Nr.2SH— 1�17
Unterhaltungsblatt des vorwärts
Zreitag, 12. Oktober
Das gesetzwidrige Wetter. Wiediel Altgewohntes. UeberlieferteS. nach früherer Anficht un« erichütterlich Feststehendes der Krieg auch eniwurzelt und umgestohen haben mag— der Begriff des Gesetzes hat in den letzten Jahren geradezu überwältigende Triumphe gefeiert. Mag die Zeit unS übrigens auch noch so sehr aus den Fugen geraten fein, mögen Moden und Sitten zerstiebt fein wie die leichteste Spreu im Wind, der Gesetzesbegriff Hot im Gegenteil Gesetze aller Art in den Vordergrund gerückt und ihre Zahl wachsen lasten, als sei die Kriegslust dem Gesetze im allgemeinen ebenso.�giinstig, wie die Tropenatmosphäre den Pflanzen. Man mag sich über allerhand Einschränkungen beklagen: aber niemand soll behaupten, daß die WelttriegSmenschheit an Gesetzes« mangel leidet. Es begann— am ersten Tage der Mobilisierung— mit der Erklärung deS Kriegszustandes. Dieser im Gesetzbuch sehr ausführlich vorgesehene und reichlich mit Einzelheiten bedachte Zu- stand schließt schon allein eine Menge von Paragraphen in sich, die dem Bürger mit genügender Deutlichkeit klar machen, daß der Krieg nichts weniger als eine außerhalb der Gesetze stehende An- gclegenheit sei. Jeder hat damals staunend eine lange Liste höchst ernsthafter Bestimmungen gelesen. Er hat mit einem leisen Schauer zur Kenntnis genommen, daß kein einziger Mensch sich zusammenrotten dürfe, er hat mit Verblüffung erfahren, daß .Kunstbauten' nicht etwa Museen und Denkmäler find, sondern Kasernen. Depots, Fabriken und Brücken, und daß man deren intime Umgebung nicht zum Schauplatz ausdauernder Spaziergänge wählen solle. Aber all dies war nur ein bescheidener Anfang, das charakteristische Vorspiel. In buntem Durcheinander, aber in ununterbrochener, mit aner- kennenSwerter Energie fortgeführter Reihe kamen die Gesetze. Ver- ordnungen und Erlaste, die erst nach und nach erfunden wurden, und die ErnShrungSfrage vollends ist gewistermaßen zu einem rauschenden, unversieglichen Geietzesquell geworden. Dies galt nicht etwa allein für dies fanatisch ordnungsliebende und verordnungSsüchtige Deutschland, sondern für alle krtegführen- den Länder. England, daS srüher über derlei spotten zu können glaubte, hat sich nach und nach eine funkelnagelneue Riesengesetzes- bibliothek angeschafft, die noch innner durch Nachlieferungen und Ergänzungsbände verstaut wird. Und Frankreich , die.freie* Republik, kennt heute Geietze wie Sand am Meere, gar nicht zu sprechen von den Verordnungen, die es erlassen hat, ohne daß seine beglückten Bürger sie kennen oder kennen lernen wollen. Dabei gibt es kaum em Gebiet, vor dem die GesetzeSflut respektvoll halt gemacht hätte. Selbst die einzelnen Organe deS Körpers, ganz besonders der Magen, mußten sich den Gesetzen beugen. Ein besonderer Triumph der Gesetzgeberei aber bestand darin, daß sogar der als rmtaftbar verherrlichte Begriff der Zeit siegreich von seinem unnahbaren Sockel herabgezerrt wurde. Die Idee und mehr noch die praktische Durchführung der.Sommerzeit' in einem großen Teil der Welt stellte einen Gipfelpunkt in der Kunst der Gesetzgebung vor, und so ist eZ gekommen, daß da» Gesetz sich schließlich für allmächtig hielt. So vollkommen war es von seiner auZnahmSlo» wirksamen Durchschlagskraft überzeugt, daß e«— nach glorreicher Ueber- Windung der Zeitbestimmung— zu einem letzten, äußersten» kühn« sten Schlag ausholte, um auch da« Wetter unter feine Paragraphens starrende Gewalt zu bringen. Mit Rücksicht auf den chronisch ge- wordenen Koblenmangel, der ja«in allgemeine» Leiden darstellt, er- klärte das Gesetz: vor dem Ib. Oktober darf nicht geheizt werden. So lautete kurz und bündig die neueste Bestimmung; Sache des Wetters mochte c» bleiben, sich danach einzurichten. Da aber riß den Göttern im Himmel, in der Lust und auf Erden der ohnedies schon langgezerrie Faden der Geduld. Ganz be- sonderS denen im Himmel und in der Lust. Den Angriff auf die Zeit hatten sie sich noch gefallen lasten, denn dabei handelt eS sich ja schließlich nur um eine billige SclbsttäMschung de? Menschen« xeschlechts; die Zeit at� sich blieb ja doch nicht stehen, mochte man auch auSnabmloö alle Uhren mit wichtiger Amtsmiene zurückstellen. Aber das Wetter? Nein, meine Herrschaften, das war ihnen zu viel de» Guten. Sie öffneten also die unangenehmste Abteilung ihrer Regenmaschine, speisten ihren Windapparot mit einem kräftigen Kälte- ström und harrten im übrigen der Dinge, die kommen würden. Und die Dinge kamen. Näste und Kälte sind in Gemeinschaft eine schwer zu ertragende Pein, und vor dieser Angriffstaktik gab es keinen platonischen Schutz. So mußten die weilen Berater im KriegsheizungSamt am eigenen frierenden Leibe erkennem daß die Verordnungen, Erlaste usw. doch noch von einer Macht übertroffen werden, nämlich der des WeltengoiteS. ES war ja gewiß unerhört und im tiefsten Sinne beklagenswert, daß das Wetter sich der Para-
graphen gegenüber so gänzlich respektlos zeigte; aber es tat die» nun einmal und ein Philosophieren konnte auch nichts nützen. Der Kampf währte kurz, schon im ersten Anprall war er ent- schieden. Das Wetter kämpft mit Waffen, denen gegenüber nur .feurige' Abwehr im wahrsten Sinne des Wortes wirksam ist. Die Beheizungsstrategen aber machten ihren Fehler noch gut, indem sie aus der Entscheidung dieser SSslachr die logischen Folgen zogen: mitten im Kampf räumten sie plötzlich daS Feld, um telegraphisch und telephonisch mitzuteilen, daß geheizt werden dürfe.\ Der einfache Weltkriegsbürger aber, der sich dem Wortlaut so vieler Bestimmungen stumm und ergeben gebeugt Hot, kann sich nicht ganz einer sehr menschlichen Schadenfreude enthalten. Hinterm Ofen sitzend, stellt er mit einem schüchternen Privatlächeln fest, daß die Verordnungsgottheit einen kleinen Nasenstüber gekriegt hat. A. B. Ein dichter ües 30 jährigen Krieges. Martin Opitz , der.Vater der dentfchen Dichtung', ist für unS keine lebendig« Gestalt mehr. Die Literaturgeschichte verbucht seine Verdienste um die Reinheit der Sprache und seine Tätigkeit als erster Gesetzgeber der Poesie. Aber damit ist sein Ruhmesblatt auch vollgeschrieben. Sein Begriff vom Dichterischen als solchem war der des Gelehrten, und seine Dichtungen sind langweilige rethorische Schulübungen; Musterbeispiele jener schrecklichen Bildungs- poesie, die nach ihm und von ihm aus bis zur Klassikerzeit hinauf. die Entwicklung der deutschen Dichtung hemmte. Interessant sind immerhin seine Gedichte ans der Zeit. In den.Trostgedichten in Widerwärtigkeiten de« Krieges' ist sogar stärkeres Leben. Man spürt eine wirkliche Ergriffenheit, und bor der großen Not der Zeit ver- schwindet auch die gelehrte Eitelkeit, die mir Mythologie und historischem Bisten Prahlt, und das.Lob de» KriegSgotte«' ist trotz der gelehrten Lerbrämung nicht obne satirische Kraft. Diese Per« spottung des MarS ist, wenn man sich einigermaßen einstellt, recht lustig zu lesen. Opitz erlebte den Ausbruch de« Dreißigjährigen Kriege» in Heidel- berg. Er entfloh den Wirren, erst nach Holland , dann nach Dänemark . wo er.an der kalten Cimbersee' die.Trostgedichte' schrieb, die er aber erst IS Jahre später ohne Namensnennung veröffentlichte. Später finden wir ihn, den Protestanten, der in jenen Gedichten so kräftig für seinen Glauben zeugt, in Diensten des kaiserlichen Kammerpräsidenten von Schlefien, des katholischen Burggrafen von Dohna. Dies« Stellung ist etwas zweideutig. Aber es scheint, daß Opitz aus eine falsche Hoffnung in sie hineingeraten, und er war nicht der Mensch, der den Verhältnissen gegenüber genug Widerstandskraft hatte. Im Dienste Dohnas mußte Opitz auf einmal einem Gefecht beiwohnen. Aber er benahm sich wenig heldenhaft und floh, nach dem Beispiel de« Horaz bei gegebener Zeit. Ganz lustig ist eS, wie er diese Affäre im»Lob de».KriegSgotteS* ironisiert und daran eine seine Verspottung der Poeten knüpft, die, weit vom Schuß, den Krieg singen: .Poetenvolt ist heiß, ist leicht wie sein Feuer, Gebt durch, reißt aus ihm selbst, ist wie«in edles Pferd, da« nie kann stille stehn und allzeit fort begehrt. Sollt' ich, o MarSpiter, ins GraS gebissen haben, Wer würde doch ein Lied von dir und deinen Gaben Gedenken als wie ich? ES ist ja recht und wahr. daß ohnedies sich jetzt der Teutfchen Tichter Schar Sehr stark zu Felde schreibt; doch Reime von der Erden. die taugen nich für dich. Du willst gepriesen werden von Geistern, deren Kraft sich in die Wolken schwingt, Wie manche Nachtigall am Elbestrome singt, Dringt Tal und Werder durch, ernährt gelehrte Herzen Mit ihrer Stimme Frucht und nützt der Sorgen Schmerzen durch ein« süßen Ton; wie du auch, Vater Rhein , Gemüter um dich hast, die Liedern ihren Schein, der einen Kopf erheischt, und Glanz zu geben wisten. So lange Zeit die Elb' in Sachsen durch wird fließen, der Rhein auf Holland zu, wirst du, o kluge Schar, Der Musen Trost und Zier, entgehen der Gefahr de« Grabe«, daS dich fleucht, wirst uicht aus Lethe trinken, So für den Pöbel ist. Wir können nie versinken Und werden durch den Tod diel minder weggerafft, AIS der, so mit der Faust ihm steten Namen schafft.' Schiller-Theater: öer Sonneasette�. DaS dürftig bescheideitH unter weitgehendster Bermeidunq aller geistigen Unkosten zusammengeflickte Stückchen von OSkar Blumenthal und Gustav Kadelburg fand ein höchst
dankbares Publikum. Ueber den Baronen, Millionären und Heirats- lustigen Goldfischen, deren kostspielige Müßiggängerexistenz noch immer eine der populärsten Bühnenattraftionen der bürgerlichen Theater zu bilden scheint, kommt auch die gleichfalls im Theater so beliebte Gegenseite: die Moral, daß Arbeit doch nicht schände und jeder seine Gelder eigentlich verdienen sollte, nicht zu kurz. Der Millionär ist ein biderber ehemaliger Töpfefabrikant, der, wenn er auf Kommando seiner Ehehälfte auch alle Narrheiten des Parvenü- tums mitmacht, sich heimlich doch in da§ Kontor zurücksehnt. Und die beiden blaublütigen Herren, die. nachdem sie ihre Qualifikation als Lebenskünstler durch die Verjubelung eines Vermögens glänzend erwiesen haben, nun die HonneurS in seinem Hause machen sollen, bekommen allerhand zu hören. Der eine, der die Tochter heimführt, erbringt am Schluß die Probe seiner Tüchtig- keit, durch einen Hundertmarkschein, den er in dem Geschäft deS künftigen Schwiegervaters für eine Ofenzeichnung selbst erworben hat. Den zweiten arg verlumpten, der als regulärer Mitgistjäger auf die Hand der jungen Dame ipeknlierte, und nach Zurückweisung für«in adliges Fräulein, da« ihm den Kopf wäscht, glüht, kommt auf noch billigere Weise vermöge eines LustipielonkelZ. der ihm ein Gut kauft, zur wünschenswerten Respektabilität. Heinz Seng er spielte diese verhältnismäßig noch am annehmbarsten anSgestalteie Theaterrolle mit liebenSwürdig-unvcrschämter. drollig wirkungsvoller Gutmütigkeit. Geschickt sekundierten Herr E l z e r iu der Figur des hochgekommenen, vor seinem eigenen hochherrschaftlichen Diener sich genierenden Töpfermeister und Fräulein Mahr in der deS typischen Töchterlcin«._ dt. Vie �Mannaflechte'. Der Pariser Professor LouiS Muller beschäftigt sich in einer besonderen Schrift mit dem Mannaregen, der die Juden in der Wüste vom Hungertode errettete. Dai Brot, da? Gott auf das Gebe: MoseS vom Himmel sandte, stellte sich nach der Bibel in Gestalt der kugeligen Früchte deS Korianders dar, war weiß und hatte den Geschmack reinsten Weizenmehls, dem Honig beigemischt ist. Di- Beschreibung ist nach der Erklärung Professor MullerS in der Bibel so ausführlich und genau, daß man sich über die Natur des NahrungS- miitels, an dem sich die hungrigen Juden erquickten, keinem Irrtum hingeben kann. Es war eine Flechte, wahrscheinlich eine au« der Gattung I-scauor», die noch heute in Gegenden, wo alle Nahrungsmittel fehlen, unter dem Namen Himmelsbrot gemahlen und unter Zusatz von Gerstenmehl verbacken wird. Diese eßbare Flechte findet sich reichlich in den russischen Steppen und in den trockenen Gebieten Asiens und Afrikas , wo die Stürme, die sie von dem Bergfelsen gerissen haben, ans dem sie wuchert, sie als Regen zu Boden fallen lassen. Nach dem Bericht, den Prof. Hanneguy gibt, bedeckten solche Flechtenregen im Jahre 1823 ganze Gebiete PersicnS mit einer Schicht, die 20—30 Zentimeter im Durchmesser maß. Die Einwohner aßen sie und benützten sie auch als Mehfutter. Aehnliche Beobachtungen wurden in der Folge in der Mongolei und in Algerien gemacht. Die hier ge- nannte Flechte enthält 4 Proz. Zucker, 23 Proz. Mehl: ihren Nährwert vermindert allerdings der starke, bis zu 66 Prozeni steigende Gehalt an Kalk. Diese Flechte findet sich oft in dicken Schichten, sie ist äußerlich rot oder rostfarben und weiß im Innern und bildet kugelförmige Stücke, die hart und so groß wie eine Nuß sind. Neuerdings hat man, wie schwedischen Presse- notizen zu entnehmen ist, dort Versuche gemacht, eine gewisse Flechte zu verbacken. Vielleicht handelt es sich dabei ebenfalls um eine der .Mannaflechte' verwandte Art.
Notizen. — Die 24 stündige Tageseinteilung in der Schweiz . Die Schweizerische Naturforschende Gesellschaft, die dieser Tage in Zürich ihre Jahresversammlung abhielt, hat dem Bundesrat jolgeiidcu Wunsch übermittelt: Für alle öffentlichen Diensie des Bundes werden die Stunden in Zulunft und sybald als möglich nicht mehr nach der jetzigen Tageseinteilung von zweimal zwölf Stunden berechnet, sondern nach der rationellen Einteilung i» 24 aufeinanderfolgende Stunden von Mitternacht bis Mitternacht.' Der Generalstab der schweizerischen Armee, die Gcneraldirektion der Bundesbahnen, der Post, der Telegraphen- und Zollverwaltungen haben sich bereits sür diese Umgestaltung zLnstig geäußert. — Eine antike Statue des LiebegoiteS wurde bei den italienischen AuSglabungen in Kyrene (Nordasrilaj, die schon so wichtige Neste altgriechischer Kunst geliefert haben, gesunden. Die Marnwrfigur, der die linke Hand sehfo stellt den Gott� dar, wie er den Bogen spannt und dabei die Augen bereits aus ein fernes Ziel richtet. DaS Bildwerk dürfte eine griechische Kopie einer Bronze sein.
Die welsche Nachtigall. Der Roman eines sterbenden Jahrhundert», 9) Von R. Franc«. In dieser unbefriedigten Stimmung bog er um die Ecke des SalvatorgäßchenS und stieß fast mit einem sorglos dahin- schreitenden Mann zusammen, der ihn im nächsten Augenblick uberlaut begrüßte. Es war der Exstudiosus Michalansky, der nach seinem Abend deS EliickS heimwärts strebte. Zu hell hatte auf ihn die Sonne geschienen, als daß er diese Nacht ungefeiert vorübergehen lassen konnte. Der che- malige Kollegbruder kam dazu Ilm so gelegener in seine Arme gelaufen, als eS geradezu seine Leidenschaft war, mit Studenten wie mit seinesgleichen zu Verkehren, seitdem er sein Erbe vcrstudiert hatte und die•Alm» rnater verlassen mußte. „Salve, daß dich dieser und jener hole, PeißeriuS, wollte grab' noch ein paar Maß genehmigen, alter, lieber Bursche, mich soll gleich der Teufel holen und in den Lüften zerreißen. wenn ich Dir nicht gut bin.— Komm mit auf SchmolliS," biederte er den Verdutzten an. „Was hat er nur?' dachte dieser, Itefy sich aber in feiner verärgerten Laune nicht ungern mitziehen, als auf seinen Ein- wand, daß die Rumorstunde längst vorbei und alle Schänkcn geschlossen seien, Michalansky vorschlug, in den Beindlkeller zu gehen, einem Verschwiegenen Winkel, dessen Besitzer das beste Bier gebe, wo auch sonst lustige honette Gesellschaft sei und wo vor allem keine Rumorstunde gelte. Der Beinldkcller lag nicht weit im Rosengäßchen, in dem es aber'..icht nach Rosen roch. Und er war nichts anderes als ein Schnapsladen gemeinster?lrt.' Die„hontztte' Gesell- schaft bestand aus ein paar Dirnen, die gleich um Schokolade, Wein und Kuchen bettelten, fürchterlich ausgeräumt taten, sich aber bald verzogen, als der Exstudent sie anfuhr, nachdem er sie zuerst auf die derbste Art betappt hatte. Dann warf er einen Karolin von dem von Morawitzky am Nachmittage er- haltenen Geld« protzig auf den Tisch und forderte für sich und seinen Freund und Kollegbruder— wie er recht laut herausschrie— Wein. Bald waren die beiden untergetaucht in ihrer Ecke, da
neue Gäste zum verschwiegenen Hinterpförtchen hereinkamen s Prediger.
und ein Qualmen, Gläserklirren, Kirren und brünstiges Ge lächter anhub.> MichalanSky merkte bald, daß Peißer den Kopf hängen ließ. Dieser wieder hatte nie viel übrig gehabt für die schäbige und übelbeleunumdete dunkle Existenz an seiner Seite, die er gar nicht näher kannte, von der er nur ab und zu ein nicht imnier rühmliches Histörchen gehört, als von einer Art Winkeladvokaten, der auch Schmuser war draußen auf den Dörfern bei herabgekommenen Bauern. Jetzt aber tat der ungewohnte süße Wein seine Schuldigkeit; auch die überaus angeregte Atmospäre ringsum versagte nicht und plötzlich fand er sich wieder mitten drin in Aufrichtigkeiten, die er gar nicht beabsichtigt hatte. Er empfand auf einmal in seiner beginnenden Trunken- heit Groll gegen den junkerlich tuenden Solms . War doch auch kein anderer Kerl als er selbst, der auch als guter Mutter Kind galt. Und tat nun spantscher als der spanische König selber.... Mit einent Fluch schlug er auf den Tisch. „Mir ist heut' eine Spinne über die Leber'krochen— der kann's einem verleiden, der Monsieur, möchte nicht länger ein honoriger Bursch heißen, wüßt' man. wie der angezogen hat. Natürlich! Der Sekretär von Solms, daS klingt freilich aristokratischer als der Jakob Peißer, der aber auch nicht auf der Brennsupp'n dahergeschwommen ist. Gott stras' mich. Hab' ich recht oder nicht?' Michalansky spitzte beide Ohren. Sollte daS Glück mit Steinen nach ihm werfen? Er hatte längst erfaßt, daß zwischen dem Grafen Morawitzky und der Säugerin jener Sekretär von Solms stand, über den er täglich an Lainctten Wahres und Unwahres zu berichksn wußte. Und nun sollte er etwas wirklich JntimeS über jenen erfahren können? Er hätte kein Künstler im Aushorchen zu sein brauchen, um den verärgerten Peißer zum Reden zu bringen. Eine Viertelstunde später wußte er allcS. Er notierte es in seinem Hirn, daß im Orden der Amizistcn die neu- fränkischen Ideen Fuß gefaßt hatten, daß ihnen Peißer mit Leib und Seele anhing, daß aber,'als et beim ersten Wiedersehen den alten Kolleggenossen Rein- hard auf Herz und Nieren geprüft, dieser Stand gehalten habe" wie ein Erzaristokrat, sogar den Amizisten Rede stehen wolle, um sie zu bekehren von ihrer Schivarmgeistcrei, alL fei er auch schon so ein heimlicher Jesuit und Kontrovers-
Danlit war freilich noch nicht viel anzufangen. Immer- ' hin fchlJii ntaii sich die Neuigkeiten um die Ohren, spann dann sachte den Faden des Gespräches und wickelte ihn auf eine neue und doch so alte Rolle: auf die Zotologie. In der war keiner so Meister, wie Michalansky. von dem es im Schwange ging, daß er als Student einmal sogar ein Kolleg daraus gelesen, das brav und viel eifriger nachgeschrieben Wurde, denn das Compenclium juris rimani. Die feine Witterung der Dirnen hatte gleich die Wendung des Gespräches heraus- gefunden; flugs saßen sie auch schon zu Tische, naschten von dem Wein— bald bemächtigten sie sich ganz der trunkenen, ihren feilen Zärtlichkeiten zujubelnden Köpfe, für die alleL vernebelte in einem unbestimmten Taumel von Wein, Müdig- keit und Lüsten... Als der Exsttldent wieder erwachte, lag er in seiner elenden Behausung und die Maicnsonne wart hellen Wider- schein an die Wand. Denn der Verschlag, inPdem der neue Vertrauensmann des Grafen Morawitzky ivohntc. hatte kein Fenster ins Freie, sondern nur eines hoch unter der Decke, das in ein Futtermagazin ging, so daß man von seinem Salon- und Studierzimmer aus schön und schlecht Wetter nur daran erkennen konnte, ob das ferne Fenster hellen Wider- schein warf oder ob er fehlte. Mit wüstem, leeren Hirn lag er im unsauberen Pfühl und nur langsam kehrte die Erinnerung wieder. An die Audienz, an Lainettens ivohlgepflegte Heimlichkeiten.. an den Beindlkeller, an Peißer, mit dem er Dutzende von Bruderschaften getrunken, an die Nymphen--- plötzlich fuhr ihm der Schreck in die Glieder— hätte nicht der Graf gesagt: Komm' er morgen um zehn D» der Frau am Donau- tor— Schockschwerenot, da hatte ihn der verdammte Kater vielleicht die gebotene Stunde verschlafen lassen... ganz heiß ftihr er mit beiden Beinen auf vom Strohsack, Eine'llhr konnte sich Herr Michalansky noch nicht leisten. Er hatte sonst bei Beginn seines oft sehr wenig in Anspruch genommenen Tagewerkes einfach nach dem Erwachen darauf gewartet, daß die Glocke der benachbarten Pfarrkirche ihm die Stunde ins Kämmerlein sage— heute genügte ein Blick auf den hohen Sonnenstand, erkennbar an der Helligkeit des Fleckens an der Wand, um ihnl höhnisch zuzurufen: du hast dein Glück ver- schlafen.— In rasender Eile kleidete er sich an— die Wahl tat nicht Weh, denn er hatte wohl zwei Hüte, aber nur einen Anzug, den er zurechtbürstete, so gut'es ging. �(Forts, folgt.)