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Unterhaltungsblatt öes vorwärts
Mittwoch, 2H.Mgust
Tomaten. Neben dem Tabak, jenem narkotischen Giflkraui, daS in dem brandenden Sriecie ein willkommenes Verständigungsmitlel zwischen den aus den Schützcngiabcn sich beschießenden'Mannschaften bildet. und der Kartoffelvflanze, die als eine der wichtigsten Kulturpflanzen eine weltgeschichtliche Bedeutung erlangt hat und nebst dem Getreide den Hauplgegenstand des deutschen Ackerbaues ausmacht, verdankt unser Kontinent dem warmen und gemäßigten Südamerika   auch die Tomale, Lolanuin lycopersicum, auch pomi d'oro genannt, b. i, Goldapfcl, Seit kurzem sind die großen, saftigen, nieder- gedrückt- kugeligen Früchte auf dem Markte erschienen, noch der- hältni-mäßig teuer, denn die Haupternte fällt in den August und September. Jedenfalls kam die Pflanze nach der Entdeckung Amerika  ? durch die Spanier noch Europa  , wie sie denn auch in den südlichen Län- dein de? Kontinents viel früher und auch eine größere Nutzung ge« funden hat als bei uns. Ist sie in Amerika   bei arm und reich als Speise und Würze beliebt� und besonders in Südamerika   unent- behrlich, so finden ihre Frückue auch in Südeuropa   eine mannig- fache Verwendung, und deren gclbroter Saft pflegt dort die Schüsseln zu färben und verleiht den Speisen einen angenehm säuerlichen Geschmack. Für die deutsche Küche gewinnt die Tomate erst seit ungefähr zehn Jahren an Bedeutung, obwohl sie bereits seit dem Ende des 16. Jahrhunderts in Süddeutsch- land angepflanzt wurde. Allerdings nicht zu Nutzungszwecken, sondern der Zierde und der Seltenheit wegen wurde der»Liebes- apfel" gepflegt. Die langsame Verbreitung dieser Pflanze bei uns ist wohl auf die Schwierigkeit zurückzuführen, die ihr Anbau bietet, und dann auch darauf, daß die Früchte feiten reif und so wohl- schmeckend wurden, wie es in den Ländern Südeuropas   der Fall ist. Der Umstand, daß die Fabriken für Suppenwürzen und Saucen slies Tunken) die Tomate als wichtigen Bestandteil ihrer Erzeugnisse benötigten, förderte den Anbau, so daß die Zahl der Tomalensorten heute schier unendlich ist. Die Verwendung der reifen roten Tomaten ist eine äußerst mannigfache. Köstlich sind sie zu Suppen und Tunken. Gekocht und zerdrückt geben sie ein wohlschmeckendes Muß. Ganze Früchte in Essig eingelegt geben eine vorzügliche Beilage zu Braten, wie un- reife, grüne Tomalcn wie Salzgurken eingelegt und verwendet werden. Man macht reife Früchte in Zucker ein und bereitet aus ihnen eine Marmelade, deren Geschmack durch Zusatz von diesem oder jenem Gewürz pikanter gemacht wird. Auch werden die Tomaten getrocknet, kleinere Früchte im ganzen Zustande, größere halbiert oder in Scheiben oder Würfel geschnitten. Aber noch weit mannigfaltiger ist die Verwendung, die die Frucht gebacken oder ge» dämpft, gefüllt und gekocht, als Pudding, Püree, Salat und Suppen zubereitet werden kann, und zahlr eich sind die pikanten, sauren und süßen Tunken, zu denen die Tomate den Hauptbestandteil liefert. Mit dem Genuß der rohen Tomaten ist es bei uns noch immer eine eigene Sache. Viele, die Tomaten in jeder Zubcreilungsart leidenschaftlich essen, können sich an den Geschmack der rohen Tomaten nicht gewöhnen, während andere wieder die Tomaten als Zukost oder Dessertfrucht bevorzugen. Da unsere Geschmacksnerven in der Hauptsache durch das Gewürz beeinflußt werden, so gilt es auszuproben, ob die Frucht mit Salz, mit Pfeffer oder mit Zucker dem Gaumen genehm ist. Zum Robessen wähle man. besonders der Anfänger, möglichst feste Früchte mit derbem Fleische. Sie sollen reif, aber nicht überreif sein, also sich nicht allzu weich anfühlen. weil bei vorgeschrittener Reife der fremdartige Geschmack zu sehr hervortritt, der bei Anfängern unter den Tomatenessern leicht Widerwillen erregt. Die Früchte werden nach Ausbruch des Stieles in Scheiden geschnitten oder auch gevierteilt, worauf sie mir dem zusagenden Gewürz bestreut werden. In Amerika   genießt man rohe Tomaten mit reichlichem Salz als erfrischende Zukost zu kalten Speisen. Man würzt auch durch eine Prise Pfeffer und Salz. So behandelte Tomatenscheiben sind eine angenehme Zugabe zu Butlersemmel- oder Käsebrötchen. Wer aber Tomaten mit Salz oder Pfeffer nicht mag, der bestreue sie einmal mit Kochzucker. Liebhaber finden dann den Geschmack gleich dein der Erdbeere oder Ananas. Auch mit Milch übergössen und mit Zucker bestreute Tomatenscheiben sind eine köstlich schmeckende und bekömmliche Erfrischung an heißen Sommertagen. Wenn schon jede Tomalensorte roh verspeist werden kann, so eignen sich doch besonders salzende Arten zu diesem Zwecke: Geisen- heimer, Kardinah Mikado, die dänische Exporttomale, die Frühe auS Landsberg  , die Königin der Frühen, die eierförmige gelbe Tomale. Sie alle haben einen milden, apfel-, fast weinartigen Geschmack. Zum Einmachen in Zucker sind die kleinfrüchtigen und zarthäutigen Sorten am besten passend, zum Einlegen in Weinessig fnach Art der
Pfeffergürkchcii) die kleinen im Spätherbst gepflückten Früchte, die sonst weggeworfen werden müßten; zu Gelee sGallerte) sind aus- gereifte, aber noch nicht ausgefärbte Früchte und zu süßer Manne  - lade hochreise Früchte besser zu verwenden. Infolge ihres hohen Gehaltes an Nährsalzen(kohlen« und schwefelsaurem Kali, Chlorkalium, Chlorkalzium usw.), an Zucker und einer angenehm weinartig schmeckenden Säure ist die Tomate nicht nur eine schmackhafte, sondern auch höchst bekömmliche Frucht, die sich immer mehr in Deutschland   einzubürgern scheint. Eine ihrer Verwandten ist die Tomate der Kannibalen, au» der die Fidschi  -Jnsulancr eine Brühe herstellen, die als Hauptwürze der Menschenopfer dient, weshalb diese Pflanze auch bei jeder Bure (Ort, wohin die Körper der Erschlagenen gebracht werden) in kleinen Anpflanzungen regelmäßig kultiviert wird. Deren nächste Verwandte wieder, auch aus Südamerika   stammend, sind belieble Blatt« und Dekorationspflanzen unserer Gärten. Lob.
Die?ahrhunöertfeier eines Clements. Im Jahre 1917 kann ein Element, da» bis vor kurzem den meisten Menschen auch dem Namen nach unbekannt war. heute aber in jedermanns Munde ist, seinen IVO. Geburtstag feiern. Dies Element ist das Selen. Sein Entdecker ist der bekannte schwedische Chemiker Berzelius  , dem die Wissenschast noch außer dieser Ent- deckung sehr viel zu danken hat. Berzelius   untersuchte im Jahre 1817 den Kammerschlamm einer mit Faluner Schwefel arbeiten- den Schweselfabrik. Er vermutete in diesem Schlamm das Element Tellur aufzufinden. Allein bald mußte er die Wahr- nehmung machen, daß die chemischen Reaktionen, die ihn das Tellur vermuten ließen, einem anderen bisher unbekannten Element an- gehörten, das allerdings, woraus ja schon die täuschende Aehnlichkeit der Extraktionen hinwies, dem Tellur sehr nahe verwandt war. Berzelius   hatte sich sehr eingehend mit dem Tellur beschäftigt, das seinen Namen von tollus, die Erde, ableitete, und da nun das neue Element ebenso wie das Tellur mit dem Schwefel nah« der« wandt war, so wählte er dafür den Namen Selen, die griechische Bezeichnung für Mond. Eine Eigentümlichkeit hat dem Selen einen besonderen Platz in der Technik und ganz besonders in der Elektrotechnik gesichert. Das Selen ändert nämlich seinen elektrischen Widerstand unter dem Ein- fluß von Belichtung. Wird Selen von Lichtstrahlen getroffen, so wird dadurch die elektrische Leitfähigkeit erhöht. Die An- nähme, daß sich unter dem Einfluß des Lichtes das Element Selen in eine andere Abart und nach Aushören dieses Einflusses wieder in die ursprüngliche Form zurückverwandele, bat viel für sich. Jedenfalls verdankt das Selen dieser Eigentümlichkeil seine praktische Anwendung und damit seine Be- rühmtheit. Es ist ja heute allgemein bekannt, daß das drahtlose Telephonicreu unter Zuhilfenahme von Selenzellen vor sich geht, und daß ebenso die Erfindung Prof. Korns, die Fernphotograpbie, sich aus die Eigenschaften des Selens stützt. Nach den jüngsten Er- gebnissen der Fernphotographie ist es bereits möglich, Bilder auf Entfernungen von 1606 Kilometer deutlich zu übertragen. Darüber hinaus hat das Selen in jüngster Zeit sich zwei neue Anwendungsgebiete erobert. Man will durch Anwendung von Selen den Blinden das Lesen erleichtern und man will ferner das Selen als jederzeit wachen Wächter gegen Feuersgefahr und Einbruch be- nutzen. Es ist gelungen, eine kleine sehr empfindliche Selenzelle zu bauen, die leicht an einem unauffälligen Platz untergebracht werden kann. Schon ein Streichholz kann auf einige Meter Entfernung diese Selenzelle erregen und dadurch ein Läutewerk an einem beliebigen Ort auslösen. Wenn also in dunkler Nacht ein Einbrecher einen so geschützten Raum betritt, so wird ihm schon eine Blendlaterne, eine Taschenlampe oder ein entflammtes Streichholz zum Verhäng- nis, und ebenso kann sich das Selen als Feuermelder betätigen. Auch die Blindenlesmaschine, wie sie von Finzenhagen und Ries er« funden wurde, bedient sich des Selens. Bei ihr werden die einzelnen Buchstaben in Bildpunkte zerlegt, diese Bild- punkte durch Selenzellen in Stromstöße umgesetzt und auf diese Art auf die Finger des Blinden ein bestimmter Reiz ausgeübt. Die Lesevorrichlung der Blindenlesemaichine besteht aus 8 Vertiefungen. In jede derselben legt der Blinde einen Finger. Wenn nun die Schrift an einem Linsensystem vorüber- geführt wird, so erhält der Blinde die Vorstellung, als gleite die Schrift als große Punktschrift unter seinen Fingern hindurch, indem jeweils bei der Verdunkelung unter dem Einfluß einer Selenzelle«n den Vertiefungen eine Taste gehoben wird, die wiederum auf den dort ruhenden Finger elektrisierend wirkt. Es braucht nicht besonders hervorgehoben zu werden, daß in all diesem unendlich viel wissenschaftliche Forscherarbeit steckt, und daß
diese Ergebnisse den größten Teil ihrer Entwicklung noch vor sich haben. Gerade deshalb haben wir aber Anlaß, des hundertste» Geburtstages des Selens zu gedenken. der Verbannungsort öer Romanows  . Eine anschauliche Schilderung des VerbannungsorteZ der Zarensamilie gibt die»Franks. Ztg.": Die frühere Zarenfamilie hat einen Weg gehen müssen, der mit Blut und Tränen bezeichnet ist. Ein Jahrhundert lang sind alle die Opfer d«s Zarismus, die in die fürchterliche Verbannung von Sibirien   verschickt wurden, über Tjumen   geführt worden. Es mögen ihrer, mit Einschluß der ihnen oft genug freiwillig gefolgten Angehörigen, kaum weniger! als eine Million gewesen sein. Nikolaj Romanow und seine Au- gehörigen sind freilich nicht mit der Etappe in die Verbannung ge- 1 zogen, wie so mancher der größten Geister Nußlands; ein Sonder- zug hat sie in das Kreisstädtchen gebracht, wo einstweilen die Eisen-> bahn aufhört und die Weiterreise in das nordwestliche, unmittelbar binter dem Ural gelegene Sibirien   auf Dampfern erfolgen muß.' Die Tura  , an der Tjumen   liegt, wird die Familie Romanow   bis zu ihrer Einmündung in den Tobol   befahren und dann diesen pflufe hinunter bis zu seiner Vereinigung mit dem mächtigen Jrtysch. Dort liegt Tobolsk  , das Nikolaj Romanow zum Aus- «nthaltsort angewiesen ist. Es ist ein Kleinstädtchen, das nicht ein- mal ein halbes Hunderttausend Einwohner hat, und erinnert in keiner Weise an die im amerikanischen Tempo anschwellenden neuen Kolonialstädte an der großen Sibirischen Bahn. Aber Tobolfk ist_ eine der ältesten russischen Siedelungen in Sibirien  (gegründet 1587) und hat schon eine eigene Geschichte, die sich im Stadtbild in- Denkmälern lrusprägt. Ein Kkeml, der auf dem steilen rechten- Ufer des Jrtysch steht, weist einen Turm auf, den die in der Schlacht von Poltawa   gefangenen Schweden   erbaut haben; ein kleines Museum enthält eine ethnographische Sammlung zum Studium, der sibirischen Urbevölkerungen. Eine kleine Kapelle diente früher t zur Aufbewahrung einer vornehmenpolitischen Verbannten", der berühmten Glocke von Uglitsch   nämlich, die der Zar Boris Godunoiv nach Tobolsk   vorschickt«, weil sie nach der heute noch nicht aufge- klärten Ermordung des kleinen Dmitviß des Enkels Iwan»»c«. Schrecklichen, zum Sturme läutete und einen Aufruhr herbeiführte. der beinahe Godunows Herrschaft vernichtet hätte. So mag der frühere Zar über manche Wandlung der russischen Geschichte nach- denken, wenn er in Tobolsk   spazieren geht, wo er vor Uebcrrumpe- lungsversuchen der Petersburger Revolutionär« besser ge,chutzl werden kann als in Zarskoje Selo.   aber auch etwaigen abenteuer- lichen Fluchtgelüsten leichter entsagen wird. Das Klima von Tobolsk   dürfte kaum schlechter sein als das von Petersburg  ; die berüchtigte sibirische Kälte erreicht erst weiter im Osten und Norden ihre volle Schärfe. Die provisorisch« Regierung hat der Famckw Romanow einen Aufenthaltsort angewiesen, der jedenfalls siix politische Gefang«ne des alten Regimes als zu angenehm galt uu» nur in Ausnahmefällen zugestanden wurde. Machijs Marls  . Man schreibt unS aus Amsterdam  : Mathijs MariS  , dessen Tob eben auS London   gemeldet wird, war der letzte der»drei Maris Brüder" Jakob, Willem undThijs", wie ihn die Holländer kurz und familiär nennen wohl auch der größte umer iihnen, obgleich die holländische Kunstkritik und die holländischen Bilderfreunde gern jeden der Drei aus ihre Weise gelten lassen und keinem einen eigentlichen Vorzug geben wollen, auf jeden der drei in besonderer Weise stolz sind. Gleichwohl ist Thijs Kunst die bei weitem persönlichste, seelischeste, unmittelbarste. Besonders seine Werke der letzten Epoche mit ihren Märchenhost­phantastischen Dämmertönen wie mit blassen Schleiern überzogen. athmen eine unübertrefflich» zarte, wehmütige Traum- Kunst. an die die nicht selten am Aeußerlich-Virtuosenhast Hangenden Brüder auch in ihren feinsten Stücken nicht hinanreichen. Die große Melancholie deS Einsamen, Weltscheuen, Ott der Welt Leidenden umschwebt seine Bilder und gibt ihnen de» Silber» glänz der Innerlichkeit und weher Stimmung. Seine Kunst war denn auch der stille, reine Abglanz de» Menschen. Er lebte für sich. all-S Geschästliche und Aeußerliche an der Kunst hassend wie van Gogh einsam, arm, in trübseliger Umgebung, ganz und gar der Flamme seiner Kunst und seiner eigenwilligen wektscheuen Seele preisgegeben der Welt und ihrem wilden Tanz entrückt.... Im Jahre der Pariser Kommune   stand er als junger Freihelts- idealist auf der Barrikade... Zu den wenigen Freunden. denen er Kunde von sich gab, gehört Albert Hahn, der holländische sozialistische Zeichner und Hauptmitarbeiter am Amsterdamer sozialistischen Witzblatt.Notenkraker". Er wurde 73 Jahre.
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Möers hjarmsteö.
Von Jakob K n u d se n. Am 10. Oktober war der Adjunkt wiederum, wie fast täglich in dieser Zeit, auf Stavn. Er überraschte Jungfer Gjatrid allein im Flur draußen, als er durch die Gangtüre eintrat. Sie wollte hinauseilen, aber er ergriff ihre Hand und freite nun mit reinen Worten. Sie zerrte ihre Hand laS und lief ihrer Wege, indem sie gleichsam bettelnd flüsterte: o nein, o nein!" Er war den ganzen Nachmittag da, doch ohne weiter mit ihr zu sprechen; sie hatte jedoch Angst, daß er, kurz bevor er ging, ihren Eltern das Ganze gesagt habe. Madam Faurholt war schon während dieses Tages von ihrer gewöhnlichen Schwäche: Krampfadern an den Beinen, stark geplagt worden. In der Nacht wurde es ganz schlimm, und am folgenden Tage lag sie zu Bett. Gegen Nachmittag war sie dann einigermaßen von Schmerzen frei, und jetzt kam Kirsten Faurholt mit einem Spiel Karten ins Schlaf- zimmer, setzte sich auf die Bettkante zu seiner Frau und spielte Whist zu zweien mit ihr, ein Spiel, das kein anderer außer diesen zwei Menschen im ganzen Kirchspiel Harreby ver- stand. Hier drinnen in der Schlafkammer versammelten sich allmählich, wie es auf Stavn Sitte war, die Mitglieder der Familie: die Töchter, als sie mit dem Aufwaschen nach Tisch fertig waren; die Knaben, als sie aus der Schule kamen; außer- dem zwei alte Frauen, die beständig auf Stavn herumgingen und spannen, strickten, flickten und stopften; auch ein paar von den Stubenmädchen kgmen herein und saßen mit ihrer Handarbeit da. Die Schlafkammer war die zweitgrößte Stube im Hause(nach dem Saal), seit die Betten der Kinder nach und nach alle hinausgesetzt waren. Und hier war ein für allemal das Zentrum des Familienlebens auf Stavn, ja, bis zu einem gewissen Grade konnte man sagen: das der ganzenalten Familie". Deren Affären wurden hier mit einer Offenherzigkeit behandelt, die zuweilen aus einer Familien- angclegenheit eine Kirchspielangelegenheit machen konnte. Aber im allgemeinen waren die Anwesenden doch ihrer Berant- wortung bewußt, auch die alten Frauen und Dienstmädchen. und versäumten ihre Pflicht nicht. Hier erzählte Madam Faurholt Geschichten cms ihren Mädchenjahren, besonders aus der Zeit, wo sie Haushälterin auf Krastrup gewesen. war. Auch Kristen Faurholt gab oft Geschichten zum!
besten, aber die waren meist aus der Gegenwart und lieferten gewöhnlich Beispiele dafür, wie unzureichend die Klugheit seiner Mitmenschen sei; doch sie waren immer freundlich, hatten einen Glanz seines sonnenwarmcn, füchsisch-frcundlichen Lächelns an sich. In dieser Ge­sellschaft las Madam Faurholt auch oft vor, immer Lcihbibliotbeksromane, z. B.: Den Galeerensklaven R o c a m b o l e, und sie übte ihren eigenen und ihrer Zu- Hörer Scharfsinn dadurch, daß sie beständig genaue Kon- trolle über die Wahrscheinlichkeit des Berichtes ausübte, wie wenn man sich also dächte, daß das Ganze hier in Harreby passiert wäre; wie sie denn auch den moralischen Sinn wachhielt, indem sie die guten Menschen des Buches pries und die Schutken ernstlich tadelte. Wer hier an diesen Ort und in diese Gesellschaft paßte, der gehörte wirklich mit zu deralten Familie"; wer es nicht tat, wurde nicht richtig mitgerechnet, selbst wenn er nahe ver- wandt war. Erik Skindtoft hatte sich in der Schlafkammer auf Stavn immer unwohl gefühlt; wogegen Paul Vinding hier in seinem Element war. Er war in der Schlafkammer- gesellschaft berühmt wegen seiner Marktgeschichtcn und seiner Berichte über die große französische   Revolution, die er von seinem alten tauben Großvater her kannte, der zu Napoleons  Zeit mit in Frankreich   gewesen war. Er konnte von. dem Menschenfreunde Robespeter erzählen, der sich zugleich mit Dänemarks   König Friedrich   dem Sechsten unter den viel schlaucrn Bonaparte hatte beugen müssen und von vielen andern. Diese Stube und das Leben in ihr hatten eine unmäßige Macht über die Kinder von Stavn. Doch Gjatrid hatte das nie so empfunden wie heute nachmittag. Wenn man in dieser Stube fremd würde! ja, was bliebe ihr dann noch von sich selber? Vor ein paar Tagen war sie auf Oestergaard gewesen; da hatte Cecilie von demselben Thema gesprochen. Eigentlich nicht mit Freude, eher mit einer Art von Bitterkeit, gegenüber der Macht, die die Mutter dadurch über ihre Kinder gewonnen hatte; Cecilie hatte hinzugefügt:und Mutter er- reicht gewiß das, was sie erreichen will. Oestergaard wird gewiß eine Art Filiale von Stavn werden, ebenso>vie der Hof unseres ältesten Bruders es ist." Gjatrid hätte so gern mit Cecilie über ihren Mann gesprochen und über seinen Bruder, den Adjunkten; aber sie hatte gar nicht damit fertig werden können, und Cecilie hatte gewiß nicht gewollt. Man sagte übrigens, daß Leutnant Fischer schon unter de«
Pantoffel stehe und sich ganz nach seiner Frau und ihrer tamilie richte.-- Und je mehr Gjatrid die Macht dieser� tube über sich empfand, desto fremder und ferner kam ihr Anders vor. Als Kristen Faurholt und seine Frau drei bis vier Rubber gespielt hatten, die beim Whist zu zweien immer verhältnismäßig kurze Zeit dauern, hörte er,. ivie sich jemand in der Wohnstube, nach der die Tür offen> stand, räusperte. Schritte waren nicht zu hören. Der Be- treffende zeigte sich gleich danach in Socken auf der Türschwelle., Es war Paul Vinding. Na, ihr seid alle hier! und Mutter geht es auch gut. im Bett. Ja. es hat wohl nichts zu bedeuten?" sagte. er und setzte sich auf einen Stuhl, den einer der Knaben ihm anbot., Es bedeutet jedenfalls immer mehr, als wenn Du im Bett liegst, Paul," sagte Madam Faurholt. Kann ich nicht wissen." Inger meint vermutlich." sagte Kristen Faurholt, daß Du Dich immer von Deinem Unwohlsein erholst, wenn nur ein Tag seit dem Markt vergangen ist, wo Du zuletzt warst." Das hilft ja manchmal," sagte Paul.Aber hör. es hat doch keinen Sinn, daß wir uns hier gegenseitig zum Narren haben. Laß uns lieber ctivas von dem fremden Burschen hören, der drüben auf den Bjerrehof gekommen ist. Gjatrid drehte ihr Gesicht nach dem Fenster um und ihren Stuhl bald darauf auch. Ja, er hat mich ja verklagt," sagte Kristen Faurholt. Das ist doch schon lange her. Davon haben wir wirk- lich schon gesprochen. Nun kommt es eben darauf an. daß er mich zu packen weiß. Er hat wohl noch nie davon gehört, daß man sich auch öfter als einmal hinter einen Aufschub verstecken kann." He, he. he ist sonderbar, daß er.Räuber' spielen will. wenn er das Spiel gar nicht kennt. Sie erzählen, daß er hingeht und die Leute ausschilt, weil sie Dir nicht alle ver- bieten, im Pajmoor zu pflügen, und sagt, sie hätten Angst. Er verdirbt es ja mit den Leuten." Ja. ich glaube, es steckt mehr Eigensinn und Ungestüm in dem Burschen, als ihm selber nützlich ist", sagte Madam Faurholt.Soviel Hab ich doch schon erkennen können, als ich ihn zum allererstenmal sah. Das war auch Krcstens Erftu- dung. daß der herkommen sollte!" Goxts. folgt.)