vie Petersburger Arbeiter «nö Sie nationale Verteidigung. Au-Z Rußland wird uns über Kopenhagen geschrieben: Bekanntlich wird jetzt in Nußland nach englischem Muster«ine allgeuieine„Mobilisierung der Industrie" zu Kriegszwecken vorge- nommen. Ueberall werden„Kriegsausschiisse der Industrie" ge- schaffen, die aus den Vertretern der Industriellen, der Kommunen, des StädleverbandeS und anderer Organisationen bestehen. Auf der vor ungefähr sechs Wochen in Moskau stattgefundenen Tagung aller dieser Kriegsausschnsse ist ein„Zentralkriegsausschuß" der russischen Industrie gewählt worden. Auf derselben Tagung ist auch be- schlössen worden, eine Vertretung der Arbeiter in den lokalen Kriegsausschlissen und in dem Zentralkriegsausschuß zu schaffen. Schon früher haben die lokalen Kriegsausschüsse der In- dusiriellen hier und da Versuche gemacht. Vertreter der Arbeiter zu ihren Sitzungen heranzuziehen.' Meistens wurden Mitglieder der Krankenkassenvorstände, als der einzigen noch existieren- den lokalen Arbeiterorganisationen, eingeladen: aber diese Versuche scheiterten entweder an der Weigerung der Arbeiter, an den Arbeiten der Kriegsausschüsi« teilzunehnien, oder an der Einmischung der Behörden, die die Vertreter der Arbeiter in den Kciegsausschüssen kurzerhand verhafteten. Denn die Regierung hat Angst vor jeder öffentlichen Betätigung der Arveiter, selbst wenn diese Betätigung einen patriotischen Charakter annimmt. Um eine Vertretung der Arbeiter in dem Zentral- K r i e g s a u s s ch u ß zu schaffen, wurde vom Vizepräsidenten dieses Ausschusses, K o n o w a l o iv, einem hervorragenden liberalen Politiker und Moskauer Unternehmer, folgender'Wahlmodus ausgearbeitet: An der Wahl nehnien teil alle Petersburger Metallfabriken mit mehr als bOl) Arbeitern, ferner die größeren Textil- und Lederfabriken, kurz olle auf diese oder jene Weise mit der Kriegsindustrie im Zusammenhang stehenden Betriebe. Die Wahlen sind indirekt: die Arbeiter in den Betrieben wählen Wahl« Männer, und zwar je einen auf tausend Arbeiter, die dann in einer gemeinsamen Versammlung zehn Vertreter in den Zentralkricgs- ausschuß entsenden. Die Vertreter in dem Zentralkriegsausschuß sollten also lediglich von den Arbeitern der Hauptstadt gewählt werden. In einigen Kreisen der Arbeiter tauchte nun im Zusammenhang mit den Wahlen für den Kriegsausschuß die Idee eines all- gemeinen Arbeiterkongresses auf. Demgegenüber erscheint freilich die Wahlprozedur des Herrn Konowalow als eine grobe Entstellung. Nichtsdestoweniger gewann auch diese Wahl- kampagne eine enorme Bedeutung, da man den Arbeitern gewisse Konzessionen machen mußte, um sie überhaupt zur Teilnahme an den Wahlen zu bewegen. DaS wichtigste war, daß man ihnen eine gewisse Versammlungs- und Redefreiheit gewährte. Natürlich war es bei den alten Gewohnheiten der Polizei ziemlich schwierig, diese Maß- nahmen durchzuführen. Im Zusammenhange mit den Wahlen sind viele Verbastungen vorgenommen worden und die liberalen Unternehmer, die die Führung im Zentralansschub haben, mußten große Mühe aufwenden, um die Regierung zu überzeugen, daß es sich hier unr einen höchst ivichtigen Schritt handele, um die Arbeiter auf die Seite der staatSerhaltendeu Ideen hinüberzuziehen. Das Ergebnis ivar ein kolossales Fiasko für die lriegSbegeisterten liberalen und oktobristischen Unternehmer. Die Wahlen der Wahlmänncr wurden während des ganzen Septembers vorgenommen. An den Wahlen nahmen ungefähr 2 25 000 Fabrikarbeiter teil, die insgesamt mehr als 200 Wahlmänner wählten. Die Wahlen gestalteten sich zu einer großartigen Enquete über die grundsätzliche Stel- lung der Petersburger Arbeiter zu den Fragen über Krieg und Frieden, Internationalismus und Patriotismus usw. Es wurden Versammlungen, natürlich nur in den Fabriken, abgehalten, politische Reden gehalten, Programm« diskutiert und Resolutionen gefaßt. Die Wahlkampagne bedeutet infolgedessen einen großen Gewinn sür die politische Schulung der Petersburger Arbeiter. Im ganzen siud bei den Wahlen drei geschlossene politische Plattformen aufgestellt worden: 1. Die Ptattform der Anhänger des O r g a n i- sationskomitees(D. K.). Diese Richtung weigerte sich. überhaupt an der Wahl der Wahlmänner teilzunehmen, da sie diese Wahlen als eine Fälschimg der öffentlichen Meinung des Proletariats Rußlands betrachtete. Ohne Koalitionsfreiheit und Garantien der politischen Freiheit seien solche Wahlen lediglich geeignet, die Arbeiter irrezuführen. Nur auf einem all- gemeinen Arbeiterkongreß, der zum Beispiel zur Not au§ den Vertretern der Krankenkassen(gegenwärtig un- gefähr 2500 an der Zahl) bestehen könnte, wäre eine Feststellung der Haltung des russischen Proletariats zum Kriege möglich. Diese Plattform hat auf sich die Stimmen von ungefähr 53 000 Arbeitern vereinigt. Die Resolutionen enl- sprechenden Inhalts sind dem Vorsitzenden des Zentralkriegs- auöschuffes N. Gutschkow noch vor dein 10. Oktober, wo die Wahl- männer der Arbeiter zu einer Sitzung zusammentraten, zugestellt worden. 2. Die Plattforin der Anhänger der Lenin - Richtung. Diese Richtung agitierte für die Vornahme der Wahl von Wahlmäimern, damit diese letzteren auf der all- gemeinen Wahlmännerbersammlung die Wahlen in den Zentralkriegs ausschuß verhindern sollten. Diese Richtung hat 91 Wahlmänner durchgesetzt, also ungefähr 90 000 Stimmen auf sich vereinigt.
Z. Die Plattform des Blockes für die Na- tionalverteidigung, bestehend aus Anhängern von Plechanow , der Zeitschrift„Nasche Djelo" und einem Teil der Sozialrevolutionäre. Diese Plattform hat 81 Wahlmänner durchgesetzt, also ungefähr 30 000 Stimmen auf sich vereinigt. Hierzu ist zu bemerken, daß keineswegs alle für die Beteiligung an dem Zentralkriegsausschusie stimmenden Arbeiter auf dem Boden der nationalen Verteidigung stehen. Sehr viele von ihnen wünschten bloß eine Vertretung zu haben, um ihre ökonomischen Jnter- effcn verteidigen zu können. Da die Anhänger des Organisationskomitees an der allgemeinen Wahlmännerveriammkung nicht teilgenommen haben, obwohl sie ungefähr 50 Wahlmänner haben sollten, war das Verhälmis der beiden anderen Richtungen zu einander wie 9:3. Mit 91 Stimmen gegen 80 hat sich die Wahlmännerver- sammln ng am 10. Oktober gegen die Teilnahme an der Wahl ausgesprochen. Die Wahlen fanden infolgedessen nicht st a t t. So haben sich in Petersburg nur ungefähr 35 Proz. aller an der Abstimmung teilnehmenden Arbeiter für die Beleiligimg an der.Organisation des Sieges" oder wenigstens einer„nationalen Verteidigung" ausgesprochen. Die Äbstimmung der Petersburger Arbeiter bedeutet einen Strich durch die Rechnung des liberalen Unternehmerlum« wie über- Haupt oller bürgerlichen Kreise, die sich in ihrer Kriegsbegeisterung auf die Arbeiter stützen wollten. Diese Enttäuschung ist in der Sitzung des Zentral-KriegsauSschuffes am 12. Oktober deutlich zum Ausdruck gekommen, als Gutschkow über die Petersburger Wahlen berichtete. Daß aber die Unternehmer noch nicht alle Hoffnung auf- geben, zeigt der auf derselben Sitzung gefaßte Beschluß, den Peters- burger Versuch in Moskau zu wiederholen.
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Parteigenossen! Werbt in Bekanntenkreisen für Euer Blatt, den
Vorwärts
Ein italienischer Kreuzer beschießt Deüeagatsch. Saloniki, 15. November. (W. T. N.) Meldung der Agence Havas. Der ita Ii en i sch e Kreuzer„Piemonte ist am 13. No- vember aus Dedeagatsch zurückgekehrt, wo er die E i s e n- bahnlinie beschossen und beschädigt hat. Italiens albanische Expeöition. Lugano , 14. November. (T. U.) Die italienische Presse bereitet nunmehr, durch die Zensur ganz unbehindert, das italienische Boll auf den Zug nach Albanien vor. Der„Secolo" begründet den alba« uischen Feldzug in einem Leitartikel mit der Notwendigkeit, Serbien zu helfen und Italien nicht zu isolieren. Im„Corriere della Sera " stellt Torr« fest, daß Italien keinesfalls eine Vergrößerung Griechen- lands in Albanien erlauben werde. Italien glaube übrigens, daß Griechenland für die Entente vollständig verloren sei und erwarte von den Kammerwahlen eine Mehrheit gegen Venizelos . Da die Ereignisse dem König recht zu geben scheinen, sei des Königs Popu» larität gesteigert, während VenizeloS seinen Stern sinken sehe. Bern , 15. November. (T. U.) Der Mailänder Korrespondent der„Neuen Zürcher Zeitung " will auS zuverlässiger Quelle erfahren hoben, daß italienische Geschäftsleute gewisse, allerdings nicht offiziell bestehende Geschäftsverbindungen zu deutschen Firmen zu lösen suchen, weil sie die Kriegserklärung Italiens an Deutschland für unvermeid- lich halten.— Die zu erwartende Kriegserklärung stehe offenbar im Zusammenhang mit der Teilnahme Italien ? am Balkanfeldzug, und es gelte als wahrscheinlich, daß die Regierung mit einem bereits vollzogenen Entschlüsse vor die Kammer treten wird.
von üer Daröanellenfront. Koustautinopel, 14. November. lW. T. V.) Das Hauptquartier meldet vom 13. d. Mts.: An der D a r d a- uellenfront das gewöhnliche Artillerie- und Handgranatenfeuer. Unsere Artillerie beschoß zwei feindliche Monitore, die sich dem Gestade der Bucht von Saros näherten, und traf den einen mit zwei Geschossen, die eine Feuersbrunst an Bord hervorriefen. Der andere Monitor mußte sich entfernen. Sonst nichts Neues.
Der französische Tagesbericht. Paris , 15. November. (W. T. B.) Amtlicker Bericht von gestern nachmittag. Der Feind brachte in der Gegend von Frise(westlich Peronne) einen Minenherd zur Entzündung und der- suchte, den Sprengtricdter zu besetzen. Er wurde nach ziemlich Icb- hascem Kampfe zurückgeworfen. Wir unterhielten ein wirksames Feuer auf den Bahnhof Chaulnes. Auf der übrigen Front verlies die Nacht ohne Zwischenfall. Paris , 15. November. (W. T. B.) Amtlicher Bericht von gestern abend. Im Artois am Labyrinth gelang es den Deutschen heute morgen, durch einen brüskierten Angriff bei der Straße nach Lille , in einen unserer Schützengräben erster Linie ein- zudringen. Unseie Gegenangriffe warfen sie sofort wieder zurück; der Feind ließ alle Verwundeten auf dem Gelände. Um Loos und Touchez einfache Kanonade. Nördlich der Aisne führten wir gegen die deutschen Anlagen am Plateau von Nouvron eine Feuerkonzen- tration aus. welche sehr wirksam schien. In der Champagne im Ge- biet des Hügels von Le Mesnil und auf den Maashöhen im Che- valierwals ziemlich lebhafter Artilleriekampf. Belgischer Bericht: Feindliche Artillerie beschoß unsere Stellungen nördlich und südlich von Dixmuiden . Avecapelle, Oost- kerke und Caeskerke werden bombardiert. Unsere Batterien be- schössen stark die seindlichen Siellungen von Leke und St. Pierre- cappelle. MelÜung öer italienischen Heeresleitung. Rom , 15. November. (W. T. B.) Amtlicher Bericht von gestern. Im Ledro-Tale eröffnete die feindliche Ar- lillerie von den Abhängen des Nozzolo, Monte Pari, Cima dOro und Rocchetta ein heftiges Feuer gegen unsere Stellungen. Der Feind warf auch Brandgeschosse auf Bezzecca und Pievs di Ledro, ohne jedoch unsere festen Verteidigungswerke beschädigen zu können. Auf der übrigen tirolisch-trentinischen Front und in Kärnten trug sich kein wichtiges Ereignis zu. Am I s o n z o dauerte die Aktion gestern fort. Wir haben Fortschritte am Jovorcek, im Flitscherbecken und auf den Höhen nordwestlich von Görz erzielt. Auf dem Karst haben wir ein starkes Befestigungswerk genannt delle Frai'che, südwestlich von San Martina, erstürmt. Im Verlaufe des 12. November führten unsere Flugzeuge bei schlechten Witterungsverhältniffen glück- liche Flüge über dem Karst aus, wo sie die Bahnstationen Reifen- berg. San Daniele, Scopo , Dottozliano sowie die daselbst stehenden langen Züge bombardierten. Ein feindlicher Albatros und ein Äviatikflugzeug, die unterwegs angetroffen wurden, wurden durch unser Maschinengewehrfeuer in die Flucht geschlagen. Unsere Flug- zeuge kehrten unversehrt zurück. C a d o r n a. Gesierreichischer Fliegerangriff auf Verona . Verona , 13. November. (W. T. B.) Drei öfter- reich ische Flieger warfen Sonntag früh Bomben auf die Stadt. Dreißig Personen wurden getötet, einund dreißig schwer, neunzehn leicht verletzt. Der Sach- schaden ist unbeträchtlich. Lugano , 15. November. (T. U.)„Corriere della Sera ' veröffentlicht folgenden„Augenzeugen'-Bericht zum Bombardement Veronas: Es war am Sonntagmorgen, der sehr neblig war, als um 3 Uhr drei Flugapparate erschienen, auf 1500 Meter herabgingen und sofort die Bombenwürfe begannen. Die Piazza d'Erbe war wegen des gerade stattfindenden SonntagSmarktes von annähernd 3000 Personen belebt. Die Menge zerstreute sich beim Erscheinen der Flieger und flüchtete teilweise unter den offenen Säulengang der Handelskammer, des Palastes, welcher eine Seite der Piazza einnimmt, im Glauben, genügend durch die Deckengewölbe und Tragsäulen geschützt zu sein. Unglücklicherweise fiel eine Bomb« auf einen zwei Meter entfernten Sreinblock, welcher den Zugangs- schacht zur Kanalisation verschließt. Die Bombensplitter spritzten gegen den Säuleneingang in die dichte Menge, hier allein 30 Menschen tötend, 29 schwer- und 19 leichtverwundend. Nur die hinter den Säulen Stehenden wurden verschont. Die Fenster zersprangen in weitem Umkreis. Die Presse setzt nunmehr in verstärktem Matze die Haßrufe gegen die Barbaren fort und fordert Gegenmaßregeln. Sie verschweigt natürlich, daß Verona Festung und wichtigster mititärischer Etappenort hinter der Front ist, wo sämtliche Bahnlinien zusammen- laufen und zahlreiche Stäbe stehen. Tätigkeit üeutscher U-3ootc im Mittelmeer . Lyon , 15. November. (W. T. B.) Die hiesigen Blätter melden aus K a n d i a, daß am 12. November der Dampfer „Lassithion" mit 22 Mann Besatzung des englischen Dampfers „M a c a l l e st e r", welcher von einem deutschen Untersee - boot versenkt wurde, in Kandia eintraf. Von dem übrigen Teil der Besatzung, welche 67 Mann betrug, fehlt jede Nach- richt. Die Geretteten erzählen, daß dasselbe Unterseeboot an demselben Tage zwei weitere Dampfer versenkt hat.
Geöemken eines Gewerksihaftlers an üer Iront. Krieg und Sozialpolitik. O st presse quartier, 9. November 1915. An der Front begegnet man allerhand Grüblern. Der eine spintisiert über die Ethik, der andere über den Sinn des Krieges; einige beschäftigen sich mit den Fragen über„Gewalt und Recht"; ein behäbiger Landwehrmann entwickelte mir sein Gesetz über„die Verhältnismäßigkeit aller Lebenswerte".— Sehr selten trifft man noch einen Menschen, der den Krieg als ein unabänderliches Ereignis und eine Vielheit von Einzelerlebniffen wertet. Mehr oder minder fetzt jeder sein eigenes Erlebnis in Beziehung zu der Gesamt- erscheinung, er fühlt sich mit ihr verbunden und zieht daraus seine Schlüsse. Und fast alle, mit denen ich in solche Gesprächsbahnen hineinkam, gaben der Ueberzeugung Ausdruck, daß eine bessere V e r- ständigung unter den Völkern notwendig und möglich sei. Der Unsinn des furchtbaren Zcrstörens von Menschenleben, von Kulturgütern und ivirtschaftlichen Werten dränge sich allen mit solch starker Anschaulickkeit auf. daß nachhaltige Wirkungen nicht aus- bleiben könnten. Mit den Werten und Geldopfern, die dieser Krieg koste, sei es möglich gewesen, den Kulturzustand und die soziale Lage der Völker in Europa ganz außerordentlich zu heben. Ueber die Mittel und Wege zur Sicherung friedlicher Eni- Wicklung gehen naturgemäß die Ansichten weit auseinander. Trotz- dem bleibt der Beweggrund und das Zielstreben beachtenswert. Die Meinungen, daß nur'starkes Rüsten den Frieden sichere, streiten mit solchen um den Vorrang, nach denen durch Vereinbarung über Ab- rüsten, über den Ausbau eines internationalen Schieds- g e r i ch t« und gemeinsame Friedenspropaganda in allen Ländern das Heil gewährleistet werden könne. lieber solche Fragen sprach ich mit einem Gewerkschaftler, der mir erklärte, alle Friedensbestrebungen müßten getragen werden von der Förderung sozialer Bestrebungen in den einzelnen Ländern und von der Ueberwindung engherziger Sonderinteressen. Wie falsch zum Beispiel manche Anschauung über Sozialpolitik und gewerkschaftliche Arbeit sei, das habe dieser Krieg sehr deut- lich bewiesen:„Ich will an Schlagworte anknüpfen", sagte der Ge- werkschaftler.„Es gab Leute, die unsere S o zi alp o liti k als
Humanitätsdusel bezeichneten. Angeblich solle sie zur Verweichlichung führen. Die soziale Fürsorge, so hat man gemeint, befreie den Menschen von dem Zwang, im Lebenskampfe alle Fähigkeiten zu entwickeln. Das Bewußtsein, in Notfällen Armenunterstützung, Krankengeld, Unfall- oder Invalidenrente zu erlangen, die Gewiß- heit, daß staatlidbe Fürsorge die Hinterbliebenen vor Not schütze, untergrabe das Veraniwortlichkeitsgefübl.— WaS lehrt nun der Krieg? Zweifellos hat Deutschland bisher die beste soziale Für- sorge. Demgegenüber steht die Tatsache, daß der deutsche Soldat die größten Leistungen vollbracht hat. Das zu beweisen, erübrigt sich hier, kein Mensch wird das zu bestreiten wagen. Der deutsche Soldat, vor allem auch der Industriearbeiter, genügte den un- erhörlesten körperlichen Anforderungen, seine Selbständigkeit, geistige Regsamkeit, sein Verantworlkichkeilsgefühl, hat jede bange Sorge, hat jede» falsche Urteil besiegt. Wo aber liegen die Quellen der Kraft, die den deutschen Soldaten zu so staunens- werten Leistungen befähigten? Einmal ist es sein in den Organisationen gewecktes und gestärktes Gemeinfamkeits- gefühl und das Bewußtsein seines Anspruches, ein voll und gleich- berechtigter Staatsbürger zu fein, dessen Wohl und Wehe innig mit dem Geschick des ganzen Volkes verbunden ist. Nicht blinder Haß gegen andere beseelt das deutsche Volk, nicht der Wille, andere zu vernichten. Vereinzelte hysterische Haßprediger, blindwütige Mund- Helden und Kraftmeier sprechen nicht mit, ebenso wenig Ivie Toll- Häusler und Kinder im Rate der Vernünftigen. Da? deutsche Volk will seine eigene Kultur nicht zerstören lassen, will seine sozialen und wirtschaftlichen Errungenschaften nicht zerstampfen, sie nicht im Sumpfe russischer Rückständigkeit ersticken lassen. Wer die Zustände in Polen und Litauen gesehen hat, den schauert vor dem Gedanken an eine russische Vorherrschaft in Europa . Nur Verblendung könnte ernsthaft zu der Annahme führen, ein siegendes Rußland, gegen Deutschland siegendes Rußland , würde sozialem und politischem Fort- schritt dienen. Wenn Rußland solchen edlen Zwecken nachstrebte, müßte es erst im eigenen Lande wenigstens versuchen, auf den von Deutsch - land gezeigten Spuren zu folgen, ehe es einen Anspruch darauf er- heben könnte, als ernstwilliger Kulturförderer zu gelten. Darum erfüllt es uns mit Bitterkeit, nicht mit Haß, wenn auS Frankreich und England immer wieder Stimmen herübertönen, nach welchen man mit Rußlands Hilfe die Zerstörung Deutschlands als Voraus- setzung deS Friedens und der Entwicklung zu größerer politischer
Freiheit und kulturellem Ausstieg fordert. Das beste Mittel zur mo« ralischen, geistigen und körperlichen Stärkung des Volkes sehe ich in einem>v eiteren Ausbazi der Sozialpolitik. Wenn die Arbeiterschaft in den anderen Ländern auf dem gleichen Boden den gleichen Zielen zustrebt, wenn man von der Vorstellung sich frei macht, daß Deutschlands Zerstörung die Voraussetzung sreiheit- licher Entwickelung sei. dann können wir da« freudig begrüßen. Wie kein anderes Volk hat die deutsche Arbeiterschaft seine internationale Jntereffensolidarität praktisch bekundet. Das sollte man nicht über« sehen und sollte berücksichtigen, wie verbitternd eS wirken muß, wenn man uns nun schmäht und verdächtigt. Unser Solidaritätsgefühl und unseren Friedenswillen in Zweifel zu ziehen, hat nach unserem bisherigen Verhalten niemand ein Recht und allgemein sollte man auS der Erkenntnis, daß gewerkschaftliches Streben und Sozialpolitik die beste Quelle der Volkskraft sind, die erforderlichen Schlußfolgerungen ziehen— ohne unsere Kranken-, Unfall-, Arbeitslosen- und sonstigen Versicherungen, ohne unser« öffentliche Hygiene und vor allem auch ohne das durch die Arbeiter« bewegung geförderte PersönlichkeitSbewußsein des deutschen Arbeiters wäre das Volk nicht zu solcher Kraft- entfaltung fähig gewesen, die es der Welt in diesem Kriege be- wiesen hat. Im Anschluß hieran möchte ich noch einen Punkt streifen, der bei dem Widerstand gegen gewerkschaftliche Forderungen eine gewichtige Rolle spielte. ES ist die Behauptung von der angeblichen Untergrabung unserer Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt als Folge sozialer Lasten. In Wirklichkeit bedeuten Aufwendungen für soziale Zwecke keine Belastung, es sind vielmehr d i e fruchtbarsten Kapitalanlagen. Die mit den Kosten der Sozialpolitik gehobene und vor ftühzeitiger Zerstörung gerettete Bolkskraft steht in gar keinem Verhältnis zu den Aufwendungen. Im sogenannten freien Spiel der Kräfte wird Volkskraft nutzlos ver- geudet; vernünftige Sozialpolitik steigert ihren Nutzwert. Deutsch - land steht mit seinen Ausgaben für Sozialpolitik an der ersten Swllc. Seine wirtschaftlichen Grundlagen sind damit nicht erschüttert, sondern in ungeahnter Weise gesteigert worden. Diese Tatsache hat der Krieg uns und aller Welt deutlich offenbart. Auch diese Lehre muß nutz- bar werden! Unsere Organisationen, unsere Sozialpolitik sind des deutschen Volkes allerbeste Nähr- und Kraftquellen I Düwell, Kriegsberichterstatter.