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Nr.isi 1917

Unterhaltungsblatt öes vorwärts

Sonnabend, 14. �prll

DieMutter öer rujfljchen Revolution". Zur Rückkehr Katharina Breschkowskajas aus Sibirien . Eine der ersten Amtshandlungen des neuen russischen Justiz- Ministers KerenSkij ist, wie gemeldet, die Verordnung gewesen, die .Mutler der russiiäien Revolution' unverzüglich aus Sibirien zu­rückkommen zu lassen, wohin sie durch das alte Regime zu wieder- holten Malen verbannt wurde und wo sie auch die letzten sechs Jahre wieder zugebracht hat. Die merlwürdige Frau, die in ganz diutzland unter dem obigen Ehrennamen bekannt ist, heitzt Kalha- rina Breichlowskaja und wird demnächst Jahre alt. Den größeren Teil ihres langen Lebens hat sie in abenteuerlicher und mühevoller Arbeit im Dienste der Aufklärung und der Freiheit oder in dem schrecklichen Dasein einer politischen Verbrecherin bald in den dunklen, eiskalten unterirdischen Zellen der Peter-Pauls-Festung , bald in den öden, schneebedeckten Gegenden Sibiriens zugebracht. Von Geburt gehörte die Breschkowskaja einer angesehenen und wohl- habenden Familie an; doch schon srühzeitig verließ sie dieie heim- lich, um an der Ausklärungs arbeit unter der Bauernbevölkerung teilzunehmen. Mit einem Beutel auf dem Rücken wanderte sie als Färberin. Näherin oder Tagelöhnerin jahraus, jahrein von einem Torf des südwestlichen Rußlands zum anderen und verkündete der armen, unwissenden Bevölkerung daS Evangelium der Menschen« rechte und der Befreiung vom Druck des zarischen Despotismus. Das war eine äußerst gefahrbringende Wirksamkeit; denn die Männer und Frauen, die es sich zum Ziel gesetzt hatten, das Bauernvolk lesen und denken zu lehren, wurden von der kaiser« lichen Polizei verfolgt. Sah die Bureaukralie doch gut genug ein, daß deren planmäßig ausgestreute Saat aus die Länge dem Des- potiSmus unheilvoller werden mußte als vereinzelte Attentate. Seitdem Katharina in dieser Weise durch Nußland zog, ist ihr Leben ein unablässiger Kamps gegen die Mächte der Finsternis ge- lveien, ein Kampf voll selbstverleugnender Opferwilligkeil für die Sache des Volks, ein hohes Streben und schweres Leiden. Im Jahre 1872 geriet sie zum erstenmal in die Gewalt der Polizei. Sic war angeklagt, an einer Verschwörung teilgenommen zu haben, die zu jener Zeit, als der.Prozeß gegen die Hundertdreiundsiebiig* viel von sich reden machte. Wie in Rußland üblich, mußte sie iebr lange im Gefängnis sitzen, ehe die eigentliche Untersuchung begann; ganze sechs Jahre lang blieb sie in der Peter-Pauls-Festung begraben, um dann zu mehreren Jahren Strafarbeit verurteilt zu werden. Als diese Zeit um war, ivurde sie nach Sibirien deportiert. Dort angekommen, machte sie alsbald einen Fluchtversuch und schleppte sich während einiger Wochen durch die unwirtlichen Gegenden deS Landes, wurde aber schließlich von Hunger und Durst überwältigt und von den ihrer Spur folgenden Polizisten abgefangen. Für diesen Fluchtversuch mußte sie wieder längere Zeit Zwangsarbeit leisten, und ihre Ausweisung nach Si« birieu wurde auf Lebenszeit verlängert. Doch wurde sie im Jahre 1887 begnadigt und erhielt die Erlaubnis, nach dem europälschen Rußland zurückzukehren. Das Leid hatte ihre zähe Kraft nicht ver« mindert oder gebrochen. Sobald sie wieder in Verbindung mit ihren früheren Freunden kam, trat sie in die sozialrevolutionäre Partei ein, die sich gerade gebildet hatte, und wurde eine ihrer Führerinnen. Sie verfügte über eine schier unglaubliche Arbeits- krait und entzog sich keiner Aufgabe, wie schwer, unbequem oder gefährlich sie auch sein mochte. Insbesondere wirkte sie als Ver­fasserin revolutionärer Schriften und heimlicher Brrefe. Un- ausgesetzt reiste sie in allen Richtungen durch das gewaltige russische Reich, um Propaganda sür ihre Partei zu treiben, und bildete eine Menge revolutionärer Ortsgruppen, die in.unterirdischer' Verbin- duug mit dem Petersburger Hauptquartier der Partei standen. Ihre Freunde und Bekannte rühmen ihre außergewöhnliche Fähigkeit, sich da« Vertrauen der Menschen aller Geiellschastsklaflen zu erringen. Sie selbst wirkte von jeher am liebsten unter der armen Bauernbevölkerung, deren geistige und körperliche Not ihr Herz tief bewegte, und die ihre Liebe mit unbegrenzter Liebe und Hingebung erwiderte. Als ein Beweis, wie sehr die Bauernschaft ihr anhing, wird erzählt, daß sich, als sie wieder einmal ver- hafte: und herumgeführt wurde, um identifiziert zu werden. unter ihren Tausenden von dörflichen Bekannten nicht ein ein- ziger fand, der sie verriet. Obwohl groß« Belohnungen für den ausgesetzt waren, der sie als Aufruhrftifterin bezeichnen würde, crklärlcii alle einstimmig, daß sie nie zuvor in ihrem Leben die verhaftete Frau gesehen hätten. Die Polizei kam natür- lich bald dahinter, daß Katharina ihre revolut,onäre Wirksamkeit wieder ausgenommen hatte, und nun hob von neuem«in« Hetze auf die gefluchtete Agnatorin an. Zugleich mit ihrem männlichen Kollegen Gerichurnn wurde sie in ganz Rußland gesucht, und oft

schon glaubte die Polizei ihr Versteck entdeckt zu haben; doch jedes- mal wurde Katharina noch zur Zeit von ihren Freunden gewarnt, und sobald die Spitzel sich in ihrer Wohnung einfanden, war sie wiederum spurlos in eine andere Gegend des Zarenreiches ver- schwunden. Diese Menschenjagd erstreckte sich über mehrere Jahre, bis die Polizei ihrer endlich müde wurde und die Nachforschungen als ausfichtslos einstellte. Im Jahre 1908 jedoch griff der berüch- tigte Spion Asew in das Geschick der Breschkowskaja ein, indem er sich mit einigen ihrer besten Freunde anbiederte und dadurch heraus- bekam, wo sie sich aushielt. Von neuem wurde sie in die Peter- Pauls-Festung geworfen und in Erwartung der Untersuchung und des RickterspruchS wiederum zwei Jahre lang dort festgehallen. Als dann endlich der Prozeß gegen sie begann, erweckte ihre glänzende Verteidigungsrede größtes Aussehen, eine Rede, die zu« gleich eine fürchterliche Anklage gegen das ganze System des Zarismus darstellte. Durch den langen Aufenthalt im Gefängnis war sie körperlich so schwach, daß sie sich nur mit äußerster An- spannung aufrecht zu erhalten vermochte, doch ibrer starken Seele waren die Büttel nicht Herr geworden. Das Urteil lautet« von neuem auf Ausweisung nach Sibinen. Dort wurde sie ganz be- sonders streng bewacht, weil man in ihr eine besonders wichtige Gefangene iah. Doch wurde ihr anfangs erlaubt, für das Wohl anderer Deportierter zu arbeiten. Sie verschaffte ihnen Arbeil, nähte ihnen Kleider und bestrebte sich vor allem unermüdlich, ihren Mui und rhre Hoffnung aufrecht zu erhalten. Tausende dieser Unglücklichen haben es der Breschkowskaja zu danken, daß sie nicht eine Beute der Verzweiflung wurden. Mit der Zeit suchten indes die Behörden immer mehr, ihr die Möglichkeiten abzuschneiden, den anderen beizustehen, und schließlich beschloß Katharina, einen neuen Fluchtversuch zu wagen. Im Dezember 1913 entdeckte ihr Wärter plötzlich zu seinem Schrecken, daß sie verschwunden war. Nach allen Richtungen flogen Tele- gramme, um ihre Weiterflucht zu verhindern, und bald darauf ent- deckten in der Nähe von Jrlutsk endlich ein paar Polizisten einen ärmlich aussehenden Greis, der des Weges daher gewandert kam und.verdächtig' aussah. Als.er' festgenommen wurde, stellte es sich heraus, daß man es mit der geflüchteten Revolutionärin zu tun hatte. Nun wurde die alte Frau zwei Jahre lang in Jrkutsk in Einzelhaft gehalten. Erst als fle m Folge dieser Behandlung schwer krank wurde, verbrachte man sie nach Mtnufinsk im Gouvernement Jenisiej , wo sie seither verblieben ist. Nun darf die.Mutter der russischen Revolution' dank der Um- wälzung im Zarenreich endlich aus der Verbannung heimkehren, und in dem freien Rußland wird sie überall mit Begeisterung als die Vorkämpferin und Märtyrerin der Freiheit willkommen ge« heißen.

fünfzig �ahre Schreibmaschine. Die Vorgeschichte der Schreibmaschine ist viele Jahrhunderte alt, aber die eigenlliche Geschichte beginnt erst mit dem Jahre 1837, in dem Souls und G l i d d e n die erste Maschine herausbrachten, die aber noch nicht für den praktischen Gebrauch geeignet war. Im folgenden Jahre setzte Densmore die Versuche fort. Es wurden nacheinander mehr als 25 Modelle gebaut und von Stenographen erprobt, und trotz mancher Mißerfolge war die Maschine im Jahre 1872 soweit vervollkommnet, daß die amerikanische Gewehrtabrik von Remington die Herstellung übernehmen konnte. Aber auch hier wurden noch weitere fünf Jahre auf die Verbesserung der Maschine verwandt, bis sie endlich nicht nur gebrauchsfähig, sondern auch marktfähig war. An dieser langen Entwicklungszeit kann man am besten die Schwierigkeit«« erkennen, die sich der Schreib- maschinenfabrikalion entgegenstellten. Und dies gilt auch noch für die Gegenwart. Bezeichnend ist es, so schreibt uns ein Mitarbeiter, daß überhaupt nur Amerika und Deutsch - land für die Schreibmaschinenfabrikation in Frage kommen, daß technisch so leistungsfähige Länder wie England oder die Schweiz eS nicht dazu gebracht haben, auf dem Weltmark in Wettbewerb mit diesen beiden treten zu können. Wenn eine Fabrik die Her- stellnng von Schreibmaschinen neu aufnehmen oder eine schon be- stehende Schreibmaschinensabrii ein neues Modell herausbringen will, so muß sie sich aus jahrelanges Arbeiten ohne Verdienst gefaßt machen. Die erste fabriialionSmäßige Durcharbeitung erfordert für eine neue Schreibmaschine mindestens drei Jahre Zeit. Wie problematisch diese Arheit sein kann zeigt der Umstand, daß eine so alte und erfahrene Schreibmaschinensabrii wie Remington mft einem zehn Jahre lang vorbereiteten Modell vollkommen herein- gefallen ist. In der Gegenwart hat sich die deutsche Schreib- maschinenindustrie gegenüber dem älteren amerikanischen Wettbewerb vollkommen durchgesetzt und liefert ein vollkommen gleichwertiges, dabei aber wesentlich billigeres Erzeugnis.

Die Drunnenkreffe. Der strenge Winter, dem noch mit schweren Schneefällen ein verhältnismäßig langer Nachwinter folgte, hat in diesem Jahre die Brunnenkresse etwas später auf den Markt gebracht als sonst. Dein würzigscharfen Geschmack der Blätter haben Eis und Schnee indes nichts anhaben können, denn die Brunnenkresse gehört bekanntlich zu den Pflanzen, zu deren Gedeihen Kälte und Feuchtigkeit unerläßlich sind. Ihres reichen Nährstoffgehalts wegen bildet sie heule einen wichtigen Bestandteil unserer Grünkost. Aus der gleichen Ursache wurde sie von unseren Vorfahren sogar ausschließlich zu Heilzwecken verwendet, entweder roh oder als sog. Bruniienlresienzucker, ein dicker, mit viel Zucker verkochter Brei, den man getrocknet aufbe- wahrte und als bewährtes Hausmittel sehr schätzte. Schon der griechische Arzt und Botaniker Dioskorides erwähnr die Brunnen- kresie als Heilpflanze und auch bei uns war sie schon frühzeitig im 9. und 10. Jahrhundert bekannt. Die Kultur der Brunnentreffe be- ginnt erst im siebzehnten Jahrhundert. Für den Gebrauch als Salatpflanze ist natürlich ven kultivierten Sorten der Vorzug zu geben, weil ihre Blätter weitaus milder schmecken und außerdem viel weicher, saftreichcr und fleischiger find, als die der wild- wachsenden Arten, denen häufig ein bnierer Beigeschmack anhaftet. Für die Salaibereitung sind die jungen Blätter am schmackhaftesteu. Mit der im Mai beginnenden Blütezeit die Blüten sind unschein- bare Tränbchen mit weißen, vierblättrigen Einzelblüten endet die Brauchdarleit der Blätter, da sie nunmehr größer und derber werden und sehr an Geschmack einbüßen, und weil außerdem die in der Pflanze enthaltenen Nährstoffe jetzt auch zum größten Teil an die iil der Bildung begriffenen Fortpflanzuilgsorgane abgegeben loschen.

Die Chemie öes ErSgeruches. Der frischgepflügle Acker haucht, besonders nach Regen, eine« würzigen Geruch aus, den.Erdgeruch". Woraus beruht diese eigen« tümliche Erscheinung? Früher glaubte man, dieS läge daran, daß sich bei der Zersetzung organischer Stoffe im Boden kohlensaures Ammonium bilde, das sich verflüchtigt; allein, wie der.Prometheus' berichtet, hat man den Träger dieieS.Erdgeruchs" jetzt dingfest gemocht,«ein Erzeuger ist»ach den Untersuchungen RullmannS ein Strahlenpilz,AMinoml/ovs odorifer. ES ist gelungen, diesen Pilz auf lohlehydratreichen Nährböden, insbesondere Milchzucker- bouillon zu züchten; dabe» tritt starler Erdzeruch auf. Erfolgten Züchtungen aus Gelatinenährböden, also ohne Kohlehydrate, so lommt der Erdgeruch nickt zustande. Auf chcinischem Wege ist es auch gelungen, aus den Pilzrullureu den Riechstoff rein zu ge- Winnen. Er bildet kleine Rriställchen, die die Eigenschaft haben, das Licht doppelt zu brechen. Zwischen der chemischen Beschaffenheit der Nährlösung und der Niechstoffbildung bestehen, wie Salzmann nach- gewiesen hat, besondere Beziehungen. Enthält der Boden Stoffe der Karboxylgruppe, wie sie in den organischen Säuren enthalten sind, dann zeigt sich starke Entwicklung der Pilzkulturen unter kräftiger GeruchScntwicklung. Notize». Die Arbeitervorlesungen der Humboldt- Akademie Freie Hochschule beginnen am Sonnabend, dem 21. April, 8 Uhr abends, in der Aula, Friedrichstr. 123. Außer den Vortragsreihen finden je drei Führungen durch das Kuitstgewerbe- museum, das Museum sür Meercslunde und das Kaiser-Friedrich- Museum statt. Hörerkarten und Verzeichniffe bei Tietz, in den Geschäftsstellen der Neuen Freien Volksbühne und der Konsum- genossenschaft. Märchenvorlesung. Am Sonntag, den 15. April, wird Friede! Hintz« noch einmal in der Oeffenllichcn Lesehalle der Deutschen Gesellschaft für ethische Kultur, Rungestraße 25, Märchen vorlesen. Eintritt freu Anfang Uhr. E i n S ch l i tt s ch u h m u s e u m. Wie aus Kristiania be' richtet wird, ist die norwegische Hauptstadt soeben um ein neues Museum bereichert worden, das wohl in seiner Art einzig ist: es ist nämlich eine Sammlung, die der Schlittschuhklub Kristiania zu- sammengebrachl hat und die tatsächlich die Enrwicklimg des Schlitt­schuhes ziemlich vollständig darstellt. Die älteste Zeil ist freilich nur spärlich vertreten; Schlittschuhe der Borzeit, die man bei Aus- grabungen gesunden hat, sind nur in wenigen Exemplaren vor- banden. Desto reicher ist dafür die neuere und neueste Zeit. Es finden sich alle nur erdenklichen Arten vereinigt, holländische sowie skandinavische Formen, Schlittschuhe, wie sie zum Schnelläufe ge- baut werden, wie die mannigfachen Arten, die die verschiedenen Kunstläufer verwenden.

Der polizeimeifter. Ein russischer Polizeiromau von Gabryela ZapolSka. Ich bin allein,' dachte er traurig. Habt Ihr der Behörde gemeldet, waS ich Euch gesagt habe?" .Ja!" erwiderte er kurz. .Na und?" Achselzucken und lautloses Schweigen. Die Nacht brach herein. Klitzki versuchte einzuschlafen, aber der Hunger weckte ihn jeden Augenblick. Gegen Morgen steckte er eine Zigarette an und schlief fest ein. Am nächsten Tage wurde es ihm noch schwerer. Er ging in der Zelle umher, trank Wasser, kämpfte mit dem Fieber, das an ihm zehrte. Er fühlte ein Dröhnen im Kopf und Sausen in den Ohren. Mit Schrecken bemerkte er, daß ihm nur noch wenige Zigaretten geblieben waren. »Holl mir Zigaretten!" sagte er schließlich zu dem Auf- seher. .ES ist verboten!" erwiderte dieser und ging z« dem Fenster, um eS zu öffnen. Klitzki hatte ein so heiße« Bedürfnis, sich mit den Arbeitern zu verständigen, daß er auf das Fenster zueille und trotz der Anwesenheit deS Aufsehers rief: Streikt ihr?" Ja!" ertönte er von oben. Und ihr?" Ich auch!" Harret aus! Wir werden sie zwingen, die Hunde! Nieder mit dem Zarcntum!" .Es lebe der Sozialismus und die Freiheit!" Kräftige Stimmen sangen die Marseillaise . Der Ausscher drängte sich ans Fenster. .Treten Sie zurück!" fuhr er Klitzk an. Aber dieser klammerte sich an da? Gitter und stimmte in das Lied ein. Das Fenster wurde geschloffen und ein Draht- netz darüber gebreitet. _ Klitzki warf sich auf sein Lager, nachdem er zuvor das Geschirr mit dem Abendessen auf den Boden geworfen hatte.

Er verbarg sein Gesicht in den Kissen, um durch den Geruch der warmen Klöße nicht gereizt zu werden. Diese Nacht war noch schlimmer als die vorhergehende. Klttzkis Eingeweide brannten, als ob er Feuer im Leibe hätte. Das Waffer vermochte diese Glut nicht zu löschen. Sein Zigarettendorrat war zu Ende. In Finsternis versunken saß er auf seinem Lager und gab sich qualvollen Gedanken hin. Es war ihm ein schwacher Trost, daß jene Arbeiter ebenso litten wie er. Die körperlichen Qualen raubten ihm die Freiheit der Gedanken. Er sprang aus dem Bett. Zitternd stand er in der finsteren Zelle. Plötzlich nahm er auf dem Fußboden den Fleck von den ausgeschütteten Klößen wahr Er rutschte auf den Knien hin und betastete mit zitternder Hand die kalte geronnene Speise. Er ergriff ein paar Klöße mit den Fingern und führte sie an den Mund. Als er sie aber hinunterschlucken wollte, spie er, von Uebelkeit ergriffen, die gräßliche Nahrung wieder aus. Das ernüchterte ihn und brachte ihm Linderung. Sein Organismus weigerte sich von selbst, Nahrung aufzunehmen. Am Morgen lag er schläfrig und erschöpft auf seinem Lager. Er ließ den Tee und daS Stück Brot unberührt stehen. Ebenso gleichgültig verhielt er sich gegen das Mittageffen. Er lag noch immer ausgestreckt, das Gesicht zur Wand gedreht. Der Aufseher berührte leicht seine Schulter. Man läßt Ihnen sagen." begann er auf russisch . Klitzki drehte sich um, sah den Auffeher mit fieberhast glänzenden Augen an und sagte barsch: Sprechen Sic polnisch, ich verstehe nicht russisch." Der Auffeher wiederholte nach einigem Zögern i» reinem Polnisch; Sie laffen Ihnen sagen, Sie möchten effen k" Klitzki richtete sich im Bette aus. ..Ich werde nicht eher essen, als bis ich vernommen werde." Und er stieß daS Gefäß mit Tee mit zitternder Hand von sich. Der Auffeher ging hinaus. Der Auftritt hatte Klitzki vollends erschöpft. Jedes Wort, jede Bewegung verursachte ihm Schmerzen. Er verlor daS Bewußtsein der Zeit. Seine Gedanken verwirrten sich. Plötzlich ließen sich lebhafte Schritte vernehmen. Die

Tür seiner Zelle öffnete sich. Eine hohe Gestalt bückte sich, um hineinzuschlüpfen, trat in die Zelle und sah sich um. Klitzki öffnete die Augen und starrte vor sich hin. Bor ihm stand, die Mütze in der Hand, Aksakow-Montivill. Guten Morgen!" sagte er höflich,bitte äußern Sie Ihre Wünsche. Ich komme dieserhalb." Klitzki richtete sich mit Mühe in seinem Bette auf und stützte sich auf den Ellbogen. Er war jetzt nicht imstande, ein Wort hervorzubringen. Alle Gedanken schienen zu fliehen, in seinem Schädel fühlte er eine eisige Leere. Möchten Sie vielleicht Bücher?" fragte Aksakow weiter. Wir wollen Ihnen gern damit dienen. Ist die Gefängnis- kost nicht gut? Vielleicht haben Sie sich über die Aufwartung zu beklagen? Bitte, sprechen Sie l" In wartender Haltung stand er neben dem Bett und ließ seine kalten Augen auf der Wand umherirren. Klitzki fühlte sich in einen Abgrund des Haffes versinken. Mit dem Aufgebot aller Kraft erwiderte er: Nein, mein Herr, ich will mich weder über die Bedienung, noch über die Kost beklagen. Was diese letztere betrifft, so weiß ich seit drei Tagen nicht mehr, wie sie schmeckt. Es ist Ihnen wohl bekannt..." Aksakow lächelte traurig. Es ist uns mitgeteilt worden. Aber verzeihen Sie. das sind Spielereien. Wir glaubten. Sie seien nicht mehr bei Appetit." Klitzki begann sein Bewußtsein wtederzugewinnen, aber zugleich nahm auch das Fieber zu. Ich bitte, anders mit mir zu sprechen!' schrie er,.und keine Witze zu machen. Haben jene Leute dort oben Ihrer Ansicht nach auch keinen Appetit?' Oben ist niemand I' Das ist eine Lüge! Seit einem halben Jahr sitzen dort Arbeiter aus Dombrowa , die ebenso wie ich die Nahrung ver- weigern. Ihr habt uns dazu gezwungen. In diese finsteren Zellen habt ihr uns gesteckt, ohne euch darum zu kümmern, was mit uns vorgeht. Glaubt Ihr, daß das menschliche Leben in diesen Wänden vergehen muß? Regt sich dazu Geist und Wille in uns?' Aksakow machte eine Geste, als begriffe er erst jetzt, um was es sich handelte. Ach so! Darum geht es Ihnen?" (Forts, folgt.)