Nr. 81- 1917.
Unterhaltungsblatt öes vorwärts
kreitaz, 33. Miirz.
Zrou Zeineb.
Aus dem Türkischen des Fakub Kadrr. Uebersetzt von C. Frank. (.Vüiiier. komm schneÄ, c5 klopft� „Gott sich mir bei. wer mag das wohl um diese Zeit fein?* „Vielleicht kommt Nachricht von Hanau I Mein Gefühl sagt mir so. Äomm schnell, Mutter!" Auf diese Worte ihrer Schwiegertochter hin sprang Frau Zeineb vor Aufregung auf und lief, sogar ohne die Holzschuhe anzuziehen, an da» Hausior. In der Tat war der alte Dorfgendarm OSman Efendi. der Zeineb immer Nachricht von ihrem Sohn brachte, da. „Ösman Eiendi, ist ein Brief da?" „Ja, aber nicht gerade für dich'. Hüll deinen Kopf ein und komm ein.wenig bis zur Moschee mit. Ich Hab dir was zu sagen!" Trotz des Vorgefühls einer mehr oder weniger ungünstigen Nachricht, weil Oman Efendi sie auf diese Weise angeschrien halte, verlor Frau Zeineb nicht die Fassung. Sie erging sich nicht wie sonst Frauen rn überflüssiger Aufregung und unnötigem Geschrei; denn rhre Schwiegertochier war inr neunten Monat schwanger und lauschte an der Schwelle der inneren HauStür im Dunkeln. „Mutter, was ist's? waS hat sich zugetragen?' Frau Zeineb nahm ruhig ihren Umhang und schlüpfte in die Schuhs. „Nichts", sagte sie:„Oman Efendi ist gekommen; es ist ein Brief da, sagte er. Wir wollen jetzt zur Moschee gehen und ihn uns durch den Jmom vorlesen lasten." Während sie dies sagte, folgte sie Osman Efendi. Auf dem Wege fragte sie kein Wort. Uebec die Art der Nachricht, die sie von ihrem Sohn erhalten würde, war sie jetzt gleichsam unterrichtet. Alles kebrte soeben von den Ramanzan- gebeten in sein Haus zurück. Im Hofe der Moschee brannte eine inatte und rauchgeschwärzte Laterne. Sowie Frau Zeineb und der Gendarm Osman Eiendi unter dieie Laterne gekommen waren, blieben sie stehen. Osman sagte, ohne Frau Zeineb anzusehen:„Der Brief ist ziemlich lang; ich werde ihn nicht in ordentlicher Weise lesen können. Wart' Du da ein wenig; ich will den Hodscha rufen; er foll ihn lesen und erklären." Frau Zeineb war ihrerseits, da sie einen langen Weg zurück- gelegt haue, schwach und hockte sich an dem Ort. wo sie sich befand, nieder.„O. Erlauchter, was mag eS wohl sein?" sagte sie in ibrem Innern, und stierte geistlos in die Finsternis. ES dauerte nicht lange und der Gendarm Osman Efendi kam mit dem Jmam: auch sie hockten sich leise bei der Laterne ganz nahe bei der alten Frau nieder. Der Jmam laS zuerst ganz genau die Ausschrift des Brief- Umschlags.„An Zeineb Hanym, die Frau des verstorbenen Orts- Vorstehers Musa durch Vermittlung des Gendarmeriesergeanten Osman Efendi im Städtchen zugehörig zum Distrikt Kara Agadsch im Wilojet Aidin." Frau Zeineb hörte, während sich ihre Augen mit Tränen füllten. denr Verlesen dieses einen Satzes durch den Jmam zu, sobald aber die Reihe an den eigentlichen Brief kam, fing�ihr Herz zu klopfen an.„Von wem ist der Brief, Hodscha? Schau mal nach der Unterichrift. Jmam! Von wem ist der Brief?" Der Geistliche gab leine Antwort; er las zuerst den Brief mit leiser Stimme Wort für Wort für sich. Bei der Unterschrift machte er lange, lange Halt., dann wiederholte er noch einmal das lautlose Vorlesen. Frau Zeineb verlor die Geduld.»Jmam Hodscha, sag, ivas ist'S? Ist es von Hassan?" Der Hodscha hob sein würdevolles Haupt und blickte der alten Frau lange Zeit starr in die Augen. Dann sagte er Plötzlich:»Hastan ist Märtprer getvorden, Gott erhalte Dich!" Frau Zeineb konnte zunächst nichts verstehen. ES war ihr, als «b die Laterne, in deren Lich' sie sich zusammengedrängt hatten. samt den Gläsern und ihrer Flamme auf ihre Köpfe herabgefallen wäre. Tie drückte ihre Hände an die Schläke und brach an dem Platz, wo sie hockte, zusammen. Einem Haufen alter Kleider äbnlich blieb sie eine ziemliche Zeitlang sprach- und regungslos sitzen, dann fing sie ganz leise mit langen und unregelmäßigen Unter- brechungen ans tiefster Seele zu schluchzen und zu seufzen an. Der Jmam der Moschee und der Gendarm ließen sie einige Zeit in Ruhe, damit sie ihr Herz erleichtere; danach standen beide zugleich auf und faßten die am Boden Kauernde bsi den Schultern und wollten sie aufrichten. Ihr Körper geriet immermehr in die Erschütterungen erregten inneren Schluchzens. Dazwischen klagte sie:„O. mein Junge, o l". und machte eine Bewegung, als ob'sie ihre Brüste zerreißen wollte. Dann verstummte sie:.In zwei, drei Tagen wird noch dazu sein Kind auf die Well kommen.
Der Junge meines Jungen! Mein Junge ist gegangen, sein Junge kommt. Was ist das, o Allah , was ist das, o Herr!"... Auf diese Worte sagte der Sergeant Osman mit fester und lauter Stimme. -„Wenn es so ist, nimm dich zusammen und schweig I Denn hörte deine Schwiegertochter von der Sache, sind gleich zwei Leben ans einmal vernichtet. Bedenke einmal, der Gefallene ist zwar dein Kind, aber er ist ihr Mann und dazu der Vater des Kindes, das sie unter dem Herzen trägt. Wenn die Frauen jung sind, wenn sie gar noch dazu schwanger sind, können sie durchaus keinen Schmerz vertragen. Wenn Du nach Hause zurückkehrst, tu alles. damit Deine Tränen trocknen, denl' Dir eine Lüge aus, wie'„wir haben gute Nachrichten von Hassan" und beiß einige Tage Deine Zähne zusammen. Die Frau soll gerettet werden; danach tu, was Du willst!" Frau Zeineb erwiderte, während sie sich die Tränen aus den Augen wischte:„Osman Eiendi, Du hast Recht! Aber es tun, ist schwer! Du weißt nicht, wie mein Herz brennt..." Hier mischte sich der Jmam, der an der Seite m Gedanken oe- blieben war, in das Gespräch ein:„Den Gefallenen zu beweinen, ist eine Sünde. Und dann hat Dir Gott eine besondere Gnade verliehen: den einen hat er genommen,, für ihn schickt er einen anderen." Frau Zeincbs Schluchzen versiegte: humpelnd schlug sie den Weg nach ihrem HauS ein. Osman Efendi und der Jmam folgten ihr fünf bis zehn Schritte hinterher. Die alte Frau blieb, als ob sie den Weg nach ihrem Hauke vergessen hätte, alle Augenblicke stehen und schaute ganz verstört nach ihrer Umgebung; dann sing sie wieder straucheluden Schrittes zu gehen an. Sobald sie vor der HauStür angelangt war. wuchs plötzlich ihre Verzweiflung so sehr, daß sie sich mit dem Gesicht zu Boden werfen und laut schluchzend zu weinen anfangen wollte, aber ihre Schwiegertochter erwartete sie gerade hinter der Tür:„Mutter, was gibt's? warum kommst Du so spät? Ich vergehe vor Aufregung! Sprich, Mutter, was gibt'S? „NiiichtS... Gutes, Gutes, mein Kind! Für Dich ein Gruß von ihm... Gutes, mein Kind..." Frau Zeineb wollte unmittelbar nach diesen Worten, die in einem Augenblick, so furchtbar wie der Augenblick des Ver scheidend, gesprochen wurde, vor der Türe zusammen brechen. Aber trotz allem verlor die standhafte und beherzte Anatolierin ihre Fassung nicht, sie erkand sogar, um ihre Trauer zu verbergen, folgende drollige Lisi:„Gerade da." sagte sie,„da.... ich weiß nicht, was geschehen ist; als ob der Platz, wo ich hingetreten, schnell nach- gegeben hätte, hat sich mein Fuß auf einmal so verstaucht, daß der Schmerz mich beinahe verrückt gemacht hätte." Während sie daS sagte, fiel sie, sich gewohntermaßen dahin- schleppend, ins Haus hinein, und fing mit den Worten:»O. Gott, mein Fuß, o Allah , ich halte den Schmerz nicht aus!" zu weinen an. So trauerte Frau Zeineb eine ganze Nacht und einen ganzen Tag, indem sie statt„o mein Sohn",„o mein Fuß" sagte. Die Schwiegertochter aber bemerkte nicht die List eines Augenblicks; sie vergaß ihre eigenen Scbmerzen und war damit beschäftigt, zur Linderung der Schmerzen ihrer Schwiegermutter Mittel zu suchen. lleber diese Nacht waren kaum vier Tage vergangen, als des Glaubenszeugen Hasian Frau einen brauntöpfigcn, strammen Jungen zur Welt brachte. Sobald Frau Zeineb das Kind aus den Schoß nahm und herzte, schien sie für einen Augenblick die große Trauer in ihrem Herzen vergessen zu haben; und wäbrend sie, ihre Augep voll Tränen, den Mund dem Ohr des Neugeborenen näherte, sagte sie leise mit schluchzender Stimme:»Kleiner Engel, du kommst aus dem Paradies; sicher hast du dort deinen Vater getrosten, denn überall an dir ist sein Hauch. Sprich, hat er uns nichts sagen lasten; sprich, wie ist's ihm?" Und Kind und Großmutter fingen beide auf einmal zu weinen an.________ vas elektrische Operationsmesser. DaS neueste Operationsverfahren, defien Notwendigkeit durch den Krieg immer dringlicher wurde, stützt sich auf der Elektrizität, deren verichiedengestalüge Anwendung für den Forlschritt der modernen Wissenschaft besonders charakteristisch ist. Das Operations- verfahren mit Hilfe des sogenannten„elektrischen MesterS", das Dr. Theodor Mietens in der„Umschau" schildert, bringt den elektrischen Strom in seiner einfachen ursprünglichen Form, nämlich den Schwachstrom, in der Medizin wieder zu neuen Ehren. Das elektrische Messer selbst ist das Ergebnis zahlreicher Versuche, die seit Kriegsbeginn hauptsächlich von den Chirurgen unternommen wurden. Dieses Verfahren begründet sich auf den elektrischen Organen des Menschen, als welche Gehirn. Rückenmark. Nerven und Muskeln
bezeichnet werden, weil sie gegenüber dem Durchfluß eines ckektrischett Stromes ein bestimmtes Verhallen zeigen. In diesem System bilden Rückenmark und Nerven die leitenden Kabel, als deren Endstation einerseits das Gehirn, andererseits die Muskeln und die Haut sunktionieren. Es handelt sich um mikroskopisch feine Einzelleitungen. die zu Tausenden nebeneinander liegen und voneinander isoliert sind. Dieses elektrische System im menschlichen Körper ist zwei Leitungen, der motorischen und sensiblen, unterworfen. Die moto- rische Leitung führt vom Gehirn durch das Rückenmark und die Nerven zu den Muskeln, die auf diese Weise vom Gehirn die Aufträge erhallen, wodurch der Denkakt des Willens zur aus- führenden Bewegung wird. Bei der sensiblen Leitung ist umgekehrt die Haut die Sendestation und das Gehirn die Empfangsstation, indem die Reize, die auf die Haut einwirken, sich durch das Gehirn als Gefühlsempfindungen auslösen. Die Unterscheidung der beiden genannten Leitungsbahnen, die in den Nerven dicht nebeneinander liegen, ohne äußerliche Unterschiede aufzuweisen, ist bei Operationen natürlich von allergrößter Bedeutu.g. Denn das Durchschneiden motorischer Nerven kann leicht eine künstliche Lähmung zur Folge haben. Auch durch die Verletzung sensibler LeilungSbahnen sind Schädigungen möglich, indem z. B. eine Hautstelle gefühllos wird, dock sind die Gefahren der motorischen Leilungsunterbrechung viel ernsthafter. Aus diesetn Grunde ist der Arzt bei Operationen gezwungen, die Lage der feinsten und verborgensten Nerven mit peinlicher Gs- naurgkeit zu berücksichtigen, was oft fast unmöglich wird, wenn im Operationsgebiete Anschwellungen der Gewebe oder Narben vor- handen sind. In diesen Fällen dient schon seit Jahren die Elektri- zität zur Klärung der Verhältnisse, und zwar wurden die Reizungen mit einem gesonderten Apparat vorgenommen, der fortwährend mit dem Operationsmesier vertauscht würde. Die neue Methode besteht darin, daS elektrische Instrumentarium und das Operationsmesier zu vereinen, indem das letztere selbst die elektrischen Reizungen aus- führt. Das Operationsmesser ist nämlich, wie Dr. Mietens darlegt, durch eine aufsteckbare Metallbülie mit einem biegsamen Leitungsdraht zu einem elektrischen Pol gemacht, während der zu jedem elektrischen Stromkreis erforderliche zweite Pol außerhalb des Operationsseldes auf der Haut des Patienten angebracht wird. Der Arzt arbeitet init dem elektrischen Messer wie" mit jedem anderen Operations- instrument und wird dabei sozusagen automatisch aufmerksam ge- macht, wenn er sich einer Gefahrzone im Nervensystem de-Z Operationsgebietes nähert. Auf diele Weiie wird die Sicherheit des Arztes ganz bedeutend erhöht und die OperalionSzeit selbst ganz erheblich verkürzt, und viele bisher aufgetretene Schädigungen durch Operationen werden nmrmehr infolge des elettrrschen Messers vermieden werden können._ Die Lebenskraft neugebilöeter Wörter. In seinem.Deutschen Volkstum" wünscht Turnvater Jahn esirg Leidensgeschichte der neugebildeten deutschen Wörter,„die man erst als Ketzer in Acht und Bann tat, späterhin für anrüchig hielt, all- mählig in gute Gesellschaft zog, wo sie jetzt tonangebend walten". So sind Preußentum, Deulschturn uns ganz geläufige, geradezu vornehme Wörter. Und doch konnte vor ziemlich hundert Jahren ein Sprachgelehrter, dem die Verdeutschung Menschentum für Hurna- nitäl nicht gefiel, ihrer mit folgenden Worten spotten:„Waruni nicht auch Anhalt-Köthentum und ähnliche tumheite», die man ebenso füglich mit einem D hätte schreiben können!" Aufs schärfste wandte sich Klopstock , der doch selbst unsere Muttersprache um viele Wörler bereichert hat. gegen das Wort Schriftsteller, das heule ein Ehren- name ist. Es ist ja leicht einzusehen, daß neue Wörter zunächst etwas Fremdartiges an sich haben; daß aber unsere Bollsgenosseir oft gute Ersatzwörter ablehnen, ist bezeichnend.»Herrn CamveH Stelldichein für Rendezvous ist komisch." meinte man im IS. Jatw- hundert, und als er für responsabel verantwortlich vorschlug, wurde er ausgelacht. Heute gilt responsabel für lächerliches'Bchttich, verantwortlich aber ist ein gehaltvolles Wort geworden. Im 9ö. Bande der„Preußischen Jahrbücher" lann man nachlesen, wie ein Gelehrter absprechend über die Verdeutschung Mundtuch urteilt; vor kurzem stand in einer Kundgebung, mir der sich sächsiiche Wirte an ihre Gäste wandten, das Wort Mundtuch, als ob wir schon immer vom Mundtuch und nie von der Serviette gesprochen hätten. Der Leidensweg des Schriftleiters, der Schriftteklung ist sicher vielen bekannt.
Nottze». — Thea terchronkk. Im Kleinen Theater findet Donnerstag, den 29. März, die Erstaufführung von Rens Schi l e s Schauspiel„Hans im Schnaitt loch" statt.'
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Der polizeimeister.
Ein russischer Polizeiroma» von Gabryela Zapolska . „Kannst lange suchen, du nichtswürdiger Schuft... Tie Pest wirst du finden, nicht den jungen Herrn!" dachte sie. Schließlich wandte sich Markows» zu ihr: „Wozu ist er nach Warschau gefahren?" ftagte er zum Schein. „Ich weiß nicht 1 Er sollte über Warschau zu Verwandten aufs Land reisen." „Nun. und wo ist sein Zimmer?" -Hier?"..... Sie führte Markows» m Kazfos Znnmer. „So ist er abgereist und hat alles in der größte» U»- ordnung zurückgelasien?" Ihre Augen begegneten sich und sahen einander bts in die Tiefe der Seele. „Du kleine Kanaille." sagte Markows» schließlich und berührte ihre Wangen leicht mit dem Finger. Juzia wich zurück. An dieser Stätte hatte Kazjo vorhin einen Kuß auf ihre Stirn gedrückt, und sie fühlte noch jetzt die Lippen des Jünglings. Markows» sah sie verblüfft an und sagte: „Ich gohe also... bring die Sachen hm, dann komm zu mir zum Tee. Aber vor Tagejew kein Wort, daß ich ihn nicht gesunden habe. Verstehst du? Ich werde ihn bis zum Abgang des Zuges suchen. Wenn ich ihn nicht finde, dann komme ich zurück und wir trinken zusammen Tee. Nicht wahr, Liebste?" Er verließ die Wohnung, von Semipudow gefolgt, und ließ PluSkin, um den Schein zu wahren, zum größten Schrecken der.Köchin in der Küche zurück. Nun begann eine Wanderung durch Kneipen, Haustore, Kirchen, Läden, Freudenhäuser, init einem Wort, durch alle die Stätten, in denen Markows» Kazjo bestimmt nicht ver- mutete. „Um die Zeit totzuschlagen", dachte Markows» mit emem matten Lächeln der Genugtuung, daß er Tagejew schade.- „Zieh das Fräulein au. aber sprich nicht mit ihr!" sagte Tagejew rauh zu Juzia, als sie mit den Sachen vor der Kanzlei erschien.
Juzia betrat das finstere Loch, in dem die Kerze fast niedergebrannt war. An der Wand stand Janka, vor sich hin- starrend, als blicke sie ins Leere. Juzia eilte auf sie zu. „Fräulein I Liebstes Fräulcinchen, ich bringe Ihnen Ihre Kleider. Ziehen Sie sich um." Janka rieb sich die Stirn mit der Hand, als wollte sie mit aller Gewalt das Bewußtsein wiedererlangen. Sie ließ sich wie ein kleines Kind von Juzia anziehen, während diese ihr fieberhast zuflüsterte: „Haben Sie keine AngsO.. ich werde dem Vater tele- graphiercn... er wird Sie' befreien... Herr Kazjo ist in Sicherheit... Sie werden ihn nicht fassen." Janka lehnte sich an die Wand. „Er auch?" „Ja! Sie wollten, aber er ist geflohen!...* Im selben Augenblick steckte Tagejew den Kopf durch dte Tür: „Schweigen! Nicht unterhalten? Nun, ist sie fertig?" Als Janka Tagejew erblickte, fuhr sie zusammen und verfiel wieder in jenen seltsamen Zustand, als wüßte sie nicht, was mit ihr vorging,«sie zitterte am ganzes Leibe, und es schien, als hätte sie keinen Blutstropfen im Gesicht. „Wenn sie sertig ist, dann bitte! Die Droschke wartet Darf ich nicht mitfahren?" bemerkte Juzia. „Wozu?" „Das Fräulein könnte schwach werden, sie ist so blaß!" „Ich werde sie schon kräftig machen", sagte Tagejew lachend. Er ging zu Janka und faßte sie bei der Hand. „Bitte hier keine Komödie zu spielen, das hat bei mit gar keinen Zweck!" Sic gingen die Treppe hinunter. Eine geschlossene Droschke wartete auf der Straße. „Los, einsteigen!" Tagejew drehte sich um und sah, wie Juzia weinend Jankas Hand küßte. Er stieß sie weg. „«Scher du dich fort!" Unterwegs freute er sich, daß Janka sich so ruhig ver- hielt. Er war auf Weinkrämpfe und lautes Jammern vor- bereitet, aber die Ruhe dieses jungen Kindes imponierte ihm. „Seht mal, wie stolz!" dachte er. Als sie vor dem Bahnhof ausstiegen, stand der Zug schon da. Die Lokomotive zischte, weiße Dampfwolken verhüllten sie jeden Augenblick. Ein Maschinist lief an den Wagen ent-
lang und schlug mit einem Hammer auf die Achsen. Sonst war es ganz leer. Zwischen den gelben Petrolcumlaternen schimmerte die rote Mütze des Stationsvorstehers wie em Blutstropfen. Tagejew sah sich nach Markows» und Kazjo um. doch bemerkte er sie nirgends. „Wahrscheinlich sind sie schon eingestiegen!" dachte er. Er trat an den Stationsvorsteher heran: „Haben meine Leute ein besonderes Kupee für üiich bestellt?" „Ja, bitte einsteigen, dort ganz am Ende des Zuges!" Die rote Mütze flitzte vorbei und lief nach dem Tele- graphenamt. Tagejew.ging langsam nach den ihm an- gewiesenen Waggon. „Bitts. beeilen Sie sich l" Als sie endlich eingestiegen waren, setzte sich der Zug sofort in Bewegung und sauste rasselnd dahin. Tagejew setzte'sich Janka gegenüber, öffnete den Mantel und sah das Mädchen an. Sie war leichenblaß und hatte einen seltsam gläserneu Blick. „WaS für Augen! Wie bei einer Verrückten!" dachte er. Er stand auf, denn er konnte diesen Blick, der ihn verfolgte und bedrückte, nicht vertragen. Er trat auf den Gang hinaus und zündete sich eine Zigarette-aa. „Sie werdxn»ic Augen aufreißen!" dachte er,»wenn ich ihnen diesen Fang vorlege. Von Klitzki sage ich noch nichts. Den Brief verheimliche ich ihnen einstweilen. Zunächst soll die Broschüre ipid die Proklamation herhalten. Auf den Rest lasse ich sie noch warten und mache mich allein nach der Grenze aus. Dort werde ich Klitz» bei der Revision alles abnehmen. Klitzki selbst bringe ich entweder mit oder er soll, wenn er reinen Mund hält, wieder zurück, woher er kam. Jetzt habe ich ihn in der Hand!" Sein Gesicht strahlte bei diesem Gedanken; er rauchte eine Zigarette nach der anderen. Der rasselnde Zug klopfte den Rhythmus eines bekannten Liedes. Er sah zum Fenster hinaus, dann fiel fein Blick wieder auf Janka, die steif und blaß in der Ecke saß und in die Ferne starrte. „Ein braves Mädchen!" dachte er lachend,„man sagt. die Mädchen bringen Wück. Nun, mir hat sie Glück ge- bracht.... Ach ja! Ach ja!" Der Zug sauste unablüjsig im Taft des bekannten Liedes. (Forts, folgt.)