Einzelbild herunterladen
 

Nr. 200 1917

Unterhaltungsblatt des Vorwärts

viekstag, 24. �uN

Mit öem Torpedoboot in den Kanal. Belgisch« Käst«, J«li 1917. Pechschwarz« Nacht über der belgischen Küste. Di« schmal«, dunlelgelde Mondsichel hängt schief im Nordosten. Dän «n, Küsten» oatterien, Häusersilhouetten umklammern sich gespensterhaft und entschweben. Endlich stolpern wir an« dem Dnnensand ans den harten Stein der Hafen strafte. Alles dunkel. Verschlafene Posten im Stahlhelm. Das Meer vauscht leise. Plötzlich lange, schmale Boote längsseits der Mauer. Vier dicke Schornsteine. Schwarze Rauchfahnen wühlen sich in die Nacht. Rote Fnnfen sprühen. Auf den Booten huschen Schatten hm und her. Die Windmaschinen rauschen. Morsezeichen blinken. Wir suchen da» Boot mit dem Stander beS HolbflottillenchefS. Ein schlanker Schatten löst fich aus dem Dunkel neben dem Schornstein. Rur unklar erkennt man die Gesichter. Wir betreten da? Boot, klettern über dick« Torpedo « lanzierrohoe, streifen mit dem Kopf die nackten Geschütze. Alle» schwarz. Alles zittert unter unseren Füften. Jetzt tritt ein Mann zum 11-Chef. Kommandoruse springen von Bord zu Land, Leinen los. Laugsam schiebt sich das Boot von der Mauer weg iu die See. Eine halbe Stunde später. Di« Boote fliegen durch die Nacht. Alles dunkel. Kein Rauch. Kein verräterischer Funke. Nur die weifte Hecksee türmt sich leuchtend hinter uns her. Alles schwarz. Nur über uns die Sterne. Und südlich, weit am Horizont, steigen die Leuchtraketen und Müudnngsfieuer der Front von Lombartzvd« auf. Wir jagen durch die Nacht. Wohin? In den Kanal. JnS Dunkel. Richtung England. Unser Boot an der Spitze. Es fliegt über den dunklen Grund. Die hohen, weiften Bugwellen flattern um den scharfen Stahl des Stevens. Wie es an allen Gliedern zitternd sich in das Dunkel vorwärts wirft gierig, hungernd, fechgend dies Keine Boot, nichts weiter als eine riesenstarke Tur- bin«, mit dünnem Stahl verputzt, jetzt ist es ganz Leben ganz Wille ganz Angriff. Torpedoboote, dies« schwarzen Teufel der Nacht, habe» viele Feinde. Dicke Zerstörer, beichte Kwuz-r, Flieger, U-Boote. Mit allen kämpfen fie alle suchen sie, spüren sie aus das ist da» Leben der Torpedoboote. Aber ihre schlimmsten Feinde find die Minen. Die Minen schwimmen überall. DaS Linienschiff kann gegen sie gesichert werden. Torpedoboote kennen keinen Minen- schütz, dürfen ihn nicht kennen. Abgeblendet, mit voller Kraft, dem Zufall preisgegeben, jagen sie nachts durch die verseucht« See. Jedermann weih, daft er im nächsten Augenblick in die Luft fliegen kann. Darum sind während der Fahrt auch alle Mann mit Schwimmwesten bekleidet. Und wer nicht unbedingt hinunter muft, liegt oben an Deck. Zwischen den Windsängen, ne&en den Schorn­steinen, am Fuft des AchterturmS, überall liegen schlafende Men« schen. Wenn die Alarmglocke durch daS Boot schrillt, fahren fie auf. Aber alles ist ruhig bis jetzt. Die Wachen stehen angespannt auf ihren Posten. Die Lanzierrohr« sind auSgeschwungen die Ka­nonen klar zum Schuh jeden Augenblick kann die erste Salve eines nicht entdeckten Zerstörers auf das Boot hernwdersausen. Aller Augen bohren sich nach allen Richtungen in d« Nacht. Sie suchen dunkle Schifsssilbouetten, Rauchfahnien, rote Schornsteinfunkem Aber nichts zeigt sich auf der weiten dunklen Fläche. Der Mond sinkt tiefer. An Backbord weit entfernt sprüht ein Leuchtsignal aus dem Dunkel auf. Ein deutsches U-Boot gibt sich zu erkennen. Auf unserer Brück« flammen die gleichen Farben auf. Dann ist alles dunkel wie vorher. Die Windmaschinen brüllen, daft man in ihrer Nähe kern Wort versteht. Wir fliegen mit dem Schiff nach Westen, als ob wir auf einer heulenden Granat« sitzen. Für«inen Augenblick hinunter in den Heizraum. Durch einen dünn«,, runden Schacht, der oben und unten geschloffen als Luftschveuise wirkt. Die Chrcn sausen, wie wir unten ankommen. Halbnackt, in einem schmalen engen Gang, stehen die schweifttriefen- den Gestalten der Heizer vor den Orlfeuern. Durch die Wind- schächde strömt die eisige Lust auf fie herab. Hinter blauen Scher- ben sieht man das Schweröl eure weihe, brodelnde Hölle, die die Turbinen treibt. Die Heizer sehen nicht«cht? noch kink», nur immer noch oben, auf die weihen Uhren, deren Zeiger nicht fallen darf. An diesen Zeigern kann das Leben de» ganzen Bootes hängen. Die Heizer tun blind ihve Pflicht. Sie sehen keinen Feind fie sehen nur die Zeiger da oben. Wenn plötzlich eine Mine da» Boot berührt, wenn eine Granate da? Deck durchschlägt, TorpodebvotS- Heizer haben immer den gefährlichsten Platz, den sichersten Täd. Wie wir wieder nach oben kommen, beginnt e» im Osten zu dämmern. Die Stern« erbleichen. All«? auf dem Schiff bekommt jetzt Gesicht die Schwimmwesten der Matrosen tue Leinen, an denen man sich bei Seegang festhalt die Köpf« der Torpedos, mit denen die Rohre geladen sind der junge Fähnrich aus Neu- münster, der uns so stolz die Geheimnisse seines Bootes zeigt. Wir fahren mit voller Kraft. Immer noch geradeaus nach Westen

Richtung England. E» wird Heller und Heller. Die See färbt fich grün. Ein anderes Boot schieftt dicht hinter«n» her. Bon der Drücke winkt der Kommandant herunter: Immer noch nichts vom Feind zu fehen. Da» Z«iftgla» sucht den Horizont ab. Nicht die kleinste Rauchfahne kein Periskop kein Fischer kein Fracht­boot. Und dabei ist di«s doch die grotze Seestraft«, ans der im Frie- den die Wallfahrt des norden ropäischen Handels hin und her lief... Wie wir noch vorwärt« suche», in der Richtung, wo später die englisch « Küste auftauchen nruft, erhebt fich plötzlich ein Rauschen über rms. Leuchtfignal« zischen von oben durch den grauen Morgen hinab. Zwei große schwarze Vögel holen wn« ein, zwei deutsche Seeflieger. Sie funken unserem F.-T.-Mann oben auf der Brücke ihre letzten Neuigkeiten zu. Dann brausen sie mit ihren langen Schwimmschuhen über un» hinweg nach vorn und find im Dunst des anbrechenden Tage? bald entschwunden. Vorwärt« immer schneller immer näher heran. Wir klettern in den Funkenraum, dann in da» Kartenhaus und sehen auf der Seekarte dm Weg, de« unser tapferes Schiffchen durch- schneidet. Immer weiter weg von unseren Küstengeschützen, immer tiefer in» umbekannte Grau, immer näher an England heran. Jetzt stehm wir über der Brück« hoch im Stand des Artillerieoffizier». Der Tay ist da. DaS ganze schmale Boot liegt unter uns. Und nun be- ginnt die richtige Seefahrt. Der salzige Morgenwind bläst alle Müdigkeit au? de« Gesichtern. Die gelben Wolken im Osten be- kommen einen roten Schimmer. Tausend weift« Wellenköpfe hüpfen um unser Boot. Die Schnelligkeit, mit der wir durch die grünen Wasser jagen, beflügelt unser Atmen, Sehen, Sinnen. Niemand denkt an Minen und Feinde eine« Augenblick niemand an Krieg. So zaubert wn» da« Meer in seinen Bann der Freiheit und Unend- lichkeit. Aber wa» ist da«? Bon der Brücke ertönt ein lauter Ruf. Er setzt sich nach untm fort. Alles rennt nach S-ieu erbort hinüber und zeigt auf einen dunklen entschwindenden Punkt..Eine Min e." Richtig, da schwimmt fie. Fünf Meter zehn Meter längsseits von un» Hab«, wir fie passiert. Sie taucht im Spiel der Wellen auf und verschwindet..Donnerwetter" sagt der Signalgast. Der Maschinentelegraph klingelt:.Halbe Fahrt." Signal« fliegen hoch für die folgenden Boote. Langsam wenden wir hart Steuerbord im Kreis« nach der Mine zurück. Da schwimmt sie. E» ist eine alte graue mit Seetang bewachsene Kugetmine. Vielleicht schon«rt- laden, vielleicht«och scharf. Eine» unserer Maschinengewehre wird aufgestellt. Taktaktaktak. An« respektvoller Entfernung llatschm die Kugeln vingS um fie herum aufspritzend inS Wasser. Aber die Mine tanzt eine ganz« Weile noch auf und ab. Endlich durchschlägt eine Kugel ihr den Mantel und fie verschwindet langsam in der grünen Tiefe. Der östliche Himmel ist jetzt purpurrot. Di« Sonne blinzelt über den Horizont und färbt die Spitzen unserer Masten. Wir find am Ziel. Weiter können sich bei Tage die schwarzen Teufel der Nacht nicht wagen. Einen Augenblick liegen die Boote noch still da. Schaukelnd in einem Kreis von Gischt. Wie triumphierend weisen ihre scharfen Steven noch einmal nach Westen. Jetzt sind wir Dover und Calais am nächsten so nahe Englands Küste, wie wir armen Landratten vor Frieden nie wieder sein werden. Und alles ist leer ringsum Diese große Handelsstraße ist ganz verödet. Kein Fran- zose, kein Engländer ist zu sehen. Nur unser kleiner rauch- geschwärzter Halbflottillenstander weht lustig iu der Morgensonne. Einen Augenblick schaukeln die Boote noch. Dann fliegen neue Wimpel am Signalmast hoch. Die Turbinen beginnen wieder zu zittern. Unser Boot schieftt an die Spitz«. Vor den Windfängern rauscht und brüllt e«. Mit voller Kraft zwischen weihen flattern- den Wellonbändern vorn und hinten jagen die Boote in den hellen Tag zurück. Dr. AdolfKöster, Kriegsberichterstatter.

wie hoch fliege« die Vögel! Wenn man eine Lerche, einen Raubvogel oder einen anderen Vogel mtt den Augen verfolgt, der fich w die Höhe erhebt, so dauert e« ntcht lange, bis er den Blicken entschwunden ist. In welcher Höbe tritt dies ein und wie hoch fliegen die Vögel überhaupt? Mit dieser Frage beschäftigt fich Friedrich von Lucanu« im nächsten Hefte der bei Julius Springer in Berlin erscheinenden.Naturwisien- schaften*. Der Helgoländer Vogelwart Gätke hatte bor Jahrzehnten auf Grund seiner eigenen Schätzungen angegeben, die Vögel zögen in Höhen von 6000 bis 12 000 Meter, und diese Angabe ist in der Fachliteratur weit verbreitet. Sie ist aber unbedingt falsch. Lucmms hat dies durch eigene Versuche und durch Rundftagen eindeutig nach- gewiesen. Wenn Vögel in so gewaltigen Höhen fliegen, müßten die

Luftschiffe fie dort doch wenigsten« gelegentlich beobachten. Allein bei allen wissenschaftlichen Hochfahrten hat fich 400 Meter über dem Erdboden alS durchschnittliche Grenze für die Höhe deS VogelflugeS herausgestellt. Nur in einem einzigen Falle wurde eine Lerche in 1900 Meter beobachtet, doch handelte eS sich nicht um einen ziehenden Vogel, sondern um ein einzelnes Tier, das zufällig in diese Höhe aufgestiegen war. Die höchste Höhe, in der Süring Bei 100 wissenschaftlichen Ballonfahrten Vögel angetroffen hat, und zwar waren eS Krähen, betrug 1400 Meter. Wollte jemand einwenden, daß die Luftschiffer deswegen so selten Vögel in großen Höhen ge« sehen haben, weil diese vor dem Ballon fliehen, so ist dem die fol- gende Beobachtung entgegenzuhalten: Auf der Vogelwarte Rossttten hat v. LucanuS beobachtet, wie an einem guten Zugtage ein Zeppelin- lustschiff mitten durch die wandernden Vögel hindurchfuhr, ohne daß diese sich auch nur im geringsten stören ließen. Von entscheidender Bedeutung für die Flughöhe der Vögel ist die Bewölkung. Ueber den Wolken, außer Sicht der Erde, haben Lustschiffer nur in einem Falle einen Vogel angetroffen, und zwar eine Taube, die bei starkem Nebel in 800 Meter Höhe plötzlich auf- tauchte, fich auf den Korbrand setzte und erst weiter flog, als beim Abstieg die Erde wieder sichtbar wurde. Offenbar hatte sie sich verirrt. Bei den Versuchen, die v. LucanuS anstellte, indem er Vögel über den Wolken aussetzen ließ, war das Ergebnis stets, daß die Tiere auf dem Ballon Platz nahmen oder ihn solange um- kreisten, wie sie die Erde unter sich sahen. Eine Heidelerche, die in 3000 Meter Höhe über dichten Wolken freigelassen wurde, hielt sich dauernd in der Nähe deS Ballons auf; als durch einen Riß in der Wolkenschicht die Erde wieder sichtbar wurde, benutzte sie diese Lücke, um durch sie in die Tiefe zu gehen. Ebenso verhielten sich andere Vögel bei diesen Versuchen, und daraus geht hervor, daß die Vögel fich im allgemeinen nicht aus freien Stücken außerhalb der Sehweite von der Erdoberfläche entfernen. Die unterste Wolken- schicht ist die Grenze für die Flughöhe, einerlei ob beim Zuge oder sonst, und wenn plötzlich Wolken oder Rebelschichten herankommen, werden die Vögel durch fie aus der Höhe in die Tiefe gedrückt. Im Okertal hat v. Lucanus diese Anschauung sehr schön an Schwalben bestätigt gefunden, die einige hundert Meter hoch, gerade noch als Punkte wahrnehmbar, umherflogen. Plötzlich zog eine starke, tiefliegende Wolkenschicht herauf, die die Landschaft allmählich in Nebel hüllte, nun konnte man wahrnehmen, wie die Schwalven da. wo fie im Bereiche der Bewölkung waren, niedrig über dem Erb- boden bahinstrichen, während sie da, wo der Himmel noch klar war, hochflogen und erst durch die vorrückenden Wolken zur Erde herab- gedrückt wurden. Bei ziehenden Vögeln hat der Leiter der Vogel - warte Rossttten, Professor Thienemann, gleiche» beobachtet: Krähen, Stare, Finken, Drosseln und Lerchen, die in 80100 Meter Höhe zogen, wurden durch Nebel allmählich zur Erde herabgedrückt, und als der Nebel so stark geworden war, daß Gegenstände von mehr als 100 Meter Entfernung in horizontaler Richtung nicht mehr zu erkennen waren, hörte der Zug überhaupt auf. Alle diese Beobachtungen machen die großen Flughöhen, die Gätke angibt, äußerst unwahrscheinlich. Ganz abgesehen davon, daß in mehreren tausend Metern Höhe Vögel wegen deS niedrigen Druckes und der grimmigen Kälte gar nicht leben könnten, ist auch nicht einzusehen, was fie in solche Höhen treiben sollt«.

Nottzen. Reisekosten im Zeitalter der Postkutsche. Um die Mitte deS vorigen Jahrhunderts wurde berechnet, daß sich schon damals der Reiseverkehr im Vergleich zu der Zeit vor den Eisen- bahnen ungefähr vereinfacht habe. DaS mag übertrieben klingen, bleibt jedoch hinter der Wahrheit wohl nicht allzuweit zurück, denn die Verbilligung und Erleichterung deS Reifens durch die Lokomotive war eine so außerordentliche, daß ein gewaltiger Umschwung nicht hatte ausbleiben können. Schlözer las für seine reichen und vor- nehmen Zuhörer in Göttingen ein besonderes Reisckolleg, worin er die Reisekosten für eine Person zu einem Dukaten auf die Meile berechnet. Die Fahrt von Leipzig nach Frankfurt a. M. mußte nach diesem Satz 180140 Taler kosten, nach heutigem Geldwert etwa 1000 M. Zur Extrapost benutzte man in Deutschland mit Vorliebe die halbbedeckten Wagen, die 100300 Taler kosteten. Als Wilhelm von Humboldt im Jahre 1817, also vor gerade 100 Jahren, als preußischer Gesandter nach London reiste, hatte er, wie er seiner Frau schrieb, auf der Ueberfahrt von HellevoetsluiS nach England für eine geräumige Kajüte, die er mit seiner Begleitung teilte, die unglaubliche Summe von 42 Lstrl. zu zahlen, also Nach heutigem Geldwert wohl über 2000 M. Er sülzte in seinem Schreiben hinzu, das wäre der Preis, den man dem Könige berechne..Ueberhaupt ist das Reisen hier lächerlich teuer; die letzte Station, die noch nicht von drei deutschen Meilen ist, hat mich 9 Pfund gekostet."

9?

Inders hjarmfted.

von Jakob Knuds««. Es war in einer Mittagstunde im Monat Mai, kurz nach der Zeit, seit man in diesem Jahr auf dem Tanghof begonnen hatte, ein Mittagsschläfchen zu halten, als er sich hierüber klar wurde. Seine Voraussetzungen über Gedanken und Er- lebnisse waren mindestens eine Woche lang die gleichen ge- Wesen; trotzdem kam es merkwürdig plötzlich über ihn: daß dieser Zustand ja die Hölle sei, wenn er nicht auf die eine oder andere Weise mit Gott wieder in Verbindung komme. Von Schlaf war keine Rede mehr, obwohl er am Morgen sehr früh aufgestanden war. Er saß aufrecht im Stroh, gerade wie eine Kerze. Er hörte die Knechte auf der Tenne schnarchen; sie hatten sich der Hitze wegen in die Scheune gelegt. Zu seiner eigenen Verwunderung fühlte er sich von seiner Angst unwiderstehlich getrieben, seinem Vater daS Ganze zu sagen. Und es mußte sofort geschehen, ein Auf- schub war nicht möglich. Er wußte sehr gut, wo sein Vater sich im Augenblick aufhielt. Der saß immer am Tischende in der Wohnstube und hielt sein Mittagsschläfchen. Er war der- jenige, der die andern weckte. Anders verließ schleunigst die Scheune. Er kam fich so allein vor mit seinem Unglück. Alle Menschen schliefen. Niemand sonst war wach auf dem ganzen Hof. außer dem Hahn, der mit seinen Hühnern auf dem Misthaufen spazierte. Der Wind blies ihm in den Schweif hinein; aber er blieb bei- seinem Hochmut und gab sich besondere Mühe bei jedem Schritt, den er tat. Alles war so hell in der Farbe von Staub und Sonnendürre, und weißer Nebel lag w der Lust, nur zu alleroberst war der Himmel bläulich. Jede Topfscherbe auf dem Hofe, die das Licht auffangen konnte, funkelte im Sonnenschein. Eine große Mattigkeit befiel Anders, so daß ihm war, als müsse er umsinken. Aber jetzt war er beim Wohnhause angelangt. Im Fenster erblickte er seines VaterS Oberkörper. Die Ellbogen hatte er auf die Tischplatte gestützt, die Unterarme waren vorgestreckt, und die Hände um- faßten einander. Der Kopf mtt dem über die Stirn hängenden Haar senkte sich auf die Arme. Anders trat zur Tür hinein. Die Länge deS Tisches lag zwischen ihnen. Der Alle machte die Augen auf und sah i unsicher vor sich hin. nicht auf Anders, sondern a« dem Tisch>

entlang. Er würde wieder eingeschlafen sein, wenn Anders ntcht gesprochen hätte: .Vater, wer soll«nS sage«, daß daS Christentum das Mchttge ist. Denn ich bin in Zweifel geraten." .Wa aS?' Anders konnte eS fast nicht wiederhole» au* Angst vor dem Nicht-Vorherfehbaren, dessen er bei seinem Bater immer in Furcht gewärttg war. .Ich Hab Zweifel gekriegt deS Christentums wegen." .Hast Du Zweifel gekriegt." Eine Weile faß der Vater da und sah auf den Tisch nieder; dann sagte er mit einem ttefen Seufzer:Hm. Oja." Es hatte den Anders sonderbar überrascht, daß seine Mitteilung nicht wie ein Verbrechen entgegengenommen wurde, sondern eher wie ein schweres Unglück. Gibt eS niemanden, den ich danach fragen könnte?" O nein." Der Schulmeister hat gesagt, baß man beim Bischof oder Minister nachstagen könnte." Ah, das sind Hallunken, einer wie der andre. Die tun nichts andres als lügen," sagte der Vater in dem gleichen be- trübten Tone. Ja, aber könnt JhrS denn nicht sagen, Vater?" Ich könnte wohl. Aber an mir ist ja nichts Gute«. Du hast ja keinen Grund, mir z« glauben." .Doch." Dem Ander« warS. als sollte seine Stimm« vor Be- wegung vergehen, als er dieses»Doch" aussprach. DaS Ganze war gerade umgekehrt für ihn gekommen im Vergleich zu allem Fruhern. Sein Vater suchte gleichsam bei ihm Nachsicht! O nein. Die Menschen find zu gering in fich selber, als daß der eine sich auf den andern verlassen könnte." Ja, aber wer soll mirs denn sagen? Denn, Vater, ich Habs auch mit dem Bösen zu tun bekommen." .Ja, ja dahin kommt man leicht, wenn man erst ins Zweifeln geraten ist." Aber wie soll ich da wieder zum Glauben gelangen?" Ach, die Kraft des Geis-tes und deS Wor-tes, die wird daS bewirken." Könnt Ihr mir denn das Wort nicht sagen?" Das sag ich ja jeden Morgen, lieber Anders; aber der Geis-t kann wohl meinen Mund nicht gebrauchen, so daß die Sttmme von ander« gehört werden kann. Dazu bin ich

I wohl auch all zu gering, ja, dazu bin ich Wohl auch all zu gering." Ja, aber könnt Ihr denn selber den Geist verspüren?" .Oho, gewiß wie sollt ich sonst glauben: Das Wort, welch'» jetzt in Schriften steht Ist fest und unbeweglich, Der Himmel und die Erb vergeht, Gott's Wort bleibt aber ewig: Kein Holl, kein Plag. Noch jüngster Tag Vermag eS zu vernichten; Drum denen soll sein ewig wohl, Die fich darnach recht richten. Gewiß, er muß es ja allezeit selbst wn aber wir können doch recht gut zu gering sein, um Seinen Namen zu bekennen, so daß es von andern gehört werden kann." »Nein, Vater, denn ich kann Euch wohl glauben. WennS auf die Art ist, so kann ich Euch wohl glauben." Hm. Ja, es kann ja sein daß der Herr nicht gerad meinen Dienst verwerfen will. Das könnte ja doch sein." Aber wenn ich mich mm dem. Bösen verschworen Hab, hat er dann noch Macht über mich?" Nein I" sagte der Alle, und eS kam plötzlich etwas Aufgeräumtes in seine Sttmme.Da ist ein Kerl, der keine Rechte hat. Den Glauben in die Welt, so soll Satanas weichen! Nein, er hat alle seine Prozesse im voraus verloren!" Darauf setzte er fich wieder am Tischende zurecht, schob die Arme vor wie vorhin und senkte den Kopf:Geh jetzt. Anders, geh jetzt wieder in die Scheune. Jetzt woll'n wir schlafen!"-- Und Anders ging w die Scheune und schlief, seltsam genug, sofort ein. Als er aufwachte, bemerkte er über sich blauen Himmel; und ihm schien, daß er im Grunde immer daran geglaubt hätte, daß der da wäre. Wie groß Gottes Macht doch sein müsse, dachte Anders, da sein Vater ihr gegenüber seine Autorität ganz aufzugeben gezwungen sei. Und diese Macht empfand Anders, teils wohl gerade auf Grund dessen, als Freiheit. Das, was sein Vaterdas Geisttge" nannte, das mußte ja nichts als Freiheit sein. Er war im Augenblick sehr liebevoll gegen seinen Vater ge- stimmt. Wie er sich aber in Zukunft in seine Tyrannei würde finden können, das verstand er nicht. Sein Vater war doch nur ein armer Mensch!(Forts, folgt.)