Nr. 2S6— 1�17
Unterhaltungsb!att öes vorwärts
Vonnerstag,18. Oktober
Ein Märchen von heute. Bon Maxim G orki. Maxim Gorli veröffentlicht in seiner Zeitung.Neues Leven"' eine kleine Erzählung, worin der ganze Jammer des befreiten Siuglands schluchzt. ES lebte einmal ein Weib mit Namen— sagen wir— Motrjona, die für einen fremden Onkel, der— nehmen wir an— Nikita hieß, und für all seine Verwandten samt ihrem zahlreichen Gesinde arbeitete. Schlecht erging es dem Weibe. Der Onkel Nikita beachtete Matrjona gar nicht, wenngleich er vor den Nachbarn prahlte: .Meine Matrjona hat mich lieb,— ich mache mit ihr. was ich Willi Ein mustergültiges Tier, willig wie ein Pferd....* Und das betrunkene, freche Gesinde Nikitas malträtiert Matrjona stündlich, bald wird sie bestohlen, bald— verprügelt, bald— so einfach aus Langeweile— geschmäht, aber untereinander sprach man: .Was ist es doch für ein Frauchen, unsere Matrjona I Manch- mal tut sie einem sogar leid!' Indessen fuhr man fort, sie in Worten zu bemitleiden, aber in Wirklichkeit, sie zu mißhandeln und zu berauben. Abgesehen von diesen Schädlingen, umgaben Matrjona viele Nutzlose, die für MatrjonaS Langmut Mitgefühl hatten. Sie blickten sie von der Seite an und— wurden gerührt:.Du, unsere Biel - leidende! Du, Arme!' Einige aber riefen ganz entzückt: .Dich kann man mit keinem Metersiock messen, so groß bist Tu I Und was den Verstand anbetrifft,— so sagten sie,— so reicht niemand an Dich heran, zu Dir— so lauteten ihre Reden— kann inan nur Vertrauen haben!' Währenddem bewältigt Matrjoua wie eine Bärin tagaus tagein jedwede Arbeit, und immer— ohne Zweck: wieviel sie auch immer eraibeitet, alles nimmt ihr das Gefinde des Onkels weg. Trunken- heit, Sittenverderbnis und jeder Unrat umringen die Frau. ES ist zum Ersticken! So lebte sie, arbeitend und schlafend, und in den freien Minuten grämte sie sich still ab:.Ach Gott ! Alle haben sie mich lieb, alle bedauern sie mich, aber einen wahren Mann gibt es nicht. Wäre irgendein richtiger Mann gekommen, hätte mich in seine starken Arme genommen, hätte mich, das Weib, mit voller Kraft lieb- gehabt— da hätte ich ihm solche Kinder geboren, ach Gott !' Und sie weint und kann nicht weiter. Da fing ein Schmied an, sich ihr zu nähern, aber er gefiel ihr nicht, der Mensch war nicht von Vertrauen erweckendem Aussehen, war verqualmt, hatte einen frechen Charakter und sprach unver- ständlich, auf eine Art sogar prahlerisch: .Nur in ideeller Bereinigung mit mir werden Sie, Matrjona, imstande sein, das folgende Stadium der Kultur zu erreichen..." Sie erwiderte: .Was denn, Väterchen, wohin zielst Du? Ich verstehe nicht mal Deine Worte, und dann— ich bin groß und habe reiche Aus- sichten. Dich aber kann man kaum ansehen I' So lebte sie weiter. Alle Welt bedauerte sie, und sie hat mit sich selbst Mitleid gehabt, aber Zweck hatte da? alles nicht. Und plötzlich— ist der Held erschienen I Er kam, jagte den Onkel Nikita und sein Gesinde davon und erklärte Matrjona: .Bon nun an bist Du vollkommen frei, und ich bin Dein Erretter, wie der heilige Georg der Sieger auf der alten Kopeken- münze.' Matrjona schaut, und fürwahr— frei ist sie I Selbstverständlich wurde sie froh. Indessen erklärt auch der Schmied: .Auch ich bin der Retter!' .DaS sagt er aus Eifersucht, ' ging eS Matrjona durch den Sinn, laut aber sagte sie: .Selbstverständlich auch Du, Väterchen!' Und alle drei begannen ein neues Leben voll fröhlicher Ber- gnügungen; jeden Tag gab eS bald eine Hochzeit, bald eine Be- erdigung, einen jeden Tag wurde Hurra geschrien. DeS Onkels Knecht Molej fühlte sich plötzlich als Republikaner — Hurra!
Die Städtchen Jalotorowsk und Rarym erklärten sich als Ver- einigte Staaten— wieder Hurra I Etwa zwei Monate lebten sie wie ein Herz und eine Seele, erstickten einfach in Freude, wie zwei Fliegen in einem Becher Ouaß, aber plötzlich— im heiligen Rußland geschieht alle? plötzlich I— plötzlich wurde eS dem Helden langweilig. Er sitzt Matrjona gegenüber und fragt: .Habe ich Dich befreit?' „Na ja doch, mein Lieberl' „Merke Dir das!' „Und ich?' fragt der Schmied. „Auch Du...' Kurze Zeit darauf quält der Held von neuem: «Habe ich Dich, die Närrin, gerettet oder nicht?' „Ach Gott .' sagt Matrjona,„gewiß doch, Du selbst!' „So, dann behalte e§ in Erinnerung!' „Und ich?' fragt der Schmied. „Auch Du... Ihr beide...' .Beide?'— sagt der Held, indem er seinen Schnurrbart glättet.— ,Hm!... Ich weiß nicht...' Und er fing an. Matrjona stündlich zu verhören:.Habe ich Dich, die Närrin, ge- rettet oder nicht?' Und immer strenger:„Bin i ch Dein Erretter oder wer sonst?' Matrjona sah, wie der Schmied finster wurde. Er ging fort und machte sich an seine Arbeit. Die Diebe— stahlen, die Kaufleute— handelten, alles ging seinen alten Gang, wie in OnkelS Zeiten, und der Held plagte sie weiter und fragte sie tagtäglich: .Wer bin ich für Dich?' Und er gibt ihr eine Ohrfeige und zerrt sie an den Zöpfen! Matrjona küßt ihn, sucht ihn mild zu stimmen, sagt ihm lieb- freundliche Worte: .Du, mein lieber Garibaldi , mein italienischer, Du mein eng- lischer Cromwell, Bonaparte von Frankreich l' Und nachts, wenn sie allein ist, weint sie still: „Gott , o, Gott ! Ich dachte, daß es wirklich etwa« wird, und nun ist es so gekommen I'
Aber, daS ist nur ein— Märchen.
In den Välöern von St. Ouentin. Aus der Gegend von St. Ouentin wird uns geschrieben: Wir hatten Gelegenheit, des Rachmittags öfter Ritte in den kühlenden Schatten der leider hier nur noch so seltenen Laubwälder zu unternehmen. Schlecht gepflegt sind diese Wälder. Jeder sieht es aus den ersten Blick, hier fehlt der kundige Forstmann nicht erst seit Beginn des Krieges. Das war niemals ein preußischer Wald. wo die Bäume in Reih und Glied stehen. Aber gerade dieses verwilderte gibt ihm den eigenen Reiz. Unregel- mäßig stehen große und kleine Bäume durcheinander. darunter findet sich ein wildes Gestrüpp von Unterholz; auch die Schlingpflanzen sehlen nicht. Dieser Wald hat also— wie der Botaniker sagen würde— nicht nur eine Etage, wie z. B. unser lieber Grunewald bei Berlin , wo das gesamte Grün der Bäume in gleicher Höhe liegt. Hier erkämpft sich die jüngere Generation, ungestört durch menschliche Eingriffe, was noch unterhalb der höchsten Kronen an Raum zu Gebote steht. Viele Etagen kann man hier zählen, die je nach den verschiedenen Ansprüchen den verschiedensten Arten an- gehören. Nur ist eS hier im großen und ganzen umgekehrt als bei den Mietskasernen unserer großen Städte. Die Mächtigsten wohnen hier am höchsten, da. wo Lust und Licht, die beiden HauptlebenS« notwendigkeilen der Pflanze, am meisten vorhanden sind. Unser deutscher Wald ist also einem vornehmen Hause zu vergleichen. Hier wird nur den Auserlesenen gern eine Wohnstätte geboten. Wie aber mancher Romanschriststeller lieber ein HauS aufsucht, in dem, vielleicht zum Aerger des Wirtes, das Leben ein recht buntes ist, so wird der Botaniker gern in den Wäldern Frankreichs verweilen. Die Stieleiche und die Hängebirke sind die hervorragendsten Bildner, die Bewohner der obersten Etage dieser Wälder. Auch in dem dicht wuchernden Unterholz sind diese beiden Arten begreii- licherweise stark vertreten. Dazu treten hier noch unter anderem Eipen oder Zitterpappeln sowie Hasel- und Schneeballsträucher. DaS wäre das mittlere Hauptstockwerk. Am anregendsten ist daS unterste Geschoß. Vielerlei Orchideen sind hier so recht zu Hause. Kurzum, hier ist ein Dorado für den Pflanzensammler. Und durch all diese Etagen ziehen sich jenq Ge-
schickten, die sich andere zunutze zu machen verstehen, die Schling- gewächse. So sehen wir vor allem den Efeu und das so außer- ordentlich wohlriechende Geisblatt mit seinen kleinen gelben Blüten, hier und da auch.Je länger je lieber' genannt. Es ist dies eine Pflanze, die mit Borliebe von gewissen Nachtsaltern, Schwärmern aufgesucht wird. Daher strahlt sie denn auch vor allem des Abends ihren starken Blütenduft aus. Auf den kleinen Blüten läßt sich der Schwärmer mit seinem dicken Leib zur Honigentnahme nicht nieder. Er steht vor ihr im Fluge, wie der Habicht, ehe er sich auf seine Beute stürzt, und führt so schwebend seinen langen Rüssel ein. Auf den feuchten Waldwegen aber huscht am Tag der große Schillerfalter aus und ab und läßt sich aus dem Erdboden nieder, um aus dem Boden Flüssigkeit zu saugen. Recht häufig ist hier dieser bei uns so seltene blauseid-ne Schmetterling. Ja, der Naturfreund kommt in diesen Wäldern auf seine Kosten. versuche ober die Unsterblichkeit der Einzeller. Di« Behauptung vieler Tierforscher, daß einzellige Tiere, die sich durch Teilung allein erhalten und fortpflanzen, unsterblich seien— August Weismann hat beispielsweise über die Unsterblichkeit der Einzelligen eine schöne Arbeit veröffentlicht—, hat andere Gelehrte, die dies theoretisch zugaben, abch für die Wirklichkeit nicht anerkennen wollten, zu Versuchen veranlaßt, durch die diese Be- hauptung widerlegt werden sollte. Sie suchten nachzuweisen, daß die einzelligen Tiere im Laufe einiger Jahre, während derer sie sich nur�durch Teilung erhalten konnten, entarten, so daß schließ- lich ihr Stamm zugrunde gehen muß. So hat in'den letzten Jahren — bei Kriegsbeginn waren diese Versuche noch nicht abgeschlossen— der Amerikaner Woodrus sieben Jahre hindurch eine Infusorien- kultur beobachtet und im ganzen 4S(X> aufeinanderfolgende Generationen gezählt, die nur durch Teilung entstanden waren. In noch größerem Maße hat der russisch « Forscher Metalnikoff diese Versuche über Unsterblichkeit der Einzelligen ausgeführt; zuerst schien es, als träte im Laufe der Jahve wirklich eine Eni- artung ein, dann aber ergab die Beobachtung, daß dies nur schein- bar gewesen sei. Metalnikoff hatte als Bersuchstter Oaramaecium cauäalum gewählt; was die langjährige Beobachtung dieses ein- zelligen Geschöpfes ergeben hat, veröffentlicht er soeben in den „Berichten" der Societee de Biologie. Es hat sich herausgestellt, daß die Nährlösung, in der die Versuchstiere leben, von erheb- lichem Einflüsse auf die Versuche ist. Metalnikosf verwandte LiebigS Fleischertrakt in einer Verdünnung von 0,025 auf 100. Den Ausgang seiner Bersuchstierreih« bildete ein einziges?sramaecium esuäatum. Durch Deiluirg wurden hieraus zwanzig, und jedes dieser zwanzig Geschöpfe wurde für sich auf ein Uhrglas mit der Nährlösung zur weiteren Beobachtung gebracht. Der russisch « Ge- lehrte untersuchte seine Versuchstiere täglich und erneuerte auch jeden Tag die Nährlösung; die Vereinigung von je zwei Tieren verhinderte er, und so setzte er die Versuche— sie find noch nicht beendet— bislang durch acht Jahre fort. Er hat etwas mehr Generationen erhalten als Woodruf bei seinen Versuchen, was am Klima oder auch an Stammeseigemtümlichkeiten seiner Versuchs- tierc liegen mag. Wie schnell die Vermehrung durch Teilung erfolgt ist, hat er zahlenmäßig festgehalten: 1912 zählte er 413 Generationen, 1913: 397, im folgenden Jahre 393, 1915 nur 258. Der Schluß, daß dies ein Schwächerwerden der Lebenskraft der Paramaeeien bedeute, er- wies sich jedoch als verfrüht, denn im Jghre 1916 erfolgte die Tei- lung wieder ganz bedeutend schneller, ja am Schlüsse des Jahres stellte sich heraus, daß sie sogar erheblich größer als im ersten Beobachtungsjahre geworden war: im Jahre 1916 haben Metalni - koffs Einzeller nicht weniger als 490 Generationen erreicht. Nach den bisherigen Ergebnissen dieser Versuche scheint es also, daß die Paramaecieii in fast 2000 Generationen noch genau so lebenskraftig sind wie vorher._ Notizen. — Der Säng«rstreit i« Marseill «. Der Säuger- streit auf der Wartburg wird ein würdiges Gegenstück finden. Die Marseille ! Zeitungen bringen als Anzeige«ine Herausforderung an alle Tenöve: Herr Fernand Leinaire. erster Tenor an der Mar- seiller Oper, fordert alle Sänger zum Wettstreit heraus. Er ver- pflichtet sich, eine Stunde lang alle gewünschten Opernarien um einen Ton höher zu singen als sonst irgend ein anderer Tenor. Die Wette wird auf 10 000 Franken abgeschlossen. — Der Heizregler. Ein schwedisch� : Ingenieur hat ein« Erfindung gemacht, die sine automatische Regelung der� Wärme- zufuhr und des Brennstoffverbrauchs bei Warmwasserheizung er- möglicht. Bei einer gewissen Temperaturhöhe wird die Wasser- zufuhr der Wärmelestung abgestellt. Es wird mit 25 bis 30 Proz. Koksersparung gerechnet.
Die welsihe Nachtigall. Der Roman eines sterbenden Jahrhundert?. Ii] Von R. France. Aber es blieb nicht mehr viel Zeit zum Wünschen und Hoffen.... Man äußerte Ungeduld und Zweifel im kleinen Kreis, ob der für den Abend versprochene Akteur denn auch wirklich Wort halten werde— da sprach auf einmal eine fremde, unangenehm hohe Stimme: „Man braucht nur zu befehlen.—" Alles fuhr erschreckt zusammen und erst jetzt wurde man gewahr, wie dunkel es inzwischen im Gemach geworden. Der Schrecken steigerte sich aber zum wahren Entsetzen, daß Peißer sein Haar sich sträuben fühlte— als man einen hageren, schwarzgekleideten fremden Mann einen unbestimmten Schatten. ein wirtliches schwarzes Gespenst bemerkte, das sich auf einmal bewegte... Jäh fiel ein Tuch zu Boden und nun stand dort ein üppiges, etwa zwanzigjähriges Mädchen mit einem rassigen feingeschnittenen Gesicht, in dem die blauen Augen, die tiefschwarzen, einen pikanten Bogen bildenden Augenbrauen und das reiche dunkle Haar einen das Auge bannenden Kontrast bildeten. Später sah auch Peißer ein, daß alles mit natürlichen Dingen zugegangen war. Die Tür war offen geblieben, der Magnctiseur konnte also leicht unbemerkt eintreten und das schwarze Tuch mußte er wohl über das Mädchen an seiner Seite schlagen, sonst hätte dessen reiche morgenländische Ge- Wandung auf der Straße unliebsames Aufsehen erregt. Trotz- dem wirkte das Zusammentreffen dieser Umstände auf jeden der Anwesenden erschreckend und eine dem nächtlichen Tun günstige Stimmung war vorbereitet. Der Magnetiseur stellte sich als Chevalier Cavallo vor, seine Begleiterin nannte er nur kurz Fatmö. Und ohne sich auf vieles Reden einzulassen, bega»n er einige Vor- bercitungen. Das war gut von Chevalier Cavallo, denn so oft er den Mund auftat, ja wenn man ihn nur näher anblickte, lief die Enttäuschung jedem über den Rücken. Der Italiener hatte die unangenehmste Fistelstimme und wenn sein Tonfall etwas sehr unwälsch hartes, fast höhnisches besaß, so stand damit sein Kopf im Einklang, denn er war von einer so impertinent
emporgereckten Nase geziert, daß man sich ihrer nur an den Ufern der Moldau nicht schämt. Dr. Widmont hatte seinen Gästen gesagt, daß der Chevalier mit Empfehlungsbriefen auf der Durchreise von Nürnberg nach Rom zu ihm gekommen sei, um ihm als dem alten Lehrer MeSmers seine Reverenz zu bezeugen. Es lag aber ein Gran Unwahrheit darin, das seinem lauteren Charakter auch nicht wenig zuwiderlief. Er hatte nämlich einiges aus wohlweislicher Klugheit verschwiegen, im besonderen, daß die gewichtigen Empfehlungsbriefe des Cavallo von niemandem als dem seiner Freigeisterei halber seiner Stelle ent- setzten Professor Weishaupt stammten, mit dem ihn politische und menschliche Freundschaft verband. Noch viel mehr verschwieg er, was in Weishaupts Empfehlungsbrief darin stand. Daß dieser Italiener durch sein Medium das erstaunliche Kunststück des Mesmer wiederhole und zu Gotha , wo Weishaupt mit ihm experimentiert habe, die wunderbarsten Weltereignisse auf die Stunde genau vorausgesagt, ja dabei verborgene und nur den Kennern zugängliche Dinge von ihm selbst geoffenbart hätte.... Weshalb ihm gerade dieser Mann überaus ge- eignet scheine, für seine Sache die feurigsten Anhänger zu werben, wenn man ihn lauen, schwankenden, sonst aber ehr- lichen Gemütern vorführe und sie sich von semer Prophezeiungs- kunst überzeugen lassen. Nichts anderes als diesen Wink des Jlluminatengenerals hatte er nun heute ausgeführt mit der Einladung an wenige verttautere Männer, denen er den jungen Feuerkopf von Studenten mit dem sicheren Blick des alten Mannes unbedenk- lich hinzugesellt, als er dessen zweiflerische und schwärmende Gemütsart erkannt hatte. Schweigend saß die kleine Gesellschaft im Halbkreise, als auf die Aufforderung des Magnetiseurs Peißer die Fenster sorgfältig verhüllte und vor das einzige Licht, das angezündet werden durste. Schirm und lichtabwehrende Hüllen in so reicher Zahl anbrachte, daß kaum einige Dämmerung im engen, mit Büchern und seltsamen Flaschen vollgepfropften Gemach herrschte. Im hellen Licht sei es unmöglich, das auserwählte Mäd- chen, von dem die seltsamsten Dinge zu erwarten seien, zum Traumschlas zu bringen, der nichts anderes denn der Tempel- schlaf der Aegypter oder der Mystagogen im hellenischen Altertum, die wahre Quelle aller Wahrsagung sei, sagte dazu 1
erläuternd Widmont, der seinen Gästen völlig vertraut mit diesen ungläubig aufgenommenen Dingen schien. Seine ernsten Worte blieben nicht ohne Wirkung. Sogar der dicke Hundt vergaß auf seinen Spott und seine Scherze, als nun, sein greiser Freund mii einer Stimme, der man die Äusregung und den ungewohnten Ernst der Stunde anmerkte, die Anwesenden bat, unter keinen Umständen, was auch immer sich ereignen möge, was auch alles hörbar oder sichtbar werden würde, die Besonnenheit zu verlieren, oder gar sich so weit zu vergessen, plötzlich Licht zu machen oder die Somnambule zu packen. Ihr plötzlicher Tod und Wahn- anfalle des allzu lebhaften Zweiflers sowie dauernde Geistes- Zerrüttung seien schon des öfteren in Paris und an anderen Orten die Folge solch' unbedachten Tuns gewesen. Während er dies alles auseinandersetzte, hatte Cavallo das Mädchen in einen Lehnstuhl gesetzt und strich ihr mit dem Daumen bestän- big von der Stirne über die Schläfen bis zum Halse herab. sah sie starr an und wiederholte scharf und bestimmt in seinem fremden Tonfall das Wort: „Schlaffen." Fatme saß zusammengesunken da, auf einmal fielen ihre Hände kraftlos nieder, ihr Kopf sank rückwärts und sie fing unheimlich zu schluckzen an. Wenn Peißer später von den Ereignissen jenes Abends sprach, betonte er stets das unheimliche Gefühl, daS ihn befiel, als er damals zum ersten Mal gewahrt hatte, daß die Augen der Somnambulen nicht nur nicht geschloffen, sondern un- natürlich weit geöffnet und so erschrecklich verdreht waren. daß man nur das Weiße in ihnen, aber keinen Aug- apfel sah. Unwillkürlich rückten alle näher um das Mädchen und der leichte Hauch skeptischer Scherze, der den Abend ein- leitete, war längst verflogen. Auf einmal begann Fatme zu weinen, laut, bitterlich, mit quäkender Stimme, wie ein verzogenes, kleines Kind. „Sie bildet sich ein, sie ist Bambino," erläuterte Cavallo. r„Sprechen Sic mit ihr, Monsignori, als wenn sie Kind wäre." Die vier alten Herren stellten sich aber sehr ungeschickt bei diesem improvisierten, längst entwöhnten Umgang an. Und Peißer wagte überhaupt kaum zu atmen, geschweige denn zu reden.(Forts, folgt.)