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Reichstag . 36. Sitzung. Dienstag, den 11. Jaunar 1316, nachmittags 2 Uhr. Am Bundesratstisch: Helfferich, Delbrück . Auf der Tagesordnung stehen zunächst Anfrage» des Abgeordneten Liebknecht . Die e r st e lautet: Ist dem Reichskanzler bekannt, datz während des jetzigen Krieges im verbündeten türkischen Reiche die armenische Be- »ölkerung zu Hunderttausenden aus ihren Wohnsitzen der- trieben und niedergemacht worden ist? Welche Scdritle hat der Reichskanzler bei der verbündeten lürkischen Regierung unter- nommen, um die gebotene Sübne herbeizuführen, die Lage des Restes der armenischen Bevölkerung in der Türkei menschenwürdig zu gestalien und die Wiederholung ähnlicher Greuel zu ver- hindern? �ur Beantwortung der Anfrage erhält das Wort Gebeimral Frhr. v. Stumm: Dem Reichskanzler ist bekannt, dasi von unseren Gegnern angezettelt aufrührerische Kundgebungen in Armenien stattgefunden haben, wodurch die türkische Regierung ver- anlaßt worden ist, die armenische Bevölkerung bestimmter Bezirke auszuweisen und ihr neue Wohnstälten anzuweisen. Ueber die Rück- Wirkung dieser Maßnahmen auf die Bevölkerung findet gegenwärtig ein Gedankenaustausch mit der türkischen Regierung statt. Nähere Einzelheilen können nicht mitgeteilt werden. Abg. Dr. Liebknecht(Soz.) will eine ErgänzungSanfrage stellen: „Ist dem Herrn Reichskanzler bekannt, daß Pros. Lepfius geradezu von einer Ausrottung der türkischen Armenier sprach und daß für diese Greuel von der christlichen Bevölkerung der Türkei die deutsche Regierung verantwortlich gemacht.. wird aber durch lärmende Rufe(zur Ergänzung: DaS ist eine neue Anfrage! Schluß!) verhindert und Präsident Kacmpf erklärt, es handle sich um eine neue Anfrage, dazu könne er das Wort nicht erteilen. Abg. Dr. Liebknecht: Ehe der Herr Präsident nicht die Anfrage zu Ende gehör: hat, wird er nicht in der Lage sein, zu beurteilen ltzeiterleit), ob es sich um eine neue Anfrage handelt oder nicht. Im übrigen hebe ich hervor, daß der Herr Präsident nicht aus eigenem Antriebe(Rufe: Obo!) zu der Auffassung gelangte, sondern daß ihm aus dem Hause erst zugerufen wurde. Präsident Dr. Kacmpf: Ich verbrtte mir die Kritik an meiner Geschäftsführung.(Lebhafter Beifall.) Wir kommen zur folgenden Anfrage: Abg. Dr. Liebknecht verliest die nächste Anfrage: Ist die Regierung bereit, dem Reichstage schleunigst Material vorzulegen über die Lage der Bevölkerung in den von Deutsch - land besetzten fremden Gebieten, ihre Versorgung mit Lebensmitteln(Nahrung, Kleidung. Unterkunft), ihren Gesundheits- zustand, ihre Rechtslage, über Zahl, Art und Grund der gegen sie von den deutschen Behörden verhängten Strafen und Ver- geltungsmaßregeln. über den Umfang der an ihr voll- zogenen militärischen Requisitionen und die dabei befolgten Grund- sätze sowie über die Höhe der ihr. besonders der belgischen Be- völkerung, auferlegten Kontributionen. Zur Beantwortung erhält das Wort Ministerialdirektor Lcwald. Der Reichskanzler ist nicht bereit, das von dem Abg. Dr. Liebknecht gewünschte Material dem Reichstag vorzulegen, er wird aber, wie bisher über die Tätigkeit der Zivi Iver waltung in den besetzten Ge- bieten■ auf Wunsch der Kommission für'iden. ReichShallt Auskunft .erteilen. v.;cS-t-jsUt- Abg. Dr. Liebknecht will eine Ergänzung: „Wieviel Orte und Gebäude sind von den deuffchen Militär- behörden seit Beginn des Krieges zum Zweck der Vergeltung zer- stört— wieviel Menschen zum gleichen Zweck gefangen und ge- rötet--" stellen, die der Präsident jedoch für eine ganz neue Anfrage erklärt. Abg. Dr. Liebknecht verliest die dritte Anfrage: „Ist die Regierung bereit, dem Reichstag unverzüglich das Material vorzulegen s.) über die von den deutschen Militär- und Zivil- behörden während des Krieges auf Grund des Belagerungs- z u st a n d e s getroffenen allgemeinen und besonderen Maßregeln zur Aufhebung des Vereins- nnd Versammlungsrechts und der persönlichen Freiheit(Bersammlungsverbote. Vereinsauflösungen, Eingriffe in das Briefgeheimnis, polizeiliche Ueberwachung des Telephonverkehrs, Verhaftungen, Haussuchungen usw.) insbesondere über die Zahl der während des Krieges ohne gerichtliches Ver- fahren in militärische und polizeiliche Haft(cacbot) gebrachten Zivilpersonen, über Grund und Dauer dieser Haft, d> über Zahl, Höhe und Grund der während des Krieges gegen Angehörige der Armee erkannten Strafen und über den Gefangenenbestand der Militärgefängnisse seit Beginn des Krieges." Ministerialdirektor Lcwald: Der Reichskanzler ist nicht bereit, das von dem Abg. Dr. Liebknecht gewünschte Material dem Reichs- rag vorzulegen.(Zuruf Liebknechts: Auch das ist bezeichnend. — Hört I hört!) Der Präsident rügt diesen Zuruf als unzulässig. Liebknecht: Ich bitte ums Wort zur Ergänzung: Weiß der Herr Reichskanzler, daß in Deutschland von den Militär- und Polizeibehörden fast allenthalben„schwarze Kabinette" eingerichtet sind iHeilerkeit), in denen die Korrespondenz politisch mißliebiger Personen, u. a. auch von Abgeordneten, heimlich geöffnet... (Lärmende Zurufe; Glocke des Präsidenten.) Abg. Dr. Liebknecht: Ich protestiere gegen diese Ver- gewaltigung der Geschäftsordnung durch den Herrn Präfidenten und das Haus. In Aweiter Beratung wird der Gesetzentwurf über die weitere Zulasiung von Hilssmitgliedern im Patentamt bis zum 31. März 1913 debattelos angenommen. ES folgt der Bericht der Kommission für den ReichshauShalt über Ernährungsfragen (Berichterstatter Graf Westarp ). Abg. Robert Schmidt-Berlin (Soz.): Nachdem wir 17 Monate lang mit der Kriegswirtschaft durch- gehalten haben, werden wir auch in der weiteren Zukunft, wenn eS auch schwer sein mag, weiter durchhalten können. Die Voraus- setzung ist aber, daß sehr weitgehende Eingriffe in das Wirtscvaflsgetriebe erfolgen. Die sonstigen freien Tendenzen der kapitalistischen Wirtschaft können unmöglich aufrecht erhalten werden; wir müssen unsere Wirtschaft auch auf Kriegsfuß stellen, es mutz vor allem in der Preisbestimmung die freie Konkurrenz ausgeschaltet lverden. Wir haben an einer Reihe von wichtigen Gebrauchsartikeln Mangel zu verzeichnen, und dieser Mangel kann nur behoben werden durch zweckmäßige Organisation. Ich möchte als notwendige Maß- nahmen vor allem vier Forderungen aussiellen: 1. für bestimmte Nahrungsmittel muß ein einheitliches VerteilüngSsystem durchgeführt werden; 2. die Preisbildung muß der fteien Konkurrenz entzogen werden; 3. bei der Preisfestietzung darf nickt Rücksicht genommen werden auf Spekulationspreise, sondern auf die tatsächlichen Pro- duktionskosten; 4. müssen Sicherungen getroffen werden gegen eine Verfälschung der Nahrungsmittel. Die Regierung hat ja in der Richtung unserer Forderungen eine Art Lösung versucht, ober lange nicht mit der Enischiedenheit, die notwendig stst. All diese Verordnungen sind viel zu spät ergangen.
Das hat zur Folge gehabt, daß die Preise in eine so unerträgliche Höhe kamen, daß die Konsumenten unnötigerweise schwer belastet wurden. Und Weiler ist Folge des zu späten Eingreifens gewesen, daß verhältnismäßig viel zu hohe Höchstpreise festgesetzt wurden, so daß sie weit über das Maß des Zulässigen und Erträglichen auch gegenwärtig hoch hinausgehen.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokr.) Ferner hat durch die verspätete Festsetzung der reelle Handel unnötig große Nachteile gehabt insofern, als er sich vorher zu hohen Preisen die Waren verschafft hatte und dann durch den plötzlichen Preissturz bei der Festsetzung der Höchstpreise in Ver- legenheit kam. Außerordentlich betrübend ist, daß gegenwärtig schon wieder von allen Seilen der Jnteresfentengruppen, der Produzenten und des Handels dahin gearbeitet wird, diese Höchstpreise wieder zu erhöhen. Ich möchte an dieser Stelle die außer- ordentlich nachdrückliche Warnung für die Regierung aussprechen, nach einer so kurzen Wirksamkeit der Höchstpreise jetzt abermals für wichtige Nahrungsmittel die Preise wieder in die Höhe zu schrauben. Das wäre völlig unberechtigt und würde einen Sturm der Entrüstung bei der Bevölkerung hervorrufen.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Wie konnte die Regierung überhaupt zu diesen bitteren Klagen Anlaß geben, warum hat sie uns nicht beizeiten nachdrücklich geschützt gegen diejenigen, die die Notlage des Volkes so gewisienlos ausnutzen. Warum hat sie uns dieser Auswucherung überantwortet, die die Leiden, die der Krieg schon ohnehin mit sich bringt, noch weiter erhöht. Gibt es doch nichts Aufreizenderes als die hohen Kriegsgewinne der großen Erwerbsgesellschaften, gerade auf dem Gebiete der Lebensmittel- Versorgung.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Ist das zu vereinbaren mit dem, was auf der anderen Seite an Opfern, an Gut und Blut von der großen Masse gebracht werden muß! Sogar die Industrien, die unter den Höchstpreisen stehen, und der Handel haben große Gewinne aufzuweisen. Das beweist, daß die Höchst- preise durchaus nicht immer das Interesse der Konsumenten gewahrt haben.(Sehr richtig!) Wir Sozialdemokraten sind nicht überrascht durch diese Vorgänge. Wir wissen: im kapitalistischen Betriebe spielt der Eigennutz und die Gewinnsucht eine herrschende Rolle, und der Krieg macht diese Neigungen nur noch ungestümer. Da ist es ge- rade die Aufgabe der Wirtschaftspolitik, dafür zu sorgen, daß Hem- mungen dieser Auswüchse eintreten. Allerdings werden alle Kräfte mobil gemacht seitens der Produzenten und des Handels, um diese Hemmungen nicht eintreten zu lafsen. Ja, diese Abneigung geht hinauf in alle Verwaltungsbezirke unserer Regierung bis in die Spitzen der Regierung. Alles, was wir auf Wirtschaft- lichem Gebiet an Erfolgen zu verzeichnen haben, ist nur nach schwerem Drängen und nach Anregung von anderer Seite ge- kommen. Ww werden darüber nach dem Kriege vielleicht ein offeneres Wort reden können als gegenwärtig. Vielfach wird behauptet. die Produzenten müßten so hohe Preise bekommen, daß sie nicht das Interesse an der Produktion verlieren, insbesondere in der Land- Wirtschaft. Auch meine Freunde haben wiederholt betont, daß für eine ganze Reihe von Gebrauchsartikeln gegenwärtig höhere Preise notwendig sind als in Friedenszeiten. Tatsache ist aber, daß die Preiserhöhungen für landwirtschaftliche Produkte in keinem Falle unter 50 Proz. geblieben sind, aber hinaufgehen bis 2<X1 und 330 Proz. Dann kann nickt davon die Rede sein, daß der Anreiz zur Produktion in Frage gestellt ist. Wer das noch behauptet, der beweist ein so übergroßes Maß von Ansprüchen, und eine solcke Ver- kennung der Gesamtintereffen der Bevölkerung, daß mit solchen Leuten eine Verständigung auch nur aus einer mittleren Linie auSgeschloffen ist.(Sehr wahr I bei den Sozialdemokraten.) Man muß auch bedenken, daß dem Anreiz zur Produktion gegenübersteht der Anreiz zur Erbitterung großer Lolksfchichten über da? Unerträgliche des gegenwärtigen ZuflandeS. Weiter weisen die Jnteresfentengruppen. darauf hin, eS komme darauf an, über- bauvt die Produkte zur Stelle zu haben, ganz egal, welche Preise bezahlt werden. Die hoben Preise, die durch wüstes Ueberbieten der Händler beim Einkauf im Auslande künstlich erzielt worden find, sollen dann den Inlandspreis regulieren. DaS ist ein ganz un- gesunder Zustand, der leider auch heute noch nicht durch BundesratSverordnungen völlig ausgeschaltet ist. Ich erinnere an die Vorgänge bei der Festsetzung der Gemüsehöchstpreise. Eine große Händlergruppe hat alle Verträge mit dem Aus- land anulliert, um den Eindruck zu erwecken, daß Gemüse zu den Höchstpreisen überhaupt nicht mehr auf den Markt zu bringen sei. Das ist nichts als eine künstliche Beeinflussung des Marktes, um den leitenden politischen Kreisen bange zu machen vor der Fest- setzung von Höchstpreisen. (Sehr richtig I bei den Sozialdemo- kraten.) Es ist ein ganz unglücklicher Gedanke, daß wir jeden Preis bezahlen müssen, um nur bestimmte Gebrauchsartikel vom Auslande zu bekommen. Was nützt es denn der Masie, wenn hinter prächtigen Fensterscheiben alle möglichen Nahrungsmittel ausgestellt sind, wenn die Preise so hoch sind, daß die Massen dabei als Konsumenten ausgeschaltet werden. kSehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Es wird viel darüber gestritten, wer die Schuld an den Preistreibereien trägt. Wir meinen sowohl die Produzenten wie der Handel haben ihr vollgerüttelt Matz der Schuld an den Vorgängen. Wie groß die Abneigung gegen die Regulierung der Preise in Produzentenkreisen ist, hat mir vor kurzem wieder die Stellungnahme des Deutschen Landwirtschaftsrats gegen die Höchst- preise für Sckweine bewiesen, während es doch Tatsache ist, daß der freie Wettbewerb aus diesem Gebiete so hohe Preise gebracht hatte, daß die Zustände unleidlich wurden. Es ist ein Gefühl des Ekels, das einen beschleicht, wenn man sieht, eine wie große Zahl von Wucherprozesien der Oeffentlichkeil bekannt werden. Wir sind, wie gesagt, nicht überhaupt gegen höhere Preis«, aber wir ver- langen, daß ihre Berechtigung im einzelnen geprüft wird. So be- hauptet der Bund der Landwirte und die„Deutsche TageS- eitung", daß die Löhne der Landarbeiter erheblich gestiegen sind. Wir haben eine Umfrage veranstaltet und haben dabei zum Beispiel festgestellt, daß aus einer Reihe von Gütern in der Provinz Brandenburg die alten Löhne für die Arbeiter ohne erhebliche Aenderungen fortbestehen wie vor dem Kriege.(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Auf einigen Gütern find 20 Pfennig pro Tag Lohnzulage gewährt worden. In der Provinz Sachsen sind von 15 großen Gütern auf 13 kleine Zulagen gewährt, in Schleswig-Holstein von 30 Gütern auf 10, und so geht es fort, überall nur ganz unbedeutende Zulagen auf ein- zelnen Gütern. Sie glauben gar nicht, was bei den Landarbeitern für eine Erbitterung herrscht. Leiden doch diese Kreise unter den hohen Preisen für alle notwendigen Gebrauchsartikel fast ebenso wie die städtische Bevölkerung. Und die Ablösung der Natural- leistung, die infolge der Organisation der Getreidevers orgung er- folgen mußte, ist vielfach auf großen Gütern derart er- folgt, daß sie weniger Geld erhielten, als ihre Naturalleistung gegenwärtig wert war.(Hört! hört!) Niemals ist der Gegensatz zwischen ländlichem Proletariat und Grundbesitzern fo kraß in die Erscheinung getreten wie gegenwärtig.(Sehr wahr j bei den Soz.) Besonders hohe Gewinne haben die großen Unternehmungen erzielt, die mit der Landwirtschaft in Verbindung stehen. So hat die Aktiengesellschaft für Verwertung von Kartoffel- fabrikaten unter Erhöhung ihrer Abschreibungen im letzten Jahre von 103 000 auf 839 000 M.. unter Zurückstellung eines besonderen Reservefonds von 100 000 M. einen Rein- gewinn von 632 000 gegen 420000 M. im Vorjahre er« zielt.(Hört! hört!) Die o st elbische Spritfabrik hat ihre Dividende von 12 auf 13 Proz. erhöht. Geradezu aus- reizend für die Bevölkerung sind die hohen Gewinne der Zucker- sabrikcn. Da gibt es Fabriken, die ihre Dividende von 6 auf 13
Prozent, von 8 auf 20 Proz., von 15 auf 30 Proz., von 24 aus 40 Prozent erhöht haben.(Hört! hört!) An diesen Riesengewinnen ist nur die Höchstpreispolitik schuld. Sind doch die Zuckerpreise von 9,50 auf 12 M. erhöht. Wenn jetzt die Zuckerinteresienten verlangen, daß der Preis für Rohzucker gar von 12 auf 16 M. erhöht werden soll, so ist das eine Unverichämiheit.(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Im Handel geht es nichr viel bester. Sehr betrübend ist, daß wir auch mit den Kartoffel» in Schwierig- leiten gekommen sind. Von 52 bis 54 Millionen Tonnen sind höchstens 6 Millionen Tonnen für die menicklische Ernährung bereit gestellt und selbst dieses Quantum ist bis heute nicht uneingeschränkt zur Verfügung gestellt worden. Sie werden eben in den Kreisen der Interessenten zurückgehalten (Zuruf rechts: Nein), weil man auf noch höhere Preise hofft. Lei dieser ganzen Organisation haben unsere Verwaltung und unsere ersten verantwortlichen Stellen versagt. Die BundeSralsverordnung hat die Zwangsabgabe nur auf dem Papier. Die preußische Ver- waltung hätte die Aufgabe gehabt, wenn ihr wirklich die Kriegs« Wirtschaft am Herzen läge, nickt die Polizeiwirtschast und was aus den künftigen Wahlen wird(Sehr gut! links) dte Landräte dafür verantwortlich zu machen, daß die Kartoffclvorräte in ihren Bezirken richtig verteilt werden. Einige Landräte haben sich gewiß Mühe ge- geben, aber der Landrat von Moers hat feststellen müssen, daß in seinen Kreisen Kartoffeln zurückgehalten werden, ebenso mußten in einem Vorort von Mainz Kartoffeln von außen eingeführt werden, obwohl 3000 Zentner am Ort vorbanden waren, die eben zurück- gehalten wurden.(Hört! hört!) Und wie sieht es mit der Fleischvcrsorgung aus? Ruhig hat die Regierung zugesehen, daß die Schweinepreise bis über 300 Proz. über den normalen hinausgingen, ehe sie ein« griff, trotzdem wir himmelhoch gebeten haben, die Zurückhaltung fallen zu lassen. Jetzt sind die Preise noch um 100 Proz. höher als zu normalen Zeiten, aber sie sind doch beträchtlich herabgesetzt worden, und nun sehen wir, daß der Auftrieb aus den Märkten ganz außerordentlich gering ist, trotzdem eine genügende Zahl von Schlachtvieh vorhanden ist. Auch die städtische Verwaltung versagt hier, sie müßte mit den Produzenten direkt in Verbindung kommen und den Viehhandel ausschalten.(Sehr richtig! links.) Für den Viehhandel ist charakteristisch ein Urteil in Leipzig gegen einen Händler, der wegen übermäßigen Gewinnes zu 100 M. Geld- strafe verurteilt ist. wobei das Gericht sagte, daß sämtliche Händler sich in ähnlicher Weise strafbar gemacht haben.(Hört I hört I) Man darf auch nicht ruhig zusehen, daß die Schweine in die Konserven- sabrtken wandern; eine Fleischkonservenfabrik mit einer Million Mark Betriebskapital bat über eine Million Bruttogewinn und 30 Proz. Dividende verteilt.(Hört! hört!) Das zeigt, was während deS Krieges in dieier unsoliden Weise verdient und ein- gesackt wird. Können Sie sich wundern, wenn die Bevölkerung die Geduld verliert und aufgeregt wird, wo solche Gewinne gegenüber stehen den ärmlichen paar Groschen der Kriegerfrauen, dte jeden Pfennig umdrehen müssen.(Sehr wahrl bei den Sozial- demokraten.) Bei dem Mangel an Schweinen ist auch der Preis für Rindvieh bedenklich gestiegen und durch den großen Austrieb von Rindvieh kommt unsere Milchproduktion in Gefahr. Auch hier müßte eine Beschlagnahme unter Berücksichtigung der Jnteresien der einzelnen Viehbalter eintreten, um die Fleffchversorgung sicherzu- stellen. Es mutz eine Einschränkung auch für die Reichen eintreten, denen auch zum Bewußtsein gebracht werden muß, daß sie sich m KriegSzeilen im Interesse der Gesamtheit einzuschränken haben. Auf die Notwendigkeit der Butterkart« ist schon wirderholt in der Preffe hingewiesen worden. Während die ärmere Bevötkerung sich zu � Hunderten. vor den Läden drängt, wird in Berlin V? die Butter jn Postpaketen auS den Meiereien bezogen. JnnnerTvieder sieht man, wer den Geldbeutel hat, kann sich auch die Unbequemlichkeilen abwqkzen, die der Mangel an dem not- wendigen Bedarf mit sich bringt. Schon längst hätte der Bezug von einzelnen Postpaketen direkt aus den Meiereien verboten sein müffen. Bei den Futtermitteln sind die Höchstpreise viel zu hoch fest« gesetzt; auch hier sehen wir eine unberechtigte Rücksichtnahme auf den Landwirt. An Futterrüben hatten wir in diesem Jahre eine glänzende Ernte, die städtischen Molkereien müssen aber 1,50 M. für den Zentner bezahlen gegen früher 60 Pf. Am schwersten leiden unter dem Futtermangel die Industriearbeiter auf dem Lande, die selbst etwas Vieh haben. Auch die Jnteresien der kleinen Gewerbe- weihenden sind von der Regierung bei dem Robstoffbezug nicht ge- nügend gewahrt worden, die Preise der Rohstoffe gehen weit über das notwendige Matz hmaus. Hunderttausende kleiner Existenzen find zugrunde gegange«, aber wir sehen auch tausende aufsteigen, sich aus dem Sumpf empor« strecken, durch wucherische Geschäftspraktiken. Wenn nach dem Kriege die sozialpolitischen und die Lohnfrogen mit diesen Spekulanten und Wucherern geregelt werden sollen, so werden wir eine Gesellschaft am Werk sehen, mit denen es viel schwerer auszukommen sein wird als sonst, denn gerade diese Leute haben vor den berechtigten Ansprüchen anderer keine Achtmig. Ungeheuerlich find die Preissteigerungen für Leder, und damit auch der Verdienst der Lederfabriken; eine Fabrik z. B.. die mit einem Kapital von 12 Millionen Mark arbeitet, hatte einen Brutto- gewinn von 40 Millionen aufzuweisen.(Lebhaftes Hört! hört!) Darin liegt die schärfste Verurteilung unserer Höchstpreispolittk und auch eine scharfe Verurteilung der Interessenten, die in dieser maßlosen Weise Ansprüche an die Militärverwaltung stellten, die auch sicherlich von ihnen falsch informiert worden ist. Man weist auf das Ausland hin, wo die Preise noch höher seien. Wir haben aber zu prüfen, ob die Höhe der Preise bei un? berechtigt ist und können uns nicht damit trösten, daß eS dem Ausland noch schlechter geht. Mehrfach haben die Militärbehörden ein- gegriffen, wo es eigentlich Sache des ReichsamtS des Innern wäre. Das Reichsamt des Innern mutz sich deShalb klar werden über seine wichtige Aufgabe in dieser ernsten Zeit und eS sollte keinen Augenblick zögern, sondern jede Gelegenheit ergreifen. um Ordnung in unsere Produktion und Konsumtion hineinzubringen. Allerdings gehört dazu festes Durchgreifen und das ReichSamt des Innern sollte die nötige Energie von selbst aufbringen. In der Brotfrage ist man mit der Regulierung schnell vorgegangen, ohne alles vorher zu übersehen, und es ist gut gegangen. Es würde uns zum Vorteil gereichen, wenn das Reichsaml des Innern öfter etwas wagen, und nicht immer nur erwägen würde. Wir können nur wiederholen: die Lebensmittelversorgung ist ein Teil um'erer Krieg- führung, sorgen wir dafür, daß der Wucher uns nicht in eine Situation drängt, die für uns alle schlimm zu ertragen wäre.(Lebhafter Beifall links.) Staatssekretär Dr. Delbrück: Das Ernährungsproblem muß nach wie vor im Vordergrund unsere? Jntereffes stehen. Tie eingehenden Verhandlungen in der Kommmission haben zu einer vollkommenen Einigung darüber ge- führt, daß wir in diesen schweren und ernsten Zeiten unter den besonders gearteten wirtschaftlichen Borhältnissen des Krieges die Versorgung des Marktes und die Preisbildung nicht dem freien Spiel der Kräfte überlasten dur.ften» sondern daß wir mit fester Hand eingreifen mußten, daß wir auch vor Härten nicht zurück- schreckten, wenn dte Sicherheit des Vaterlandes es erforderte. Wir reichen bis zum nächsten Jahre, wenn wir sparsam und haus- halte risch umgehen, wenn wir unsere Lebensgewohnheiten den Verhältnissen anpassen und wenn wir weiterhin mit Erfolg die Verteilung und den Konsum regulieren können. Der Vorredner hat gemeint, wenn die Maßnahmen des Reiches in Preußen nicht immer den gewünschten Erfolg gehabt hätten, so liege da» an einer