Nr. 85.
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für 1894 unter Nr. 6919
Vorwärts
11. Jahrg
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Der 1. Mai.
Freitag, den 13. April 1894.
wird es um so weniger verfehlen, weil fie viel stärker geworden ist und weil ihr der Weg nur noch von einer durch den Panama In allen Ländern der Erde bereitet das arbeitende Standal entehrten republikanischen Bourgeoisie versperrt wird, Volt sich auf den 1. Mai vor. Für Deutschland ist die, eins nach dem andern, ihre Prinzipien, auf welche sie geder Kölner Kongreßbeschluß, der im Einklang mit den inter - gründet ward, und die in früheren Zeiten ihre Größe ausmachten, abschwört und dazu verdammt ist, ihr unmögliches Heil in der nationalen Kongreßbeschlüssen den 1. Mai prinzipiell als niederträchtigsten Reaktion zu suchen. Tag der Feier festseßte, maßgebend gewesen. Von nirgends her wird die geringste Abweichung gemeldet, und die Nachrichten, welche uns zugehen, lassen keinen Zweifel, daß die Feier eine allgemeine und würdige sein wird. Nur an wenigen Orten, z. B. in Bremen , will man eine Nach feier am Sonntag stattfinden lassen.
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Unsere österreichischen Genossen stoßen dieses Jahr mehr als in früheren auf Uebelwollen und Widerstand der Bourgeoisie, die von einer Arbeitsruhe nichts wissen will.
Die österreichischen Arbeiter werden diese Schwierigfeiten zu überwinden wissen, deren Auftauchen ihnen bei läufig das schmeichelhafteste Zeugniß ausstellt. Denn der Widerstand der Bourgeoisie beweist, daß diese die Zustände nicht mehr für gemüthlich" hält und die Arbeiter ernstlich zu fürchten beginnt.
Aus Spanien , Italien , Belgien und der Schweiz erfahren wir, daß die Genossen durchweg mit den Vorbereitungen für den 1. Mai beschäftigt sind. Auch in Amerika und Australien wird das Weltfest der Arbeit dieses Jahr gefeiert werden wie noch niemals; und
überall am 1. Mai.
Sie rühmt sich, ihre Minister aus dem Blute der Rue Transnonain) unter den Mördern der republikanischen Elite von damals, der Godefroy Cavaignac , der Barbés und der Blanqui zusammengeleſen zu haben. Grenzen der asiatischen Barbarei zu erbetteln, fie, die GeSie schämte sich nicht, ihre Verbindungen in Europa an den prellte oder die Mitschuldige des Zarismus, der, die Taschen von ihren Milliarden angefüllt, sich in die Arme des kaiserlichen Deutschlands stürzt.
Ihre innere Politik, die bis jetzt von dem Rufe Gambetta's: Das Pfaffenthum, das ist der Feind", beherrscht war, liefert jetzt dem Haupt der schwarzen Internationale", dem Italiener Leo XIII. , die Schlüffel des Staats aus und öffnet sperrweit die Thore der Republik den Verschwörern gegen die Republik . Sie lebt von den Kochtöpfen der Anarchisten, denen sie A u 3 nahmegeseze gegen den Gozialismu 3 entnimmt, genau, wie der letzte der Bonaparte aus den Orfini- Bomben das allgemeine Sicherheitsgesetz gegen die Fortschritte der republifanischen Idee herausholte.
V
1293
Expedition: SW. 19, Benth- Straße 3.
den Arbeitern als Ziel gab: die Eroberung des allgemeinen Wahlrechts in den Staaten, wo es noch nicht besteht( Belgien , Holland , Desterreich), und die Eroberung der politischen Gewalt durch das allgemeine Stimmrecht da wo es besteht( Frankreich , Deutschland , England)?
War dies nicht die einzige und beständige Politik der französischen Arbeiterpartei, seit sie vor 15 Jahren aus dem unSterblichen Marseiller Kongreß hervorging?
So fam es, Genossen, daß, nachdem wir 1892 am 1. Mai uns durch das Stimmrecht einer Anzahl von Gemeinden bemächtigt hatten, im letzten Jahre die Thore des Parlaments sich uns öffnen 50 Sozialisten einrücken laffen konnten, deren bloße Gegenwart mußten, und wir in die Kammer die erste Avantgarde von hinreichte, um innerhalb weniger Monate die Achse der parlamentarischen Welt zu verlegen, und nur noch zwei Parteien, die beiden einander bekämpfenden Klassen, bestehen ließ.
Auf der einen Seite alle diejenigen ohne Unterschied des religiösen und politischen Bekenntnisses, die eine ebenso ungerechte wie impotente gesellschaftliche Ordnung aufrecht ers halten wollen; auf der anderen Seite alle, die, der unvermeidlichen Umgestaltung sich bewußt, entschlossen sind, zum Heile Aller, die ökonomische Umwälzung, die aus der Wissenschaft und deren Anwendung hervorgeht, sich vollziehen zu lassen.
Diese sozialistische Minderheit, welche die kommende Res gierung, die Regierung der Zukunft darstellt, ist es, an welche sich heute alle Wünsche, alle Forderungen, und die Delegirten des französischen Proletariats wenden müssen, das am 1. Mai die Arbeit unterbrechen wird.
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Als wenn zwischen den ebenso gehässigen, wie ohnmächtigen Dynamithelden und der großen Partei der sozialen Umgestaltung An dem Proletariat ist es jetzt, seine Beschwerdenhefte*) den jemals etwas Gemeinsames bestanden hätte und bestehen tönnte! st nicht gerade unser 1. Mai selbst die deutlichste Befun- Gewalthabern zu präsentiren die Bourgeoisie hat keine Wünsche dung des breiten und tiefen Abgrunds, der zwischen dem Indi- mehr, als den, ihre Gewalt noch zu verlängern. vidualismus der Anarchisten und dem Kollektivismus der Lassen wir die Todten ihre Todten begraben. Wir erwarten, revolutionären Arbeiter von jeher bestanden hat?
Auch in England, dem einzigen Lande, wo bisher der erste Sonntag im Mai als alleiniger Festtag ge- Haben nicht alle internationalen Kongresse, die diese Welt golten hatte, haben sich diesmal, dem Züricher Kongreß- Manifestation eingeführt und aufrecht erhalten haben, gleich beschluß gemäß, sämmtliche Organisationen zeitig die" Propagandisten der That" aus ihrer Mitte entfernt geeinigt, um am 1. Mai Versammlungen in ge- und von der sozialistischen Gemeinschaft ausgeschlossen? schlossenen Räumen und Meetings im Freien abzuhalten. Haben nicht jedes Jahr, unter dem Beifall der Bourgeoispresse, die Anarchisten der Mobilmachung des gesammten Proletariats fich entgegen gestellt, und diese riesenhafteste Kraftleistung aller Zeiten, die zum Zweck hat, der herrschenden und besitzenden Klasse für die Massen, die allen Reichthum hervor bringen und dabei alles entbehren, ein bischen materiellen Vortheils zu entreißen, als feigen Berrath denunzirt?
Zu unserem Bedauern soll aber auch am ersten Sonntage im Mai eine große Kundgebung im Hydepart stattfinden, und zwar zu Gunsten des Achtstundentags und des allgemeinen Wahlrechts.
In Frankreich sind unsere Genossen sehr thätig. Der von uns schon erwähnte Aufruf des Nationalraths der französischen Arbeiterpartei lautet vollständig wie folgt: Andie Arbeiter Frankreichs! Genossen!
Und als die Anarchisten gegen jeden Gedanken der Befizergreifung der Staatsmacht durch die als Klassenpartei fonstituirten Arbeiter protestirten, auf die„ Stimmlinge"( votards) schimpften und die Arbeiter von der Wahlurne ferne zu halten suchten war es da nicht die Arbeiterpartei, unsere Partet, die
Zum fünften Mal macht die Arbeiterwelt sich bereit, den 1. Mai zu feiern, und damit die Solidarität des internationalen *) Im Mai 1839 erhoben sich die Republikaner gegen das Proletariats und seinen Willen auf Beseitigung der kapitalistischen Bürgerfönigtbum. Der wohlvorbereitete Aufstand, an dem Herrschaft, die auf der Ueberarbeitung und dem Elend der Er- Blanqui, Barbés und Gottfried Cavaignac, der Bruder des zeuger des Reichthums beruht, zu bekräftigen. Die sozialistische berüchtigten, Junischlächters", theilnahmen, wurde nur mit Mühe Arbeiterbevölkerung Frankreichs stand bei dieser Rundgebung, die und nach langem Rampf niedergeworfen, obgleich die Zahl der aus dem Pariser Kongreß hervorging, immer in erster Reihe. Sie Aufständischen gering und der Kampf von Anfang an auf die wird auch dieses Jahr nicht verfehlen, ihre Pflicht zu thun. Sie Transnonain- Straße beschränkt war.
Feuilleton. Der Inde.
Deutsches Sittengemälde
aus der ersten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts.
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Ein neuer Wink von oben!" versetzte Ben David:" Das Büblein heißt wie der Eure, und leicht kann auf seinem Dorfe der Name also abgekürzt worden sein."
Antlig, das bekümmert und freundlich zu ihm niedersah und flüsterte hierauf dem Juden halblaut zu:" Die ist aber doch
die Mutter nicht."
"
Ungerathener Bube!" rief Diethers Gattin, durch einen Wink Ben Davids unterrichtet, und ihre Augen blitten zürnend auf den blöden kleinen Hans; willst Du mich wohl gleich wieder erkennen? schon zu lang dauert das Boffenspiel, Sprich, wenn Du nicht die Ruthe toften willst; bin ich Deine Mutter, oder nicht?"
daß aus allen Orten des Landes dem schon sozialisirten Theil der öffentlichen Macht, welche unser geworden ist, der glühende und unerschütterliche Wille des arbeitenden Frankreichs fich fund giebt, daß durch so dringende Reformen, wie die Beschränkung der Arbeitszeit, die unvermeidliche soziale Revolution vorbereitet werde, die nur noch eine Frage der Zeit, einer sehr furzen Beit, ift.
Scheue man sich nirgends, durch Feste den baldigen und sicheren Triumph einzuleiten. Wir sind jetzt schon die Herren unseres Schicksals.
Auf Genossen!
Auf für den Achtstundentag, für die Vereinigung der Proletarier aller Länder, und für die Befreiung der Arbeit und der Gesellschaft!
Es lebe die Arbeiterpartei! Es lebe der erste Mai!
Der Nationalrath: René Chauvin, G. Grespin, S. Dereure, Ferroul, Jules Guesde , Jourde, Paul Lafargue , Roussel, Prevost, Bürgerinnen A. Valette, A. Zévaès. Paris , den 31. März 1894.
*) Die Cahiers( Hefte) enthielten in der alten ständischen Ver. faffung die Forderungen und Wünsche der Stände.
Was wollt Ihr, edle Frau, und was redet Ihr da?" fragte Ben David mit schlauer Aufrichtigkeit: Kinder sind doch Gottes Segen, und den bezahlt man nie zu theuer. Am allerwenigsten, wenn man damit gewinnt Erb und Gut. Dem alten Herrn blüht gewiß kein Sohn mehr. Ihr seid zu fromm, um zu beglücken den Freund statt des Ehemanns. Und dennoch muß der Sohn der ersten Ehe ausgeschlossen bleiben und Priester werden, und nimmer den Dispens gewinnen, den Stamm fortzupflanzen in ErDer Knabe frümmte ängstlich seinen Rücken, faltete die mangelung anderer Erben. Der Knabe, den ich Euch überHände, und rief, in der Scheltenden Schooß geschmiegt: laffe, ist dennoch allzuwohlfeil erkauft, als Euer größtes Liebe Mutter, schlage mich nur nicht. Hans will gut Glück und Heil." sein, und er weiß ja, daß Du seine Mutter bist. Nur nicht
In der That!" meinte Margarethe, die Zähren trock- schlagen." nend: es ist außerordentlich, und alles fügt sich besser, als So laß' ich's gelten!" erwiderte Margarethe, und Sei nur immer man's wünschen fann. Komm her, mein Knabe! wirst Du reichte ihm versöhnt einen Zuckerfladen: mich lieben?" gut und folgsam, und Du wirst auch den Vater zu sehen beSie zog den Buben an sich, und füßte seine Stirne: fommen." er starrte aber zu ihr empor, spielte mit dem goldenen Den Bater?" fragte der Knabe: ich habe keinen Kreuz an ihrem Halse, und fragte:„ Wer bist Du denn, mehr". gute Frau?
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" Ei, das ist ja Deine Mutter!" antwortete ihm Ben zu. David kurz und bestimmt. Der Knabe aber lächelte un gläubig und schüttelte zweifelnd mit dem Haupte. „ Das ist Deine Mutter, und ich bin Deine Pflegemutter;" bedeutete ihm Willhild ebenfalls. Der Knabe sah sie groß an und schien zweifelhaft zu werden. Wo ist denn die Gundel und das Hänschen?" fragte er ein wenig Kleinlaut.
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Doch, doch, mein Jüngelchen!" redete ihm Ben David Einen guten und liebreichen Vater, der Dich lieben, reich beschenken und unter lauter Freude und Vergnügen großziehen wird." Das ist schön, daß ich einen Vater habe, und eine Mutter, die mich nicht schlägt!" rief hierauf Hans ganz er freut, und ließ sich, in den Buckerfladen beißend, vertraulich auf dem Polster des Hündchens nieder, das bald gute Freundschaft mit ihm machte, und seinen Kuchen mit ver Gundel ist fortgegangen und kommt nicht mehr zehren half. Während nun die Beiden spielten, und Frau wieder," nahm Ben David das Wort, da die Frauen des Willhild sich hineinmischte, um den Knaben mit sich beKnaben Rede nicht begriffen: Hänschen ist aber schwarz fannt zu machen, folgte Ben David Margarethen in ihr geworden, weil Du so lange ausgeblieben," sette er hinzu, Schlafgemach, wo die Bedingungen des Verkaufs festgesetzt und wies auf den kleinen schwarzen Spitzhund, der zu wurden. Nicht geringe waren sie, denn als Ben David, den Füßen der Altbürgering auf einem zierlichen Bolster mit Beuteln und Verschreibung beladen, davon zu gehen in Begriff war, sagte ihm Margarethe: Du verstehst es, schlief. Der Knabe schlug verwundert die Händchen zusammen, Jude, Deinen Vortheil zu beachten. Der Kinderhandel schlägt warf dann noch einen prüfenden Blick auf Margarethens Dir gut ein."
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,, Doch der tiefsten Verschwiegenheit darf ich mich zu Dir versehen?" fuhr Margarethe mit durchdringendem Blicke fort: Wenn Du treulos sein könntest...
Beruhigt Euch, gute Frau", antwortete Ben David lächelnd; wär ich ein Christ, so würde ich Euch leisten einen Schwur, und ihn hinterher vielleicht erst nicht halten. Als Jude darf ich nicht schwören einen Eid ohne den Rabbi, und dann erst müßtet Ihr mir glauben aufs Wort, ob ich recht geschworen habe oder nicht; denn ich verstehe Euer Deutsch , aber Ihr nicht mein Hebräisch. Verlaßt Euch deshalb auf ein sicheres Pfand: auf meinen Hals. Wenigstens an mein Leben ginge es, fäme es heraus, daß ich ein Christens tind verschachert; und mein Leben ist mir lieb, ist's gleich nur ein elend Judenleben. Gehabt Euch wohl, und vers sichert Euch nur der Weiberzunge, die Euer, unser Ges heimniß theilt."
Hierauf entfernte sich Ben David schnell, und Margas rethe säumte nicht, seinem Wint zu folgen und die halb verlegen, halb froh sich benehmende Willhild zur Bewahrung des Gelübdes aufzufordern, das sie geleistet.
" Ihr könnt mir fed vertrauen, beste Frau;" versetzte Willhild; mir fällt ein Stein vom Herzen, daß ich nicht des edlen Herrn Unwillen aushalten muß, der fürchterlich gegen mich entbrennen würde, träte ich vor ihn hin und meldete ihm den Unfall, der seinem Söhnlein widerfahren. Aber... wenn ich mich nur überzeugen könnte, daß es