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Nr.IHS 1H17
Unterhaltungsblatt öes Vorwärts
Ireitag, 20. Jnü
Der Sranö öes berliner   Schauspiel- Hauses. Am 20. Juli 1817 vernichtete eine verheerende FeuerKbrunst das Berliner Königliche Schauspielhaus am Gendarmenmarkt, das von Langhaus an Stelle des kleinen, im Jahre 1774 unter Fried- rich II. von Boumann dem Aelteren geschaffenen frmppjfischen Ko­mödienhauses errichtet worden war. Ein Kupferstich zeigt die Ost- fassade mit ihrem durch ein Frontispiz gekrönten Säulengang korin- thischer Ordnung. Von diesem lief eine Bogenstellung um das Haus, desgleichen ein mit Arabesken gezierter Fries? die Schluß- steine der Bögen trugen tragische und komische Larven. Der bild- ncrische Schmuck der vier Fassaden war nach Schadows Entwürfen und Modellen hergestellt worden. Das Haus hatte 12 Ausgangs- türen, der Zuschauerraum, der für 2000 Personen Raum bot, ent- bielt außer dem Parkett, Parterre und den Parterrelogen drei Gänge mit Logen, den vierten bildete das Amphitheater. Ein Kronleuchter mit 36 Argandschen Lampen erhellte das Theater. Das Gebäude enthielt auch einen Konzertsaal, der im Jahre 1803 mit HahdnsSchöpfung" eingeweiht worden war und einschließlich des Orchesters 1000 Menschen faßte. Welchen Ilmfang die Brandkala- strophe hatte, geht auch aus einer anschaulichen Schilderung hervor, die ein Berliner   Blatt zwei Tage nach dem Brande veröffentOcbte: Borgestern, den 20. Juli 1817, mittags gegen Kl Uhr. wurde Berlin   durch eine plötzlich aufsteigende fürchterliche schwarze Rauch- faule in Schrecken gesetzt. In Zeit von fünf Minuten stand das ungeheure Dach des Schauspielhauses in Feuer. An Rettung war nicht zu denken, zum Glück trieb aber der Südwestwind die Flam- m.en nach dem Platze zu. Das ganze Dach war anzusehen wie ein Feuermeer, ebenso wütete die Flamme im Innern des Hauses, dem vor Glut nicht beizukommen war. Durch tätige Hilfe unserer braven Fcueranstalten wurden beide Kirchen mit ihren Türmen, die Seehandlung, das Waisenhaus und die übrigen umstehenden Privatbäuser durch beständiges Spritzen vor dem nahen Anbrennen bewahrt. Die fliegenden Kohlen-trieb der Wind nach allen Rich- tungen und bis an den Nikolaikirchhof. Glücklicherweise stürzt« das Dach in sich zusammen, letzt konnte, da die Mauern des Gebäudes noch standen, die Hilfe nahen und wirken. Um S Uhr wurde man des Brandes Meister, aber das schöne, erst vor 20 Jahren ang«. fangene und am 1. Januar 1802 eingeweihte Schauspielhaus mit den herrlichsten Dekorationen, mit einer Garderobe, die ihresgleichen an Vollständigkeit und Pracht suchte, mit dem schönen und einzigen Konzertsaal, mit vielen nie zu ersetzenden Musikalien, mit den vortrefflichsten Maschinerien, kurz mit allem ausgerüstet, woran der Fleiß der vorigen Direktion und der kein« Kosten scheuende Kunst- trteb des Königlichen Generalintendanten Herrn Grafen v. Brühl  so eifrig und unermüdlich gearbeitet hatte alles ist in wenigen Stunden ein Raub der Flammen geworden, so daß auch gar nichts bis auf einige Bänke und Bretter hat gerettet werden können...." Trotz aller Bemühungen und der tatkräftigen Mit- Wirkung der Bürgerschaft konnte bei der so leicht feuerfangenden Bauart eines Schauspielhauses überhaupt und besonders bei den fehlerhaften Grundanlagen der Treppen und Gänge des unfrigen, bm dem Mangel eines Magazins außerhalb oder eines sichren Aufbewahrungsorte» im Innern die Flammen nicht rechtzeitig er- stickt werden.Alls weitere Gefahr ist vorüber, aber," so fügt der Berichterstatter melancholisch hinzu,solch«in schönes und zugleich gräßliches Schauspiel hatte uns das Haus noch ni« gegeben." Der Bau des.Neuen Schauspielhaus«?" wurde bekanntlick Schinkel ubertragen, der die stehengebliebenen Grundmauern des Langhan?. s-ben Baues zweckmäßig mitzuverwerten wußte. Sein Wer? wurde 1821 vollendet; in der Zwischenzeit fanden die Schauspiele im Königlichen Opernhaus statt.
Deutsche GistpfianZen. Giftigkeit ist ein relativer Begriff. Wir kennen keinen Stoff. von dem wir mit völliger Gewißheit behaupten könnten, daß seine Aufnahm« für jedes bekannte lebende Wesen tödlich wäre. Hierbei wird die Aufnahme eines.angemessenen" Quantums Vorau-Zgesetzl. Der Umstand, daß jeder giftige Stoff in so geringer Menge aus- genommen werden kann, daß die Giftwirkung unmerklich gering bleibt, macht den Begriff der absoluten Giftigkeit ebenfalls undefinierbar. Hierzu kommt nun vor allen Dingen die bekannte Tatsathe, daß die Lebewesen auf Gifte sehr verschieden reagieren. In dem Fruchtfleisch giftiger Pilze hausen Insekten und selbst Schnecken, der Igel macht sich wenig au» dem Big der Kreuzotter, unsere Drosseln fressen die Beeren der Tollkirsche ohne Schaden und mit Wohlbehagen. Diese
Beispiele ließen sich leicht vermehren. Wie viel hierbei auf eine Verschiedenheit der Körperanlage von vornherein und wieviel diel- leicht auf eine langsame Gewöhnung durch viele Generationen hin- durch kommen mag, fei dahingestellt. Gewiß ist, daß auSgelernte Raucher, Alkoholiker und Kaffeetrinker Nikotin, Alkohol und Koffein in Mengen zu verarbeiten imstande sind, die einen Anfänger in den meisten Fällen töten würden. Ueberhaupt kann man die Genußmittel als Gifte ansehen, deren Wirkung bei erträglich geringen Mengen als Genuß empfunden wird. Die Giftwirkung unserer Genutzmittel ist dabei gar nicht gering einzuschätzen. Selbst unser unentbehrliche? Salz, das allerdings mehr als ein bloßes Genußmittel ist, führt, wenn man etwa einen Eßlöffel voll davon auf einmal einnimmt, zu schweren Vergistungserscheinungen. Mit wenigen Körnern de? de- liebten Kümmels kann man einen Spatzen töten. Der Genuß von vier Stück rohen Zwiebeln auf einmal führt auch beim Menschen zu schweren Erkrankungen usw. Andererseits gibt es auch Pflanzen, die die einen für giftig, die anderen für ungiftig erklären, was daraus beruht, daß auch die Menschen nicht gleich empfänglich gegen Giste sind. So hat z. B. die Hundspetersilie einen üblen Ruf, gleichwohl steht fest, daß viele Personen sie ohne Schaden ge- nießen können. Die Zahl der heimischen Giftpflanzen ist sehr viel größer, als im allgemeinen angenommen wird. Es ist eigenartig genug, daß die gesamte Grundlage der Volksernährung neben dem Getreide auf einer Pflanze ruht, die in allen ihren Teilen giftig ist, nur allein in ihren Knollen nicht, auf der Kartoffel. Aber auch bei dieser müssen bekanntlich die.Augen" als giftig ausgeschnitten werden. Giftig sind außer allgemein bekannten Giftpflanzen, die, wie Schierling  , Bilsenkraut, Stech- apfel usw. hier kaum genannt zu werden brauchen, auch die Korn« rade unserer Getreidefelder, die Päonien und Nelken unserer Gärten, auch die wilden Nelken, unser Epheu, selbst, in geringerem Grade. unsere Vergißmeinnicht. Die Rinde der Wurzeln ist auch beim Apfel- und Birnbaum giftig, was vermutlich angreisende unter- irdische Schädlinge fernhält. Bei allen Weiden und Pappeln ist auch die oberirdische Rinde sSalizylgehalt I) giftig. Giftig find auch alle unsere Anemonen und Ranunkeln, und selbst da» zier- liche Sckmeeglöckchen. Mit diesen Beispielen wollen wir es genug sein lassen. Sie brauchen übrigens niemanden zu beunruhigen. Sie haben mehr wissenschaftliches als praktisches Interesse. Höchstens mögen sie eine Mahnung sein, kleine Kinder, die noch die Gewohn- beit haben, alles Erreichbare in den Mund zu stecken, auch in Gärten nie ohne Aufsicht zu lassen. Der Erwachsene begnügt sich damit, Nelken, Vergißmeinnicht usw. als Augen- und Nasenweiden zu behandeln, und er denkt nicht einmal in diesen bösen Zeiten daran, seinen Hunger damit zu stillen.?oI<L
wie /inatoie§rance hinter öie Schule ging. Anatole France   hat sich, als der Krieg ausbrach, den gesunden Menschenverstand nicht umnebeln lassen; aber als er i» diesem Sinne sich öffentlich aussprach, da sind seine LandSleut« so heftig über ihn hergefallen, daß er eS vorzog, auch seinerseits mit schwacher Stimme in das allgemeine Hurrageschrei einzufallen. Bon Herzen hat er das aber nie mitgemacht, und jetzt kehrt er reumütig in die stillen und idyllischen Tage seiner Kindheit zurück, au» denen er schon früher manche reizende Geschichte vorgetragen hat. Diese« Mal er« zählt er in derRevue de Paris", wie das Leben in der Schule ihm als Zwölfjährigem so verleidet wurde, daß er eine? TageS unter dieSchwänzer" ging. Sein Klassenlehrer. Monsieur Crottu, war auch gar nicht dazu angetan, ihm zu gefallen. Als der Herr Professor in einer Stunde von dem geschundenen Marsyas   er» zählte, er habe ein Tiergesicht, eine Stumpfnase, unordentliche Haare, ganz große behaarte Ohren sowie einen Pferdeschwetf und Bocksbeine gehabt, da fand die ganze Klasse, daß der Lehrer damit, bis auf den Pferdeschweif und die Bocksbetne,'ein genaues Selbstbildnis entworfen hatte. Anatole hatte nichts Eiligeres zu tun, als eine Skizze von Marsyas-Crottu zu entwerfen, wurde er- tappt, hart bestraft, und seitdem waren Schüler und Lehrer un- erbittliche Feinde. Da der Knabe nirgends Verständnis für den Haß gegen seinen Lehrer sand, so nahm er an einem schönen Früh- lingsmorgen seine Mappe unter den Arm. ging, statt zur Schule, die Seine entlang und freute sich seiner Freiheit so sehr, daß er jauchzend einen lleincn Esel umarmte, der an der Straße vor einem Gemüsewagen stand. Ein Tag ohne Crottu t das schien ihm alle Strafen der Welt wert zu sein. Mit Vergnügen bemerkte er. �daß er in eine Gegend gekommen war, die ganz anders aussah al» sein Viertel; die Häuser waren dürftiger, als er fie kannte, und er
konnte zum ersten Male die Leute so recht bei der Arbeit beobachten. Da goß ein Gärtner seine Blumen, da molken Mägde Kühe, da schlug em riesiger Hufschmied einem Pferde das Hufeisen an, und ein Drechsler drehte allerlei hübsche Sachen aus dem Holze. Dann schlug er, mit dem köstlichen Bewußtsein, etwas ganz Un« erlaubtes zu genießen, den Weg nach dem BoiS de Boulogne   ein. Er setzte sich auf eine Bant neben einen Knaben, den er be- wundernSwürdig elegant angezogen fand; trug er doch an goldner Kette eine Uhr und eine schöne blaue, weißgepunktete Krawatte. Die beiden Knaben, die wohl gleichaltrig waren, kamen ins Ge­spräch und es stellte sich heraus, daß der elegante Junge schwer leidend war und deshalb nicht zur Schule gehen konnte. Er stellte dem staunenden Anatole Fragen, auf die dieser keine Antwort wußte, z. B.tWas hältst du von sich drehenden Tischen?" Dann zeichnete er ein Dreieck auf Papier   und in dieses hinein immer kleinere Dreiecke und sagte traurig:So ist mein Leben, es wird immer enger, mit 17 Jahren erstickt man. und dann ist es zu Ende." Anatole war ganz ergriffen, da tauchte die Großmutter des neuen Freundes auf, eine vornehme alte Dame in weiter Krinoline, und sagte besorgt:Cyrill, du hast wieder kalte Hände und«ine feuchte Stirn I Du hast dich bei der Unterhaltung aufgeregt." Dann fügte sie leiser hinzu:.Und du sollst doch nicht mit einem Kinde reden, das du nicht kennst, besonders wenn das Kind nicht in Begleitung ist l" Der Enkel schwieg und verniied es. Anatole anzusehen, und dieser schlich be- schämt von bannen. Da begegneten ihm zwei Kinder, ein Junge und ein Mädchen, die deu änneren Schichten der Bevölkerung an- zugehören schienen, die sehr laut und fröhlich waren und zu ihrer Musstulle abwechselnd aus einer großen Flasche etwas tranken. Willst du auch mal trinken?" wandte sich der kleine Junge an Anatole. der mehr aus Schüchternheit als aus Widerwillen schweigend weiterging, ohne daß ihm zum Bewußtsein kam, daß er diese Kinder aus dem Volke damit ebenso kränkte, wie ihn kurz davor Cyrill? Großmutter gekränkt hat. Er mußte sich sehr eilen, um noch zur rechten Zeit zu Hause anzukommen. Dort war gerade eine ge- strenge Tante zu Besuch, die ihn eingehend fragte, was er heute in der Schule gelernt habe. Anatole antwortete mit Betonung:Ich habe heute mehr gelernt als seit sechs Monaten." Und die Tante wunderte sich, daß ihm das Lernen so gut bekäme... Zum Glück hatte man AnatoleS Abwesenheit in der Schule nicht bemerkt. Er brauchte diesen Lerntag im Freien also nicht mit Strafe zu be« zahlen und merkwürdig, er sah Herrn Crottu ohne Mißvergnügen wieder~ er haßte ihn nicht mehr.
Max Liebermann  , der heute seinen 70. Geburtstag feiert, darf in mehrfacher Hinsicht als Vater des modernen Naturalismus in der deutschen Malerei gelten. Er ist nicht nur einer der ersten gewesen, die die neue Technik in Frankreich   erlernten, sondern er hat auch seit Anfang der 1870er Jahre einen guten Teil seiner Arbeitskraft der Propaganda für die damals moderne Jhinst gewidmet. Als ausübender Künstler und als Kunsttheoretiker gebührt ihm in gleicher Weise ein Ehren« platz unter den Pfadfindern und Vorkämpfern des Impressionismus und der Freilichtmalerei. In Liebermanns Schaffen verkörpert sich recht eigentlich das Wesen und Werden des malerischen Naturalis« muS. Schon in seinen frühesten Arbeiten finden wir fast alle charakte- ristischen Merlmale der damals jungen Richtung: die überaus flotte Technik, die mit wenigen treffsicheren Pinselstrichen den beabsichtigten Effekt hervorzubringen versteht; den ungetrübten Blick, der, alle akademischen Vorurteile überwindend, der Natur die feinsten und diskretesten Farbennuancen abzulauschen trachtet; den Sinn für das Wesentlichste, der, ohne sich in Detailkram zu verzetteln, durch Hervorheben der charakteristischen Punkte den farbigen Gesamt« eindruck des Naturausschnitts festhält, und schließlich die neu erwachte Freude an Lust. Licht und Bewegung. Die Stärke Liebermanns liegt durchaus im Handwerklichen. Er ist von Hause aus in der glücklichen Lage gewesen, ohne Rücksicht auf den Kunstmarkt produzieren zu dürfen, und er hat seine ganze Kraft auf die Entdeckung und Be- wältigung neuer technischerProbleme konzentriereu können. Di« Jugend von heute schlägt andere Wege ein und ihre tünstlerischen Ideale sind nicht mehr die Ideale Liebermanns. Aber trotz aller sachlichen Gegnerschaft und aller unüberbrückbaren Differenzen wird auch sie dem Siebzigjährigen die Achtung nicht versagen, die einem Menschenleben voll unermüdlicher Arbeit und ehrlichem, reinem Streben gebührt._ Notizen. Eine Liebermann  -Ausstellung ist in der könig« lichen Akademie der Künste eröffnet worden. Sie soll eine Gesamt« schau über da« Lebenswerk des Künstlers geben.
es
/toöers hjarmsteö.
Von Jakob Knudsen  . Anders und seine etwas jüngere Schwester Kristkne saßen mit ihrem Kaffee gern drüben beim Kachelofen. Durch einen reinen Zufall gelangte Anders, kurz nach der Fahrt zu der Wahlversammlung, dahin, das Rohe und Rücksichtslose in des Vaters Auftreten gegenüber der Mutter bei diesen Gelegen- heiten einzusehen. Es gab da einen alten Junggesellen, den die Kinder Onkel Hans nannten, obwohl seine Verwandtschast mit ihrer Mutter in Wirklichkeit weit entfernter war. Er war Hofbauer und Handelsmann, doch ohne sonderliches Glück. Wenn er auf den Tanghof kam, rechnete man ihn eigentlich unter die Gäste der Frau. Eines Tages saßen er und Per Hjarmfted beim Kaffee­trinken in der Wohnstube. Sie hatten die gleichen schmutzigen Füße gehabt, und nach dem Kaffee saßen sie beide da und rauchten Tabak und spuckten auf den Fußboden. Onkel Hans machte eS wie der Wirt, ohne daran zu denken. Anders und Kristine waren die ganze Zeit über in der Stube drin; ihre Mutter dagegen war hinausgegangen, nach- dem sie den von den Wanderungen der Männer beschmutzten Boden gereinigt hatte. Als sie wieder einttat, saßen die Männer also und rauchten Tabak; kurz danach stand Per Hjarmsted auf und ging in seine Kammer. Onkel Hans wandte sich nun gesprächsweise an die Frau vom Hause und sagte:Ich glaub. Kirstine und Du, ihr werdet euch mal so ähnlich wie zwei Tropfen Wasser." Er bekam nicht sofort eine Antwort; sie stand da und sah ihn verwundert an. ..Ich sag. Margrethe... Du solltest Dich doch was schämen, Hans!" Was?" rief der, völlig überrascht, gleich danach aber dielleicht doch ahnend, worum es sich handelte. Dagegen wußte Anders das nicht im geringsten, er blickte in ge- spannter Erwartung auf seine Mutter; ihre Wangen hatten sich gerötet, und sie hatte Tränen unter den dunkeln Augen- Wimpern. Willst Du denn so dasitzen und meinen Fußboden voll- spucken, wenn Du siehst, daß ich eben drin war und Deinen Schmutz weggemacht habe!"
Meinen, Margrethe? Ich dachte, daß..." aber Onkel Hans bewies wirklich den Takt, nicht fortzufahren. Anders dagegen fuhr in seinen eigenen Gedanken fort und fühlte, wie ihn eine plötzliche Wut auf seinen Vater packte, gleichzeitig fand er seine Mutter so unsagbar schön. Solltest Dich auf und davon machen. Hans!" sagte sie, nicht mehr erzürnt, aber wie einer, der nach bestem Gut- dünken äußert, was für das Zweckmäßigste gelten muß. Weist Du mir die Türe, Margrethe?" Nein, aber Du hast mirs verleidet, für heut Wetter mst Dir zu schwatzen." Ja, ja adieu, Margrethe!" sagte Onkel HanS mit so rotem Kopf und so verlegen, daß er des Anders Herz da- durch völlig gewann.-- Beinah tagtäglich wiederholte sich diese Szene am Kaffee« tisch   zwischen den Eltern des Anders. Und der erboste sich ein jedes Mal darüber; es stachelte ihn zur Krttik aus gegen seinen Vater. Doch vermaß er sich nicht, diese Kritik um- fassend werden zu lassen.-- Anders hatte oft beobachtet, daß seine Schwester so selten drinnen war das heißt: sich in der Wohnstube befand, an den Tagen, wenn der Alte ausgefahren war. Aber weiter darüber nachgedacht hatte er nicht. Da geschah es eines Tages in dem darauf folgenden Herbst, daß sein Vater von einer Fahrt zurückerwartet ivurde, die fast eine Woche gedauert hatte es war nach dem Markte in Hjallerup. Für Anders war nichts auf dem Felde zu ttin des ununterbrochenen Regenwetters wegen, das in der letzten Zeit geherrscht hatte. Er saß in der Wohnstube bis in den Nachmittag hinein und laS JngemannS Waldemar Sejr zum vierten Mal. Nun wars ihm immer ein körper- liches Uebel, so still zu sitzen, wie man eigentlich soll, wenn man liest; jede halbe Stunde Pflegte er innezuhalten, sich Be- wegung zu machen oder etwas zu sagen; heute nachmittag aber überraschte es ihn immer wieder, daß niemand in der Stube war, mit dem er reden konnte. Seine Mutter war zum Nachbar gegangen, das wußte er wohl. Aber wo steckte Kirsttne? Das konnte er nicht begreifen. Als er an die drei Stunden gesessen hatte, konnte erS nicht länger aushalten. Er hatte einen heißen Kopf und verspürte Unbehagen vom Lesen, vielleicht auch vom Warten, denn jetzt merkte er. daß er die ganze Zeit über gejetzeu
und auf Kirstine gewartet hatte; er war voll hitziger Un- geduld, sie zu sehen und mit ihr zu sprechen, als er nun das Buch weglegte. Er begab sich in die Küche, wo der Eimer mtt Trink- Wasser stand, aber sie war nicht in der Küche. Er ging durch die meisten andern Stuben in dem sehr langen Hause; doch er mochte nicht nach ihr rufen, denn er hatte ihr doch eigent- lich nichts zu sagen. Er mußte eS wirklich aufgeben, sie noch zu finden, und nun fiel ihm ein, daß er ein paar Pflöcke brauchte, die er für die Hühner einschlagen wollte, die gestern zu brüten begonnen hatten. Es war, nach seines Vaters Befehl und zu seinem eigenen ständigen Acrger, sein Amt, die Hühner zu besorgen. Er würde gewiß ein Stück von einem Brett oder so etwas oben in der Endstube finden, wo soviel Gerümpel lag. Die Endstube lag jenseits des SaaleS und hatte Fenster nach der Einfahrt zum Hof hinaus. Als er dort hinauf- kommt, sitzt Kirstine am Fenster in der kalten, finsteren Kammer, mit einem großen Tuch über Kopf und Oberkörper. Aber was hast Du denn hier zu sitzen, kttrsttne?" Ich soll Vater empfangen, wenn er heimkommt." Zu dem Fenster kommt er doch Wohl nicht herein?" Nein." Ich Hab ja gar nicht begreifen können, wo Du stecktest, seit dem Kaffee." Ich soll auf ihn warten. Denn wenn wir in der Wohn- stube sitzen, ists nicht gesagt, daß wir gleich hören können. wenn er vor der Türe hält." Aber warum hast Du hier den ganzen Nachmittag ge« seffen, wenn Du weißt, daß er jetzt erst kommt?" Ja, davon weiß ich doch nichts. Er sagte am Montag, daß ich ihn am Freitag erwarten sollt zwischen 3 und 8. Und das ist ja heut." Aber er hat Dir doch nicht befohlen, hier die ganzen fünf Stunden zu sitzen, bloß damit Du an der Flurtür sein kannst im selben Augenblick, wenn er da ist." Gewiß." Anders stockte völlig. Auf einmal sah er ein, daß es nicht bloß heute der Fall war, sondern nach jahrelangem Brauche geschah, wenn Kirstine hier stundenlang in diese:: Hundekälte zu sitzen und zu warten hatte; nur damit den Vater nicht eine Sekunde auf Hilfe warten sollte, wenn er v« der Türe Hielt. MZj. ipjflU