lästigungen der G e f ä n g n i ß b e a m t e n" abschlägigbe schieden worden.Nach diesem scheint es also, als ob der einzige geringe Vor-theil, der bi-her den zum Plötzenseer Rumfatsch und Mehlbreioerurtheilte» politischen Gefangenen auf Antrag noch gewährtwurde, auch ein Loch bekommen solle. Man mache sich ein Bildvon der Geiängnihhumanität des preußischen Staates am Ende des19. Jahrhunderts: Ein Mann, wissenschaftlich gebildet, desseneinziges Verbrechen darin besieht, auf die Schlingen unserer be-rühmten Preß- und Redefreiheit nicht die genügende Rück-sicht genommen zu haben, muß während seiner langenGefangenschaft vielleicht Werg rupfen oder Wolle spulen weil—nun weil, wie angegeben ist, die Beamte», die für die Ge-sangenen da sind. Belästigungen durch dessen literarische Be-schäftigung haben könnten! So stellt sich die sogenannte Kulturin Preußen dar!Der Postdefraudaut Georg August Adolph Ullrichaus Leipzig ist, am gestrigen Tage in Alexandersbad bei Wun-fiedel in Bayern verHaftel worden. Wir erfahren bezüglich derFestnahme des Defraudanten Folgendes:Er» Kollege des U., der in Leipzig auf demselben Postamt,von welchem jener flüchtig geworden, beschäftigt ist, hielt sichim Auftrage der Postbehörde in Alexandersbad auf, wo er H,der schon seit zwei Tagen daselbst unter falschem Namenweilte, aus der Kourpromenade traf. Der Beamte, welcher schonKenntniß von dem Diebstahl seines Kollegen hatte, ließ denFlüchtigen sofort verhaften und schon mit dem nächsten Zugewurde U. nach Leipzig zurücktransportirt. Von dem unter-schlagenen Betrage, 100 000 M., fehlten nur 140 M.Nach einem weiblichen Einbrecher fahndet gegenwärtigdie Kriminalpolizei. Vorgestern Nachmittag in der fünften Stundewurde die in der Webersiraße belegene Wohnung eines FräuleiWeimann durch gewaltsamen Einbruch geöffnet und 40 M. inbaarem Gelde, zahlreiche Gold- und Schmucksachen, Kleidungs'stücke u. s. w. gestohlen. Als der That dringend verdächtig gilteine Frauensperson, welche sich zu dieser Zeil in dem genanntenHanse aufgehalten und von Bewohnern desselben gesehe»worden ist.NuS Verzweiflniig hat der 30 Jahre alte Gastwirth KarlOldenburg aus der Manteuffelstr. 3 seinem Leben ein Ende be-reitet. Er war seit etwa anderthalb Jahren von einem Leidenheimgesucht und halte wiederholt die Aeuberung fallen lassen,daß er daran zu Grunde gehen werde. Schließlich wurde er vonVerzweiflung und Schwermulh befallen und entfernte sich amMontag Morgen aus dem Geschäft. Eine Anzeige der Ehefraubei der Polizei blieb ohne Erfolg. Nun wurde am MittwochNachmittag gegen 2 Uhr die Leiche eines Mannes an der Kotl-bnser Brücke von Schiffern gelandet. In ihr ist Oldenburg er-kannt worden. Es ist derjenige Mann, dessen Kleider amDienstag Morgen am Maybacher User von einem Schutzmanngefunden wurden.Ein räthselhafter Selbstmordversuch wird vom LehrterBahnhof gemeldet. Am Mittwoch Nachmittag um fU/s Uhr erschien dort eine Dame, die eine Fahrkarte 3. Kl. nach Haniburghaben wollte, aber wieder fortging, nachdem sie erfahren hatte,daß der nächste Zug erst um 11 Uhr 25 Min. Abends abgehe.Kurz vor II Uhr kehrte sie zurück, löste die Fahrkarte und nahmin dem Wartesaal 3. Klasse Platz. Später bestieg sie eine leereAbtheilung, aus der sie jedoch von dem Schaffner entfernt wurde,da sie an der linken Hand stark blutete. Sie hatte sich die Puls-ader mittels eines kleinen Taschenmessers durchschnitten, um unterwcgs zu verbluten. Nachdem sie nun die Wunde mit einemTaschentuch umwickelt hatte, suchte sie den Wartesaal 4. Kl. ans,verlangte ein Butterbrot und benutzte das dazu erhaltene Messer,um sich nochmals die Pulsadern an der linken und dann auchdie an der rechten Hand mit Blitzesschnelle zu durchschneiden.Sie verfiel infolge des Blutverlustes in Bewußtlosigkeit undwurde nach einem Krankenhause gebracht. Hier hat sie sich ineinem lichten Augenblick für die Verkäuferin Slosa Rißmann ausgegeben, die bei einem Kaufmann Klaue, Liegnitzerstr. 17, gewohnt habe. Dies hat sich nicht bestätigt und man steht dahervor einem Räthsel.Die von dem flüchtigen Post Assistenten Georg Ullrichin Leipzig unterschlagene, in Werthbriefen enthaltene Summe be-zisfert sich auf 150 000 M. Das dienstliche Verhalten des Beamtenwar nach einer Mitlheilung des„Leipz. Gen.-Anz." bis zu derThat ein durchaus tadelloses, was schon aus dem Umstände her-vorgeht, daß seine Stellung eine sehr verantwortungsvolle warund ein unbedingtes Vertrauen aus seine Redlichkeit voraussetzte.Ueber die Motive der That ist noch nichts Näheres bekannt,wahrscheinlich ist, daß seine Vermügensverhältnisse in Unordnunggerathen waren; möglich ist auch, so schreibt ein hiesiges Blatt,daß er beim Anblick der bedeutenden Beträge einer augenblick-lichen verbrecherischen Neigung Folge leistete.Polizeibericht. Am 23. d. M. Mittags wurde imLandwehrkanal, bei der Kottbuserbrücke, die Leiche eines Mannesaufgefunden.— Nachmittags starb im Krankenhause Moabitein Arbeiter infolge von Verletzungen, die er am Abend vorheran der Gotzkowskybrücke bei einem Ueberfall durch einen nn-bekannten Mann erlitten zu haben behauptet.— Hinter demGrundstücke Holzmarktstraße 22/23 wurde in der Spree dieLeiche eineS Knaben angeschwemmt.— Abends wurde imLandwehrkanal, gegenüber dem Grundstücke Kotlbuser Ufer 49,«in Mädchen im Wasser treibend bemerkt, von Schiffern heraus-gezogen und nach dem Krankenhause gebracht.— In der Nachtzum 24. d. M. durchschnitt sich eine Frau im Wartesaal desLehrter Bahnhofs mit einem Tischmesser die Pulsader an derHand und verletzte sich so schwer, daß ihre Ueocriührung in dieCharitee erforderlich wurde.— Im Laufe des Tage» sande»zwei Brände statt.Witterungsübersicht vom 24. Mai.Witterung in Teutschland am 24. Mai, 8 Uhr Morgens.Bei hohem, an der Nordsee 770 Millimeter übersteigendemLuftdruck und ziemlich lebhaften nordöstlichen Winde» herrschtheut« längs der ganzen Küste und im größeren Theile l des nord-deutschen Binnenlandes beileres, trockenes und klares Wetter. InSüd- und Mitteldeutschland ist der Himmel zwar noch bewölkt,doch haben auch hier die Regenfälle aufgehört. Infolge der ge-steigerten nächtlichen Ausstrahlung ist im viordosten die Morgen-temperatur etwas gesunken; sonst ist dieselbe in Norddeutschlandein wenig gestiegen, doch erreicht das Thermometer heute früj>erst zu Borkum 15" C.Wctter-Prognose für Freitag, den 25. Mai 18S4.Trockenes und vorwiegend heileres, etwas wärmeres Wettermit frischen östliche» Winden.Berliner Wetterbureau.Gevirsiks-Beituttg.Gewerbegericht.Kammer lll. Vorsitzender: Assessor L o h m e y e r. Sitzungvom 22. Mai.Der Maurer R. verlangt vom Bauunternehmer Hartwichunter dem Namen„Rcstlohn" 57.06 M. Der Kläger will mit39 M. Wochenlohn als Polier engagirt gewesen sein, währendseiner vierwöchentlichen Thäligkeit bei H. aber die Arbeitsstundenur mit 65 Pf. bezahlt erhalten haben. H. giebt zu, auf dasVerlangen des Klägers nach 39 M. Lohn eingegangen zusein; jedoch habe er die Vereinbarung so aufgefaßt,daß er pro Stunde 65 Pfennige zahlen und diesbei zehnstündiger Arbeitszeit für die Arbeitswoche 39 M. aus-machen solle. Kläger habe— was dieser nicht bestreitet— aberverschiedene Tage(einmal eine ganze Woche) ausgesetzt, wofürer natürlich nicht bezahlt worden sei. Aus der Klagebegründungdes Klägers geht hervor, daß er beim Engagement, als der Be-klagte auf seinen Vorschlag ihm 39 M. versprach, in der An-nähme lebte, jede Woche ohne Rücksicht aus die geleisteten Arbeits-stunden 39 M. beanspruchen zu dürfen. Da so festgestellt war.daß jede Partei je nach ihrer persönlichen Auffassung sichbesondere Vorstellungen von der getroffenen Verein-barung gemacht und danach gehandelt hatte, außerdem aber nochfestgestellt wurde, daß der Kläger stets ohne Murren die ihmgewordene Bezahlung entgegennahm, wurde derselbe ab-gewiesen. Der Gerichtshof hielt die Auffassung des Beklagtenfür am meisten im Einklang mit den im Baugewerbe üblichenGepflogenheiten.Kammer I. Vorsitzender Assessor H e l l w i g. Sitzung vom23. Mai.Der Schneidermeister Frankfurter klagt gegen denSchneider R. auf Schadenersatz in Höhe von 40 M., weil ihndieser angeblich 14 Tage vor Ostern„im Stich gelassen", d. h. ohneKündigung verlassen hat. R. erhebt Widerklage, behauptet, er seientlassen worden, und zwar zu Unrecht. Außer einer vier-zehntägigen Lohnentschädigung beansprucht er 15 M. rückständigenLohn. Frankfurter giebt an, den Lohn einbehalten zu haben, umsich des Beklagten auf 14 Tage(die Kündigungsfrist) zu ver-sichern. Eine als Zeugin vernommene Arbeiterin Frankfurter'shat gehört, wie dieser zu dem Beklagten sagte: Sie bekommenihren Lohn, aber erst nachdem Sie Ihre vierzehn Tage ab-gearbeitet haben. Der Vorsitzende macht den Vorschlag, diegegenseitigen Forderungen zu kompensiren und einen Vergleichzu schließen. Der Kläger will daraus eingehen, der beklagteSchneider jedoch nicht. Derselbe wurde verurtheilt,die Kosten des Prozesses zu tragen und mitseiner Gegenklage abgewiesen. Der Gerichtshof war derMeinung, daß der Beklagte und Widerkläger nicht entlassen,ist, sondern die Arbeit verlassen hat. Da der Kläger und Wider-beklagte Frankfurter sich mit einer Kompensation einverstandenerklärt hatte, sah der Gerichtshof von einer weiteren Verurtheilungdes Schneiders N. ab.Kammer VI. Vorsitz-'nder: Assessor Leo.Der Restauratenr Kochhann beansprucht von dem Kellner M.an verauslagtem Lohn für einen Kellnerburschen, und anverauslagtem Einschreibegeld für die Krankenkasse 9 Mark30 Pf. Der Kläger behauptet, den Beklagten unter der Bedingungangenommen zu haben, daß er einen Kellnerburschcn entlohne.dem der Kläger Kost und Logis geben wollte. Der Beklagte habeauch im ersten Monat dem Burschen das Geld gegeben. AufAufforderung habe er vor seinem Abgange— er halte mittler-weile gekündigt— sich auch zur Zahlung des Lohnes für denziveite» Monat bereit erklärt, sei aber dem nicht nachgekommen.Und so habe er, der klagende R e st a u r a t eu r, für denBeklagten eintreten und seinem, des Klägers, Kellner-barschen den Lohn geben müssen.(Armer Mann! ArmerMann!) Der Beklagte giebt, wenn auch nur in-direkt zu, mit dem Kläger die von diesem behaupteteVereinbarung getroffen zu haben; er entrüstet sich aber darüber,daß er, der keinen Lohn erhielt, von seinem Trinkgeld-ertrage den Kellnerbnrschen des Klägers bezahlen sollte. DerVorsitzende rügt das Engagementsverhältniß zwischen den Par-teien mit bezug ans die Bezahlung des Kellnerburschen durch denKellner als„ rn i» d c st e n s nicht schön", als„seinä» ß e r st e s Mißfallen erregend" u. s. w. DerKläger läßt sich nicht zum gänzlichen Fallenlassenseines Anspruches bewegen, ermäßigt aber schließlichden Betrag auf 4,50 M., zu deren Zahlung der Beklagte ver-nrtheilt wurde. In der Begründung verwies der Vorsitzendeauf seine vor der Äerathung geäußerte Meinung als derjenigendes ganzen Gerichtshofes, der jedoch aus juristischen Gründenso habe urtheilen müssen, wie geschehen. Die Vereinbarung, daßder Beklagte den Burschen des Klägers zu entlohnen habe, seinach der Beweiserhebung als wirklich getroffen anzusehen; Be-klagter hatte sie zu erfüllen.Kann ein HilfSschreibev auf dem Polizeipräsidiumbei achtzehn- bis zwanzigstündiger Arbeitszeit ehrlich sein Lebenfriste»? Auf diese Frage giebt eine Gerichtsverhandlung Antwort,die sich am Donnerstag vor der IX. Strafkammer de» Land-gerickts I abspielte. Vor derselben mußte am Ende eines laugenmakellosen Lebens der 67 Jahre alte Hilfsschreiver Georg Voigterscheinen, um sich auf die Anklage des wiederholten Betrugeszu verantworten. Der alte Mann ist, wie er versichert, vomSchicksal arg zerzaust worden. Er ist Vater von achtKindern und erfreute sich als Inhaber eines Zimmerer-geschäfts außerhalb Berlins eines gewissen Wohlstandes.Ein großer Wasserschaden machte seinem Glücke einEnde und er lag eines Tages ohne Subsistenzmittel auf derStraße. Die Fürsprache eines sehr hohen Beamten ermöglichteseine Beschäftigung als Hilfsschreiber bei dem Polizei-Präsidium. Obgleich die Seite Schreibwerk nur mit6V« Pfennig bezahlt wird, verstand es der alte Mann doch,seine Einnahmen aus der Höhe von 100 bis 120 M.z u e r h a l l e n. Er hat, wie er versichert, täglich 16 bis20 Stunden geschrieben, wurde aber wohl trotz deseisernsten Fleißes schwerlich solche Einnahmenerzielt haben, wenn er nicht seine Zuflucht zu un-lauteren Mitteln genommen hätte. Zur Kontrolle dergelieferten Kanzlei- Arbeilen wird ein Arbeits- Journalgeführt. Den mit der Kontrolle beschäftigten Polizei'sekrelär, der die Kanzleiarbeite» zu taxiren hat, siel es auf, daßder alle Mann denn doch Leistungen aufwies, die über-menschlich waren. Er hatte beispielsweise an einem Tageein Schristwerk von 102 Seilen vorgelegt und ließ sich am Tagedarauf schon wieder ein solches von gleichem Umfange taxiren.Das konnte nicht mit rechten Dingen zugehen. Der Beamte gingder Sache nach und stellte fest, daß der Angeklagte durch kleineAbänderungen der Nummer im Arbeitsjournal es zu Stande ge'bracht Halle, sich dieselben Exemplare von Schreibereien zwei-mal bezahlen zu lassen. Es konnten 27 Fälle einesderartigen Betruges nachgewiesen werden. Der Angeklagte ver-sicherte, daß ihn nur vieNoth zuseinerThatge-l r i e b e n h a b e. Er sei im vorigen Jahre längere Zeit hin«durch an der Influenza erkrankt, dadurch in seinem Erwerbe be-schränkt gewesen und habe nun in dieser sträflichen Weise ver-sucht, das Verlorene wieder einzubringen. Der Staatsanwaltversagte dem Angeklagten sein Mitgefühl nicht; beantragte aber4 Monate Gefängniß. Der Gerichtshof hielt dieses Strafmaßfür zu hoch un d erkannte auf 2 Monate Gefängniß.Auf die Thätigkeit des Vereins deutscher Staatsbürgerjüdischen Glaubens war eine Privatbeleidigungsklage zurück-zuführen, welche gestern vor der 144. Abtheilung des Schöffen-gerichls zur Verhandlung gelangte. Am 25. Februar d. I. erschien,n der„Staatsbürger Zeitung" ein Artikel, worin die Thäligkeitdes obengenannten Vereins in abfälliger Weise besprochen wurde.Es wurde u. a. darin behauptet, baß ein Angestellter des Vereins,der Kanzlist Eugen Kasimir, das Antisemitenlokal von Bayerin der Kronenstraße besucht habe. Er habe sich dort eines derausliegenden antisemitischen Textbücher angeeignet, dasselbe demVerein, der ihn beschäftigte, ausgehändigt und der letzterehabe darauf gegen Bayer Strafantrag wegen Ausreizung zumKlasseuhaß gestellt. Es wurde besonders auf den Refrain einesLiedes hingewiesen, welcher lautete:„Nehmt die ganze Juden-bände, werft sie alle in den Rhein!" Der Staatsanwalt habeaber die Erhebung der Anklage mit der Begründung abgelehnt,daß der erwähnte Refrain wohl nicht ernst zu nehmen sei. Nunhabe der Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubensherausgefunden, daß der Liedertext nicht mit dem Namendes Verlegers versehen war, habe den Restauratenr Bayer dieser-halb angezeigt und der letztere sei wegen Uebertretungdes Preßgesetzes verantivortlich vernommen worden. In demArtikel wurde der Besuch des Kasimir in der antisemitischenRestauration als die Thätigkeit eines Spions und seine An-eignung eines Exemplars der Texthefte als Diebstahl bezeichnet.Wegen dieser Aeußerungen strengte Kasimir gegen den Redakteurder„Slaatsb. Ztg.". Dr. Otto Bach l er, Privatklage wegenBeleidigung an. Der betreffende Amtsrichter lehnte zunächst dieErhebung der Anklage ab, die achte Strafkammer hielt aber dievom Strafantragsteller erhobene Beschwerde für begründet undordnete die Erhebung. der Anklage an. Im gestrigenTermine behauptete der kiläger, daß er nur zufällig in dasBayer'sche Lokal gekommen sei und dort von der Wirthinausdrücklich die erbetene Erlaubniß erhalten habe, ein Exemplarmitzunehmen. Der Zeuge Bayer bekundete, daß ani Eingange zuseinem Lokal ein Zettel angeklebt sei, der keinen Zweifel überden Charakter des Lokals lasse. Die Textbücher seien leihweisefür seine Gäste bestimmt und der Kläger habe sich jedenfallsdurch die Verschweigung, daß er in jüdischem Dienste stehe, einerTäuschung schuldig gemacht. Der Beklagte begründete hieraufseinen Antrag auf Freisprechung. Es sei nicht glaublich, daßder Kläger, der schon drei Monate in den Diensten desVereins stand, das antisemitische Lokal nur als harmloser Gastdes, cht habe, seine Thätigkeit müsse als die eines Spions be-zeichnet werden. Ebenso sei der Vorwurf des Diebstahls ein ge-rechifertigter, denn der Kläger habe sich widerrechtlich in denBesitz eines Exemplars gesetzt. Es würde ihm nie die Mitnahmegestaltet sein, wenn es nicht als selbstverständlich angesehenworden sei, daß man einen Antisemiten vor sich habe. Damalssei die Notiz durch die Blätter gegangen, daß ein Mann wegenDiebstahls verurtheilt worden sei, weil er drei Streich-Hölzer aus einem Lokale mitgenommen hatte undThatsache sei serner, daß der Schriftsteller Schwenn-Hagen wegen Diebstahls verurtheilt wurde, weil er in derGumpel'schen Konditorei ein Stück einer Zeitung mitgenommenhatte. Unter diesen Umständen müsse auch das Verhalten desKlägers als Diebstahl bezeichnet werden.Nach längerer Beralhung sprach der Gerichtshof den Ve-klagten frei, da seinen Ausführungen im Wesentlichen bei-getreten werden müsse. Der genannte Verein wird gegen dasUrtheil Berufung einlegen.Ist der Cancan moralwidrig? Wohl selten werden dieKaufleute, die als Richter beim Antwerpener Handelsgerichtsungiren, sich an einer Sache mehr ergötzt haben, als sie es indem Prozeß gelhan, welchen sie gestern zu entscheiden hatten.Angeklagter war ein Kaufmann H., welcher auf der AntwerpenerAusstellung einen Juwelenladen inne hat, woselbst er WienerWaaren verkauft. Klägerin ist ein hübsches junges Mädchen.Frl. Emmy Bauer, eine Erzwienerin. die kürzlich das Wiener Balletverlassen, um aus der Antwerpener World's Fair die Waarendes Kaufmanns H. zum Verkauf zu bieten. Kaum ist dieAusstellung eröffnet und schon ist Frl. Emmy Bauer mitihrem Chef nicht mehr einig, und zwar aus folgendem Grunde:In unmittelbarer Nähe der Bude, wo Fräulein Bauer schwach-rend und lächelnd die Käufer erwartet, befindet sich ein Zigeuner-Orchester, welches den ganzen Nachmittag seine verführerischenKlänge hören läßt. Nun ereignete es sich, daß am Tage der Er-öffnung, Nachdem die Wienerin den ganzen Tag den Klängen desOrchesters den tugendhaftesten Widerstand geleistet, sie Abendsnicht länger standhielt; in einem Nu war sie aus ihrer Bude ge-sprunge» und halte vor einem erwählten und entzückten Zu-schauerzirkel einen höllischen Cancan zu tanzen begonnen! Daherder Streit und die Klage. Kaufmann H. behauptend.er habe Fräulein Emmy Bauer engagirt, nicht umden Cancan,„einen moralwidrigen Tanz" zu tanzen,sondern um Juwelen zu verkaufen, entließ sie amandern Morgen aus seincin Dienste. Die energischeTänzerin ließ sich jedoch diese Behandlung nicht gefallen und ver-klagte Herrn H. sofort aus Erfüllung des mit ihr vereinbartenKontraktes. Sie halte monatlich 300 Frcs. und dazu noch eineTanliöme von den durch sie gemachten Geschäften erhalten sollen.Sie verlangte also den begonnenen Monat, eine Entschädigungfür den Verlust des wahrscheinlichen Gewinns, schließlich einenMonat Gehalt als Entschädigung wegen der unbefugten Kündigung.Vor dem Gericht entspann sich unter den Advokaten beider Par-teien eine witzige und pikante Diskussion über die Frage, ob derCancan, wie es Kausmann H. behauptet, ein moralwidriger Tanzsei oder nicht. In seiner Weisheit hat das Handelsgericht enl-schieren:„Die Thalsache, daß ein junges, hübsches Mädchen ihrKleid aufschürzl, um den wohlbekannten Tanz Cancan zu tanzen,sei an und für sich kein moralividriges Vergehen, das Cancanranzen sei eine in Tingel-Tangeln, wie dem„Wiener Prater"(aufder Antwerpener Ausstellung) oft gesehene Produktion; dieserTanz übe sogar eine besondere Anziehungskraft aus die gewöhn-liche Kundschaft solcher Vergnügungsorle ans,«in Schaden seidaher für Kaufmann H. durch die Handlung des FräuleinEmmy Bauer nicht entstanden, die Kündigung sei als einKontraktbruch anzusehen." Kurz, Fräulein Emmy Bauer erhältdie verlangten 300 Frks. für den begonnenen Monat und stattjeder anderen Vergütung. Mit Applaus wurde das Urtheil desHandelsgerichts durch die zahlreiche Zuhörerschaft begrüßt. DieTänzerin selbst aber verließ de» Gerichtssaal trällernd und tanzendzur Verhöhnung des allzu strengen Kaufmanns H.Soziale Tlelievlidjk.An die Zinkgießcr nnd Stürzer Berlins und Umgegend!Kollegen! Gemäß dem Beschlüsse der öffentlichen Ver-sammlung vom 20. März>894 haben wir den 1. Mai gefeiert.Und weil die Kollegen der Firma Welt Nachf., Jnh. W i n k l e r,und Stoof Nachf., sich diesem Beschluß ebenfalls fügten, wurdendieselben grunddessen vom 2. Mai ab ausgesperrt. Da HerrWinkler sich bis jetzt in Verhandlung durchaus mcht eingelassenhat, sich aber nicht scheute, unter dem Deckmantel einer fremdenFirma Arbeitskräfte für seine Fabrik zu erlangen versucht hatund es ihm auch gelungen ist. sogenannte Mlirkser heranzuziehen,mit denen der profitwülhige Bourgeois für die Dauer nichtauskommen kann; da es in dieser Werkstatt von jeher aufdie größtmöglichste Ausbeutung der Arbeiter abgesehen war. wasIhr auch alle wißt und wie namentlich der Werkführer Hakspielmit den größten Frivolitäten zu Tage tritt, welche jeder Be-schreibung spotten, indem er von den Gießern verlangte, täglicheine Viertelstunde vor der in der Fabrikordnung angegebenenArbeitszeit anzufangen unter dem Hinweis, wer sich diesem nichtfügt, entlassen ist; so ersuchen wir die uns noch fern stehendenZinkgießer, sich mit uns in diesem gerechten Kampfe solidarischzu erklären und vor allen Dingen den Zuzug fern zu hallen.In nächster Zeit findet in dieser Angelegenheit eine öffentlicheVersammlung statt, worauf wir alle Kollegen schon jetzt aufmerk-sam machen.Mit kollegialischem GrußDie Werk st att-Kontroll-Kommission.Der französische Eisenbahnarbeiter«Kongreß ist an,24. Mai eröffnet worden.