Dr. 235. 32. Jahrgang.
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Dannerstag. 26. August l9l5.
Stimmen öer Parteiprege zur Kanzlerrede. Die Mannheimer „Volks stimme� stellt folgende Be- irachtungen an: Aber der Kanzler wird sich n a ch dem Kriege, der sicher ein in sich vielfach anderes, aber— mögen unsere Erfolge noch so groß sein— nach wie vor in seiner Weltstellung wenig erschüttertes, als Freund wertvolles, als bitteren Feind achtungeinflötzendes England binterlassen wird, der Ueberzeugung nicht verschliefen können, daß, was vor dem Kriege grundsätzlich in Tendenz und Ziel richtig und möglich schien, nach dem Kriege nicht mindez richtig und möglich bleibt, und dast noch so berechtigte Anklagen ei nicht falsch machen. Wir erhoffen alle mit dem Reichs- kanzler für die Tage nach dem Friedensschluß ein in seiner Stellung starkes und gefestigtes Deutschland , aber, wie wir. so wird sich auch der Reichskanzler sagen können: so st a r k und unantastbar wird das Deutsche Reich , werden die Zcniralmächte durch einen irgendwie erreichbaren Sieg dennoch nicht werden können, daß sie, auf sich allein gestellt, aller Welt trotz- hallen könnten. Dieser Krieg wäre für uns, bei allen Erfolgen, verloren, gelänge es uns nicht, durch Einleitung einer ver- nllnftigen Bündnispolitik die heutigen Glieder der Entente zu sprengen und für alle Zukunft auseinander zu reißen, stünden wir am Ende des Krieges nach wie vor einer zwar für den Augenblick geschlagenen, aber dauernd gemeinsam haisenden, gemeinsam auf Rache sinnenden Welt von Feinden gegenüber. Siegen, gut siegen ist gut, so lange man fich wehren muß; aber den er- rungenen Frieden durch Bündnisse und Verständigungen dauernd sichern, ist besser.... Genosse Ouarck schreibt in der Frankfurter „Volks- stimme": Auch diese Rede zeichnete sich aber durch außerordentliche Schlichtheit und Geradheit aus und verschmähte jeden Aufputz. Bethmann Hollweg macht mehr wie je den Eindruck eines seiner schweren Verantwortung bewußten und ehrlich sich mit ihr aus- einandersctzenden Staatsmannes. Er geht keiner Auseinander setzung aus dem Wege, die ihm von unseren Gegnern nahe- gelegt wird. . Das Gepräge und der große Zug der Rede bestand in der Abwesenheit jeder Säbelrasselei und ÄngriffSdrohung und in der Nachdrücklichkeit, mit der lediglich die Notwendigkeit für Deutsch land, sich zu verteidigen und sich Luft zum wirtschaftlichen Atmen zu bewahren, betont wurde. Das Ausland und Ankläger im Inneren haben Deutschland vorgeworfen, eS sei gar nicht in der Not wehr. Die neueste Kanzlerrede ist der beredtste Gegenbeweis. Nicht, weil sie unsere angebliche Schuld am Krieg leugnet, sondern weil ihre ganze Stimmung und Richtung lediglich darauf abzielt, auch nach unseren letzten großen Siegen nur dafür zu sorgen, daß unsere Waffen Deutschland erhalten, vor Verstümmelung bewahren und seine Lebensfähigkeit sichern. Am Schluß wird der Frieden prokla miert, den„die Völker" ersehnen. Das heißt, Deutschland will auch für die Neutralen, deren Sympathie ihm längst nicht mehr gleichgültig ist, Verkehrsfrcihcit auf dem Weltmeere erkämpfen, ebenso wie für sich, keinerlei Eroberungen, sondern nur die Beseitigung der Schranken erreichen, die englische Monopol- berrschaft aufgerichtet hat. Man kann sich freuen darüber, daß der Reichskanzler dieses kulturelle Kriegsziel so stark und geschickt her> vorhob und Annexionen ablehnte, dafür aber die Entfaltung der nationalen Kraft der Polen im Osten als Hilfsmittel gegen Ruß. land anrief. Alles in allem eine sachlich-klare und besonnene, von starkem Verantwortungsgefühl getragene Regierungskundgebung, deren Aus- klang uns Sozialisten sicher sympathischer ist, als die Eroberungs- fanfaren der Franzosen und Russen. Der Braunschweiger. Volksfreund" urteilt: Die Rede des Reichskanzlers in der gestrigen Sitzung des Reichstages war womöglich noch verschwommener und vieldeutiger als seine bisherigen Reden. Jedermann erwartete einigermaßen greifbare Angaben über die Kriegsziele. Das Schlagwort vom Kampf um die„Freiheit der Meere " ist keine derartige Angabe. Man kann sich polittsch und militärisch darunter vorstellen, was man will, und eben darum kann man sich nichts darunter vor- stellen. Nur eins geht aus der Kanzlerrede klar hervor, daß die Regierung den Hauptfeind in England erblickt und den Krieg solange fortsetzen will, bis er fich als geschlagen bekennt. Die Zuspitzung de? Themas auf England schließt in sich, daß Rußland und Frankreich fast unerwähnt blieben. Man wird daraus auf Richtlinien der äußeren Politik schließen dürfen, die vom Gesichts- punkte der demokratischen Entwicklung die größte Besorgnis einflößen müssen. Aber auch vom Gesichtspunkt der äußeren Politik erweckt die Erklärung Englands zmn Hauptfeind Perspektiven, die nichts weniger als heiter sind. Der Abschluß des Krieges ist dadurch ins Unabsehbare hinauSgerückt... Die Vagheit und Vieldeutigkeit der Bethmannschen Rede erweckt in uns den Eindruck, als ob sich dahinter Absichten verbergen, zu denen deutlich fich bekennen man noch nicht möchte. Vieldeutig auch sind die Andeutungen des Kanzlers über die Zukunft Polens . Das hochtönende Befreiungsmanifest, mit dem man in Polen einmarschierte, ist zu schwanken unverbindlichen Redewendungen hcrabgestimmt, jetzt, wo es ans Ausführen gehen soll...1 Zustimmend schreibt daS„ V o l k s b l a t t für Anhalt": Die Rede, die der Reichskanzler gestern im Reichstage gehalten hat, war maßvoll, klug, ehrlich und wirksam. Ein klare? KriegSziel hat der Reichskanzler für den Osten auf- gestellt. Damit ist die Kriegspolitik mit einer deutlichen Wendung gegen den russischen Zarismus genommen. Eine Aussöhnung mit Rußland ist nicht das Ziel. Diese scharfe Front gegen Rußland schließt eine gleiche Schroffheit nach Westen aus. Eins steht nach der Rede des deutschen Kanzlers über allem Zweifel fest: Deutschland will den Frieden jetzt genau so, wie es ihn vor dem Kriege gewollt hat, freilich nur unter der Bedingung freier Bahn für Entwickelung aller Völker. Unter englischer Vormundschaft zu leben, lehnen wir ab. Im Osten aber suchen wir Schutz vor dem russischen Koloß durch Befreiung der.... Müssen das die fran- zösischcn Sozialdemokraten nick-t mit Freuden begrüßen, und muß nicht auch das liberale England fich damit einverstanden erklären? Krieg dem Zarismus! So lautet der Ruf des Kanzlers. Tie starke Betonung aber der vor dem Kriege gesuchten Ver- ständigung mit England läßt deutlich eilennen. daß der gegen- wältige Reichskanzler auch jetzt noch, im Gegensatz zu gewisien Leuten im Lande, solcher Verständigung nicht abgeneigt wäre. Wenn die Staatsmänner in England und Frankreich ebenso be- sonnen sprächen wie der deutsche Reichskanzler, so wäre der Friede in Wochen da. Die„Rheinisch« Zeitung' urteilt folgendermaßen: Aber Bethmann Hollweg schleuderte nicht nur Anklagen in die Vergangenheit, er besprach auch die Zukunst Deutschlands , das Werden eines neuen Europas . Er sieht'den allein möglichen Weg hierzu in einer Stärkung de, Deutschen Reiches . Recht gute Worte. denen wir in den meisten Punkten zustimmen können, aber wir hätten von ihm auch noch gern einige, darüber gehört, ob in ab- schbarer Zeit wieder über Europa die Friedenssonne strahlen könne. Er bekannte fich zu einer Politik, die frei vom Hasse sein solle gegenüber den anderen Völkern, aber auch alle„Senti-
Mentalitäten" ausschalten müsie; das läßt gerade nicht darauf schließen, daß der Kanzler die Zeit nahe sieht, in der sich die Völker wieder die Hände zur friedlichen Verständigung reicheit können. Und wie er über die Ziele zur Stärkung des Deutschen Reiches nichts sagte, wie er überhaupt daS so umfaffend erörterte Detail der Kriegsziele bestimmter Gruppen und Parteien gar nicht be- rührte, so fehlte auch ein Bekenntnis über die Wege künstiger deutscher innerer Politik, die doch wohl auch ein wesentlicher Faktor bei der künftigen Kräftigung Deutschlands im europäischen Staaten- bunde ist. Die Elberfelder „Freie Presse" äußert: Wenn der Reichskanzler sein ganzes Gewicht bei der Besprechung der Schuldftage am Kriege einsetzte, so gilt das dem Nachweis, daß Deutschland die Verteidigungsstellung inne hat. DaS ist eine Frage, die natürlich sowohl in der äußeren wie in der inneren Politik nach wie vor die bedeutsamste Rolle spielt. Es scheint, als wenn der Reichskanzler die aufhorchenden Mächte des Vier- Verbandes bedeuten wollte, daß die Verteidigungsstellung nun- mehr, nach einem Jahre schwerster und erfolgreicher Kämpfe für Deutschland und seine Verbündeten, geeignet iei, eine Basis für die kriegerische Gestaltung eines neuen Europas zu bilden. Ein neues Europa kündigte der deutsche Reichskanzler an. Er sagte es mit Beziehting auf die Gestaltung der äußeren Politik. Aber er fügte dem auch, am Schlüsse seiner Rede, die Sätze an: „Die Macht, die uns die innere Stärke gab, können wir nicht anders als im Sinne der Freiheit gebrauchen." Sollen wir daraus entnehmen, daß ein neues Europa auch ein neues Deutschland bedeuten wird? Die Bielefelder „Bolkswacht" schreibt am Schlusie ihres Artikels: Die Voraussetzung für jedes Kriegsziel im Sinne des Sieger? ist der Kriegserfolg. Und dieser ist nicht allein abhängig von der Tätigkeit unserer Waffen, sondern auch von den Zuständen hinter der Front. Die Vorbereitung eines für Deutschland günstigen Kriegsziels ist darum gleichbedeutend mit der fleißigsten Arbeit für weitere Er folge unserer Truppen und der Schaffung von Möglichkeiten für ein weiteres wirtschaftliches Durchhalten. Wir sind mit dem Reichskanzler weiter damit einverstanden, alles daran zu setzen, daß Deutschlands Stellung in Europa stark und unantastbar aus diesem Kriege hervorgeht. Auch für die Freiheit der Weltmeere, für alle Völker, treten wir mit dem Reichskanzler ein. In seinem Bestreben, aus Deutschland einen Hort des Friedens und der Freiheit für alle Nationen zu machen, kann Herr Bethmann Hollweg stets auf die Unterstützung der Sozialdemokratie rechnen. Wir sind weit entfernt, den Reichskanzler für die sozialdemo kratische Politik zu reklamieren. Ihn könnte— wie die Dinge heute immer noch liegen— nichts mehr kompromittieren, als wenn er sagen würde, daß seine Kriegsziele identisch seien mit den For derungen der Sozialdemokratie. Aber ein gut Stück Weges können wir mit dem Kanzler gehen, schon allein darum, weil er kein Säbelraßler ist.„Ohne Krieg kamen wir am glücklichsten vor- wärts," sagte er, und damit hat er ein Wort geprägt, dessen wir uns noch gern in fernen Zeiten erinnern wollen. Eine Politik, die Kriege vermeidet, die einen Hort des Friedens und der Freiheit aller Nationen schaffen will,— das ist ein schönes und großes Programm, an dem wir gern mitarbeiten wollen. Seine Durchführung wird indesien nicht gar so leicht sein. In einem Liebe eines unserer bekanntesten Freiheitssänger heißt es, daß wer fremde Fesseln zerschlagen will, nicht sein eigener Sklave sein dürfe. Das will so viel besagen, daß, wenn Deutsch- land nach außen stark und unantastbar dastehen soll, wenn es wirk- lich der Hort des Friedens und der Freiheit werden soll, es auch im Innern stark und srei sein muß. Wir sind nicht Illusionäre genug. um zu glauben, daß ein solches Deutschland uns aus schönen Träumen ersteht. Auch wir haben die Sentimentalität verlernt, auch wir wissen, daß uns keine Geschenke in den Schoß sallen. und darum: wie früher, so wollen wir auch jetzt arbeiten und kämpfen, uns das fteie Deutschland zu erobern! In einem besonders von der rechtsstehenden Parteipreffe ab gedruckten Korrespondenzartikel heißt es am Schluß: Den Schluß der Kanzlerrcde bildete ein HymnuS auf die Z u kunft Deutschlands. Ein starkes und in seiner Stellung unantastbares Deutschland müsse entstehen, das imstande sei, die Freiheit nach außen zu wahren und ohne Sentimentalität zu schützen. Die Rede des Kanzlers war von besonderer Klarheit und trotz ihrer anderthalbstündigen Dauer in jedem Augenblick interessant und infolgedessen von der gespannten Aufmerksamkeit und dem großen Beifall des Hauses begleitet. Wenn die sozialdemokratische Fraktion in diesen Beifall besonders zum Schluß nicht einstimmen konnte, so liegt das nicht so sehr in dem, was der Reichskanzler wirklich ge> sagt hat. als in dem, was er leider nicht geklärt hat, und nicht zuletzt in der demonstrativen Art, wie die rechtsstehenden Parteien einzelne Erklärungen des Kanzlers über die Sicherung der deutschen Grenzen in ihrem Sinne unterstrichen. Das, was der Reichskanzler nicht geklärt hat, das ist die freiheitliche Entwicklung unserer inneren Politik, die die Voraussetzung für ein starkes und einiges Deutsch - and gegenüber dem Auslande in der Zukunft ist.
Ms öer Partei. Zur Abstimmung über die Kriegskredite. Einige Berliner Blätter glauben aus der„Schwäbischen Tag- wacht" entnehmen zu können, daß nur zwölf sozialdemokrattsche Asi geordnete bei der dritten Lesung der Kreditvorlage den Saal ver- lassen hätten, während die anderen Gegner der Kreditbewilligung für die Anleihe im Plenum gestimmt hätten. Diese Folgerung«nt- spricht den tatsächlichen Verhältnissen nicht. Wie wir bereits in Nr. 233 mitteilten, stimmten von den 36 Abgeordneten, die in der Fraktion gegen die Bewilligung sich erklärt hatten, nur drei im Plenum für die Kredite. Abg. Rühle legt Wert auf die Fest- stellung, daß er nicht den Saal verlassen hat, sondern daß eS ihm bei der ungewöhnlichen Plötzlichkeit der Abstimmung nicht möglich war, den Saal rechtzeitig zu erreichen; er würde im Plenum gegen die Kredite gestimmt haben. Aus den Organisationen. Der Bezirksvorstand von Halle veröffentlicht im Halleschen„Volksblatt" den Jahresbericht für das am 31. März beendete Geschäftsjabr. Danach ist im Bezirk die Mitgliederzohl von 26 174 am 1. April 1914 auf 17 S71 Mitglieder am 31. März 1915, also um 19.1 Proz. gesunken. Dieser Rückgang bezieht sich in der Hauptsache auf die männlichen Mitglieder, was sich aus den vielen Einberufungen zum Heeresdienst erklärt. Die Zahl der männlichen Mitglieder ist im ganzen Bezirk von 21769 auf 13 910 am 31. März 191S zurückgegangen. Das ist ein Verlust von 7859 oder 36,1 Proz. an männlichen Mitgliedern. Da nun aber bis 31. März 1915 bereits 9636 Genossen einberufen waren, was einem Prozentsatze von 42,8 der Ziffer der männlichen Mitglieder vom gleichen Zeitpunkte des Vorjahres entspricht, so kann von einem günstigen Verhältnis gesprochen werden. Die Zahl der weiblichen Mitglieder hat sich von 4405 auf 3661 verändert. Die Zahl der O r t S fi l i a l e n bezw. Distrikts abteilungen ist von 206 auf 191 zurückgegangen. Bei den 15 verlorengegangenen Filialen handelt eS sich fast durchweg um ganz kleine ländliche Mitgliedschaften. Auf die einzelnen Kreiswahlvereine verteilt fich die Mitglieder- zahl folgendermaßen:
Versammlungen abgehalten. Die Einnahmen deS Bezirks betrugen inklusive eines am 1. April 1914 vorhandenen Kassenbestandes von 2602,53 M. 19 340,62 M., die Ausgaben 16 134,63 M., so daß ein Bestand von 3205,99 M. an, Schlüsse des Berichtsjahres vorbanden war. Unter den Ausgaben find 6529,61 M. enthalten, die dem Parteivorstand übermittelt wurden.
Soziales.
Armeelieferungen verdorbener Fleischkonserve«. Gegen den Fleischkonservenfabrikanten Jacobsohn klagte vor dem Jnnungsschiedsgericht der Werkmeister Viehweg auf Zahlung von 226 M. rückständigen Lohn und Schadenersatz sür kündigungslose Entlassung. Der Beklagte gab an, der Kläger habe bei seiner An- stellung die Versicherung abgegeben, er übernehme die Garantie dafür, daß bei den unter seiner Leitung hergestellten Fleischkonserven ein Verderben der Ware völlig ausgeschlossen sei. Nun sei aber eine unter Leitung des Klägers hergestellte Armeelieferung, eine ganze Ladung im Werte von 41 000 M. als verdorben zurückgewiesen. Deshalb sei der Kläger cnt- lassen. Der rückständige Lohn werde gegen den Schaden auf- gerechnet, weitere Ansprüche behalte sich der Beklagte vor. Der Kläger entgegnete:„Die Schinken, um die es sich hier handelt, waren schon als sie mir angeliefert wurden, nicht nur schmierig, sondern stinkend. Ich habe Herrn Jacobsohn darauf aufinerksam gemacht, habe aber auf seine Anordnung die verdorbenen Schinken verarbeitet." Der Kläger legte eine eidesstaatliche Versicherung eines in der Jacobsohnschen Fabrik beschäftigt gewesenen Gesellen vor, welche besagt, daß 2000 Schinken in halbver- dorbenem Zustande angeliefert wurden. Der Beklagte besttitt, daß er auf die verdorbenen Schinken aufmerksam gemacht worden sei. Der Vorsitzende hielt dem Kläger bor, daß er unverant- wortlich gehandelt, ja sich sogar strafbar gemacht habe, indem er die verdorbenen Schinken verarbeitete. Selbst wenn der Beklagte Jacob- söhn die Verarbeitung der verdorbenen Ware verlangt haben sollte, so hätte der Kläger das ablehnen müssen.— Es sei jedoch unerhört, wenn jemand die Hand dazu biete, daß unseren Truppen im Felde verdorbene Nahrungsmittel geliefert werden. In einem neuen Termin soll Beweis erhoben werden über die Behauptung des Klägers, ihm seien verdorbene Schinken zur Verarbeitung geliefert worden. Bezahlung der Reisetage nach der Arbeitsstelle. Die in Berlin ansässige Firma Julius Berger, Tiefb au- Aktiengesellschaft, stellte in Graudenz eiuen Bauarbeiter ein für eine Arbeitsstelle, die sich zwischen Margrabowo und Suwalki befindet. Gleich nach seiner Einstellung trat der Arbeiter die Reise nach der Arbeitsstelle an. Da aber zu jener Zeit— es war im April— jenseits der Grenze kein regelmäßiger Eisenbahnverkehr herrschte, imd schließlich eine längere Strecke zu Fuß zurückgelegt werden mußte, kam der Arbeiter erst nach drei Tagen am Ziel an. Nachdem er sechs Wochen gearbeitet hatte, wurde er krank und befindet sich gegenwärtig in einer Heil- ansialt bei Berlin . Weil sich die Firma weigert, dem Ar- beiter die Reisetage zu bezahlen, verklagte er sie beim Gewerbegericht. Hier erklärte der Vertteter der Beklagten :„Die Firma wird dem Kläger doch nicht drei Tage bezahlen, wo er nicht gearbeitet hat, wenn sie Kriegsgefangene bekommt, die ohne Lohn ar- beiten."— Mit solchen„Gründen" kam der Vertreter der Firma vor Gericht natürlich nicht durch. Die Beklagte wurde zur Zahlung der drei Reisetage verurteilt, weil sie nach dem vorliegenden Arbeitsvertrage zur Bezahlung des ersten Reisetages ohne weiteres verpflichtet ist, und der Schaden, welcher dem Kläger durch die Sperrung des Verkehrs entstanden ist, von der Firma getragen werden muß, welcher der Kläger ja von seiner Einstellung ab zur Verfügung stand._ Wer hat den Arbeitslohn zn zahlen? In zwei Fällen hatte sich die Kammer 3 des Gewerbe- gerichts mit der Lösung dieser Frage zu beschäftigen. Im ersten Falle klagte aus Zahlung von rückständigem Lohn ein Maurer, welcher der Meinung war, er habe bei der Firma Fritz Käferle, Zentralheizung, gearbeitet, während in Wirklichkeit ein Maurerpolier Schädel der Arbeitgeber war. Diesem hatte die Firma Käferle für eine vereinbarte Pauschalsumme von 1000 M. die Ausführung von Maurerarbeiten an einer Heizungsanlage übertragen. Die erforderlichen Arbeiter hatte Schädel einzustellen. Vor Vollendung der Arbeiten wurde das Verhältnis zwischen Schädel und seinem Arbeitgeber gelöst. Den letzten Wochenlohn bekam der Kläger nicht. Er klagte deshalb gegen Schädel und Käferle und versichernder habe den Umständen nach annehmen müssen, daß die Firma Käferle, bei der er jetzt noch arbeite, auch damals schon seine Arbeitgeberin war.— DaS Gericht kam zu der Ansicht, Schädel sei der Arbeitgeber. Er wurde zur Zahlung verurteilt, ver- sicherte aber, daß er nichts habe und bei ihm nichts zu holen sei. Im zweiten Falle klagte ein Dachdecker wegen 76 M. rück- ständigen Lohn gegen den Maurermeister Jung, der den Kläger allerdings beschäftigt hat, aber in der fraglichen Zeit nicht mehr sein Arbeitgeber gewesen sein will. Es handelt sich um Reparatur- arbeiten an Baulichkeiten auf einem städtischen Grundstück am Süd- ufer. Generalpächter des Grundstücks ist ein Kaufmann Kiselowski. Eines Tags bekam Maurermeister Jung die Nachricht, der Geldgeber habe die Zahlung eingestellt. Jung wies darauf seine Arbeiter an, die Arbeiten einzustellen. In diesem Augenblick erschien der Inhaber der Norddeutschen Eisengießerei, Direktor Frey, und sprach den Wunsch aus, es möge wenigstens das Dach seines Fabrikgebäudes fertig- gestellt werden. Der Dachdecker wurde denn auch damit beauftragt und arbeitete weiter. Nach seiner durch Zeugen gestützten Angabe hat Jung ihn beauftragt, weiter zu arbeiten. Dieser bestreitet' das und lehnt die Zahlung ab indem er behauptet, Direktor Frey habe sich verpflichtet, den Dachdecker zu bezahlen. Direktor Frey bestätigte das als Zeuge, weigert sich aber auch, dem Kläger den versprochenen Lohn zu zahlen, weil die Arbeit so schlecht sei, daß der Regen durchs Dach laufe— Das Gericht wies die Klage ab, weil nicht der Beklagte, sondern Direktor Frey die Haftung für die Lohnzahlung übernommen habe. Für diesen sei das Gcwerbegericht nicht zuständig.