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Telegramm Adresse:

,, Sozialdemokrat Berlin".

Zentralorgan der fozialdemokratischen Partei Deutschlands  .

Redaktion: SW. 68, Lindenstraße 3. Fernsprecher: Amt Morikplak, Nr. 151 90-151 97.

Dienstag, den 28. September 1915.

Expedition: SW. 68, Lindenstraße 3. Fernsprecher: Amt Morigplak, Nr. 151 90-151 97.

Der franzöſiſch- engliſche Offenſivvorstoß zum Stillstand gebracht

Der französische   Tagesbericht.

Amtlicher

Paris  , 27. September.  ( W. T. B.) Bericht von gestern nachmittag: Jm Artois behaupteten wir im Laufe der Nacht die gestern eroberten Stellungen, bestehend aus dem Schlosse Charleul, dem Fried­hof Souchez und den letzten Schüßengräben, welche der Feind noch östlich der befestigten Stellung, die Labyrinth genannt wird, besetzt hielt. In der Champagne dauern die hart­häckigen Kämpfe auf der ganzen Front an. Unsere Truppen drangen in die deutschen   Linien auf einer Front von 25 Kilo­metern bis zu einer Tiefe von 4-5 Kilometern ein. Wir behaupteten im Laufe der Nacht alle eroberten Stellungen. Bis jetzt sind mehr als 12 000 Gefangene gezählt. Von der übrigen Front ist nichts zu melden, außer einem Feuerüberfall unserer Artillerie auf die deutschen   Schanzwerke im Gebiete von Launois und Ban- de- Sapt.

Paris  , 27. September.  ( W. Z. B.) Amtlicher Be. richt von gestern abend: Unser Angriff nördlich von Arras   zeitigte neue Fortschritte. Wir besetzten in lebhaftem Kampfe das ganze Dorf Souchez und rückten gegen Often in der Richtung von Givenchy vor. Weiter südlich er. reichten wir den Norden des Dorfes Thelus. Im Laufe des Kampfes machten wir etwa 1000 Gefangene. In der Cham­pagne erzielten unsere Truppen weitere Geländegewinne. Nachdem sie beinahe auf der ganzen Front zwischen Auberive und Ville fur Tourbe ein mächtiges, vom Feinde seit Mo­naten errichtetes und ausgebautes Netz von Schüßen­gräben, Verbindungsgängen und Feldbefestigungen durch­Schritten hatten, rüdten sie gegen Norden vor, indem sie die deutschen   Truppen zwangen, sich auf die drei oder vier Stilometer dahinter liegenden Schüßengräben der zweiten Stellung zurückzuziehen. Der Kampf dauert auf der ganzen Front an. Wir erreichten Epine Vedegrange und stießen über das Häuschen( Cabane) an der Straße Souain- Sommepy sowie über die Barade an der Straße Souain- Lahure hinaus vor., Weiter östlich halten wir die Häuser von Champagne.

Der Feind erlitt durch unser Feuer und in Nahkämpfen sehr bedeutende Verluste. Er ließ in den Werken, welche er aufgab, beträchtliches Material zurück, welches noch nicht ge­zählt werden konnte. Schon jett meldet man die Erbeutung von zwanzig Feldgeschützen. Die Zahl der Gefangenen wächst fortschreitend und übersteigt augenblicklich sechzehntausend un­verwundete, darunter mindestens zweihundert Offiziere. Jm ganzen machten die verbündeten Truppen auf der gesamten Front in zwei Tagen über zwanzigtausend unverlegte Ge­fangene.

Frenchs Meldung.

London  , 27, September.  ( W. E. B.) Meldung des Reuter­schen Bureaus. Feldmarschall French meldet vom Sonntag­abend: Heute fand ein heftiges Gefecht auf dem Gelände statt, das wir gestern erobert hatten. Der Feind unternahm fräftige Gegenangriffe, östlich und nordöstlich von Loos, mit dem Ergebnis, daß wir außer dem Gelände nördlich von Loos das ganze eroberte Gelände, einschließlich Loos selbst, be­hielten. Wir eroberten die Steinbrüche, die gestern nacheinander genommen und verloren wurden. In diesem Gefechte zogen wir die feindlichen Reserven auf uns und ermöglichten es dadurch den Franzosen  , am rechten Flügel weitere Fort­schritte zu machen. Die Anzahl der Gefangenen, die nach dem gestrigen Stampfe eingebracht wurden, beträgt 2600 Mann. Es wurden auch Kanonen und eine große Zahl Maschinen­gewehre erobert. Unsere Flugzeuge bombardierten heute einen Zug bei Loffies(?) östlich von Douai   und brachten diesen und einen Truppenzug in Rosult bei St. Amand zur Ent­gleisung. Wir bombardierten auch den Bahnhof von Valenciennes  .

Eine Kriegskommission des englischen Kabinetts.

London  , 27. September.  ( W. T. B.) Meldung des Reuterschen Bureaus. Wie Daily Chronicle" schreibt, hat Asquith   eine besondere Kabinettskommission ernannt, der die Erlebi­gung von Kriegsangelegenheiten, vor allem die Verantwortung für die Kriegsleitung übertragen werden wird. Seit einiger Zeit habe schon eine Dardanellenkommission bestanden. Wie verlautet, wer­den die Befugnisse dieser Kommission von der neuen übernommen werden, die eine Art Exekutive des Kabinetts darstellen wird. Die neue einflußreiche Kommission wird bestehen aus dem Premier­minister, Lord Kitchener  , Lloyd George  , Balfour  , Sir Edward Grey  , Lord Lansdowne, Bonar Law   und Churchill  . Diese Mitglieder des Kabinetts werden zukünftig in besonderem Sinne für die Krieg führung, soweit sie von der Regierung daheim beeinflußt werden tann, verantwortlich sein.g

Meldung des Großen Hauptquartiers.

Amtlich. Großes Hauptquartier, den 27. September 1915.( W. Z. B.)

Westlicher Kriegsschauplah.

An der Küste herrschte Ruhe. Nur einzelne Schüsse wurden von weit abliegenden Schiffen wirkungslos anf die Umgegend von Middelkerke   abgegeben.

Jm pernabschnitt hat der Feind seine An­griffe nicht wiederholt.

Südwestlich von Lille   ist die große feindliche Offensive durch Gegenangriff zum Stillstand gebracht. Heftige feindliche Einzelangriffe brachen nördlich wie süd­lich vor Loos unter stärkster Einbuße für die Engländer zusammen. Auch in Gegend bei Sou chez und beider­seits Arras   wurden alle Angriffe blutig abgeschlagen. Die Gefangenenzahl erhöhte sich auf 25 Offiziere, über 2600 Mann, die Beute an Maschinengewehren auf 14.

Die französische   Offensive zwischen Reims   und Argonnen   machte keinerlei Fortschritte. Sämtliche Angriffe des Feindes, die besonders an der Straße Somme- By- Suippes sowie nördlich Bean- Séjour Fme.­Massiges und östlich der Aisne   heftig waren, scheiterten unter schwersten Verlusten für ihn. Die Gefangenenzahl erhöhte sich hier auf über 40 Offiziere, 3900 Mann.

Drei feindliche Flugzeuge, darunter ein französisches Großkampfflugzeug, wurden gestern im Luftkampf nordöstlich Ypern  , südwestlich Lille   und in der Champagne, zwei weitere feindliche Flugzeuge durch Artilleries und Gewehrfener süd­westlich Lille   und in der Champagne zum Absturz gebracht.

Feindliche Flieger bewarfen mit Bomben die Stadt Beronne, wo zwei Frauen, zwei Kinder getötet und zehn weitere Einwohner schwer verwundet wurden.

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Deftlicher Kriegsschauplah. Heeresgruppe des Generalfeldmarschalls v. Hindenburg  . Jm Rigaischen Meerbusen wurden russische Kriegsschiffe, darunter ein Linienschiff, durch dentsche Flieger angegriffen. Auf dem Linienschiff und einem Torpedoboot­zerstörer wurden Treffer beobachtet. Die russische   Flotte dampfte schleunigst in nördlicher Richtung ab.

Auf der Südwestfront von Dünaburg  wurde dem Feinde gestern eine weitere Stellung entrissen; es find 9 Offiziere und über 1300 Mann zn Gefangenen gemacht und zwei Maschinengewehre erbentet.

Westlich von Wilejka wird unser Angriff fort­gefeßt. Süblich von Smorgon wurden starke feindliche Gegenangriffe abgewiesen. Zwischen Krewo- Wischnew machten unsere Truppen Fortschritte. Der rechte Flügel und die Heeresgruppe des Generalfeldmarschalls Prinz Leopold von Bayern haben die Westufer des Njemen bis Schtcherssy, des Ser­wetsch und der Schtschara vom Feinde gesäubert. Deftlich von Baranowitschi   hält der Feind noch kleine Brückenköpfe. Der Kampf auf der ganzen Front ist im Gange.

Heeresgruppe des Generalfeldmaridhalls v. Mackenfen Die Lage ist unverändert.

Oberste Heeresleitung.

Der österreichische Generalstabsbericht.

Wien  , 27. September  .( W. T. 8.) Amtlich wird ver­lautbart: 27. September 1915.

Russischer Kriegsschauplah.

Aehnlich wie in Ostgalizien   und an der Jkwa ist nun auch im wolhynischen Festungsgebiete die russische Gegenoffensive ge brochen. Der Feind räumte gestern seine Stellungen nordwestlich von Dubno   und im Styr Abschnitt bei Luck und weicht in östlicher Richtung zurüd. Der Brückenkopf östlich von Luck ist wieder in unserer Hand. An unserer Front südlich von Dubno   gab es stellenweise Geschütz­feuer und Geplänkel.

Italienischer Kriegsschauplah.

Die Lage ist unverändert. Versuche des Feindes, an unsere Stellung auf dem Monte Piano heranzukommen, wurden abge. wiesen. Am Nordrande der Hochfläche von Dober do brach ein An­griff einer Bersaglieriabteilung an unseren Hindernissen zusammen. Südöstlicher Kriegsschauplak.

Reine besonderen Ereignisse.

Der Stellvertreter des Chefs des Generalstabes: von Hoefer, Feldmarschalleutnant.

Keir Hardie  .

London  , 26. September. Der englische Sozialist Keir hardie  ist in Glasgow   gestorben.

Letzten Weihnachten erzählte Steir Hardie in dem in seinem Wahlkreise erscheinenden, Merthyr Pioneer" eine Ge­schichte aus seiner Kindheit. Sie las sich wie ein Kapitel aus einem Dickensschen Roman  . Der Vater seit Monaten arbeits­los, die Mutter in Erwartung eines Kindes und der zehn­jährige James Keir  , der bei einem Bäcker zu Glasgow   mit 3 Schilling Wochenlohn angestellt ist, der Haupternährer der Familie. Von langen Nachtwachen am Strantenbett seiner Mutter ermüdet, kommt der Knabe in einer Woche zweimal eine Viertelstunde zu spät ins Geschäft. Der Meister, ein überaus frommer Mann, entläßt ihn am lezten Tage des Jahres und zieht ihm zur Strafe überdies den letzten Wochen­lohn ab. Nachts wird das Kind geboren, und die Sonne des Januar 1867 geht auf über einem Heim, in dem es weder Feuer noch Brot gibt".

Ja, der jetzt in derselben Stadt Glasgow   nach langem Leiden gestorbene Führer der englischen Arbeiterschaft hat das Elend des Proletariats früh genug am eigenen Leibe er­fahren. Seine Stelle bei dem gottesfürchtigen Bäcker war nicht die erste. Noch vor Vollendung seines achten Lebensjahres hatte er aufs Bergwerk gemußt, und während seine wohl­habenderen Kreisen entstammenden Altersgenossen sich frohen Spielen hingeben konnten, als Kohlenjunge zum färglichen Unterhalt der Familie beigetragen. Vom Schulbesuch war dabei teine Rede, und notdürftig erlernte Keir Hardie   bei der Mutter Lesen und Schreiben.

Zwei Wege gibt es für einen Menschen, dessen Kindheit unter solchen Verhältnissen verläuft. Entweder er verkommt körperlich und geistig, bleibt der seiner Menschenwürde nicht bewußte, gedrückte und gequälte Sklave, oder die bittere Er­fahrung entzündet in ihm jenen Haß und jenen glühenden Willen, der ihn, wenn er sich mit entsprechender Einsicht paart, befähigt, seiner Klasse ein Führer im Kampfe um ihre Be­freiung zu werden. Der schottische Bergmannssohn war der Mann, den zweiten Weg zu gehen. Sein flarer Blick ließ ihn die Bedürfnisse des Proletariats rechtzeitig erkennen, und als er vierundzwanzig Jahr alt war, wurde er durch die Be­rufung zum Sekretär und Drganisator seiner Gewerkschaft aus der Kohlengrube befreit. Acht Jahre später trat er bei einer Nachwahl als Arbeiterkandidat auf. Er fiel durch, aber 1892 machte er das Rennen im Wahlkreise South West Ham, und nachdem er 1895 aus diesem Kreise wieder verdrängt war, zog er 1900 als Vertreter von Merthyr Tydvil aufs neue ins Unterhaus ein, das er erst jetzt mit seinem Tode verläßt.

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Die politischen Gegner Keir Hardies, besonders die Libe­ralen, denen er ganz und gar nicht gefiel, haben ihn einen Fanatiker gescholten und ihn als einen Umstürzler mit einer Theorie" verspottet. Wenn er wirklich in dem Sinne Fanatiker gewesen wäre, wie es ihm seine Feinde nachsagten wen könnte es Wunder nehmen? Wer eine Jugend durchlebt hat, wie dieser Proletariersohn, bei dem müssen schon starke innere Hemmungen vorhanden sein, um ihn vor vor Gefahren eines unfruchtbaren Fanatismus zu bewahren. Aber Keir Hardie   war tatsächlich fein Fanatiker, sondern nur ein Mann des Prinzips, der wenig Neigung zu den Kompromissen hatte, die das politische Leben in England kennzeichnen, nnd denen leider bis zum heutigen Tage auch die britische Arbeiterschaft immer noch mehr vertraut als einem entschlossenen und furchtlosen Klassenkampf. Das spöttisch gemeinte Wort vom Umstürzler mit einer Theorie paßt am Ende besser auf ihn. Nicht etwa als ob er ein wissenschaftlicher Theoretiker gewesen wäre. Er war ganz vorzugsweise ein Mann der Praxis. Aber er baute seine Praxis auf einer Theorie auf, und wenn das schon an und für sich eine Methode ist, die einen Politiker in England nicht sehr empfiehlt, so war seine Theorie ganz besonders wenig geeignet, ihm im Lager bürgerlicher Arbeiterfreunde Sympathien zu erwerben, denn es war die Theorie des Sozialismus und der Befreiung der Arbeiterklasse aus eigener Straft.

Es ging dem energischen Kämpfer um zweierlei. Er wollte der englischen Arbeiterschaft flar machen, daß der Trade Unionismus eine Ergänzung finden müsse durch politische Betätigung, und er forderte, daß diese Politik sich un­abhängig halte von den beiden großen bürgerlichen Parteien. Schon 1888 machte er den Versuch zur Gründung einer politischen Arbeiterpartei. Er schlug fehl, aber immers hin wurde ein Jahr darauf unter Keir Hardies Aegide die Schottische Arbeiterpartei gegründet, der dann 1893 die größere Unabhängige Arbeiterpartei folgte, jene Organisation, die in dem gegenwärtigen Kriege eine so beachtens- und rühmenswerte Rolle spielt. Von welchen Gedanken sich unser Genosse leiten ließ, das geht am besten aus einer Resolution