3» den Steuern übergehend, spricht Redner für eine pro-pufiiue Einkommensteuer. Die Sache stehe jetzt so. daß dieKaiiimer zwar dieselbe beschlossen habe, aber doch nicht ernstlichgenug wolle, weshalb nichts erzielt wurde. Redner besprichtsodann die Privilegien der Standesherren. die Anträge derGruppe wegen des Vereins- und Versainmlungsrechtes,namentlich wegen der Betheiligung von Frauen w. undkündigt an, daß diese Anträge und Beschwerden wiederkommen werde». Gegen die Beseitigung des siebenten Schul-jahres, das den Ultramontane» noch viel szu viel sei, seiennatürlich� die sozialistischen Abgeordneten eingetreten,ebenso für erhöhte Bewilligungen zu gunsten der Hilss-lehret»nd das höhere Bildungswesen. Sie seiender Meinung. daß für Wissenschaft und Kunstdas Btöglichste geschehen müsse. Dagegen hätten die Sozial-demokralen die Mittel für das Kirchenbudget verweigert, ein-gedenk des Satzes: Religion ist Privatsache. Was denBtilitär-Elat anbelange, so thue namentlich die ultramontanePartei so, als ob wir das Geld, das wir vom Reiche er-halten, geschenkt bekommen, was natürlich nicht wahr fei.Auf alle Fälle habe der Militär-Etat den Vortheil, daß manim stände sei, an demselben Kritik zu üben. Redner besprichtsodann die Debatte über die Soldatenmißhandlungen undüber das Duell und konstatirt, daß die ganze Duellaktionder ullramonlanen Partei ins Wasser gefalle» sei. Weiterkommt von Vellmar auf das Militärgerichtswesen undZ aufdie Nnleroffizier- Schulen zu sprechen. Die Erziehung inden Letzteren hält er vom bürgerlichen Standpunkte ausfür das schlechteste System.(Lebhafter Beifall.) Rednerist selbstverständlich ein Gegner des geforderten großen Uebungs-Platzes in Franken und glaubt, daß 7 Millionen nicht langen,sondern die Sache auf. 10 Millionen lzu stehen kommt. DieUltramontanen, die sich immer als' so große Militärgegnerausspielen, hätten aber auch hier, wie bei der Unteroffizier-schule, die Regierungsforderung bewilligt. Er, Redner, habenamentlich in einer Versammlung in Schliersee dieses Ver-fahren gegeißelt. Die Ultramontanen hätten zu dieser Ver-sammluug einen eigenen Stenographen hinausgeschickt. Dr. TallerHobe im Landtage die Sache vorgebracht und hierbei das Ge-ständniß gemacht, daß dieselbe ihnen schweres Geld gekostethabe. Privatim habe er noch geäußert, daß er gar nicht sage,wie viel. Die Ultramontanen hätten nun das Stenogrammdrucken lassen, aber ja nicht zur Verbreitung unter denBauern, sondern lediglich für ihre Abgeordneten und Agi-tatoren, damit diese die Worte drehen können, wie sie wollen.—Nachwahl zum hessischen Landtage. Aus Offen-dach wird uns geschrieben: Die zweite hessische Kammer hatbekanntlich das Mandat unseres im vorigen Herbst zumLandtags-Abgeordneten für den Kreis Offenbach-Land ge-wählten Genossen Balthasar Cramer-Darmstadt für ungiltigerklärt, weil in einem Orte des Wahlkreises, in Sprend-lingen, Unregelmäßigkeiten vorgekommen waren. Auchunsere Genossen im Landtage haben für die Kassirung derWahl gestimmt, zugleich wurde in Sprendlingen eine Neu-wähl der Wahlniänner angeordnet. Bei der gestern statt-gehabten Nachwahl wurden anstatt der kassirten vier, siebenSozialdemokraten gewählt, wodurch die Wiederwahl unseresGenossen Gramer gesichert ist.—Ju der französischen Kammer schon wieder großerSkandal. Der famose„General", der im„Figaro"allerhand dummes, indiskretes und höchst unpolitischesZeug— anonym natürlich— veröffentlicht hatte, ist inder Interpellation des Sozialisten Paschal Groussetgenannt worden! Es ist der Bluthund G a l l i f e t,der 1871 in der„blutigen Maiwoche" die Kommunardensportsmäßig erschießen ließ und hei der Henkerarbeit selber- mithalf. Die Bourgeoisie hat kein Glück in der Auswahlihrer Helden und Handlanger.„Es will ihr nichts mehrgelingen."—Englischer Tropenkoller. Zu der nämlichen Zeit,da der weiberpeitschende Kanzler Leist in Berlin eingetroffenist, kommt aus England eine Nachricht, die beweist, oaßenglische Kolonialfexe in Amt und Würden nicht minderBrutalitäten gegen die Eingeborenen sich zu Schuldenkommen lassen, als ihre deutschen Konkurrenten. Das ent-schuldigt zwar keineswegs Leist und Konsorten; es zeigtnur, daß der Tropenkoller unterschiedslos Mitgliederaller europäischen Nationalitäten ergreift, die dieRolle von Kulturträgern in den Tropenländernspielen wollen. In einer vor kurzem in Englandabgehaltenen Missionsversammlung theilte Lord Stanmore,ein früherer Gouverneur der F i d s ch i i n s e l n mit, daßauf diesen Inseln im Stillen Ozean es üblich seiFrauendurchzupeitschen, wenn sie sich durch Baden amSonntage gegen die Sabbathordnung ver-gangen hätten. Andere derartige Vergehungen würdenmit Gefängniß oder mit der Auferlegung von Geld-büßen bestraft. Das jene barbarische Rohheit deniFanatismus der anglikanischen Geistlichkeit znzu-schreiben ist, macht sie noch besonders widerlich. Inden Missionskreisen selbst scheint diese absonderlicheArt, die Sabbathverehrung unter den Wilden zu fördern,weiter kein böses Blut gemacht zu haben, doch nehnlenimmerhin einzelne Leute, deren Gesichtskreis nicht durch dieScheuklappen des obrigkeitlichen Christenthums beengt wird,Anstoß daran.Ein Herr Byles beabsichtigt die Sache im Uuterhausezur Sprache zu bringen und anzufragen, ob die Strafgesetze,die auf den Fidschi-Jnseln die Auspeitschung der Frauen,und noch dazu aus solchen nichtigen Gründen gestatten,die Billigung der britischen Reichsregierung erhalten haben.Die Schandthat der beiden südafrika-nischen Polizei- Soldaten Daniels undWilson weist noch einige besonders widerwärtigeZüge auf, die in unserer Notiz in Nr. 127nicht erwähnt wurden. Sie hatten die Boten Lobengula'snicht ermordet, sondern hatten von ihnen in der Nähe desbritischen Lagers die Botschaft Lobengula's an den MajorFordes zusammen mit 1V0V Lstr. in Gold ausgehändigterhalten. Um das Geld unterschlagen zu können, mußtendie beiden wackern Polizeisoldaten auch die Botschaft unter-schlagen und so kam das Friedensgesuch Lobengula's nichtan seine Adresse. Er wurde weiter verfolgt, denn er be-fand sich damals bereits auf der Flucht nach einer ver-lorenen Schlacht. Aber nunmehr wurden seine Verfolger,ein Major Wilson mit seiner Truppe, von einer Ueber-macht der Matabele angegriffen und bis auf den letztenMann getödtet. Späterhin kam auch noch Lobengulaselbst um.So bricht sich die europäische Zivilisation in AfrikaBahn.—Die italienische Staatskrise. Herr Crispi bleibtvorläufig in der Regierung. Die Demission der Ministerwar, wie wir sofort bemerkten, nur eine Komödie, durchwelche die Kammer getäuscht und der geplante Staats-streich— Auflösung der Kammer und Diktatur Crispi biszum Zusammentritt der neuen unter Standrecht zu wählen-den Kammer— verdeckt werden sollte. Die Komödie wardjedoch durchschaut, und der König scheint das Gefährlichedes Spiels, bei dem seine Krone den Einsatz bildet, begriffenzu haben. Crispi hat der Kamniex sein Ehrenwort gegeben,daß er nicht auflösen will. Nun ist zwar ein Crispi'schesEhrenwort so viel werth wie ein antisemitischer Ehrenschein,aber die Verhältnisse, die es erzivungen haben, dauern fort,und mit immer zwingenderer Gewalt. Bei der steigendenErbitterung ini Land ist keine Aussicht auf eine ge-sügigere Kammer. Die Erbitterung ist so groß, daßselbst gemäßigte Leute einen revolutionären Aus-bruch für unvermeidlich halten. Crispi darf sichnirgends mehr aus der Straße sehen lassen— seinName wird überall verwünscht, und ver 5könig wirdin den Strudel der Unpopularität hineingerissen. Das hatihn erschreckt. Sogar die„Vossische Zeitung", die bisherdurch Dick und Dünn mit dem italienischen Bismarck ging,fängt an, stutzig zu werden. Sie schreibt in ihrem heutigenLeitartikel über„Die Vorgänge in Italien":Crispi hat die Forderung, daß sein Antrag vor der Ab-stiunnung über den Finanzlage erledigt werde, am Sonnabendmit 229 gegen 194 Stimmen bei 14 Stimmenthaltungen durchgesetzt. Den zweiten Sieg hat er am Montag erkämpit. Mit225 gegen 214 Stimmen wurde der Ausschuß beschlossen, dieBerathung über den Finanzplan bis zum 30. Juni vertagt.Sechs Abgeordnete enthielten sich der Abstimmung und unterder Mehrheit, die Crispi zum Siege verhalf, befanden sichvierzehn Minister und Unterstaatssekretäre. Die Regierungverdankt das Vertrauensvotum den Stimmen ihrer eigenenMitglieder. Das ist der Sinn des Erfolges, den deritalienische Ministerpräsident am 4. Juni zu verzeichnenhatte. Es ist ein Unglückstagin seiner Ge-schichte. Seine Amtsgenossen haben sich veranlaßtgesehen, ihm die Portefeuilles zur Verfügung zu stellen, woraufder Ministerpräsident der Krone die Entlassung der Regierungüberbrachte. König Humbert hat sich die Entscheidung vor-behalten. Was nunmehr geschieht, das werden die nächstenTa�e lehren. Die Auflösung der Kammer ist ein W ü r f e l-s p r e l. Vielleicht opfert Crispi Soimino dein rasenden See,vielleicht auch— doch das ist der unwahrscheinlichste Fall—entsagt er selbst endgiltig der süßen Geivohnheit des Regierens.Die Staatsgläubiger außerhalb Italiensa b e r st e h e n vor e i n e m C h a o s; sie wissen nicht, wasdie Zukunft bringt, sie wissen nicht, ob die Rentensteuererhöht, ob es bei der vorgeschlagenen Erhöhung sein Be-wenden haben, welcher andere Weg zur Herstellung des Gleich-gewichts im italienischen Budget beschritten wird. Das aberwerden sie sich nachgerade nicht verhehlen, daß FrancescoCrispi in der Lösung der Finanzkrisis eine unglücklicheHand bewiesen hat.Das Schönste ist— und nie hat die Gedanken-losigkeit, mit der die Zeitungen der Bourgeoisie redigirtwerden, sich komischer und glänzender bewährt— dasSchönste ist: Ter Leitartikel, der von dem„Unglückstagin der Geschichte Crispi's" handelt, beginnt mit denTriumph-Worten:„Francesco Crispi hatgesiegt!" Der Anfang wurde geschrieben, ehe„Tante"die Bedeutung des Montagsvotums sich klar gemacht hatte—und als diese ihr aufdämmerte, vergaß sie, den Anfang zustreichen. Ein siegreicher„Unglttckstag"! Das ist neu.Oder auch nicht. Sind wir doch daran gewöhnt, daß dasBürgerthum seine Niederlagen als„Siege" feiert, undwären es auch nur„moralisches.Charakteristisch für Crispi und seine„staatsmännische"Methode ist, daß er soeben mit der Schweiz einen Krakehlvom Zaune gepflückt hat, weil angeblich die Gotthardt-Befestigungen Italiens Unabhängigreit bedrohen! DieserAppell an den Chauvinismus setzt doch etwas zu viel—Naivetät voraus. Aber freilich, wenn der Teufel nichtsanderes hat, dann frißt er Mücken. Und ein Schelm giebtmehr als er kann.—Nachdem Obiges geschrieben, erhalten wirdie Nachricht, daß die italienische Regierungskrisis durchden Panama-Prozeß gegen den SündenbockT a n l o n g o plötzlich komplizirt worden ist. Die Ent-h ü l l u n g e n haben wieder begonnen. Ein Polizei-beamter hat die gravircndsten Aussagen gegen Giolitti,den Vorgänger Crispi's, gemacht und zugleich erklärt,Richter und Staatsanwalt hätten seingravirendes Zeugniß unterdrückt. Die öffent-liche Meinung ist in Aufruhr. Der Tanlongo-Prozeßdrängt selbst die Ministerkrisis in den Hinter-grund, und wird ihr eine neue Gestalt geben. Ansich ist Giolitti's Fall Crispi jedenfalls angenehm, aberGiolitti wird die Rockschöße Crispi'snicht loslassen. So vollzieht die Regierungskrisissich jetzt im Schatten des Zuchthauses.� Dem„Berliner Tageblatt" wird aus Rom telegraphirt:Die gestrigen Enthüllungen im Bankprozesse erregen kolossalesAussehen. Die Entrüstung ist ungeheuer, sehr kommentirt wirdnamentlich, daß laut Aussage des Grafen Graziadei derMinisterpräsident Giolilti brieflich die Hastentlassung einesgemeinen Verbrechers versprach, falls dessen Familie sich ver-pflichte, bei den Wahlen für den Regierungskandidaten fünfzigStimmen aufzubringen, das heißt zu„kaufen". Ebenso gingaus den gestrigen Verhandlungen die Thatsache hervor, daßdie Regierung einen Scheinprozeß einleitete und Tanlongo zumSchweigen zu bestimmen suchte gegen das Versprechen, ihn inletzter Instanz freisprechen zu lassen.„Don Chisciotte" ver-langt die sofortige Einleitung eines Strafverfahrens gegenGiolitti, dessen Staatssekretär Rosano, den Polizei-InspektorPerfelti, den Polizeipräsidenten Felzani, den Untersuchungs-richler Capriolo. Der durch die Aufdeckung der BancaRomana- Skandale bekannt gewordene Abgeordnete Colajanniwird Namens seiner politischen Freunde den Justizministerwegen der Giolitti betreffenden Prozeßenthüllungen inter-pelliren.—Neue Anarchistenevschiesiuttgen in Sicht. Wirhatten, als neulich die Schauerbotschaft von der Ab-schlachtung sechs spanischer Anarchisten zuuns drang, uns dem Wahn hingegeben, damit sei es nunzu Ende, und die Bombenwerferei in Barcelona sei nungesühnt. Wir hatten uns getäuscht. Das war nur der An-fang— nur die Einleitung. Ein Telegramm aus Bar-c e l o n a vom 5. Juni besagt:Der Prozeß wegen des Liceo-Attentats wird e r stim Oktober zur Verhandlung kommen. Der Staats-anwalt beantragt gegen vierzehn Angeklagte dieTodesstrafe. Hundert unschuldig Eingeker-leite sollen demnächst freigelassen werden.Also die Hauptsache kommt noch. Nicht blos dielumpige Kleinigkeit von einem halben Dutzend Erschießungen— gleich vierzehn Menschen auf einmal, die mitPulver und Blei zum Tode gebracht werden sollen! Dasgiebt ein Schauspiel!Und die„hundert Unschuldigen", die„demnach st"freigelassen werden sollen— welches Schlaglicht fällt daauf die Justiz der bürgerlichen Gesellschaft.Wir aber fragen: Ist die Moral dieser Justiz unddieser methodischen Menschenschlächterei bei kaltem Blutbesser als die a n a r ch i st i s ch e Moral?—Reichstags- Ersatzwahl im Kreise Osterburg-Stendal. Durch die Ernennung des Abgeordnetenv. Jagow im Kreise Osterburg-Stendal zum Landrath desKreises Osterburg ist, wie schon neulich kurz mitgetheilt, dessenMandat hinfällig geworden. Es hat also eine Neuwahl statt-zufinden, und ist seitens der sozialdemokratischen Partei Genosseti n z e aufgestellt worden. Bei der letzten Wahl erhielten dieonservativen 9313 Stimmen, die Freisinnigen 5499 und dieSozialdemokraten 29S9. �Plaue»«, 4. Juni. Der Sieg ist also erkämpft. Die Gegnersind geradezu niedergeschmettert: sie werfen einander die Schuldan der Niederlage zu. Nun— sie haben alle ihr redlich Theildazu beigetragen. Da sie nicht fälschen und vergewaltigenkonnten, waren sie ohnmächtig. Sie konnten nur lügen und ver-lemnden— und das hat sich gegen sie gewandt. Die Hans-Blumiaden, mit denen sie zuletzt noch anrückten, haben den Lügen-petern vollends den Hals gebrochen. Die Genossen wurden er-bittert, die Kampflust noch angespornt; und Viele, dienoch nicht ganz für uns ivaren, wurden dadurch aufunsere Seite gedrängt. Für den letzten Tag hatten dieGegner all' ihre Kraft und all' ihre Gemeinheit zusammengenommen, doch ihre Sache war verloren— moralischgerichtet. Am Vorabend der Wahl hatten wir noch zehn Ver-sammlungen, in denen Auer, Gerisch, Kaden, Geyer, Liebknecht,Hofmann u. s. w. sprachen. Und was für Versammlungen!Nirgends genügten die Räume, und welche Begeisterung! InPlauen drängten sich im Garten des Schützenhauses gut4000 Wähler und außerhalb des Gartens mindestens noch ebensoviel,— auf Bäume und sogar auf die Dächer waren Zuhörergeklettert. Und obgleich während der Rede, die eine Anklagegegen die Ordnungspartei war, ein heftiger Regenguß siel, ent-fernte sich niemand und entstand auch nicht die leiseste Störung.Der folgende Tag, der Tag des'Gerichts, brachte das U r t h e i ldes Volkes. Und für den Wahlspruch des 1. Juni giebt'skeine höhere Instanz; es hat bei ihm sein Bewenden. DerPlauen'sche Wahlkreis gehört und bleibt der Sozialdemokratie!**Die Schtteidigkeit und Fliukigkeit der Behördeu gegenüber Sozialdemokraten wurde schon oft durch Beispiele erhärtet.Hier ein neues. Die kgl. Staatsanwaltschaft zu Erfurt erließam letzten Sonnabend gegen den Genossen Hülle einen Steck-brief. Zur Naturgeschichte dieses Steckbriefes theilt die„Thüringer Volkstribüne" ihren Lesern folgendes mit: H ü l l ehatte wegen eines schivebenden Prozesses 2 Tage Urlaub erhalten(er verbüßt bekanntlich gegenwärtig eine Gesängnißstrase von3'/2 Monaten). Mittwoch, den 30. Mai, wurde er entlassen undam anderen Tage war der Prozeß in Meiningen. VonMeiningen kam H. erst Abends mit dem letztenZuge zurück nach Erfurt. Am anderen Tage frühhätte er wieder eintreffen müssen im Gefängniß. Daer aber eine Menge Schreibereien und sonstige Sachen noch zuerledigen hatte, bewarb er sich persönlich, wie er uns mitgetheilthat, um einen weiteren Urlaub von 24 Stunden, der ihm auchgewährt wurde. Es war ihm jedoch innerhalb dieser Zeit nichtmöglich, die nothwcndigen Geschäfte zu erledigen, weshalb erauch nicht zur rechten Stunde ivieder im Gefängniß sein konnte.Jeder, der unseren Genossen H. kennt, weiß, daß bei ihm voneinem Entiveichen keine Rede sein kann. Da, wie ein Schlagaus heiterem Himmel, erläßt die hiesige kgl. Staatsanwaltschafteinen Steckbrief, und zwar schon Sonnabend Mittag(früh 9 Uhrhatte Hülle einzutreffen). Wie wir erfahren haben, ist unserGenosse schon wieder in das Gefängniß gewandert. Dies zurAufklarung.••Sozinldemokrate» lasse» sich so leicht«»icht ittS Bocks-horu jagen. Das können soeben die Dresdener Behördenwieder erfahren. Unsere dortigen Parteigenossen Kämpfen einenähnlichen Kampf, wie er gegenwärtig in B e r l i n sich abspielt.Sie boykotliren eine Brauerei und, wie wir bereits mitgetheilt,sind drei Genossen, Dr. Gradnauer, Eichhorn undF i n d e i s e n schon am Sonnabend verhaftet worden, wie manannimmt wegen der Boykotterklärung. Die Genossen sind bisheute noch nicht wieder entlassen. Ein Grund zu dieser Maß-nähme liegt unseres Erachtens durchaus nicht vor.Was bezweckte die Polizei init dieser rigorosen Maß-nähme? Wollte sie die klassenbewußten Arbeiter Dresdenseinschüchtern? Wenn das bezweckt war, dann wird sich diePolizei überzeugen müssen, daß ihr das gänzlich mißlungen. AmKopfe der gestrigen Nummer der„Sächsischen Arbeiter-Zeitung"prangt in großen Lettern eine neue Aufforderung zum Boykottder Waldschlößchen- Brauerei. Abschreckungsmittel— davondürfte die herrschende Gesellschaft wohl während der Dauer desSozialistengesetzes überzeugt worden sein— helfen eben nicht imKampfe gegen Ideale, wie sie von dem Proletariat angestrebtwerden.«««Nrbeiterfest. Vom herrlichsten Wetter begünstigt, konntenam letzten Sonntag die Gewerkschaften Kiels gemeinsam einFest begehen. Wohl an 10 000 Menschen hatten sich am Nach-mittag auf dem Exerzierplatz eingesunden, urn von dort aus imgeordneten Zuge nach dem Elablissement„Waldwiese" zumarschiren. Pünktlich um'/e4 Uhr setzte sich der Riesenfestzugin Bewegung. 3 Musikkapellen und 32 Fahnen und Emblemebefanden sich im Festzug. Die Zahl der Betheiligten betrugungefähr 20 000. Das ganze Fest verlief in schönster Weise.Die Beisiizerwahle» in L*u d iv i g s h a f e n zum gewerblichen Schiedsgericht(Arbeitgeber und-Nehmer) endeten mit demvollständigen Siege der Sozialdemokraten.Polizeiliches, Gerichtliche»:c.— Genosse Franz Schiefke aus Bättmschulemveghatte beim Niederlegen des Kranzes aus das Grab einer treuenGenossin auf dem Kirchhof in Köpenick ihr einige Abschieds-worte gewidmet. Für diese Frevelthat mußte er 10 M. an dieStadtkasse in Köpenick abladen.— Damit war alles wiederin guter Ordnung.— Beschlagnahmt wurde zweimal hinter einander dieHalber st ädter„Sonntags- Zeitung" in ihrer Gesammt-Auslage von je 7000 Exemplaren. Zu dieser Maßnahme glaubtesich die Staatsanwaltschaft iin ersten Falle deswegen berechtigt,weil in dem Blatt die Arbeiter aufgefordert wurden, das boy-kottirte Berliner und Braunschweiger Bier nicht zu trinken,sowie die Schuhwaaren aus der Tack' schen Fabrik ungekauftzu lassen. Gegen diese Beschlagnahme, die sich auf§ 360(„groberUnfug") stützt, hatte genanntes Blatt in der darauf folgendenNummer protestirt und dieser Protest erregte wieder das Miß-fallen des Staatsanwal t, der in dem Artikel eine Verhöhnungseiner Person erblickte. So, und nun frisch darauf los konfiszirtund angeklagt.—»Im Interesse der öffentlichen Sicher»h e i t" wurde vom königlichen Polizeipräsidenten von H a n-n o v e r ein Gartenfest, das die Brauer am 3. Juni abhaltenwollten, verboten. Besck werde hiergegen ist eingelegt.— Sieben Tag(i Gefängniß ist einem Turnwart inOberfrohna(liegt natürlich in Sachsen) zudiktirt»vorden,weil ein unter seiner L eitung stehender Turnverein aus einemAusflug unter anderen Gesängen auch den Sozialisten-marsch angestimmt hatte.