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Ar. 213. 82. Jahrgang.

des Joraärts" fittlinrt Soltistiliitt.

PitfMii, 4. AM« 1915.

Die /lrgonnenkämpfe vom 20. Juni bis 2. Juli.

Iii').

Äu5 oem Großen Hauptquartier wird uns gc- schrieben: In den Tagen vom 21. bis 29. Jmtt machten die Fran­zosen fast täglich Versuche zur Wiedereroberung ibrer Stel­lungen. Sie überschütteten die deutschen Truppen in den neu eroberten Gräben Tag und Nacht mit einem Hagel von Granaten und Minen, letzten ihre Infanterie immer wieder zum Gegenangriffe an, übergössen am 28. und 29. Juni mehrere unserer Gräben mit einer brennenden, ätzen- den Flüssigkeit, alles ver- gebens, die am 29. Juni ge« wonnenen Stellungen blie- den fest in der Hand der Deutschen . So kommt der in der Ge- schichte der Argonnenkämpfe denkwürdige 39. Juni heran: Die Erstürmung der franzö- fischen Hauptstellung von La- borddre bis zur Eselsnase. Am Abend des 29. Jmn sind die letzten Vorbereitungen beendet. In gleicher Weise wie am 29. Juni beginnt bei Tages- grauen das Feuer der Artil- lerie. Tiesmal find die Ver- Hältnisse günstiger für das Sturmreifmachen der feind- lichen Stellungen: die Werke Central, Cimetiäre. Bagatelle und die Stützpunkte auf der Eselsnase, dem Storchennest und der Rheinbabenhöhe lie- gen offen da, der Wald ist in dieser ganzen Gegend unter dem monatelangen Feuer- und Bleihagel fast völlig ver- schwunden. Dementsprechend kann das vereinigte Feuer der Batterien und aller Arten von Minenwerfern planmäßig eine Anlage nach der anderen zer slörett und eine Verwüstung anrichten, die sich gar nicht be­schreiben läßt. Noch am späten Abend und am nächsten Tage machen die Gefangenen, die stundenlang in dieser Hölle haben aushalten müssen, einen ganz gebrochenen und geistesäbwesen den Eindruck. Alte Unteroffiziere und Offiziere versichern dieses Artillerie- und Minenfeuer in den frühen Morgen­stunden des 39. Juni sei dos furchtbarste Erlebnis des ganzen Feldzuges gewesen. Ein großer Teil der französischen Gräben wird vollständig eingeebnet, Unterstände und Blockhäuser liegen voll von Toten, mehrere Handgranaten- und Minen lager fliegen in die Luft, Minenstollen und unterirdische Unterkunftsräume werden verschüttet und begraben ihre In fassen unter den Trümmern. Trotz dieser schwierigen Lage halten die Besatzungen der vordersten französischen Gräben stand: wer nicht fällt, bleibt auf seinem Platze am Maschinen gcwehr oder an der Schießscharte bis zum allerletzten Augen blick, bis die Deutschen im Graben sind und nur noch die Wahl zwischen dem Tode oder der Gefangennahme bleibt. Jeder deutsche Soldat, der da vorne mitgemacht hat, erkennt es mit ehrlicher Hochachtung an: Tic Franzosen haben sich brav geschlagen! Nach der letzten äußersten Feuersteigerung beginnt um 5 Uhr Minuten vormittags der Sturm. Nicht wie zu Hause auf dem Exerzierplatz mit vorgehaltenem Bajonett stürzten die Sturmkolonnen vor, sondern zum größten Teil mit umgehängtem Gewehr, in der Rechten einige Hand- granaten, in der Linken, wie die alten Germanen, den Schutz- schild("allerdings nicht aus Bärenhäuten, sondern aus Stahl), vor Mund und Nase eine Maske zum Schutz gegen das gif- tige Gäs der französischen Stinkbomben. Ter Sturm gelingt gut: In kaum einer halben Stunde ist das ganze Central- und Cimetiäve-Werk genommen. Eine Kompagnie des In- fanterie-Regiments Nr. 121 stürmt noch weiter über die zweite Linie hinaus und folgt den weichenden Franzosen bis hinab auf den in das Biesme-Tal abfallenden Berghang. Als der tapfere Kompagnieführer, Oberleutnant Bertsch, fällt, übernimmt Offizierstellvertreter Jaeckle das Kommando. Nur seiner Umsicht ist es zu verdanken, daß die Kompagnie nicht abgeschnitten wird und sich noch rechtzeitig auf die neue Stel- lung des Regiments zurückziehen kann. Ebenso schnell ist die 1. und 2. Linie des Bagatelle-Werks der sogenannte schwarze und rote Graben das Storchennest und die Stel- lung am Osthang der Eselsnasc in deutschem Besitz. Ter Hang, der aus dem Charme-Bachtal nach Westen zur Esels- nase hinansteigt, ist so steil wie der rote Berg bei Spichern. Das, was beim Sturm über den Chärme-Bach auf diese Höhe unter däm flankierenden Maschinengewehrfeuer vom St. Hubett-Rücken her die unvergleichlich tapferen Bataillone des Königs-Jnfanterie-Regiments 115 geleistet haben, wird für olle Zeiten ein Tenkstein für deutsche Angrifsskraft und Todesverachtung bleiben. Hinter dem Bagatelle-Werk machen die stürmenden Truppen vor einer neuen starken Stellung des Feindes, dem

..grünen Graben", vorläufig Halt. Hier wird der Wald wieder dichter. Auf der ganzen Front wird die vorüber- gehende Gefechtspause zum eiligsten Ausbau der neuge- wonnenen Linien und zum Nachführen von Maschinen- gewehren und Munition benutzt. Zu dieser Zeit greifen nun auch die aus der Rheinbabenhöhe und weiter südlich aus

MTB . 2012

*) siehe ü07 und 209 desBorwärts",

dem St. Hubert-Rücken liegenden deutschen Truppen zum Teil aus freiem Entschluß--- den Feind an. Tasselbe ge schieht nachmittags auf dem rechten Flügel der Angriffs gruppe: Hier erstürmen unter Führung des Leutnants Schwenninger württembergische Freiwillige den Teil des Labordäre-Werkes, der am 29. Juni noch in Händen der Franzosen geblieben war. Tie Franzosen setzen sich mit Zähigkeit und Widerstandskraft zur Wehr. Besonders heftig entbrennt der Kampf am Südwesthang der Rheinbabenhöhe auf dem St. Hubert-Rücken. Hier gehen am späten Nach nrittag die Franzosen mehrmals zum Gegenangriff über. Ganz besonders zeichnen sich bei diesem heißen Ringen die Vizefeldwcbel Schäfer und Reinartz der 4. Konipagnie In fanterie-Regiments Nr. 39 aus, die zusammen mit wenigen Leuten im Madaine-Bach-Tal die starke Besatzung eines französischen Blockhauses im wütenden Handgranatenkampf vernichteten. Es ist unmöglich, olle Heldentaten dieser blutigen Kämpfe aufzuzählen, da eigentlich jeder einzelne, der beteiligt war, ein Held ist. Ebenso wie stets früher, tun sich auch diesmal wieder ganz besonders die Pioniere durch glänzenden Schneid und Gewandtheit hervor. So entdeckte z. B. der Unteroffizier Hauff der 4. Kompagnie Pionier Regiments Nr. 29 beim Sturm in einem Blockhaus ein flankierend feuerndes Maschinengewehr. Er stürzte tollkühn auf das Blockhaus zu und stopfte ungeachtet der höchsten Lebensgefahr durch die Schießscharte eine Handgranate, die in den nächsten Sekunden der gesamten Bedienungsmann schaft des Maschinengewehrs den Garaus macht. So wird es Abend und langsam kommt.der heiße Kampf zum Abschluß. Nur am St. Hubert-Rücken dauert das Ge fecht bis in die Dunkelheit. Auf den übrigen Teilen der Front tritt bald völlige Ruhe ein. Tie Franzosen sammeln die Trümmer ihrer völlig zerrissenen und durcheinander ge- wirbelten Verbände, in fieberhafter Eile graben sie sich mit der ihnen eigenen Gewandtheit und technischen Geschicklichkeit während der Nacht ein, wo sie liegen. Sie richten mit ollen Mitteln den schon vorher stark befestigtengrünen Graben" zum äußersten Widerstand her. In der Nacht gelingt es den deutschen Patrouillen, olle Einzelheiten der nuen feindlichen Stellung und der Hinder- nisse, die am Tage im dichten Wald nicht zu sehen waren. zu erkunden. Dergrüne Graben" ist mit einem 19 Meter breiten Drahthindernisse und einer großen Anzahl Block- Häuser versehen. In der Erkenntnis, daß dergrüne Graben" ohne nach- haltige Feuervorbereitung noch nicht sturmreif ist, wird der ür den 1. Juli geplante Angriff auf den 2. Juli verschoben. Ani 1. Juli kommt es auf der ganzen Front nur zu kleineren Einzetkämpfen, die zu keinem Ergebnis führten. Im übrigen wird der Tag mit dem Ausbau der neuen Stellung, dem Bergen der Leichen und dem Heranschaffcn von Wasser und Lebensmitteln hingebracht. Am Vormittag des 2. Juli wiederholt sich gegen den grünen Graben" und die französischen Stellungen ein ähn- liches Massenfeuer der deutsckien Artillerie und Mincnwerfer, wie am 30. Juni. Um 5 Uhr nachmittags brechen dann stahlhart erwiesen.

Teile der Jnfanterie-Regimenter 39 und 173 zum Sturm gegen die feindlichen Stützpunkte am Hang der Rheinbaben- höhe und auf dem St. Hubert-Rücken los und werfen den Feind auf der ganzen Linie aus seiner vordersten Stellung. Bis 7 Uhr 39 Minuten abends ist kein Franzose mehr auf der Rheinbabenhöhe. Ter Kampf dauert auf diesem Teil des Gefechtsfcldes bis spät in die Nacht. Wie schon am 39. Juni. halten sich hier die französi- schen Truppen, die der 42. Di- Vision angehören, mit beson- derer Zähigkeit und Tapfer- keit. Um den berüchtigten..'grü- nen" Graben von rückwärts angreifen und dort einen be- trächtlichen Teil der feind- lichen Kräfte abschneiden und einkesseln zu können, durch- bricht um 5 Uhr 39 Minuten nachmittags Major Frhr. v. Lupin mit seiner Kampf- gruppe die feindlichen Stel- lungen in Richtung auf das Wegekreuz nördlich von Hara- zse. Unter Führung des Hauptmanns Hausser und des Hauptmanns Frhr. v. Perfall dringen die württembergischen Grenadiere bis mitten in die französischen Lager an der Harare - Schneise und dar­über hinaus vor. Inzwischen schwenken hinter den Grena - dieren zwei weitere Bataillone nach Osten ein, fassen den grünen" Graben im Rücken und rollen ihn auf. Alles. was sich von den Franzosen noch in den Lagern am Weg- kreuz befand, stürzt jetzt iu planloser Verwirrung nach vorne in dengrünen" Gra- ben, in den gerade in diesem Augenblick von Nordosten und Osten her die 67er und 145er eindringen. Von allen Seiten völlig eingeschlossen und in unmittelbarer Nähe von den deutschen Bajonetten bedroht. gibt sich der größte Teil der Besatzung gefangen. Nur noch ein kleiner Rest kämpft in wilder Verzweiflung gegen die ringsum anstürmenden Deutschen . Mitten unter diesen Braven der Kommandeur des 1. Bataillons des französischen Jnfanterie-Regiments Nr. 151, Major Rcmy, der sich trotz mehrfacher mündlicher Aufforderung nicht ergeben will, und schließlich in dem erbitterten Handgemenge den Heldentod stirbt. Langsam wird es Abend. Auf der ganzen Front im Bois de la Grurie ist der große Sturm glänzend geglückt. Nachdem mit dem grünen Graben auch das letzte Bollwerk gefallen ist, schieben sich die deutschen Truppen ohne weiteren Widerstand vor. Mit Einbruch der Dunkelheit tritt voll- kommene Ruhe ein. In der neuen Linie wird eifrig am Aus- bau der Gräben gearbeitet, damit der Morgen des nächsten Tages die Deutschen wieder in fester, sicherer Kampfstellung findet, die allen Gegenangriffen des Feindes einen eisernen Riegel vorschieben kann. Doch weder in dieser Stacht, noch am nächsten oder den nächsten Tagen wagen die Franzosen einen Versuch, den Deutschen ihre Beute wieder zu entreißen. Mehrere Tage kein Artillerie- und Minenfeuer, keine Hand- granate, keine Stinkbomben, keine Minensprengung, dos ist für die Argonnenkämpfer ein Zustand, den sie seit Monaten nicht kannten. IV. Erst nach mehreren Tagen läßt sich die Beute dieser Kampftage vom 39. Juni bis 2. Juli überblicken: 37 Offi- ziere, darunter 1 Major und 4 Hauptleute, 2519 Mann von Truppen 3 Ys verschiedener Divisionen, 28 Maschinengewehre, mehr als 100 Minenwerfer, 1 Revolverkanone, annähernd 5000 Gewehre, mehr als 39 000 Handgranaten, mehrere Pionierparks und Vtunitionsdepots voll von Waffen, Mu- nition und Kampfgerät aller Art. Jeden Tag werden neue Beutestücke aus den verschütteten Unterständen und unter- irdischen Depots zutage gefördert. Bis zum 8. Juli wurden etwa 1600 gefallene Franzosen beerdigt. Rechnet man die Gefangenen vom 20. Juni bis 2. Juli auf rund 3299 Offiziere und Mannschaften, die Toten und unaufgefundenen Ver- schütteten auf 2009, so ergibt sich mit der geschätzten Zahl der Verwundeten als Gesamtsumme der französischen Verluste während dieses Kampfabschnittes<009 bis 8009 Mann. Die militärische Bedeutung des Erfolges liegt im Ge- winn einer günstigen, überlegenen Stellung, in der außer- ordentlich hohen Zahl der feindlichen Verluste und im Fest, halten starker französischer Kräfte, die nach Aussage von Ge- fangenen zum Teil bereits zum Abtransport und zur Ver, Wendung an anderen Stellen der Heeresfront bereitgehalten worden waren. Gleich schwerwiegend ist der moralische Er- folg: die Truppe hat im heißen Ringen dieser Tage wieder gespürt, daß sie noch genau so draufgehen kann, Wie früher. Von neuem hat sich das feste Vertrauen der Waffen unterein- ander und das Band der innigen, treuen Kameradschaft zwischen Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaften als