schieb. Auch er sympathisierte freilich nicht mit den liberalen Zielen der großen gesellschaftlichen Verbände, die neuerdings von der Regierung recht hart angefaßt werden. Er war aber trotzdem ein Befürworter eines gewissen Kompromisses mit diesen Ver- bänden, ohne deren Mitarbeit er mit Recht eine Bewältigung der ungeheuren Arbeiten, namentlich auf dem Gebiete der Landes- Verpflegung, für unmöglich hielt. Durch eine solche Haltung trug er in das tiefe Schwarz, das die Politik des jetzigen Minister- kabinetts kennzeichnet, einen gewissen Mißton hinein. Zur Herbei- führung der erforderlichen„Homogenität" der Regierung mußte er beseitigt werden, und diese Operation gelang um so eher, als der Landwirtschaftsminister durch seine Lebensmittelpolitik die heftige Gegnerschaft einflußreicher agrarischer Kreise geweckt hatte. Schon in der Sitzung des Reichsratcs vom IS. Juni wurde tvon der sogenannten„landwirtschaftlichen Gruppe", der die Ver- treter der äußersten Rechten angehören, eine Anfrage über die kritische Lage der Landwirtschaft eingebracht, deren Spitze sich gegen den Landwirtschaftsminister richtete. In ziemlich düsteren Farben wurde in dieser Anfrage die Lage der Landwirtschaft geschildert, und zwar zu dem Zweck, die Haltung des Landwirtschaftsministers in der Frage der Höchstpreise zu erschüttern. Der Landwirtschafts- minister wollte die eingebrachte Anfrage sofort beantworten und drohte sogar in der Sitzung des Ministerrates mit der Demission, allein die Mehrheit des Kabinetts sprach sich gegen diese Absicht Naumows aus. Diesen Beschluß unterstützte die Mehrheit des Ministerrates noch durch ihre Abstimmung im Reichsrate, wo die Frage auch wirklich vertagt wurde, und arbeitete damit den Ab- sichten der Agrarier vollkommen in die Hände. Denn eben durch diese Vertagung gelangten die Anhänger der Erhöhung der Höchst- preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse in den Besitz eines scharfen Pressionsmittels auf den Landwirtschafts- m i n i st e r, das ihn zwingen würde, bei der Nachprüfung der Höchstpreise im September, nach der Einbringung der Ernte, sich den Wünschen der Agrarier gegenüber gefügiger zu zeigen. In dieser Aktion der Agrarier offenbarte sich deutlich der ganze Zweck des Vorgehens gegen den Landwirtschaftsminister, das jetzt zu seiner Demission geführt hat. Nun wäre es durchaus verkehrt, wenn man aus diesem Kon- flikt zwischen dem Landwirtschaftsminister und den einflußreichen Großgrundbesitzern— denn eben diese waren die treibenden Kräfte der gegen ihn einsetzenden Aktion— den Schluß ziehen wollte, daß der Minister lein mitfühlendes Herz für die„leidende Landwirtschast" hatte. Das wäre schon aus dem Grunde unmöglich gewesen, weil er selber als Großgrundbesitzer und Konservativer durchaus auf dem Boden der agrarischen Schutzzollpolitik steht. Auch feine Politik der Preisfestsetzung für landwirtschaftliche Erzeugnisse ließ keines- Wegs die Fürsorge für die Interessen seines Standes vermissen. Sg wurden die Getreidehöchstpreise, die übrigens nur für die Liefe- rungen an die Armee Geltung haben, zu einer Zeit festgesetzt, wo sie mit etwa 70— 80 Proz. über den Friedenspreisen standen. Bei der Festsetzung dieser Höchstpreise waren die Gutachten der ort- lichen Großagrarier maßgebend. Ebenso wurden auch die Höchst- preise für Vieh durch einen besonderen Kongreß der Landschafts- leute, also in erster Linie der Vertreter des Großgrundbesitzes, im Mai d. I. in einer Weise ausgearbeitet, die den Interessen der Agrarier in weitgehendstem Maße entsprach. So wurden auf diesem Kongreß Höchstpreise für Hornvieh festgesetzt, die das Vierfache der Friedenspreise und das Dreifache der Herbstpreise des Jahres lOlS darstellten. Alle diese Konzessionen an die Landwirtschaft, von denen natürlich hauptsächlich der Großgrundbesitz profitiert, erschienen den Agrariern aber immer noch zu gering. Vorsorglich hatte der Land- wirtschaftsminister den Getreidemarkt für den Konsum der Zivil- bevölkerung für die Spekulation oder richtiger für den Lebens- mittclwucher freigegeben, der sich denn auch in der ungeheuerlichsten Weise betätigt. Indessen bildeten die vom Landwirtschaftsminister festgesetzten Höchstpreise einen gewissen Damm für das weitere Emporschrauben der Lebensmittelpreise. Dieser Tamm mußte be- seitigt werden, und er wurde um so leichter beseitigt, als der Kampf um die Bcutelintcresscn der Agrarier verknüpft werden konnte mit dem Kampf gegen die angeblichen„liberalen Neigungen" des zu„schwachen" und zu„nachgiebigen" Ministers. Die /lrbeiterkonferenz von Leeds und der �vanti". Gleichzeitig mit dem Gewerkschaftskongreß tagte bekanntlich zu Leeds eine Gewerkschaftskonferenz der Ententeländer, deren ein- fettige Zusammensetzung und nationalistisch schillernde Tendenz schon vor ihrem Zusammentritt besonders in Italien eine heftige Opposition entfacht und den schon mehrfach erwähnten, jede Be- teiligung an dieser Konferenz ablehnenden Beschluß der italienischen Gewerkschaftskonsöderation zur Folge gehabt hat. Jetzt, wo nähere Einzelheiten über die Tagung zu Leeds bekannt werden, erscheint das tiefe Mißtrauen der italienischen Arbeiter gegen diese Ver- anstaltung mehr als gerechtfertigt. In der Nummer vom 7. und 8. Juli berichtet der„Avant i" Näheres über die ersten Verhand- lungen und den weiteren Verlauf der Zusammenkunft und nimmt kritisch dazu Stellung. Auf der Konferenz seien Arbeiterorgani« sationen Englands, Frankreichs , Italiens , Rußlands , Belgiens und Portugals vertreten gewesen. Die italienische Vertretung hätte aus den Delegierten Cabrini, Cald a und B o n f i g l i sowie einer weiteren Gruppe bestanden, die durch de A m b r i und B a z z i repräsentiert wurde. Wie schon berichtet, hat die Konferenz zwei Anträge zu Fall gebracht, erstens den der amerikanischen Arbeitskonföderation: zugleich mit dem Friedenskongreß einen Ge- Werkschaftskongreß abzuhalten, und zweitens den Antrag der fran- zösischen Delegierten: Garantien für die Freiheit der Meere nach dem Kriege zu fordern. Beiden Anträgen wären die englischen Abgeordneten mit besonderer Energie entgegengetreten. Ferner habe die Konferenz einen Antrag auf Errichtung einer inter - nationalen Gewerkschaftsunion in der Schweiz , wo- möglich in Genf , angenommen. Dagegen scheine die E i n w a n- derungsfrage in Leeds keine große Rolle gespielt zu haben. Die Veranstaltung eines gewerkschaftlichen Friedenskongresses, erklärt der„Avant i", habe nie seine Billigung gefunden. Ein solcher Kongreß hätte nur dann einen Sinn, wenn durch ihn der absolute Gegensatz der proletarischen und der b ü r g e r- lichen Regierungspolitik zum Ausdruck gebracht werden könnte. Aber die American Federation of Labour habe sicher keinen Kongreß von Rebellen veranstalten, soirdern vielmehr die Arbeiter- führer für die Zusammenarbeit mit den bürgerlichen Klassen gewinnen wollen. Der Kongreß hätte den Diplomaten vermutlich ein schönbeschriebencs Stück Papier mit den Forderungen der Arbeiter zur freundlichen Erwägung unterbreitet und darum hätten S o n n i n o und T i t t o n i die Menschheit nicht nur mit dem Frieden der Nationen, sondern auch mit dem allgemeinen Klassenfticden beglückt. Doch eine solche Perspektive ist nicht der Grund, weswegen dieser Vorschlag in Leeds abgelehnt wurde, denn dort. hätten ja lauter Anhänger der tlnicrn sacree(des Burgfrie- densj getagt. Der Grund läge vielmehr in der Entente- poltik, die von den Arbeiterführern ä la Cabrini, Jou-
h a u x und A p p l e t o n mitgemacht würde. Nach dem Kriege solle bekanntlich der Wirtschaftskrieg weiter fortgesetzt werden, und daher sollen sich die Arbeiter der Entente nicht mit denen der feindlichen Staaten zu einem Kongreß vereinigen. Die Deutung des Beschlusses finde eine Bestätigung in der Ablehnung des andern Antrages, die gleichfalls beweise, daß jene Leute, die gegen den deutschen Imperialismus wettern, den englischen für ihn eintauschen möchten; eine weitere Bekräftigung dieser Vermutung stelle ferner die Annahme des Antrages dar, den Sitz der internationalen Arbeiterbewegung nach Genf zu verlegen, das wegen seiner geographischen Lage und der Rückständigkeit der dortigen Arbeiterorganisationen am wenigsten hierzu geeignet erscheine. Es hätte viel näher gelegen, Zürich oder Bern dazu auszuersehen. Aber dort werde ja deutsch gesprochen! Wenn übrigens nach alledem der tendenziöse und rückständige Charakter dieser Konferenz noch dem leisesten Zweifel ausgesetzt sein konnte, so müßte jede Ungewißheit nach dem Bericht schwin- den, den ein bürgerliches Blatt, wie der„Secolo", über die weiteren Vorgänge auf dem Kongreß zu Leeds zu bringen in der Lage wäre. Alle Ausreden und Versuche, diese Konferenz als eine harmlose Zusammenkunft zwecks Besprechung gewisser rein technischer und beruflicher Fragen hinzustellen, würden durch diesen Bericht Lügen gestrast, denn nunmehr sei es dokumen- tarisch erwiesen, daß die Konferenz nur eine Falle der kriegerischen Ententepolitiker darstelle. Hiernach werde die„Societq Umapitaria", in deren Namen Cabrini sprach, ihre apolitische Tendenz un- möglich noch aufrechterhalten können, ebensowenig wie die Neutra- litätsapostel in den Arbeiterorganisationen gegenüber ihren Mit- gliedern noch den Standpunkt vertreten können, sie trieben keine Politik. Jetzt habe sich endlich der Apolitizismus als eine elende Fiktion und eine jesuitische Mystifikation enthüllt. Der Korrespondent des„Secolo" habe nämlich die italienischen Delegierten während ihres Aufenthalts in London gesprochen und wisse auf Grund der ihm von diesen gemachten Mitteilungen fol- gendes über die Arbeiterkonferenz der Entente zu berichten: Die Internationale Föderation der Transportarbeiter, die ihr Zentralkomitee in Deutschland habe, hätte nicht in Betrieb gesetzt werden können, daher hätten die Vertreter der Eisenbahn -, Werft- und Hafenarbeiter beschlossen, eine Konferenz einzuberufen, die im September zu Paris tagen und die wichtigsten Fragen des Transportwesens untersuchen und durchberaten soll. Die eng- tischen Transportarbeiter hätten den Auftrag erhalten, diese Konferenz vorzubereiten. Die italienischen, belgischen und fran- zösischen Delegierten hätten eine besondere Sitzung abgehalten, die der Auswanderungsftage sowie der Einwanderung fremder Arbeite: nach Frankreich während des Krieges gewidmet gewesen wäre. Cabrini von der„U m a n i t a r i a" habe ein Telegramm des Senators de la Torre und des Professors O s i m o verlesen, das die Beteiligung der Fondazione Loria an der Initiative zum Schutz der Einwanderer in Aussicht stelle und der Konferenz Erfolg zu ihren Verhandlungen wünsche. Die Delegierten Italiens hätten beschlossen, diese Frage in Paris zur Sprache zu bringen, wo sie mit den Vertretern der französischen Regierung über die Auswanderungsfrage konferieren würden. Nach Beendigung der Arbeitcrkonfercnz hätten die T r a d e S- U n i o n s ein Bankett zu Ehren der fremden Abgeordneten ver- anstaltet, auf dem Oberst Ward, der bekannte Schöpfer eines Erarbeiterregiments, ein Hoch auf die Gefallenen ausgebracht habe. A p p l e t o n, der Sekretär der englischen Arbeiterkonföderation, habe die Bedeutung der italienischen Intervention her- vorgehoben und auf die Schwierigkeiten des GebirgskriegS hinge- wiesen. De Ambris hätte dann in seiner Antwort bemerkt, der imperialistische Geist der Deutschen habe die alte Arbeiter- internationale getötet, doch sei eine neue Internationale gegen ihre Zerstörer in der Bildung begriffen. Cabrini habe hierauf an den Besuch der englischen Minister in Rom erinnert und einen Gegenbesuch der italienischen Minister in London zum Zwecke einer wirksameren Durchführung der Idee der einen Front und des einen Krieges gegenüber dem ge- meinsamen Feind angekündigt. Dieser Besuch würde der Absicht der Sicherung und Durchführung eines Friedens auf Grundlage der Gerechtigkeit und Demokratie große Dienste leisten. Er habe dann mit einem Hymnus auf die Erfolge der Arbeiter geschlossen, die sich durch ihre großen Leistungen während des Krieges eine bedeutende Erweiterung ihrer Rechte erkämpft hätten." So weit der„Secolo". Der„Avanti" bemerkt dazu:„Hiernach wird es keiner mehr wagen, den politischen und kpiege- r i s ch e n Charakter der Zusammenkunft in Leeds zu leugnen und zu verlangen, daß die italienischen Arbeiter, die dem Prinzip des Klassenkampfes treu geblieben sind, Delegierte abordnen, um mit den Jouhaux, Appleton und Ward Konferenzen und Bankette abzuhalten____ Der Apolitizismus ist tot. Die Apolitiker haben ihn getötet."_(z)
Kriegsdebatte im(pberhaus. London , 18. Juli.<W. T. B.) Oberbau s. Der Herzog von R u t l a n d fragte, ob die Regierung beabsichtige, sofort eine Vorlage einzubringen, die dem Sdmiral John Jellicoe . und den Offizieren und Mannschaften der großen Flotte für den Sieg bei Jütland den Dank des Parlaments ausspräche. Redner sagte, viele verwundete Seeleute, die bei OueenSferry und in anderen Seehäfen gelandet wurden, seien von dem Publikum ausgezischt und ausgepfiffen worden und Offizieren, die bei OueenSferry und anderen schottischen Häsen landeten. hätten die Droschken- k u t s ch e r, die sie nach Hause fuhren, zu ihrer Niederlage ihr Beileid ausgesprochen. Das sei wesentlich die Folge der unglücklichen ersten Mitteilung der Admiralität über die Schlacht gewesen. Das Parlament sollte jetzt der Flotte seine Anerkennung aussprechen. Lord C r e w e antwortete im Namen der Regierung. niemand zweifle jetzt, daß die Schlacht nichts anderes als ein Er- folg für England gewesen sei, aber die Regierung halte es für richtig, eine förmliche Danksagung des Parlaments auf- zuschieben. Lord W e m y ß beantragte eine vollständige Untersuchung über die gesamte Führung des Feldzuges sn Mesopot am i e n, besonder? mit Rücksicht auf die Vorbereitungen für die Beförderung und die Versorgung der Verwundeten. Redner sagte, die Artillerie von General Townshcnd sei so veraltet und unzulänglich gewesen, daß er sie getrost den Türken hätte übergeben können. Bei einer Schlacht habe die telephonische Verbindung gefehlt und am 21. Januar, wo alles darauf angekommen sei, daß die Truppen über den Fluß gesetzt würden, hätten die Pioniere kein Material zum Brückenbau gehabt. Lord C r e w e sagte, die Re- gierung sei bereit, eine Untersuchung anzustellen. Lord C r o m e r wies darauf hin, daß die militärischen Reformen, die Lord Kitchener als Oberkommandierender in Indien durchgeführt hätte, ungünstige Folgen gehabt hätten, die sich in diesem Kriege ge- zeig: hätten. Kitchcner habe den Fehler gemacht, daß er sich über die indischen Fragen eine bestimmte Meinung gebildet hatte, bevor er nach Indien ging. DaS Ergebnis seiner Reformen sei äußerst unglücklich gewesen, und die Vorgänge in Mesopotamien enthielten die vollständige Rechtfertigung der Haltung, die der da- malige Vizekönig von Indien Lord Curzon einnahm. DaS HauS nahm den Antrag von Lord Wemytz an.
Der Kohlenwucher in England. London , 21. Juli. (W. T. B.) Der ausführende Ausschuß der Bergleute von Großbritannien veröffentlicht eine Entschließung, in der er sich scharf dagegen wendet, daß das Handelsamt den Forde- rungen der Zechcnbesitzer nachgegeben und den Vertragspreis für Kohlen beträchtlich erhöht hat. Der Präsident des Verbandes S m i l l i e erklärt, die Bergleute kennten die ungeheuren Ge- Ivinne der Zechenbesitzer. Bei vielen Gruben hätte der Wert der Anteile in den letzten zwei Jahren sich verdoppelt und es wäre nicht zu verwundern, wenn die Bergleute sich weigern lvürden, mit der Förderung von Kohlen sortzu- fahren. Casements Appellation an das Gberhaus abgelehnt. London , 20. Juli. (W. T. B.) Der Gcncralanwalt hat Cafements Antrag, gegen das Todesurteil an das Ober- Haus zu appellieren, keine Folge gegeben und ihm anheimgestellt, ein Begnadigungsgesuch an den König zu richten. Die englische Regierung gegen den „JTabour Leader". Dem tapferen Organ der Unabhängigen Arbeiterpartei ist von der englischen Negierung die ehrende Anerkennung widerfahren, daß seine unermüdliche Aktion für den Frieden und gegen die naliona- listische Verhetzung unbequem wird. Die Regierung hat nämlich den Postversand des„Labour Leader" nach dem Ausland untersagt. Somit ist jetzt offiziell verfügt, was geraume Zeit schon— wenn auch mit mangelnder Konsequenz— praktiziert wurde. Es hat nämlich schon früher Adressen gegeben, die das Blatt nicht erreichte. Dazu gehörte z. B. das Internationale Soziali st is che Bureau im Haag. Freilich gibt eS noch größere englische Post- kuriosa. Dazu gehört vor allem die U n t e rs ch l a g u n g von Briefen des genannten BureauS an einen belgi- f ch e n M i n i st e r l_
Letzte Nachrichten. Der neueste Lcnsch-Streich. Leipzig , 22. Juli. (W. T. B.) Unter der Ueberschrift: „L e n s ch über Mehring" veröffentlichen die„Leipziger Neuesten Nachrichten" einen offenen Brief Paul Lensch ' an Franz Mehring . Reichstagsabgcord- neter Dr. Lensch, der von 1905 bis 1913 die„Leipziger Volks- zeitung" leitete, sieht sich, wie er selbst sagt, genötigt, die „Leipziger Neuesten Nachrichten" um literarischen Waffen- schütz gegen fein altes Blatt zu bitten. Franz Mehring hat bekanntlich in der„Leipziger Volkszeitung " zwei lange Artikel gegen das im Hirzelschen Verlage erschienene Buch von Lensch :„Die Sozialdemokratie, ihr Ende und ihr Glück" ge- schrieben. Eine Erwiderung von Lensch aufzunehmen, hat die Schriftleitung der„Leipziger Volkszeitung " sich geweigert. Aehnlich ist es Lensch mit dem„Vorwärts" ergangen. Er erklärt hierzu: Nunmehr hat auch dieses Blatt mir die Mög- lichkeit, mich dort zu verteidigen, wo man mich angriff, brutal abgeschnitten und damit ein Zensurstückchen geliefert, das selbst in diesen Kriegszeiten Anspruch auf Sensation erheben kann. Ich sehe mich daher genötigt, bei der bürgerlichen Presse Leipzigs um das bißchen Preßfreiheit zu bitten, was ich brauche, und das mir die sozialdemokratische Presse Leip- zigs verweigert hat. Lensch ' Erwiderung wird daraufhin von den„Leipziger Neuesten Nachrichten" im Wortlaut abgedruckt.
Erneute Verletzung der schwedischen Neutralität durch Rußland . Stockholm , 22. Juli. (W. T. B.)(Meldung des schwedischen Telegraphenbureaus.) Die vier deutschen Frachtdampfer„M a- laga",„Friedrich Carr",„G r e t ch e n m ü l l e n" und „Kette" wurden„Aftonbladet" zufolge in der letzten Nacht beim Eingang zum Hafen bon Lulea im schwedischen Hoheitsgebiet von zwei russischen Zerstörern verfolgt und zum Stoppen aufgefordert. Das schwedische Torpedoboot„Virgo" steuerte dann in voller Fahrt gegen die russischen Fahrzeuge, die sogleich um- kehrten und gegen Süden entflohen. Die„Virgo" verfolgte, fertig zur Aktion, die fliehenden russischen Schiffe. Die deutschen Dampfer liefen nachts ein Uhr im Hafen von Lulea ein. Stockholm , 22. Juli. (W. T. B.) Meldung des Schwedischen Telegrammbureaus. Die schwedische Regierung hat ihren Ge- sandten in Petersburg beauftragt, bei der russischen Regierung gegen die Verletzung ihrer Neutralität in der Malaga-Virgo-An- gelegenheit Einspruch zu erheben.
Holländische Proteste gegen England. Amsterdam , 22. Juli. (W. T. B.) Gegen die Eingriffe der englischen Regierung in die holländische N o r d s e e f i s ch e- r e i hat auch die Seemannsvereinigung Volharding in Rotterdam Stellung genommen. In einem Telegramm an den englischen Gesandten im Haag protestiert sie„gegen diese grobe Rechtsschändung, die eine Regierung begeht, die sich als Beschirmer der Interessen der kleinen Nationen hinstellt". Das Haagcr Blatt „Nieuwe Courant" schreibt: Ohne jeden Schein des Rechts, ja selbst ohne ihre Absicht vorher anzukündigen, hat die britische Regierung, die als Kämpfer für die Rechte der kleinen Nationen in den Krieg zog, gegenüber der friedlichen niederländischen Fischerei in der Nordsee eine Maßregel ergriffen, die das Todesurteil dieser Fischerei bedeutet, falls es nicht etwa noch gelingt, der britischen Regierung die Augen über das entsetzliche Unrecht zu öffnen, das sie, auf ihre Seemacht gestützt, im Begriff steht, gegen- über einer neutralen Nation zu begehen. Wir wollen die Hoffnung noch nicht aufgeben, daß es gelingt. Aber England hat tatsächlich bereits den Vorschlag gemacht— gegen Bezahlung—> unsere Heringsflotte beiseite zu schaffen. Welchem Niederländer treibt das nicht die Schamröte in die Wangen. Nicht genug, daß unser Handel in Bande geschlagen ist und daß von unserer wirtschaftlichen Unabhängigkeit immer mehr verloren geht, müssen wir uns jetzt auch gefallen lassen, daß man uns den Verzicht auf unser Recht gegen ein Trinkgeld vorschlägt. Das paßt allerdings vollständig in den Rahmen des Kampfes für die Rechte der kleinen Nationen. Das sozialdemokratische Blatt„H e t Volk" schreibt im Anschluß an den Protest der Scemannsvereinigung: Wir unterstützen diesen Protest mit aller Kraft. Die Maßregel, die England hier gegen die niederländische Regierung anwendet, ist ein Kriegsakt gegen «in Land, mit dem es in Frieden lebt, ein Kriegsakt gegen«in neutrales Land, das während des ganzen Krieges den Beweis ge- liefert hat, daß es neutrat bleiben will; es ist ein Attentat auf unsere Lebensmittelversorgung, das im umgekehrten Falle von England selbst mit den schärfsten Gegenmaßregeln beantwortet werden würde.