politisthe Uebersicht. Die Polendcbatte. Von den Vorlagen, mit denen sich das preußische Ab- geordnetenhaus in seiner Sitzung am Mittwoch beschäftigte, beanspruchen die beiden, die sich auf die KriegSfiirsorge beziehen, weitgehendes Interesse. Ueber die erste dieser beiden Vor- lagen, den Entwurf betreffend Beihülfen an Gemeinden für Zwecke der Kriegswohlfahrtspflege herrschte zwischen allen Parteien und der Regierung Uebereinstimmung. Bekanntlich hat Preußen für den genannten Zweck bereits im vorigen Jahre 110 Millionen Mark zur Verfügung gestellt. Auch in diesem Jahre sah der Regierungsentwurf die gleiche Summe vor, Die verstärkte Staatshaushaltskommission hat sie jedoch unter Zu- stimmung der Regierung aus 200 Millionen Mark erhöht und das Plenum ist diesem Beschlüsse einmütig beigetreten. Auch der sozialdemokratische Redner, Genosse L e i n e r t. erkannte das Wohlwollen, das in der Zentralstelle den Familien der Eingezogenen gegenüber an den Tag gelegt wird, unumwunden an, wenn er auch im einzelnen an den Bestimmungen des Familienunterstützungsgesetzes und an den Maßnahmen der Lieferungsverbände mancherlei auszusetzen hatte. Wir wollen hoffen, daß der Minister den der Praxis entsprungenen An- regungen unseres Genoffen Folge leistet und die unter- geordneten Organe mit entsprechenden Anweisungen versieht. Nicht die gleiche Harmonie trat zutage bei dem zweiten Entwurf, der 100 Millionen Mark für Zwecke der K r i e g e r- ansiedelungen fordert. Die Polen hatten ihren bereits in der Kommission gestellten, dort aber abgelehnten Antrag von neuem eingebracht, der in das Rentengutsgesetz eine Be- stimmung aufgenommen wiffen will, die es aulschließt, daß die Zuteilung eines Rentengutes abhängig gemacht werden kann von dem Religionsbekenntnis, der Abstammung, der Muttersprache oder der politischen Betätigung des Rentenguts- nehmers. Außerdem lag ein nationalliberalerAntragvor.dcrvor- bereitende Maßnahmen für den Ausbau der inneren Kolonisation durch Ansiedelung von Kriegsverletzten verlangt. Genoffe Braun erkannte die Pflicht der Fürsorge für die Kriegs- verletzten unumwunden an, bezweifelte aber, ob ihnen durch die Ansiedelung auf dem Lande am besten aeholfen wird. Er wandte sich grundsätzlich gegen die künstliche Schaffung von landwirtschaftlichen Kleinbetrieben und befürwortete den polnischen Antrag, den der Minister Frhr. v. Schorlemer für unannehmbar erklärt hatte. Mit Recht zog er daraus den Schluß, daß die Regierung ihre alt« Praxis fortsetzen will, und er ließ keinen Zweifel, daß ohne den Antrag das ganze Gesetz für die Sozialdemokratie unannehmbar ist. Die Abstimmung über den polnischen Antrag ergab die Beschlußunfähigkeit des Hauses, fie muß deshalb am Donners- tag wiederholt werden. Ferner stehen noch kleinere Etats auf der Tagesordnung._ Der StaatShauShaltsauSschust des prensiischen Abgeordnetenhauses beschäftigte sich am Dienstag mit dem Etat der landwirt - schaftlichen Verwaltung. Beim Titel.Minister" wurde gefordert, daß dem Flachsbau erhöhte Aufmerksamkeit zugewendet und die Moore als Naturdenkmäler erhalten werden mögen. Beim Titel.Landwirtschaftliche Lehranstalten" wurde allseitig zum AuS- druck gebracht, daß diese Schulen nach dem Kriege erhöhte Bedeutung gewinnen würden und daher dringend weiterer Förderung bedürfen. Klagen wurden dann erhoben über den Mangel an Tierärzten auf dem Lande. Betont wurde hierbei, daß es trotz dem Kriege all- gemein gelungen sei, ein Herübergreifen von Seuchen zu verhüten. Eine längere Aussprache entspann sich über die Forderung der Viehzucht. Die Regierung wurde gebeten, alles zu tun, was in ihren Kräften liege, um das Durchhalten der Rindvieh- bestände durch den Krieg zu ermöglichen. Auch möge zur Hebung der Geflügelzucht alles Mögliche getan werden.— Beim Kapitel „Fischerei" wurde auf die Notwendigkeit der Einrichtung von Fischereihäfen an der Ostsee und der Schaffung von Fischerei- Verwertungsgenossenschaften hingewiesen.— In der Landes« Melioration und Moorkultur sind während deö Kriege« erfteuliche Fortschritte gemacht worden;»19 Genosienschaften wurden gegründet, die 107 000 Hektar Land in Kultivierung genommen und reichlich 14 000 Hektar bereits fertiggestellt haben. Auch Privatbesitzer haben große Mengen von Oedländereien in Bearbeitung genommen.— Auch die Förderung des Obst-, Wein- und Gartenbaues wurde ver- langt._ Die nächste Reichstagsfitzung. Die nächste Sitzung des Reichstags findet am 18. März, nachmittags 2 Uhr. statt. Auf der Tagesordnung stehen Rechnungssachen und Petitionen. Die Arbeiten deS Reichstag« zerfallen diesmal in der Hauptsache in drei Materien: den Etat, die Steuergesetze«md die Wirt- schaftsfragen. Daß die Arbeiten vor Ostern erledigt werden können, ist vollständig ausgeschlossen. Man kann damit rechnen, daß sich die Tagung mindestens bis Ende Mai. vielleicht auch bis Anfang Juni hinziehen wird, worauf dann wieder eine längere Vertagung eintreten soll.— Der Haushaltsausschutz beginnt mit seinen Arbeiten am IS. März._
Steuerkämpfe. Die neuen Reichssteuern finden im großen ganzen die Villi- gung der Konservativen und Nationalliberalen. In der„Post" er- klärt sich Frhr. v. Zedlitz im Grunde genommen mit allem ein- verstanden. Die Kriegsgewinnsteuer ist seiner Zustimmung sicher, und er hebt lobend hervor, daß dabei auch„gebührend Rücksicht aus die Erhaltung der vollen Leistungsfähigkeit unserer Großbetriebe genommen ist". Die übrigen Steuern findet Zedlitz durchaus an- nehmbar. Besonders erfreut ihn, daß durch die geplant« Tabak- steuer der spätere Uebergang zum Monopol, wenigstens für die Zigaretten, nicht verbaut ist. Er hofft, daß die Widerstände, die sich auch gegen die Verkehrsabgaben geltend machen würden, über- wunden und die Steuern gut unter Dach gebracht werden. Weniger hoffnungsvoll sieht der nationalliberale Reichstags- abgeordnete B ö t t g e r den Berhandlungen über die neuen Steuern entgegen. Aus den Preßstimmen über die Steuerentwürfe hat er ein klares Bild über die Haltung der großen Parteien, in erster Linie des Zentrums und der Sozialdemokratie, nicht gewinnen können. Aufgefallen sei nur die Behauptung eines führenden Zentrumsblattes, daß die Sozialdemokratie� entschlossen sei, außer der Kriegsgewinnsteuer alle anderen Steuerpläne der Regierung glatt zu verwerfen. Träfe diese von anderer Seite bestrittene Meldung zu, dann falle dem Zentrum als der zweitstärksten Partei im Reichstag« die Aufgabe und vcrant- Wartung zu, um einen brauchbaren Kern von Finanzvorschlägen eine ausreichende Mehrheit zu gruppieren. Ms zum Frieden dürfte die Schaffung neuer Steuern unter keinen Umständen auf- geschoben werden. Ein solches Ausweichen würde in jetziger Zeit eine schwere Schädigung des Reichsinteresses und des Staats- gedankens bedeuten. Böttger ist mit der Kriegsgewinnsteuer ohne weiteres einverstanden. Auch gegen die anderen Steuern wendet
er wenig ein; gleiclhvohl aber glaubt er, daß im Rsichstage die Dinge nicht so glatt laufen: „Selbst an der Kriegsgewinnsteuer, über deren Zweckmäßigkeit keine MeinungSvevschicbenheit besteht, werden sich die Gemüter erhitzen und entzünden. Bei manchem wird die Enttäuschung, daß die Besteuerung nicht den gesamten oder doch drei Mertel des Kriegsgewinns aufsaugt, daß die Erbschaften und der Grundbesitz nicht in gleicher Weffe wie das mobile Kapital, wie Handel und Industrie herangeholt werden, scharfe Vor- schlüge und Entschlüsse zeitigen, und es wird schon hierbei vieler Ausgleichsarbeit der Mittelparteien bedürfen, damit die Steuer- gesetzgebung nicht im Sande verläuft. Geht man da mit flauem, nicht bis zum Eirde reichenden Willen an die übrigen Pläne des Reichsschatzamtes, die erheblich schwieriger und gefährdeter sind, an die Tabaksteuer, an Ouittungs- und Frachturkundenstempel und an die Reichsabgabe zu den Postgebühren heran, so ist wenig für die Mehrung der Reichseinnahmen zu hoffen." Böttger setzt sein« ganze Hoffnung auf die Geschicklichkeit des Reichsschatzsekretärs, der es verstehe, verwickelte Fmanzprobteme einfach und schmackhaft darzustellen und mit den Parteien umzu- gehen. Im übrigen hält Böttger die Finanzreform für dringend geboten, sonst gerate dag Reich in Selbstbetrug und schiechte Wirt- schaft hinein.
Phantasiepreise für Rindvieh. Der Profit, der von der Landwirtschaft während des Krieges erzielt wird, ist andauernd im Steigen begriffen. So berichtet die agrarische„Elbinger Zeitung' von der öl. Zuchtvieh- auktio» der westpreußischen Herdbuch-Gesellschaft: .Die Preise schnellten sprunghaft und erzielten eine Höhe. wie bisher noch niemals seit Bestehen der Herdbuch-Gesell- schaft. Kühe brachten bis zu 1200 M., Färsen bis zu 1150 M. und Bullen bis zu tööO M." Die Verkäufer haben also außerordentlich hohe Gewirate eingeheimst._
Eine eigenmächtige NemenSänderung hat sich der Druckfehler- teufel in unserer gestrigen Nummer erlaubt. Der Verfasser des Artikel?.Opferwilligreit" in der„Bossischen Zeitung", den wir an erster Stelle in der Politischen Uebersicht zitiertcn, heißt nicht Knabe, sondern Karlernst Knatz.
Mus öer Partei. Stellungnahme zur Fraktionöhaltuug. Eine Versammlung deS Sozialdemokratischen Vereins in Mainz , in der Genosse Dr. David referierte, nahm eine Re- solution an, in der der Standpunkt der Mehrheit der Reichstag«. fraktion gebilligt wird. Die Resolution besagt u. a.:.Solange die feindlichen Mächte nicht zu einem Frieden bereit sind, der die Poll- tische Unversehrtheit Deutschlands und seiner wirtschaftlichen Entwicklungsfreiheit verbürat, kann das Ziel seiner Sicherung nicht als erreicht gelten, solange bleibt die Verteidigung des Vaterlandes das höchste Gebot der Stunde." Die Resolution gibt dann dem Dank und der Bewunderung Aus- druck für die Leistungen unserer Truppen und fährt dann fort:.Die Versammlung verurteilt da» Vorgehen der Fraktionsminderheit aus« schärfste. Eine die innere Einheit der sozialdemokratischen Partei und deS deutschen Volkes zerstörende Politik fördert nicht die Friedens- geneigtheit bei unseren Gegnern, sondern belebt deren Hoffnungen auf den endgültigen Sieg; fie dient darum nicht dem Frieden, son- dem verlängert den Krieg. .Die Versammlung anerkennt die von der ReichstagSfraktion ent- faltete energische Tätigkeit zur Beseitigung der inneren Mißstände auf dem Gebiete der Lebensmittelverteuerung. Sie erwartet, daß die Regierung durch rücksichtsloses Durchgreifen dem Treiben ge- wissenloser Profitjäger endlich ein Ende macht." * Eine Mitgliederversammlung der Parteiorganisasion im 12. badischen ReichStagSwahlkrei», die in Heidelberg stattfand. beschäftigte fich mit der.gegenwärtigen Sage der Partei". Genosse Abg. O. Geck- Mannheim referierte zu dem Thema. Da§ Ergebnis der Aussprache war die nahezu einmütige Zustimmung der Ver- sammelten zum Standpunkt des Referenten. Das Vorgehen der Minorität der ReichSiagssraktion, und insbesondere der Liebknecht- gruppe, wurde zurückgewiesen.
Säckerinnungen und Gesellenlöhne. Schon im August 1914, also unmittelbar nach Ausbruch des Weltkrieges wandte sich im Auftrage der Berliner Verwaltung des Bäckerverbande« der Gauleiter H e tz s ch o l d an den Vorsitzenden deS ZweckverbandsS der Bäckerinnungen, Obermeister Fritz@ ch m i d mit dem Ersuchen, eine Vereinheitlichung der Arbeitsvermittelung herbeizuführen, um dem damals einsetzenden Druck auf die Aesellenlöhne entgegenzuwirken, kurz, eine Arbeitsgemein- schaft mit dem Verband herbeizuführen. Aber der Ober- meister hielt es nicht einmal ftlr notwendig, auf dieses Gesuch zu antworten. Mittlerweile konnten die Gesellen infolge deS großen Gesellenmangels ihre Löhne nicht unwesentlich erhöhen. Leider steht die Erhöhung der Löhne noch lange nicht im richtigen Verhältnis zu der Verteuerung der Lebenshaltung. Die Lohnerhöhung beträgt nach den Angaben deS paritätischen Arbeits- Nachweises für ISIS gegen da« Vorjahr durchschnittlich etwa v M., oder SS Proz. Die Kosten der Lebenshaltung find aber schlecht ge- rechnet, in dieser Zeit um das Doppelte und mehr gestiegen, so daß eigentlich die Gesellenschaft nicht bloß keinen Vorteil, sondern eher einen nicht unbeträchtlichen Lohnausfall zu buchen hätte. Nichtsdcslo- weniger scheint aber den Bäckerinnungen auch diese Lohnerhöhung. die doch angesichts der viel besseren Verdienstmöglichkeit der Böcker» meifter nur allzu gerechtfertigt ist, ein Dorn im Auge zu sein und sie versuchen alles, um die Löhne wieder herabzudrücken. Schon zu Anfang diese« Jahres hatten sich einige Bororts- innungen an das Generalkommando mit dem Verlangen gewandt, den Bäckerinnungen Kriegsgefangene oder Kriegsbeschädigte in größeren Massen zuzuweisen, oder die Reklamationen der Bäcker- meister in großem Umiang«, möglichst generell bewilligen zu wollen. Aus eine Rückfrage an den märkischen Arbeitsnachweis mußt« schon damals erwidert werden, daß zurzeit nicht bloß kein Gesellen- Mangel bestehe, sondern daß durch die Beschränkung in der Kon- dilorei und in Zucker« und sonstigen Teigwarenfabriken herbei- geführt, ein sehr erhebliches Ueberangebot von Arbeitskräften vor- Händen ist. Am 26. Januar wandte fich im Auftrage des Bäckerverbandes Gauleiter Hetzschold in einer längeren Abhandlung gegen die Ber - suche der Bäckerinnungen, den Gesellen ganz allgemein Lohnireibe- reien, begünstigt durch Gesellenmangel, vorzuwerfen. Run scheint besonders die Bäckerinnung zu Berlin auf einen ganz neuen Trick verfallen zu sein. Am 25. und 26. Februar konnten wir folgendes Inserat in der.Morgenpost" lesen: „50 Bäckergesellen und 30 Werkmeister werden sofort an- genommen. Wöchentlicher Verdienst: Werkmeister 66 Mark, Kneter init Schieben 45 Mark, 3. Gesellen 37 Mark. Zu melden: Kraut- straße 8, Bäckerinnung Germania." Dieses Inserat ist in mehr als einer Hinsicht bezeichnend. Es soll zunächst den Anschein erwecken, als bestehe ein Mangel an Arbeitern, während doch in Wirllichlett, besonder« nach den letzten
Einschränkungen des Brotkonsums— Verminderung der Brotkarte und Einschränkung der Zusatzkarten, sowie der Einschränkung in Konditoreien und Teigwarenfabriken— ein großes Ueberangebot von Arbeitskräften vorhanden ist, das sich der Zweckverband der Bäckerinnungen auch sofort zunutze zu machen wußte, wie folgende Bekanntmachung in der Nr. 7 der„Bäckerinnungszeitung" vom 13. Februar 1916 zeigt. Dort heißt es: „Da in unserem Jnnungs-Zentralarbeitsnachweis wieder reichlich Arbeitskräfte vorhanden sind, ist es Pflicht jedes Kollegen. nur unseren Arbeitsnachweis in der Krautstr. 38 zu benutzen; ebenso gilt das für Konditoren ebendort."... Also nach der Bäckerinnung waren am 13. Februar reichlich Arbeitskräfte vorhanden, und es mußte auf die Bäckermeister wieder ein Druck ausgeübt werden, um de« paritätischen Fach« arbeitsnachweis besser unterdrücken zu können; am 25. und 26. Februar aber suchte man durch Inserate eine verhältnismäßig große Menge von Gesellen. — Was geht hier vor? Räch Angaben des Arbeitsvermittlers im paritätischen Arbeits- Nachweis für das Bäckergewerbe meldeten sich zu damaliger Zeit zu jeder zu besetzenden offenen Stelle etwa sechs und acht Bewerber. Es lag also zu dem Inserat der Innung nicht bloß kein Bedürfnis bor , sondern dies war für die Gesellen direkt gefährlich. Es mußte, wenn es wirksam war. die ohnehin schon mehr als große Arbeits« lostgkeit der Gesellen noch außerordentlich vergrößern. Dabei muß bemerkt werden, daß die Lohnangaben tm Innung«- inserat im krassen Widerspruch zu den Löhnen stehen, die nach An« gaben des paritätischen Arbeitsnachweises im Jahre 1915 wirklich bezahlt wurden. Nach dem Jnnungsinserat sollen die Werkmeister wöchentlich 56 M. verdienen. Nach dem Jahresbericht des paritätischen Arbeits- Nachweises für 1915 jedoch hatten von 349 vermittelten Werkmeistern 343 einen geringeren Lohn als 56 M., 247 verdienten noch weniger als 50 M. die Woche und nur sechs hatten 66 und mehr Mark die Woche. Wie es aber bei den Werkmeistern aussah, so ähnlich sah es bei den Knetern und dritten Gesellen aus. Wenn die Innung mit aller Gewalt den Anschein zu erwecken sucht, als seien die Gesellenlöhne ungebührlich gesteigert worden, so muß demgegenüber deutlich darauf hingewiesen werden, daß nach dem Jahresbericht des paritätischen Facharbeitsnachweises für das Bäckergewerbe zu Berlin der Durchschnittslohn von 28,97 im Jahre 1914 auf 38,56 im Jahre 1915, also um etwa 33 Proz. ge- stiegen ist. Eine Steigerung, die angefichtö der gewaltigen Teuerung doch nur allzu berechtigt ist. Der Bäckerinnung mag fie wohl doch noch viel zu hoch sein und sie sucht die Löhne nun auf Umwegen herahzudrücken, indem sie künstlich die Arbeitslosigkeit zu vergrößern sucht. Aber haben die Bäckergesellen nicht bisher schon jeden, auch den kleinsten Vorteil nur gegen den erbitterten Widerstand dieser Innungen sich erzwingen müssen?
Mus Groß-öerlia. Ist das wahr? Eine Korrespondenz ichreibt: Auf den ausgedehnten Riesel- feldern um Groß-Berlin kann man die Beobachtung machen, daß dort gewöhnliches Gras angebaut wird. Verwundert find wir of: mündlich und schriftlich gefragt worden, ob jetzt in KriegSzettcn ein so ausgedehnter Anbau von fast wertlosem Gras angebracht erscheint, wo Kartoffeln, Grünkohl, Spinat, Mohrrüben und anderes Gemüse nicht nur knapp, sondern auch noch sehr teuer sind, jedenfalls mehr einbringen und wertvoller sind, als Gras, das nach den Angaben der Einsender aus Weißensee, Lichterfelde , Lichtenrade , Spandau , Britz . Reukölln usw. in vielen Fällen draußen auf dem Felde ver- fault. Wir sind leider nicht in der Lage, die Gründe anzugeben, weshalb die Güter statt Kartoffeln und Gemüse in großen Mengen Gras anpflanzen, das heute, wo die Molkereien in Berlin genügend Küchenabfälle verfüttern können, nur ganz geringen Wert besitzt.
Der Fall Schellpfeffer. Der Riederbarnimer Kreisausschuß hat die Bestätigung der Wahl Schellpfeffers zum besoldeten Schöffen von Friedrichsfelde « Karlshorst abgelehnt. Gegen diese Entscheidung steht dem Abgewiesenen nun noch die Anrufung des Potsdamer Regierungspräsidenten oder des Oberverwaltungsgerichts frei. Der Protest gegen die Gültigkeit der Wahl Schellpftffers stützt fich darauf, daß die Wahl nur mit einer Mehrheit von einer Stimme erfolgt ist und bei der Wahl Irrtümer vorgekommen sind. So wurde behauptet, daß der Beschluß der Gemeindevertretung ursprünglich dahin gelautet habe, daß das Schöffenamt nur mit einem uristen oder einer Persönlichkeit besetzt werden sollte, die ie zweite Staatsprüfung bestanden hat oder die Reife zum Richteramt besitzt. Alle diese Voraussetzungen treffen auf Schell- pseffer nicht zu, der Militäranwärter war und Stadtsekretär beim Berliner Magistrat ist. Ferner haben die Einsprechenden noch« gewiesen, daß die Sitzung des WahlouSschussecS, die zum Borschlage Schellpsessers führte, nicht ordnungsgemäß einberufen worden war. Aus allen diesen Gründen bat der Kreisausschutz der Wahl Schell- Pfeffers die Bestätigung versagt. Sofern Schellpseffer gegen diesen Entscheid nicht Einspruch erhebt, ist damit der Konflikt erledigt. Die riedrichsfelder Gemeindevertretung wird fich schon in den nächsten agen mit dieser Angelegenheit belchäftigen. Sie hat eine Reuwahl für den nach Berlin verziehenden Berliner Stadtsekretär vorzunebmen und darüber Beschluß zu fassen, ob sie fich ebenfalls bei der Ent- fcheidung des Kretsausschnsses beruhigen und demzufolge eine neue Schöffenwahl vornehmen soll oder ob fie es mit Schellpseffer auf ein Berwaliungsstreitverfahren ankommen lassen soll. Ter Arzt will bar Geld sehen. - Schon öfter wurde im„Vorwärts" an Beispielen gezeigt, daß manche Aerzte bei Unbemittelten sofortige Bezahlung fordern. So ist es jetzt wieder einer in Lichtenberg wohnenden Kriegerfrau ergangen, die wegen Magenftämpfen zur Nachtzeit einen Arzt herbei- holen lassen mußte. Der Sohn, den fie mit diesem Auftrage aus- sandle, baite Glück:>chon beim dritten Arzt fand er Gehör. Ein zunächst aufgesuchter Arzt ihrer Krankenkasse war nicht zu Hause; bei einem anderen Arzt erklärte das Dienstmädchen, zu einem Kassenrniiglied könne der Herr Doktor nicht kommen; ein dritter aber wurde zu Haufe angetroffen und kam ohne weiteres mit. Die Kranke lag im Belr und wand sich in Schmerzen. Als der Arzt bei ihr eintrat, ftagte er:.Sind Sie in einer Kasse?" — Sie nannte ihm die Kasse, der fie angehört.—„Sind Sie der Mann?" wandle er sich an den knapp achtzehn- ädrigen Sobn. Für ihn aniwortete die Mutter:.Mein Mann ist seit dreizehn Monaten eingezogen."—„Sie müssen mir," sagte der Arzt.„10 M. zahlen." Er war also keiner der für ihre Krankenkasse tätigen Aerzte. Was sollte die Mutler tun? Sie wies den Sohn an:„Gteb dem Herrn Doktor die 10 Mark." Der Sohn holte aus dem Nebenzimmer das Geld und überreichte eS dem Arzt— und dann schritt dieser zur Hilfeleistung. Am folgenden Tage gab es übrigens bei der Krankenkafie eine Beanstandung, weit dem Kassenmiiglied auf das gezahlte Nachlbesuch- Honorar eigentlich nur vier Mark zurückerstattet werden sollten. Man war über die Höhe des Honorars verwunden und ließ erst mal bei dem Herrn Doktor anfragen, ob da nicht ein Irrtum vorliege. Doch der