Nr.54.- 33. Jahrg.
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Zentralorgan der fozialdemokratischen Partei Deutfchlands.
Redaktion: SW. 68, Lindenstraße 3. Fernivrecher: Am: Morisplas, Nr. 151 90-151 97.
Donnerstag, den 24. Februar 1916.
1190
Expedition: SW. 68, Lindenstraße 3. Kernsprecher: Amt Morisplak, Nr. 15190-151 97.
Steuerdogmatik und
I
Die Sonntagsnummer des Vorwärts" vom 13. d. m. enthält eine Art Entgegnung auf meinen Artikel„ Staatsmonopole oder neue Steuern?", für deren Inhalt, da sie nicht mit einem Namen oder einer Chiffre unterzeichnet ist, die Redaktion die volle Verantwortung zu übernehmen scheint. Betitelt ist diese Antwort: st eine Erhöhung der direkten Steuern möglich?" Eine recht seltsame Frage. Denn daß noch eine Erhöhung der direkten Steuern in den deutschen Bundesstaaten und vor allem in Deutschen Reich möglich ist und dieses Steuergebiet wird doch wohl der Fragesteller gemeint haben, nicht England, Frankreich oder China , dürfte kaum bestritten werden. Strittig dürfte nur sein, inwieweit noch eine Erhöhung möglich ist das heißt, bis zu welcher Grenze sie möglich ist, ohne daß die Kapitalanhäufung und damit die Entwickelung der Produktion ernstlich gefährdet wird.
-
Ich habe denn auch gar nicht, wie der Vorwärts" behauptet, den Grundsatz aufgegeben, daß die Steuern möglichst durch sogenannte direkte Steuern gededt werden follen, noch habe ich, wie er am Schlusse seines Artikels unterstellt, irgendwo die These aufgestellt, die Grenze, bis zu der eine Belastung durch Einkommens- und Vermögenssteuern möglich sei, wäre bereits erreicht. Davon steht, wie jeder nachlesen kann, in meinem Artikel fein einziges Wörtchen. Ich habe darin lediglich gesagt, daß der enorme Betrag bon mehreren Milliarden Mark, um den nach dem Krieg die jährlichen Reichsausgaben steigen werden, nicht allein durch direkte, noch auch durch indirekte Steuern gebedt werden könne, die Regierung sich also nach neuen Einnahmequellen werde umsehen müssen.
Vielleicht ist der Artikelschreiber des„ Vorwärts" anderer Meinung. Vielleicht glaubt er tatsächlich, daß die Milliarden, die nach dem Krieg nicht nur das Reich, sondern auch die einzelnen Bundesstaaten und Gemeinden zur Dedung ihrer gestiegenen Ausgaben heranschaffen müssen, sich leicht und be. quem durch direkte Steuern aufbringen lassen. Dann sollte er nicht versäumen, schnell sein Steuerrezept mitzuteilen.
Ich vermag nicht so optimistisch in die Zukunft zu blicken, und ich habe dabei nicht nur die Zustimmung bürgerlicher Steuerpolitiker, sondern auch verschiedener unserer Theoretiker. Da ist zunächst Friedrich Engels . Als im Jahre 1894 die französischen Sozialisten sogenannter marristischer Richtung sich ein neues Agrarprogramm gaben, nahmen sie darin folgende Steuerforderung auf:„ Ersatz der bestehen. den indirekten und direkten Steuern durch eine einzige progressive Steuer auf alle Einkommen von mehr als 3000 Frant." Gegen diese Programmforderung wandte sich damals Engels in der Neuen Beit"( XIII. Jahrgang, I. Band, S. 299) in fehr energischer Weise, indem er erklärte, diese und ähnliche Forderungen, die sich seit Jahren in fast jedem soziaIiftischem Programm befänden, beweisen nur, wie wenig man fich in jenen fozialistischen Barteien noch der Tragweite folcher Forde. rungen bewußt sei. Unter Exemplifizierung auf das englische Staatsbudget wies Engels nach, daß eine Deckung der Staatsausgaben allein durch direkte Steuern fast„ ein Drittel der gesamten Akkumulation( Kapitalanhäufung)" Englands aufzehren würde. Deshalb, so folgert er ,,, fann feine Regierung so etwas unternehmen außer einer sozialistisch en; wenn die Sozialisten am Ruder sind, werden sie Dinge durchzuführen haben, bei denen jene Steuerreform nur als eine momentane, ganz unbedeutende Abschlagszahlung figuriert, und wobei den Kleinbauern ganz andere Berspektiven eröffnet werden".
Mit anderen Worten: einer bürgerlichen Negierung ist es ganz unmöglich, ihren Staatshaushalt nur auf direkte Steuern zu stellen!
Meldung des Großen Hauptquartiers.
Amtlich. Großes Hauptquartier, den 23. Februar 1916.( W. T. B.)
Weftlicher Kriegsschauplay.
Durch eine Sprengung in der Nähe der von uns am 21. Februar eroberten Gräben östlich Sonchez wurde die feindliche Stellung erheblich beschädigt. Die Gefangenenzahl erhöht sich hier auf 11 Offiziere, 348 Mann, die Beute beträgt 3 Maschinengewehre.
Auf den Maas höhen dauerten die Artillerietämpfe mit unverminderter Stärke fort.
Destlich des Flusses griffen wir die Stellungen an, die der Feind etwa in Höhe der Dörfer Cousenvoye- Azannes seit anderthalb Jahren mit allen Mitteln der Befestigungsfunft ausgebaut hatte, um eine für uns unbequeme Einwirkung auf unsere Verbindungen im nördlichen Teil der Woevre zu behalten. Der Angriff stieß in der Breite voureichlich zehn kilometern, in der er angesetzt war, bis zu drei Kilometern Tiefe durch. Neben sehr erheblichen blutigen Verlusten büßte der Feind mehr als 3000 Mann an Gefangenen und zahlreiches noch nicht übersehbares Material ein.
Im Oberelfak führte der Angriff westlich Heldweiler zur Fortnahme der feindlichen Stellungen in einer Breite von 700 Metern und einer Tiefe von 400 Metern, wobei etwa 80 Gefangene in unserer Hand blieben.
In zahlreichen Luftkämpfen jenseits der feindlichen Linien behielten unsere Flieger die Oberhand.
Deftlicher und Balkan - Kriegsschauplah. Unverändert.
Oberste Heeresleitung.
Der österreichische Generalftabsbericht.
Wien , 23. Februar. ( W. Z. B.) Amtlich wird ver lautbart:
Ruffischer Kriegsschauplas. Nordwestlich von Tarnopol schlugen unsere Sicherungstruppen russische Borstöße gegen die schon wiederholt genannten vorgeschobenen Feldwachenverschanzungen ab. Sonst keine besonderen Ereignisse.
Italienischer Kriegsschauplap.
Die lebhaften Artillerietämpfe an der fästenländischen Front dauern fort. Hinter den feindlichen Linien werden große Brände beobachtet.
Südöstlicher Kriegsschauplatz.
Südöstlich von Durazzo wurde der Gegner aus einer Bors stellung geworfen. Ein österreichisch - ungarischer Flieger bewarf bie im Hafen von Durazzo liegenden italienischen Schiffe mit Bomben. Ein Transportschiff wurde in Brand gesezt und fant. Der Stellvertreter des Chefs des Generalstabes: von oefer. Feldmarschalleutnant.
-
noch immer die in Erfurter Programm aufgestellte Forbe. rung: Stufenweis steigende Einkommens- und VermögensSteuer zur Beftreitung aller öffentlichen Ausgaben, soweit diese durch Steuern zu decken sind" muß man fast an nehmen, er fei dieser optimistischen Meinung. Andere find allerdings und dazu gehört auch meine Wenigkeit ntit Engels der Ansicht, stellte tatsächlich das Erfurter Programm solche Forderung auf, fo müßte man die Fassung ändern. Wie sich aber bei näherer Prüfung zeigt, hat der Steuerpolitiker des Vorwärts" im Uebereifer ein wenig unvollständig zitiert er hat vergessen, die der obigen Programmforderung folgenden Säße hinzuzufügen. Vollständig lautet der§ 10 des Erfurter Programims:
B
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Stufenveis steigende Ginkommens- und Bermögenssteuer zur Bestreitung aller öffentlichen Ausgaben, soweit diefe durch Steuern zu decken find. Selbsteinschätzungspflicht. Erbschaftsfteuer, ftufenweise steigend nach Umfang des Erbguts und nac bem Grabe der Verwandschaft. Abschaffung aller indirettei Steuern, Zölle und sonstigen wirtschaftlichen Maßnahmen. welche die Interessen der Allgemeinheit den Intereffen einer Minderheit einer bevorzugten. opfern."
Das heißt also, auch indirekte Steuern find unter gewissen Bedingungen zulässig. Tatsächlich hat denn auch Wurm als erster Referent über die Steuerfrage auf dem Jenaer Parteitag von 1913 erflärt:
17
Ferner will ich hier barauf hinweisen, daß es in Erfurter Programm nicht heißt, wie mitunter behauptet wird: wir finb gegen alle indiretten Steuern, sondern: Abschaffung aller inbiretten Steuern, Bölle und wirtschaftspolitischen Maßnahmen. welche die Intereffen der Allgemeinheit den Interessen einer be borzugten Minderheit opfern". Also nur diejenigen in biretten Steuern befämpfen wir, die volts: belastend wirken. Bet den anderen, die nicht so witfen, stort uns die Etikette, bie baraufgeflest ift, nicht.".
Und der Parteitag hat ihm zugestimmt und seinen Zeit. fäßen, in denen es heißt:
" Die Erhebungsform der Steuer, ob direkt oder indirekt, ist nicht entscheidend für ihre Wirkung, das heißt für die Frage, wen die Last der Steuer tatsächlich trifft."
Engels meint, wie wir oben sehen, von jenen sozialisti schen Steuerpolitikern, die ohne weiteres die Forderung er heben, alle Staatsausgaben müßten durch direkte Steuern gedeckt werden, fie wären fich der Tragweite ihrer Folgerung gar nicht bewußt. Das mag wohl sein. Bon meinem Kritiker im Bortvärts" möchte ich das jedoc aus angeborener Höflichkeit nicht annehmen. Immerhin ift es nicht uninteressant, näher nachzuprüfen, in welchem Maße schon heute die großen Einkommen durch die Einkommens steuern belastet werden. Das Reichsschakamt hat 1909 bei der Reichsfinanzreform in 470 Gemeinden( preußische, sächsische, württembergische, badische, oldenburgische, braunschweigische) Erhebungen darüber anstellen lassen, wieweit schon heute in ihnen die großen Einkommen durch die staatliche und kommunale Einkommensteuer( mit Einschluß der Kirchensteuer) belastet werden. Es ergab sich folgender prozentualer Anteil der Einkommensteuer am Einkommen:
I bei Einfommen von 20000 Mar! in 17 Proz. der Fälle weniger als 7 Proz.
.
42
87
bon 7 bis 9 9 12
II. bei Einkommen von 40000 Mat! in 70 Bros. der Fälle
5½"
·
von 8 bis 12 Proz
mehr als 12
III. bei Eintommen von 100000 Mart in 66 Proz. der Fälle von 8 bis 12 Proz
29 5
12
15
15 20
.Es ist ja heute schon unsere Forderung, daß wir durch eine folche Steuer alle anderen, besonders die indirekten Steuern erseßen. Wenn wir aber zu ihrer Durchführung heute die Kraft erhielten, etwa durch Unterstüßung anderer Parteien, was freilich ausgeschlossen, da leine bürgerliche Partei so weit ginge, so würden wir doch dabei auf große Schwierigkeiten stoßen. Es ist eine bekannte Tatsache, daß, je höher die Steuer, desto größer die Versuchungen zu Steuerdefraudationen. Aber selbst wenn es gelänge, jede Berbergung von Einkommen und Diese Untersuchung betrifft nur die Einkommensteuer( mit Vermögen unmöglich zu machen, selbst dann wäre man Kirchensteuer), in den meisten deutschen Bundesstaaten und nicht in der Lage, die Einkommens- und Vers Gemeinden werden aber außerdem noch andere direkte Steuern mögenssteuern beliebig hoch zu schrauben, weil erhoben, z. B. Vermögenssteuern, die zumeist bis 12 M. die Kapitalisten, wenn die Steuer ihr Einkommen oder Vermögen pro Mille betragen. Nimmt man 1 pro Mille an und rechnet zu sehr beschnitte, einfach aus dem Staate fortziehen würben eine durchschnittliche Verzinsung von 4 Proz, so bedeutet das und dieser das Nachsehen hätte. Der Staat hätte dann die Einkommens- und Vermögenssteuer, aber ohne Einkommen und Vermögen. Ueber ein gewiffes Mag tann man also Aber vielleicht hält der Vorwärts" Engels nicht mehr für bei diesen Steuern heute nicht hinaus, selbst kompetent in solchen Fragen, da ja auch er sogenannter wenn man die politische Macht dazu hätte." ,, nationalistischer" Anschauungen verdächtig ist. Nehmen wir Also schon 1894 und 1902, als noch an die enorme Steigealjo Karl Kautsky . Auch dieser ist der Ansicht, daß heute rung der Staatsausgaben um mehrere Milliarden kein Mensch feineswegs alle nötigen Staatsausgaben durch progressive dachte, hielten Engels und Kautsky es für un Einkommens-, Vermögens- und Erbschaftssteuern gedeckt möglich, alle Staatsausgaben durch direkte Ich sage das nicht, um daran die Folgerung zu knüpfen: werden können. Das werde, meint er, erst möglich sein, wenn Steuern zu deden. Wie würde Engels erst heute über Weiter gehts nicht mehr! Im Gegenteil, ich bin der das Proletariat die politische Macht besike, und selbst dann die gescheiten Köpfe spötteln, die auch nach dem Weltkrieg noch Ansicht, die Grenze fann noch beträchtlich ernoch nicht gleich, sondern erst, wenn das sämtliche kapitalistische solche Deckung für möglich halten oder sollte vielleicht der höht werden, vielleicht sogar noch über die vorhin von Eigentum die Form von öffentlichen Schuldver Artikelschreiber des Vorwärts" der seltsamen Ansicht sein, Engels genannte Grenze hinaus; aber daß diese direkte Beschreibungen angenommen hätte. je höher die Staatsausgaben anschwellen, je leichter wären fie fteuerung der Einkommen nicht nach Belieben fortgesetzt wer aufzubringen? Da er eingangs feines Artikels behauptet, den fann, daße seine Grenze gibt, und diefe da liegt, oberster Grundsatz für die Behandlung von Steuerfragen sei wo die fortgefekte Kapitalaffumulation( Kapitalanhäufung)
In seiner Broschüre:„ Die soziale Revolution", 2. Teil, S. 12/18, beißt es nämlich:
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einen weiteren Zuschlag von 21 Proz. zur Einkommensteuer. Sodann kommt in Betracht, daß seit der Untersuchung( 1908) in vielen Staaten und Gemeinden die Steuersätze erhöht worden und allerlei Zuschläge eingeführt sind. Man kann baher ohne Zweifel sagen, daß schon heute in den deutschen Landen ein beträchtlicher Teil der Einkommen von 100.000 20 bis 25 Proz. an direkten Steuern zahlt.