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Unterhaltungsblatt öes vorwärts
5reitag, 22. �u«l
/lus öer Geöankenwelt eines öeutschen Idealisten. Sm 22. Juni jährt sich zum 15». Male der Tag, daS Wilhelm von Humboldt den Deutschen geboren wurde— die Verkörperung des klassischen deutschen VildungS- und HumanitäkSmenschen. In Nr. 154 ist seines politischen, an den Idealen der französischen Revolution geschulten Streben« bereits gedacht worden. Heute soll an seine reiche, allem wahrhaft Menschlichen zugeneigte Welt durch »in paar Stellen au» seinen Briefen und Schriften erinnert werden. Di« höchste Kraft und der höchste Genutz des Weibe« schien mir immer darin zu liegen, von schönen, reinen, idealischen Emp. findungen erfüllt, den Streit der äußeren Wirklichkeit damit nicht aufzuheben, aber doch mehr zu ebnen. Die Möglichkeit davon ahndete ich, Einen, aber großen, erhabenen, alle« wa» Menscheit Wert gibt, umfassenden Zweck vor Augen; höchste Mannigfaltigkeit in der Ausbildung, Sinn für Gabe und Genuß jeglichen Grades und jeglicher Art, und dann Kraft genug, die höchste Mannigfaltig» keit auf» höchste zu vereinfachen, da« Viele inimer auf das Eine zu beziehen, in jedem einzelnen immer Seiten zu finden, wo es mit allem zusammenschmilzt.— das war mein Ideal, das fand ich nur in minderen Graden, in allen, die ich bewunderte, liebt«, in mir nie.... Diese belebende Kraft, diese alles durchströmende Wärme gab mir Deine Liebe, Lina. Von dem Gefühle zu Dir borgt nun jede andere Empfindung Leben und ftarbe. So leb' ich. wirk' ich, genieß' ich ewig allein nur durch Dich! (Brief an die Braut vom 29. Jan. 1799.) ... Jetzt gerade ein paar Urteile gegen«ine Kindesmörderin und gegen einen Brandstifter. Alle solche Menschen scheinen mir jetzt so wenig schuldig. Wenn ich dedenke, wie oft die Ideen sich so sonderbar aneinanderreihen, wie heterogene(widersprechende) Ansichten sie gewähren und wie leicht bei manchen unternehmenden Faktoren der bloße Gedanke Tat wird, so schwindelt eS mir oft im Kopf ob man bestraten oder belohnen soll. Und dann ein Blick auf da» an- gerichtete Uebel, auf die übrigen Menschen, auf die ganzen äußeren Lagen, in die nun so ein Jdeengang, so eine Ansicht nicht paßt. Dazwischen so«in ewiger Streit, und den mit Schwert und Kerker zu schlichten. Sonderbar genug! Wären die meisten Verbrecher Menschen von großem Gehalt, so würd es mir nicht leid thun, auch streng zu sein. Der Leidende dächte dann: ich habe die Freude ge- habt, nach meinen individuellen Gefühlen, in unabhängiger Freiheit zu handeln, eS ist billig, daß ich dulde. waS daraus natürlich entspringt. Aber so sind die Besseren unter den Verbrechern meist Menschen, die nicht anders handeln konnten, und daß sie nicht konnten, ist teil» so menschlich, teils io gut. Da zerknickt man denn mit der Strafe jedes höhere, schönere Gefühl und zwingt die Menschen zu Kälte und Fühllostgkeit. Sonst iah ich das ander« an, ich wäre au» Grundsatz streng gewesen. Die Menschen müssen leiden, um stark zu werden, dacht ich. Jetzt denk ich, sie müssen Freude haben, um gut zu werden. (Brief an die Braut vom 22. Sept. 1799.) ... Ueberhaupt zeigt man in der Geschichte zu wenig den Menschen. Da«, was eigentlich überall Zweck ist, die Art de« Seins des einzelne» Menschen, wird so oft und auch in der Geschichte als Mittel zu Zwecken angesehen, die nicht selten nicht mehr als Worte sind. E» scheint so simpel, eben dies innere Sein de« Menschen überall zum letzten Gesichtspunkt zu nehmen, und doch ist es beinahe unbegreiflich, wie fast alle Betrachtungen aller Wissenschaften eine verschiedene Gestalt erhalten, wenn man diesen Gesichtspunkt streng in» Auge faßt. Vorzüglich kommt es wohl daher, weil man in einem Studium, und gerade im wichtigsten, noch ganz zurück ist. Die» ist eben das Studium de» Menschen in sich, wie er ist und wie er sein soll. Auch hier nimmt man immer fremde äußere Gesichtspunkte, und daher entstehen dann all die Sätze, die ein richtiges, nicht mißgeleiteteS Gefühl für irrig erklärt. (Brief an die Braut vom 11. Februar 1791.) Der wahre Zweck des Menschen, nicht der. welchen die wechselnde Neigung, sondern welchen die ewig unveränderliche Vernunft ihm vorschreibt, ist die höchste und proportionierlichste Bildung feiner Kräfte zu einem Ganzen. Zu dieser Bildung ist Freiheit die erste und unerläßliche Bedingung. Allein außer der Freiheit erfordert die Entwicklung der menschlichen Kräfte noch etwa« anderes, ob- gleich mit der Freiheit eng Verbundenes— Mannigfaltigkeit der
Situationen. Auch der freieste und unabhängigste Mensch, in ein» förmige Lagen versetzt, bildet sich minder au«. (Ideen, zu einein Versuche, die Grenzen der Wirksamkeit de» Staats zu bestimmen. 1793 verfaßt.)
wie man öie Wohnungen vor Hitze schützt. DoS Wetter macht e» der Menschheit niemals recht, und wie man noch vor kurzem über den strengen Winter klagte und die warme Jahreszeit herbeisehnte, so ist man jetzt bereit» mit der Hitze unzufrieden, und so beginnen wieder einmal die Erörterungen, mit welchen Mitteln die Wohnungen am besten vor Hitzebeschwerden zu schützen seien. Die wesentlichsten Punkte dieser Frag? hat seiner- zeit der Berliner Hygiene-Professor C. Flügge besprochen, und seine Ausführungen haben anch heute unvermindert Geltung. Vor allem ist zu erwägen, daß die Wohnungstemperatur häufig stark von der Außentemperatur abweicht, waS durch die Bestrahlung der Mauern durch die Sonne und durch die in die Mauern über- geführte Wärme hervorgerufen wird. Bor dem Strahleneinfall durch die Fenster vermag man sich fa leicht durch Läden zu fchlltzen, hinfichtliw der massiven Teile der Wände ist dies jedoch erheblich schwieliger. Bei den Mauern ist die Höh« der Erhitzung zum großen Teile von der Himmelsrichtung abhängig. Südwände werden weniger, West- und Ollwände am stärksten erhitzt. Während dünne Fachwerkwände sich stärker erhitzen, verlieren sie auch die Wärme leichter, bei den Steinmauern ist das Umgekehrte der Fall, und Westwände pflegen ihre größte Hitze erst um 3 Uhr morgen» zu erreichen, wodurch die Nachtruhe am meisten beeinträchtigt wird. Die Wohnungen erhalten also im Sommer durch die Mauern gewissermaßen ein« Eigentemperotur, welche die Außentemperatur oft bedeutend übersteigt. Die Lüftung ist ein einfache», kostenlose«. aber dafür auch nicht allzu erfolgreiches Mittel, da in Hitzeperioden die Außenluft doch keine Kühlung zu bringen vermag. Es gibt viele künstliche Mittel zur Kühlung der Wohnungen, so die Venti- latoren mit elektrischem Betrieb, die Kühlöfen und die hauptsächlich in Amerika eingeführten Kältezentralen, Sie alle aber haben den Fehler, daß ihrer Volkstümlichkeit die zu große Kostspieligkeit ent- gegensteht. Das einzige durchgreifende und dauerhafte Mittel»st in ent- sprechenden Veränderungen beim Bau der Häuser zu erblicken. Die wesentlichsten sind: Ersatz der Küchenherde durch Gasöfen, fall« dies nicht möglich ist: Isolierung der Kürvenkamine durch einen »Mantelraum", in welchem Lust zrrkuliert, Vermeidung von Woh- nungen gleich unter dem Dach, schließlich vielfache Anbringung von .Bormauern", die aus Holz, Matten oder Rohrgeflecht hergestellt (ein sollen, oder auch aus rankenden Gewäcbien bestehen können, wodurch das Eindringen der Hitze am besten abgewehrt wird. Die idealste WohnungSreiörm vom Standpunkt der Hitzeabwehr besteht in der Anlage von Kolonien mit nur ein- oder zweistöckigen kleinen Häuiern. Diese Bauresorm wird als da« einzige Radikalmittel empfohlen und würde zweifellos auch die Säuglingssterblichkeit in besonders heißen Sommern erheblich vermindern können. Maßnahmen gegen die Junggesellen. Der neue Zug an der in Preußen geplanten Ledigensteuer ist der, daß der Gesetzgeber diesmal die Ledigen beiderlei Geschlechte» der Steuerpflicht unterwerfen will. Bisher war das Gesetz galanter: es hielt sich an die Junggesellen, die sich um die Ernährung einer Familie drückten und icdonte die Mädchen, deren Reize die hart- derzigen Männer verschmähten. Es sab in den Hagestolzen die Schuldigen, in den ledigen Mädchen die Opfer. In dieser Gestalt aber ist die Ledigensteuer, man kann wohl sagen, uralt; jedenfalls geht sie biS in» klasjiiche Altertum zurück, Der junggesellenfeindlichste aller griechischen Staaien war sicher- lich Sparta . Dort wurde der Hagestolz mir einer Steuer belegt. die vielleicht noch härter wirkt, als Geldzahlung, nämlich mit bürger- licher Entrechtung oder, wie die Griechen dies« Einrichtung nannten, mit.Atimi". Die alten Hagestolze dursten auch nicht an den festlichen Spielen teilnehmen, sie genossen nicht die Ehren und AchtuiigSbezeugungen, die in Sparta sonst das schöne Recht de« Alter« waren, ja sie' hatten sich sogar gesetzlicherweise ge- wissen Mißbandlungen zu unterwerfen. So dursten die Frauen an einem bestimmten Feste die Junggesellen unr der» Altar herum- schleifen und sie mit Nutenhieben bedenlen, und die Behörde konnte die Weiblosen im Winter zwingen, nackt um den Markt zu ziehen und ein Spottlied auf sich selber zu singen. So weit zu gehen konnte man sich im milder gesitteten Athen doch nicht entschließen; der weis« Solan selber blieb sogar Junggeselle und als ei» Freund de» Gesetzgeber« ihn zur Preisgabe de« ledigen Standes veranlassen
wollte, erwiderte er philosophisch;»Mein Freund, da« Weib ist das lästigste Frachtgut." Immerhin waren auch iu Athen die Hagestolze staatsbürgerlich benachteiligl; und auch Plato trat für eine Be- steuerung oder Bestrafung der Junggeiellen ein und forderte, daß jeder Unverheiratete, der 35 Jahre alt geworden war, die Unter- baltSkosten für eine Frau in die Staatskasse zahlen sollte. Ist er übrigens dabei doch selber Junggeselle geblieben, der große Philosoph. Derselben Ansicht waren die Junggesellen im kaiserlichen Rom , als Augustus seine berühmte lox?apin?oppasa erließ. Sie kamen nämlich zu dem Ergebnis, daß selbst eine sehr hohe Junggeiellen- sttuer ihren Geldbeutel noch immer weniger belastet, als der Unter- halt einer eleganten Frau. Und dies Bekennlnis wollte damals etwas besagen, denn Augustu« ging den Hagestolzen in den er- wähnten Gesetzen so arg zu Leibe, daß bei seiner Einbringung im Senate eine Revolution ausbrechen zu wollen schien. Au» den wahrhaft drakonischen Bestimmungen des Gesetzes sei nur erwähnt. daß ein Mann, der da« Alter von 25 Jahren erreicht und sich nach nicht verheiratet hat, überhaupt die Erdberechligung, ausgenommen bei seinen allernächsten Verwandten, verlor. Es mußten denn auch einige Milderungen bewilligt werden, che das Gesetz in Kraft treten konnte, aber gewirkt hat«S bekanntlich auch nicht. Cs ist doch ad-e. wie vom Kaiser AuaustuS. so wohl überall und zu allen Zeiten die Verehelichetng als eine Art staatlich-bürgerlicher Pflicht angesehen worden; auch dem deutschen Volke galt der Hagestolz als ein un- vollkommene« Geschöpf, und hohe bürgerliche Ehrenstellungen. wie etwa da» Amt eines Bürgermeisters, sind jedenfalls in älteren Zeiten wohl nur in den allerseltcnsten Ausnahmefällen Unbeweibten anvertraut worden._ vom Msbau öer Sagöaöbahn. Die Besetzung von Bagdad durch die Engländer hat natürlich auf die innere und die wirtschaftliche Begründung der Bagdadbahn. gesellschaft keinerlei Einfluß. Das spiegelt sich am besten in dem letzt bekanntgegebenen Abkommen wider, das der türkische Senat mit der Bagdadbahngesellschaft über den Bau der Taurus* ünd' Amanusstrecke getroffen hat. Danach soll der Ausbau dieser ZwetZ- strecke, für die die Regierung eine Krcdithilfc von 1 Million türkische Pfund gewährleistet, unverzüglich in Angriff genommen werden. Durch die Bagdadbahn werden wichtige Gebiete Klcinasiens mit lehr wertvollen Bodenschätzen dem allgenicillen Verkehr erschlossen. Man wird sich hierbei daran erinnern, daß derartige Bahnbauten einen bleibendeil Wert besitze», selbst wenn sie für gewisse Zeiten, tvie z. B. jetzt während de» Krieges, kauin als loerbendes Kapital in Erscheinung treten dürften. Die GIcisspitze der Hauptlinie, die schon seit etwa 5 Jahren gebaut wird, steht inittwegs zwischen. Eu- phrat und Tigris in der gerade jetzt für Mitteleuropa so wichtigen Baumwollebene von Adana . Reichlich 1999 Kilometer der Bagdad- bahn befinden sich schon in gangbarem Betriebe. Die schwierigsten Bauaufgaben, Durchquerung der hohen Gebirge des Taurus und des AmanUS, sind teils ganz, teils ausreichend überwunden. Noch übrig sind verhältnismäßig leicht zu bauende Flachstrecken, und cs ist ein guteS Zeichen für den weiten wirtschaftlichen Blick der jungen Türkei , daß sie sich entschließt, deren Bau selbst zu einer Zeit geld- liehe Mittel zur Verfügung zu stellen, in der die Finanzwirtschaft des Reiches anderweitig große und drängende Aufgaben gestellt werden. Als rein militärische, d. h. strategische Bahn, ist die Bag. dadbahn weniger anzusprechen, wenngleich sie naturgemäß durch den Transport von Rohstoffen und Lebensmitteln aus der fruchtbaren Tigrisebeue zur Versorgung der türkischen Armee schon jetzt cnt- scheidend mit beigetragen hat. Notlzen. — Kunstchronik. Bei Paul Casfirer wird Sonnabend nach- mittags eine umfassende Ausstellung von Zeichnungen des verstorbenen Malers Rudolf Wille eröffnet. — 100 Jahre Universität. Eine Gedenkfeier zur Er- inneruug an die vor hundert Jahren erfolgte Vereinigung� der Universität Wittenberg mit der Universität Halle wurde Tonners- tag in der Aula der Universität Halle veranstaltet. — Eine Auslese a u S W. von Humboldt erschien als Bmid der„Erzieher zu deutscher Bildung". Er nennt sich mit gutem Recht„Universalität".(Verlag von E. Diederichs in Jena .) — Wieviel Gold und Silber hat die Erde her- gegeben k Seit der Entdeckung Amerikas beläuft sick> die ge- samt« Silber- und Goldausbeute der Erde auf etwa 189 Milliarden Mark. Sämtliches bisher gewonnenes Edelmetall würde somit nicht ausreichen, um die bis jetzt vom Weltkriege verursachten Kosten auch nur annähernd zu decken.
so) Der starke Mann. Eine schweizerische Osfizier»ges chichte von Paul JIg. »Geehrte Anwesende 1" sagte er mit einigem Widerstreben, ohne jemand anzusehen, wie einer, der zum erstenmal im Leben notgedrungen das Wort ergreift. Die tiefgefurchte S�irn verriet einen schweren Unwillen. Erst nach einer beträchtigen Pause fand er den Jaden seiner Ansprache.„Ob der heutige Abend einen gemütlichen oder ungemütlichen Per lauf nimmt, hängt, wie es scheint, nicht bloß von uns ab Die allein echten LaterlandSfreunde, nämlich die Helden der Straße, die nirgends fo leicht und reichhaltig mobilisiert werden wie bei uns, haben es sich in den Kopf gesetzt, auf ihre Weise mitzuwirken. Sie wollen uns nämlich mit echt eidgenössischer Musik aufwarten. Aber lassen Sie sich nicht ins Bockshorn jagen. Ich denke, die da unten werden eher kalte Füße als wir das Schlottern vor ihnen bekommen." Ein spöttischer Geist tauchte auf unter den buschigen Brauen und schwand wieder wie ein ungeladener Gast.„Wir feiern heute das fünfzigste Stiftungsfest der OffizierSgesell- schast. Wie in allen Städten unseres Landes, so haben sich auch hier die Offiziere zusammengefunden, von der guten Ein- ficht geleitet, die Lehren und Erfahrungen einer kurzen Dienst- zeit in gegenseitigem Gedankenaustausch durch Vorträge und Exkursionen freiwillig zu ergänzen. Wir waren der Ueber- zeugung, durch solche Nachhilfe Kenntnisse erlangen zu können, die denjenigen der Führer stehender Heere nichts nachgeben und uns in den Stand setzen, für den praktischen Unterricht die kürzesten Wege einzuschlagen. Der Gedanke hat sich bewährt. Wenn die Summe der auf diesem Wege zum Nutzen des Vaterlandes geleisteten Arbeit in Zahlen ausgedrückt dem Unverstand vor Augen geführt werden könnte, so wären wir vermutlich von der merkwürdigen Ovation unserer Mitbürger verschont ge- blieben!" Hier wurde der Redner von lebhaften Beifalls- äußerungen unterbrochen. Besonders fühlten sich die„Vor- schriftsniäßigen" geehrt; denn ihnen gebührte der Löwenanteil dieser Verdienste. Doch der Oberst fuhr fort:„Es ist hin- gegen bekanntlich keine Sache so gut. daß sie nicht zeitweilig in Gefahr käme, schlecht gemacht zu werden. Die Offiziers- vereine riefen den Kastengeist l wird uns vorgeworfen von Leuten, die nun einmal keine Charge sehen können, ohne dahinter eine Gefahr für Freiheit. Gleichheit, Brüderlichkeit zu wittern. Wenn so ein paar Prahler und Schwerenöter diesen Angrissen eine» Schimmer von Berechtigung geben, so!
machen die jedenfalls den Schimmel nicht scheu. Es gibt in jeder Armee Offiziere, denen der Schein mehr als die Sache gilt. Hingegen ist bei uns dafür gesorgt, daß solche Zier- pflanzen nicht überhandnehmen. In unserem nüchternen Volkstum finden sie keinen gedeihlichen Boden, so wenig wie wie die Soldatenschinder, von denen bei uns angeblich auch zivölf auf ein Dutzend kommen. WaS schützt uns eigentlich vor Ueberhandnahme solcher Elemente? Etwa die sozialistische Teufelswandmalerei? Keine Spur! Sondern einzig und allein der bessere Geist, von dem die Mehrzahl der Offiziere durch- drungen ist. Ein richtiger Offizier wird die Achtung, den Gehorsam seiner Untergebenen vorab durch Tüchtigkeit und sichere Kennt- nisse, aber nicht durch Betonung seines höheren Standes oder durch schroffe Anwendung der ihm verliehenen Machtmittel erzielen wollen. Wer viel brüllt und rüffelt, dem fehlt eS immer an der zwingenden Persönlichkeit; so einer verpulvert blindlings das Vertrauen der Leute und die Dienstfreude dazu. Ebenso ist es mit dem Dünkel. Nur ein geistig armer Mensch prahlt mit seinem Rang, und nur ein duckmäuserischer Wicht läßt sich auf diese Art imponieren. Wir wollen keinen Standeskultus treiben. Eine besondere Offtziersehre wird keiner beanspruchen, der auch im bürgerlichen Leben seinen Mann stellt. Wer sich aber erst als Mann fühlt, wenn er in den Offiziersrock schlüpft, der ist nicht unser Mann; er mag noch so sehr auf die sogenannte ritterliche Ehre pochen und sich erhaben dünken über den gewöhnlichen Bürger. Der berüchtigte Kastengeist ist meistens das Produkt der sozialen Minderwertigkeit seiner Inhaber: Mit dem über- triebenen Standesbewußtsein verschleiern sie ihre einseitige Beschaffenheit, ihre Unbildung. Solchen aufgeblasenen Säbel- rasslern mit oder ohne Manicure müssen wir selber das Ueberbein amputieren. Es sind, wie gesagt, Fremdkörper in unserm Heer, schlechte Nachahmungen, die dem ernsthaften Soldaten nicht minder widerlich sind als dem Zivilisten. Die Kenner der Geschichte wissen, wie oft ganze Völker für den Bubenstreich eines einzelnen bluten mußten. Darum ist es unsere Pflicht, diese Gattung Durchgänger jederzeit scharf im Auge zu behalten und die Kandare beizeiten fühlen zu lassen." Es konnte nicht fehlen, daß bei diesen Worten mancher Augen scheu, hurtig nach Lenggenhager ausschauten. In seinen Stuhl zurückgelehnt, die Arme auf der Brust verschränkt, ließ er dieses Kreuzfeuer mit höhnischer Grimasse über sich er- gehen. Das war nun nicht mehr von Belang. Er stand be- reits aus der anderen Seite des Flusses und durfte die Ver-
folger nach Herzenslust auslachen. Der mißliebigen Rede folgte er auch nur wie ein Advokat, der den Gegner auf schreienden Widersprüchen ertappen möchte. Ohnehin war sie ja zum Fenster hinauSgesprochen. Eitel Geflunker für die lieben stimmfähigen Zeitungslescr und Eckensteher. gerade wacker genug für eine Sängerfestkanzel. Haha! Ein Armceführer. der die besondere Soldatenehre in Abrede stellte!! Wo gab cs noch so ein Seewunder Was, ein Offizier sollte nicht mehr Achtung fordern als irgend ein braver kannegießender Tischlermeisters Und seit wann»vurde von einem Soldaten- erzieher höhere Bildung verlangt? Sonst hatten doch stets Wagemut, Unabhängigkeit, Gewandtheit und Willenskraft als die höchsten Ossizierstugenden gegolten! Jetzt brauchte man scheinbar Vorgesetzte, die ihre Zeit damit verbrachten. Abhandlungen zu schreiben, aufs Katheder zu klettern? Ob von den hundert anwesenden Männern einer den Mut fand, diesem Beschwichtigungsrat und Gesinnungs- protzen einige kernhafle Soldatensprüche entgegenzuhalten? Lenggenhager faßte den Entschluß, auf jeden Fall ein paar aufklärende, das eigene Tun rechtfertigende Worte anzubringen und die Leisetreter durch ein Hoch auf die gastierende Kapelle aufzupeitschen. Indessen steuerte der Alte das sturmbewegte Schifflein seiner Rede schwerfällig in den beliebten Hafen.„Einfachheit tut not, meine Herren! Und weil gute Beispiele mehr ausrichten als Worte, so möchte ich nicht verfehlen, am heutigen Abend auf die Verdienste eines Mannes hinzuweisen, der als Jnsiruktor des Treustädtcr Waffenplatzes wohl die Hälfte unter Ihnen durch seine- Schule gehen sah." Aller Augen richteten sich auf Oberst Hugentobler, der bei diesen Worten aus einer ahnungs- losen Aufmerksamkeit in gelinde Bestürzung geriet und plötzlich den Kragen der Uniform als störend zu empfinden schien.„Unser allverehrter' Platzkommandaut ist, wie Sie tvissen, keiner von denen, die es bedauern, daß wir es Hierlandes nicht zur Exzellenz bringen können. Wie es sein saures Amt erfordert, inimer wieder von vorn an- zufangen, dem Heer von Jahr zu Jahr eine neue, stets besser� geschulte Schar Soldaten zuzuführen, so ivill er für sich nur das Verdienst eines Lehrers in. Anspruch nehmen. Dafür vcr- steht cs aber keiiler so gut wie er"— wieder tauchte der spöttische Geist auf—„seine Zöglinge in der kurzen Zeit der Rekrutenschule zu erlösen von den Erbübeln des„freien Eid- aenoffen", als da sind: unbegründetes Hochgefühl, Steifheit des Nackens und mangelndes Verständnis sür die Bedeutung �