des Vorwärts  " Berliner   Volksblatt. Sonnabend, 26. Juni 1915.

Aus Groß- Berlin.

die Mok, sondern durch die Zieten- und Bülowstraße nach dem Nollendorfplatz, Linie 2 nach der Potsdamer Straße  .

Sechs Feuerwehrleute verunglückt.

Der

trieben zur Wahl. Die Wahl fiel auf den Oberingenieur und Pro­furisten der Siemens- Schuckert  - Werke Karl Coning, der zurzeit Leiter der Zentraleinkaufsstelle für die sämtlichen Werke des Siemens­Schudert- Konzerns ist.

Der Straßenbahnunfall vor dem Reichsgericht. Bei der Bekämpfung eines Brandes, der auf dem Lagerplatz in Wie gefährlich es ist, auf den Plattformen der elektrischen Ausschuß für Konfektionsnotarbeit. Bahnen an den durch Aufschrift verbotenen Plägen zu stehen, der Hobrechtstr. 54 in Neukölln   ausgebrochen war, find am Mittwoch- Ueber eine Million Mark Löhne an die Heimarbeiterinnen lehrt ein Unfall, der sich im Januar 1913 ereignete und jetzt abend sechs Mitglieder der Neuköllner   Feuerwehr schwer zu Schaden Groß- Berlins hat seit Beginn des Krieges der im Herbst des durch ein vom Reichsgericht bestätigtes Kammergerichtsurteil gekommen. Auf dem erwähnten Lagerplatz war infolge der letzten Jahres unter dem Vorsitz der Frau Staatsminister Sydow seinen Abschluß gefunden hat. herrschenden großen Hize ein mit Salpetersäure gefüllter Ballon begründete Ausschuß für Konfettionsnotarbeit Der Unfall ereignete sich dadurch, daß der Wagen, der geplagt, die Säure entzündete sich und das Feuer pflanzte bereits gezahlt. Der Ausschuß, dessen geschäftliche Leitung über das Tempelhofer Feld in schneller Fahrt fuhr, an der sich auf die Strohumhüllungen mehrerer anderer mit Säuren in den Händen der Herren Bernhard Kaß, Handelsrichter vor der Ringbahnstation liegenden Kurve schnell bremsen gefüllter Gefäße fort. hinzugerufenen Neuköllner Wehr Albert Kirschstein, Geh. Regierungsrat Siefert vom Reichsamt mußte, so daß der Fahrgast, Schneidermeister B. aus Wilmers- gelang es zwar, den Brand auf seinen Herd zu beschränken und des Innern und des Geschäftsführers Wirkichen Geh. Ober­dorf, der an dem verbotenen Plage der vorderen Plattform insbesondere die Explosion weiterer Ballons zu verhindern, doch regierungsrats Neumann vom Ministerium für Handel und des Anhängers stand, einen Fuß vorsezen mußte, um Halt wurden die Arbeiten der Wehr dadurch außerordentlich erschwert, Gewerbe liegt, gewährt zurzeit noch rund 1600 Heimarbeite­zu gewinnen, bei dem Einfahren in die Kurve aber einen daß der ganze Plaz mit giftigen Gasen angefüllt war. Obwohl rinnen regelmäßig Arbeit. Daneben ist in dem Betriebe des seitlichen Ruck erhielt und nun auf das Pflaster geschleudert drei Rauchhelme zur Verfügung standen, erkrankten sechs Feuerleute Unternehmers auch eine größere Zahl kaufmännischer und ge­unter der Einwirkung der Giftdämpfe schwer. Fünf von ihnen werblicher Angestellter tätig, die bei Ausbruch des Krieges mußten sogar nach dem Buckower Krankenhause geschafft werden, ihre Stellung verloren hatten. während der sechste nach seiner Wohnung gebracht werden konnte. Lebensgefahr besteht glücklicherweise bei keinem der Verunglückten.

wurde.

Wiedereröffnung der Heimstätte Blankenfelde  .

Das Kammergericht verurteilte die Große Berliner Straßenbahn zu drei Vierteln des Schadens und erkannte so­mit ein Verschulden beider Parteien an. Das Reichsgericht Von einem Polizeibeamten erschossen. bestätigte jegt dieses Urteil und führte in seiner Begründung Der 50 jährige Landwirt Schüler aus Markgrafpieste war mit aus, es habe sich erstens um einen Wagen älterer Ston­Bekannten aus demselben Orte nach Hangelsberg gegangen, um firuttion gehandelt, bei dem die bei den neueren Wagen Das Kuratorium der städtischen Heimstätten hat in seiner lezten dort in der Spree zu angeln. Die Angler wurden von dem Polizei­übliche hintere Perronstange an der Aufstiegwand gefehlt Sigung beschlossen, zum 1. Juli 1915 die Heimstätte in Blankenfelde   fergeanten Kuhnert aus Fürstenwalde, der sich auf einem Dienst­Der Beamte verlangte die Vorzeigung habe; es sei nur ein zum Festhalten und Schutz un- wieder zu eröffnen, und zwar für Frauen und Mädchen vom gange befand, überrascht. zureichender Griff vorhanden gewesen. Ferner biete auch die 12. Lebensjahre ab mit geschlossener Tuberkulose, Nervenschwäche der Angelfarte und wollte, als ihm ein solcher Ausweis nicht vor­gelegt werden konnte, die Persönlichkeiten der Männer feststellen. bekannte Aufschrift, der Plaz sei freizulassen, teinen genügenden und Blutarmut, wenn nach dem ärztlichen Gutachten die Wieder- Hierbei kam es zu erregten Auseinanderießungen, in deren Verlauf Hinweis auf die Gefahr, da der Fahrgast der Ansicht sein herstellung der Erwerbsfähigkeit zu erwarten ist. Formulare zum se. aus seinem Dienstrevolver einen Schreckschuß abgab. Als darauf Fönne, daß der Plaz nur des unbehinderten Auf- und Ab- ärztlichen Attest und zwar für die an Tuberkulose Erkrankten in der Landwirt Schüler mit einem Stod auf S. losging, gab der Be­steigens wegen freibleiben solle; die Beklagte habe aber für roter Farbe, für die anderen Kranken in weißer Farbe, sind im amte einen Schuß ab, der dem Angreifer in den Unterleib drang, die Gefahren, die sich aus der Beschaffenheit ihrer Wagen Heimstätten- Bureau, Stralauer Str. 44/45, 2. Duergebäude II, so daß der Getroffene nach kurzer Zeit starb. Der Polizeisergeant ergibt, einzustehen. Andererseits liege aber auch eine Fahr- während der Dienststunden von 8-3 Uhr unentgeltlich zu haben. behauptet, sich bei Abgabe des Schusses in der Notwehr befunden lässigkeit des B. vor, da man bei der Fahrt mit der elektrischen Dort findet auch an einem noch zu bestimmenden Tage jeder Woche und nur die Absicht gehabt zu haben, den Sch. kampfunfähig zu Bahn stets mit Kurven und Stößen rechnen müsse, der B. in zweifelhaften Fällen eine fostenfreie ärztliche Untersuchung der machen. sich aber an dem offenbar nicht völlig gesicherten Platz auf lungentranten Personen statt, zu welcher die Patienten be­gestellt habe, ohne auch nur den Versuch zu machen, sich sonders vorgeladen werden. Die Benutzung des Fahrstuhls zum irgendwie, z. B. an der an der Wagenstirnwand befindlichen Bureau ist unentgeltlich. Griffstange festzuhalten. Darin aber liege ein Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt.

Die Umgestaltung des Untergrundbahnhofes Nollendorfplatz.

Größere Vorsicht im Straßenverkehr. Unfälle im Straßenbahnverfehr sind seit einiger Zeit auf der Tagesordnung. Kürzlich wurde in einem Berliner   Blatt das Ueber­handnehmen von Straßenunfällen auf ungenügend geschultes Fahr­personal zurückgeführt. Inwieweit diese Behauptung richtig ist, fönnen wir nicht nachprüfen. Jedenfalls dürfte die Mahnung an die Bassanten und Fahrgäste sowohl wie auch an die Kutscher   von Brivatfuhrwerken und Fahrer der Straßenbahn, größere Vorsicht zu üben, am Blaze sein..

Verlegung von Straßenbahnlinien wegen des Baues der Der Hochbahngesellschaft ist bekanntlich die Genehmigung zum Untergrundbahn. Die Straßenbahn in der Motz- und Kur- Bau und Betrieb einer Schnellbahn vom Gleisdreieck durch die fürstenstraße wird zwischen dem Nollendorfplatz und der Pots- Tauenzien- und die Kleiststraße, über den Nollendorfplatz und durch damer Straße wegen des Baues der Hoch- und Untergrund- die Mogstraße erteilt. Die Strecke bis zum Wittenbergplag ist fertig Am Potsdamer Plag wollte gestern, nachmittags gegen 3/44 Uhr, bahn zwischen dem Gleisdreieck und dem Nollendorfplatz für gestellt und in Betrieb genommen. Nunmehr soll die Reststrecke der 20jährige Ernst Hagedorn auf einem Dreirad kurz vor einem in die Dauer der Arbeiten gesperrt. Um die Straßenbahnlinien hergestellt werden. Dazu gehört auch der auf dem Nollendorfplatz der Richtung nach Friedenau   verkehrenden Straßenbahnwagen der umzulenken, wird die Zietenstraße zwischen der Genthiner und in der Moßstraße unterirdisch anzuordnende Gemeinschaftsbahn- Linie 66 das Gleis kreuzen. Dabei hatte er das Herannahen und der Bülowstraße ausgebaut und mit einem östlichen und hof, der auch die Schöneberger Untergrundbahn aufnehmen soll. Für eines Straßenbahnwagens der Linie 40 aus entgegengesetter westlichen Anschlusse in der Bülowstraße versehen. Außerdem die glatte Abwickelung des Zu- und Abgangsverkehrs zum und vom Richtung übersehen. Er wurde bon diesem Bahnwagen wird eine südöstliche Kurvenverbindung in der Potsdamer, Gemeinschaftsbahnhof und dem alten Bahnhof der Hochbahn sollen angefahren und umgestoßen. Bei dem Sturz auf das Straßen­Ecke der Kurfürstenstraße, hergestellt. Es ist deshalb not unter Beseitigung der vorhandenen Fahrkartentassen und Bahnsteig- pflaster erlitt H. eine Quetschtunde am rechten Bein. Er erhielt wendig in der Nacht vom 29. zum 30. Juni von 12 Uhr an sperren neben dem bestehenden Bahnhof Vorbauten hergestellt auf der nahen Unfallstation einen Notverband und wurde nach der in beiden Richtungen die Linien 23, 51, 57, 59, 60, 61, 62, werden, in denen der gesamte Fahrkartenverkauf und die Bahnhof  - Wohnung gebracht. 69, 71, 74, 87, 88, 162 und III über die sperre untergebracht werden sollen. Im Zusammenhang damit Lützow  -, Genthiner und Motzstraße, den Nollendorfplatz follen auch die gärtnerischen Anlagen neu gestaltet werden. Berück­oder Moz, Bülow- und Potsdamer Straße  , die Linie A sichtigt ist ferner auch die Anlage einer Bedürfnisanstalt. Nachdem von der Flottwellstraße an über die Lügow, Genthiner- und der Ausschuß gegen Verunstaltungen sowie die verstärkte Tiefbau Moßstraße umzuleiten. Vom 30. Juni früh an nimmt die und Verkehrs- Deputation in Charlottenburg   ihre Zustimmung ge­Linie A ihren Weg von der Potsdamer, Ede Kurfürstenstraße geben haben, bringt der Magistrat der Stadt Charlottenburg  durch die Potsdamer   und Bülowstraße nach dem Nollendorf- nunmehr den Entwurf der Vorbauten zur Kenntnis der Stadt­play. In der Nacht vom 30. Juni zum 1. Juli werden von verordnetenversammlung. 12 Uhr an die Linien 8, 52 und 91 in beiden Richtungen über die Potsdamer   und Bülowstraße umgeleitet. Linie 2 fährt dann nicht durch die Lützow  -, Genthiner und Mok­straße, sondern in beiden Richtungen durch die Maaßenstraße. Vdm 1. Juli an nehmen die Linien 2, 8, 52, 91 und 92 von der Kurfürsten-, Ede Genthiner Straße ihren Weg nicht durch

Dom

Der kaufmännische Direktor der städtischen

Elektrizitätswerke.

Ein Zusammenstoß eines Brauerwagens mit einem Straßen­bahnwagen ereignete sich am Donnerstagabend gegen 7 Uhr am Kottbuser Damm. Ein aus der Boechstraße kommender Wagen der Brauerei Happoldt fuhr gegen einen aus Neukölln   herannahenden Straßenbahnwagen der Linie 28E. Bei dem Anprall wurden die Seitenscheiben des Bahnwagens zertrümmert, am Brauerwagen die Deichsel zerbrochen. Zwei Insassen des Triebwagens wurden leicht berlegt.

Was im Gemeindebureau geraten wurde. Auf dem Gemeindeamt in Rahnsdorf   wurden der Frau Der Magistrat nahm in seiner gestrigen Sigung die Wahl des eines in den Siemens- Schuckert  - Werken beschäftigten Drehers dieser faufmännischen Direktors der städtischen Elektrizitätswerke vor. Es Tage recht sonderbare Ratschläge erteilt. Da der Ehemann von Laut Bescheinigung standen eine Anzahl Bewerber aus verschiedenen industriellen Be- 7 ühr morgens bis 82 Uhr abends

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im

nordöstlichen Kriegsschauplah. teinofen, von drei Seiten durch Wände aus Reifig und Tannen- nachdem was man hier gewohnt wird! Ueberbies war es noch fauber

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In den Schüßengräben an der Dubissa.

in Jurborg.

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Quartier

Jurborg, 20. Juni 15. Bevor wir Rossienie verließen, machte ich noch den in der Syna­goge internierten russischen Gefangenen einen Besuch. Die Leute maren fidel und sahen sehr gut aus. Es waren vorwiegend junge Menschen. Ungefähr zwanzig drängen sofort zur Tür hin, wo ich stehen blieb und in das ziemlich bunte und laute Getriebe hinein schaute. Unter den Leuten, die mich umringen und Neuigkeiten hören wollen, ist auch ein junger Bursche, auf dessen Brust vier Medaillen hängen.... Er will ſeine Orden zeigen," sagt jemand. - Was sind das für Orden?" frage ich. Ein russischer Pole, der gut deutsch spricht, besieht sich die Medaillen, auf die der Besitzer mit einem glücklichen Lächeln herabschaut, das doch ins Verlegene hinüberspielt, als der Pole etwas spöttisch sagt: Die sind von der Kaisergeburtstagsfeier," und als die ganze Gesellschaft den Medaillenmann auslacht, der schließlich in die allgemeine Heiterkeit mit einstimmt. Auf weitere Fragen an den Polen   höre ich, daß er schon früher vier Jahre lang in Deutschland   als Land- und Fabrik­arbeiter tätig war. Hätte er den Ausbruch des Krieges geahnt, wäre er sicher vorher wieder nach Deutschland   gegangen, um der Dienstpflicht im russischen Heere zu entgehen. Ich möchte später nicht an Rußland   ausgeliefert werden, ich wünsche sehr in Deutsch­ land   bleiben zu können, ich und noch viele meiner Landsleute. Nur nicht nach Rußland   zurück, wenn wir erst in Deutschland   sind... Dergleichen Aeußerungen vernahm ich oft bei Gefangenen. Es sprach daraus aber niemals Haß gegen das russische Volk, sondern nur Furcht vor den Gewalthabern. Von den gleichen Gefühlen sind übrigens auch die von russischer Willkür drangsalierten Deutschen  und Juden beseelt. Ich höre aus ihren Klagen fast immer einen starken Unterton von Liebe zu Rußland   und ihrer Heimat. Nach kurzer Fahrt über schlechte Wege, bei der zwei Bosten­tetten passiert werden müssen, haben wir die deutschen   Stellungen bei R. an der Dubissa erreicht. Die Straßen, die zu den Stellungen führen, sind alle scharf bewacht, um Spionage zu verhindern. Aus demselben Grunde sollen nun alle Zivilisten aus den Ortschaften unmittelbar an der Front bis hinter die Gefechtszone zurück­geschoben werden.

Heute ist es merkwürdig ruhig an der Front. Hauptmann v. 2., der uns durch die Schüßengräben führt, versichert uns, daß er solche Ruhe wie heute noch nicht erlebt habe. Es treffe sich aber gut so, denn gerade heute sei damit begonnen worden, zugweise den Leuten einen dienstfreien Tag zu gewähren. Wie ich sehe, benutzen die Dienstfreien die Zeit dazu, sich zu fäubern, Sonnen- und Wasser­bäder zu genießen, Kleider in Ordnung zu bringen, Briefe zu

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schreiben usw. Einige von ihnen haben sich auf die Jagd begeben;| stecken; einmal mitten in einem herrlichen gemischten Wald. Die nicht mit dem Gewehr, sondern mit Wasser, Seife und Feuer. hohen Fichten wurden noch überragt durch eigenartig schlank auf­In der Kompagnie- Entlausungsanstalt frönen sie ihrem Jagdeifer. geschossene Fichten- und Ahornbäume. Ziemlich spät erreichten wir Die Einrichtung hinter dem Schüßengraben ist zwar einfach, aber Jurborg und fanden dort Quartier in einem ehemaligen Hotel". zweddienlich genug, um wenigstens die dringendsten Bedürfnisse Unser Zimmer war mit einigen Gasthaustischen und-stühlen, einer befriedigen zu können. Ein draußen errichteter niedriger Ziegel- Matraße und einer Art Sofa ausgestattet. Ein feines Quartier, zweigen gegen Wind geschüßt, das Dach aus demselben Material. verhältnismäßig natürlich und außerdem überließ uns die Ein großer Waschkessel zum Aufnehmen der lebendigen" Kleider. polnische Wirtin, die immer von drei oder vier kleinen Mindern Dann noch eine Tonne ohne Boden und mit abnehmbarem Dedel, der auf der Innenseite mit Hafen versehen ist. An diese werden die Hemden, Hosen usw. aufgehangen, dann seht man die Tonne auf den Kessel. Der aufsteigende Wasserdampf bestreicht die Kleider und ihre Bewohner. So wird mit kleinen Mitteln manchem Ge­plagten eine große Wohltat erwiesen:" Für eine Entlaufung will ich zwei Tage fasten," sagte mir einer von denen, die sich gerade von ihrer Einquartierung" befreit hatten, und ich verstehe das Motto, das in einer anderen Entlausungsanstalt dem Eintretenden in die Augen fällt: Hölle, wo die Läuse braten, ist der Himmel für Soldaten." Ich bewundere die saubere Arbeit, die bei dem Aufwerfen und Ausbauen der Schützengräben geleistet worden ist, bedaure nur, daß sie nicht schon friedlicher Tätigkeit gewidmet ſein konnte. Gestern haben die Russen fast den ganzen Tag wie toll gefeuert. An verschiedenen Stellen der Front fam es auch zu blutigen Zu­sammenstößen. Heute fiel hier noch kein Schuß. Hauptmann v. 2. findet feine Erklärung für die auffallende Pause in der Munitions­verschivendung auf Seiten der Russen. Ueberall begegnet man dem Spielen mit der Gefahr. Nun auch hier. Einige Leute promenieren ganz ruhig, gerade als gäbe es keinen feindlichen Schüßen und keine fodbringenden Kugeln, hinter den Schüßengräben auf und ab, suchen von höheren Punkten aus zu ergründen, was dort drüben los ist. Das Dubissatal trennt die gegnerischen Schüßengräben auf nur geringe Entfernung. An einer Stelle sind es kaum dreihundert Meter. Die deutsche Stellung ist so angelegt, daß nach meiner Ansicht ein Mann in aller Ruhe mindestens zwanzig anstürmende Russen niederschießen könnte, ehe einer von diesen die Hindernisse vor dem Graben überwunden hätte. Es ist daher erklärlich, wenn der Hauptmann versicherte:" Die Stellung ist uneinnehmbar." Ich erkundigte mich bei den Mannschaften nach ihren Wünschen; Urlaub möchten sie haben, um schnell ihre Aderwirtschaft etwas in Ordnung bringen zu können. Es bleibt drüben ruhig, keine Spur von Leben ist zu entdecken. Nur aus der Ferne dringt der Schall einiger Schüsse herüber. Hier fällt fein Schuß. Wir verweilen stundenlang bis nachmittags, aber die Russen schiden keinen Gruß" herüber. Heute wollen wir noch nach Jurborg. Die 70 Kilometer bis dorthin müssen meistens auf Sandwegen zurückgelegt werden. Ohne Aufenthalt passieren wir Rossienie. Bei der Durchfahrt be­merke ich folgenden Vorfall: Ein Soldat hat anscheinend den Auf­trag, einige Einwohner zusammenzuholen, die irgendeine Arbeit berrichten sollen. Jedes Mal, wenn der Soldat sich umdreht oder fortgeht, um Leute heranzuholen, verschwinden andere mit blik­artiger Geschwindigkeit. Auf einmal steht der Eoldat ganz allein da, auf leerer Straße.... Zweimal bleibt der Wagen im Sandel

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umgeben war, eine mit flarem Wasser gefüllte Waschschüssel. Als sie am andern Morgen auf unsere Bitte auch noch Saffee, Milch, Brot und Butter vorseßte, fühlten wir uns so wohl wie Prinzen. Jurborg macht mit seinen breiten, geraden, ziemlich rein ge­haltenen Straßen einen viel freundlicheren Eindruck als Rossienic. Ein besonders reizendes Bild boten heute am Sonntag die vielen zur Kirche wandernden polnischen Frauen und Mädchen in ihren bunten Röcken und hellen Tüchern. Beinahe jede Kirchgängerin hatte einen in leuchtenden Farben prangenden Blumenstrauß in der Am Kircheneingang staut sich die Menge. Die wenigen Hand. Männer, sehr einfach gekleidet, sind sehr höflich gegen die Frauen. Ein Mann von vielleicht 40 Jahren füßt einer älteren schlichten Wir Frau die Hand, dann läßt er sie vorauf in die Kirche gehen. fahren auf einem Motorboot zum Kriegshafen bei X. Welch ein Ersatztruppen kommen an, Munition wird an Land ge­Leben! schafft, ferner Lebensmittel, vor allem Mehl für die Feldbäckerei in Es ist aus Deutschland   herangeschafft worden. größerer Menge. Aus einem Rastkahn bringen Gefangene ganze Wagenladungen von Brot an Land. Ein anderer Kahn ist mit Konserven beladen; cr harrt noch der Löschung, um nachher' mit Beutestücken beladen zu werden. Verletzte finden Aufnahme in zwei dort liegenden Lazarett­schiffen. Aus den Schiffen dringt lustiger Gesang mit Mandolinen­begleitung herauf:" Wenn ich komm, wenn ich komm, wenn ich wiederum komm Auf den Kähnen haben es sich einige Ver­wundete in aufgestellten Stühlen bequem gemacht; fie plaudern und lesen. Jemand sagt zu einer Pflegerin: Fräulein..." Sie lacht und erwidert: Fräulein, die Anrede habe ich lange nicht gehört." Ich frage: Sind die Verletzten nicht wehmütig gestimmt?" Nein, im Gegenteil, sie sind lustig und aufgeräumt. Nicht wahr?" fragt die Schwester einen Landwehrmann, der einen Schuß in den Oberschenkel erhalten hat. Aber gewiß," lautet die Antwort, hier ist's doch zum Aushalten." In Jurborg finden wir noch knapp Zeit, das von der polnischen die zweite, etwas verstärkte Auf­Wirtin bereitete Mittagessen einzunehmen. Die wohl über Erwarten lage des Frühstücks reichliche Bezahlung macht die Wirtin noch diensteifriger; sie will paden helfen und holt noch einmal frisches Waschwasser, als wir schon die Handschuhe angezogen haben. Die Sandwüste bis zur Grenze zwang uns noch einige Male, den Wagen zu schieben. Als wir bei Schmalleningfen über die Grenze kamen, fonnten wir im Auto in dreifach gesteigerter Geschwindigkeit weiter fahren. Drüben bekamen wir manchen ordentlichen Sandspriber; jetzt flog das Auto ungehindert über die feste Bahn dahin. Es ist doch ein gewaltiger Unterschied zwischen Rußland   und Deutschland  !

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Düwell, Kriegsberichterstatter.