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Hr. 306 1917

Unterhaltungsblatt öes vorwärts

Mtttwoch, 7. November

vierzig?ahre Zernsprecher. Von Dr. Otto Bleck. In diesen Novembcriagen find eS 40 Jahre, seit siS dem Fern» spreckier ein beispielloser Triumph, ug durch die Well erschloß. Kein Wunder, daß fich daiür einen Augenblick unsere Gedanken aus der bewegten Gegenwart jenen Tagen ,uwenden, da Sßepbon, Deutsch- lands Generalpostmeifier, zuerst in Deutschland mit Hilie einiger Telephone Sprechversuche anstellen ließ, um so mebr nöch als das Telephon, eine der bedeutendsten Erfindungen des menschlichen Geiste», uns durch einen deutschen Mann geschenkt wurde. Erfunden ist das Telephon nämlich nicht, wie vielfach fälschlich angenommen wird, in Amerika , sondern durch den deutschen Lehrer Philipp Reis in Friedrichsdorf bei Homburg v. d. Höhe. Die Nomen dreier deuischer Männer: Philipp Reis , Heinrich Stephan und Werner Siemen« sind es in erster Linie, die mit der Erfindung, Einführung und technischen Formung jenes unscheinbaren Instrumente« für immer verknüpft find, das sich inzwischen im Staats- und im Gesell- schaftSleben zu einem Machtfaklor entwickelt hat und das im Donner der Schlacht wie'bei friedlicher Arbeit für jede Art menschlicher Tätigkeit gleich unentbehrlich geworden ist. Bei den ersten Versuchen in Deutschland , die man 1877 mit einem brauchbaren Fernsprecher anstellte, ivurden die von Prof. Graham Bell in BoSIan erbauten amerikanischen Fernsprechopparot« benützt. Sie fußten aber in ihrer grundlegenden Idee auf dem I8S0 von RerS erfundenen und auf Grund einer Reihe wifienschasrlicher Arbeiten von Gelehrten verschiedener Nationen ist im Lause der Jahre auch einwandfrei festgestellt worden, daß sowohl Bell als andere aus- ländische Erbauer von Fernsprechern die Reizsche Erfindung gekannt und sich aus sie gestützt haben. Die Reissche Erfindung halte man jedoch seinerzeit in Deutschland nicht in ihrer vollen Tragweite er- lannt; sie geriet in Vergefienheit, und die nach Amerika und Eng- land gewanderte deutsche Erfindung kehrte, verbefiert und für den praktischen Gebrauch hergerichtet, als eine in Amerika patentierte zu uns zurück. Im Gegensatze zu der neuerdings hervorgetretenen Anschauung, daß der vor einigen Jahren verstorbene Generaldirektor Ralbenau e« gewesen sei, der die Verwertung des Fernsprecher» für den Nach- richtendienst in Deutschland zuerst angeregt und bei Stephan für die Tragweite der Idee zunächst kein Verständnis gefunden habe, war es aber der Gencralpostmeister selbst, der mit klarem Blicke die gewaltige Bedeutung des Fernsprecher» als Nachrichtenmittel er- kannte und demgemäß handelte. In der zweiten Hälfte de« Ok- tober 1877 brachte der damalige Chef des Haupttelegrophenamts in London , Mr. Tischer. zwei jener Bell-Telephone, die der englischen Telegtophcnverwaltuna kurz vorher a»S Amerika zugegangen waren, mit. Noch an demselben Tage, dem 24. Oktober, wo Tischer Stephan diese Apparate überreichte, ließ dieser damit im Generalpostamt Versuche anstellen, die durchaus gelangen; selbst Versuche auf längere Strecken, wie von Berlin nach Potsdam . Stephans Entschluß, das neue wunderbare Instrument der allgemeinen Nachrichtenübermittlung dienstbar zu machen, war gefaßt. Am g. November 1877 entwarf er einen Bericht an den Reichskanzler, in dem er das Wesen de« Telephons und die Ergeb- nifie der von dem Generolpostamte angestellten Sprechversuche dar- legte und in großen gLgen andeutete, wie er den. wenn auch.noch in der Kindheit liegenden" neuen Apparat zunächst praktisch zu verwerten beabsichtigte, wie er dem Fernsprecher auch eine große Zukunft im menschlichen Verkehr voraussagte. Schon am 12. November wurde die erste ReichSpostanstalt in FriedrichSbcrg bei Berlin mit gernsprechbetrieb ausgestattet; im Laufe des November wurden weitere Postanstalten mit der neuen Einrichtung versehen. Am 19. November verfügte Stephan, daß im Bereich der Reichspostverwalmng die bisherige Bezeichnung .Telephon " durch das deutsche Wort.Aernsprecher" zu ersetzen sei. Schnell erfolgte die Einrichtung' von FernsprechbetriebSstellcn auf breitester Grundlage; Ende 1879 war ihre Zahl bereits auf 788 angewachsen. Der Schwerpunkt bei der allgemeinen Nutzbarmachung de« Fernsprecher» ober lag in seiner Verwendung für den e i g e n t- ltchen Fernsprechverkehr. Zuerst wurden in Amerika OrtSfern- sprechstellen in größerer Zahl geschaffen. Such in Deutschland ve» suchten Vertreter amerikanischer Fernsprechgesellschaften Stadtsern- sprechanlagen ins Leben zu rufen, ohne aber bei der Teilnahmlosig- keit der Bevölkerung mit ihren Plänen Erfolg zu haben; ein Grund, weshalb Steghan nicht schon diesen Weg beschritten hatte. So blieb der Fernsprecher in Deutschland noch mehrere Jahr« seiner Haupt» aufgäbe entzogen, bis der Generalpostmeister 1880 öffent- lich bekannt gab, daß er den Bau einer Stadtfernsprech- anlag« in Berlin beschlossen habe. Konzessionen von Privatgesellschaften zur Errichtung von Stadtfernsprechanlagen,

wie sie u. a. auch Rathenan nachsuchte, lehnte Stephan grundsätzlich ab. Im Gegensatz zu den Telcgraphenverwnltungen anderer Länder. die erst später eine Entscheidung der grundsätzlichen Frage herbei- führten, in welchem llmsonge Bau und Betrieb von Fernsprech- anlagen als Unternehmung des Staates zu gelten habe, machte Stephan auch das Fernsprechwesen zum StaatSmonopol. Welchen Dienst Stephan hiermit dem Vaterlande durch seinen Vorausblick leistete und was de» Steuerzahlern hierdurch erspart blieb, erhellt aus der Tatsawe» daß England bei der Verstaatlichung seines Fern- sprechweienS im Jahre 1911 eine Abfindungssumme von einer Viertel-Milliarde zahlen mußte, um die Fernsprechanlagen aus privatem Besitz aufzukaufen. Da» Publikum verhielt sich der neuen Einrichtung gegenüber sehr kühl, sodaß das Generalpostamt zur Anregung des Interesses zu einer Werbetätigkeit sich veranlaßt sah. Ralhenau wurde vom Generalpostamt ermächtigt,.mit den Teilnehmern aus dem Kreise des Publikums die erforderlichen Verhandlungen zu führen und die entsprechenden Vertröge vorbehaltlich der Genehmigung des General- Postamts abzuschließen." Seine Rolle war mithin eine weit be- schcidenere, als gemeinhin angenommen wird. Trotz der Tätigkeit Rathenaus gingen die Anmeldungen in der ersten Zeit ziemlich spärlich ein. Mit nur 8 Teilnehmern wurde am 12. Januar 1881 d>e erste der beiden für Berlin vorgesehenen Ver- mittlungSstellen eröffnet. DaS erste im März desselben Jahres er- schienen- Fernsprechverzeichnis wies auch nur 43 Teilnehmer auf. Aber bald erkannte man auch in weiten Kreisen die Wichtigkeit der neuen Einrichtung. Der Stadlfernsprechanlage in Berlin folgten solche in anderen deutsckien Großstädten. Im April 1382 betrug die Teilnebmerzahl in 18 deutschen Stödten bereits 2277. Dann ging die Entwickkung schnell vorwärts, und 1898 kam die Zahl von 48 000 Fcrnsprechstellen in Berlin denen von ganz Frankreich gleich. Neben dem Stadtverkehr entstand der Vorort- und Nachbarverkehr, 1889 er- hielten auch die Landbewohner die Möglichkeit, Gespräche nach ans- wärtS bei den mit Fernsprecher ausgestatteten Telcgraphenanstalten führen zu können. Hand in Hand mit der weiteren Entwicklung deS FernfprechwesenS gingen naturgemäß auch die technischen Ver- vollkommnungen und Verbesserungen. So erfolgte 1897 der llcber- gang zum reinen DoppellcitungSbetrieb. wodurch sich die Sprach- Verständigung bedeutend steigerte. Der Umschalter für Vielfachbetrieb fand Eingang und schließlich trat man an den Bau eines großen unterirdischen FernsprechkabelnctzeS heran. So hat im Laufe dieser 40 Jahre der Fernsprecher durch das, was uns mit seiner Hilfe zur Vervollkomimiung der VerkehrZein- richtungen geschaffen worden ist. für Handel und Wandel. Landwirt- schaft und Industrie sowie für alle anderen Gebiete friedlicher A- beit, wie auch für die Kriegführung der Neuzeit weittragende Bcdeu- tung gewonnen._ Zum 50. Male: �Nathan üer Weise'. Glücklicherweise ist die? Jubiläum nur ein Teiljnbiläum: eS gilt nur von den Aufführungen, die das hohe Lied der Toleranz an den Reinhardt-Bühnen erlebt hat. Das kgl. Schon- spielhanS hat daneben vor einigen Wochen zum 300. Male die HumanitätSideen LessingS von der Bühne verkündet. Sicherlich könnten diese Kulturziffern noch beträchtlich erhöht werden, wen» man alle Aufführungen deS Nathan an den anderen Berliner Bühnen dazu zählen würde. Aber was wollen selbst 600 Aufführungen für die langen Jahre und die vielen Theater bedeuten? Die höchsten Ideen, die die Menschheit von der Bühne herab beschäftigen sollten, werden von jeder Zugoperette leicht geschlagen. Dieje eine Talsache könnte den ganzen Weltkrieg erklären. Wie Goethes.Iphigenie" ist LessingS Gedicht da« Drama des TageS. Es erhebl in dem schanerlichen Chor»« der Schlachten und der Realpolitik die immer vernehmlicher werdende, nie zum Schweigen gebrachte Stimme der Menschlichkeit. In der Verherrlichung der religiösen Toleranz hören wir heule den Preis der Völkerduldsamkeit, der Menschheitsversöhnung hinein. Herder«, des großen HumaniiSiSapostelö. Worte über den Nathan find beute wahrer denn je:.Die Grundidee dieses Werke» ist das höchste Wort des reinsten Schicksals: ihr Völker, duldet euch, ihr Menschen verschiedener Sitten, Meinungen und Charaktere, helft, vertragt euch, seid Menschen I Die Menschenvernunft und Menschen- güte, die in diesem Drama die Wage halten, bleiben dir höchsten Schutzgöttinnen der Menschheit." Der.Nathan" ist nicht der Nathan. Dieses Drama, doZ der starken Reize der gewohnten Spannungen entbehrte, hat den viel- fältigen Chor differenzierter Menschlichkeiten, unter denen der groß«, edle Jude nur eine, wenn auch die wichtigste ist. Die Aufführung der Volksbühne machte dies recht klar. Nathans war eine jedes Ruhme« würdige Leistimg Ludwig W ü l l n e r S. aber die Polt)- Pbonie war unrein und so war der Gesamteindrnck nicht der höchste. Wüllner ist der geboren« Prophet hoher Ideen, die Gestalt

gewordene Verkörperung jedes starken Idealismus. Er er- hebt Nathan in die Höhe der Würde und Weihe sein Jude ist, obwohl er naturgemäß Spuren der Rasse eigt, weit hinausgehoben über da» Spitzfindige oder auch da« Familienväterlich«, worin manche Nathan-Darsteller verharren. Er verklärt, er ragt au« den Riederungen dieser Allzu- Menschlichkeiten hoch empor. Der Christ und der Mohammedaner haben einen schweren Stand neben ihm: weder Herrn Mendts unbedeutender Saladin noch R i e m a n n S nur temperamentvoller Tempelherr erfüllen die Bedeutung ihrer Rollen. Ein schönes Genrebild beschaulicher Demut bietet B r e g o r i S Klosterbruder. Auch Derwisch und Patriarch haben bei D e c a r l i und I a n n i n g s Farbe und Charakter. Die Frauenrollen lassen lühl: weder Maria FeinS Sittah noch Gertrud W eickers allzu geleckte Recha geben ganz Lessingscke Gestalten sdie beide bei ihm nach dem Leben ge- zeichnet waren). Eher befriedigte Paula E b e r t y(als wortreiche Daja). Di« Inszenierung erstrebte Einfachheit, aber die verdorrten Palmen und im Luftzug schlotternden Wände zeugten nicht eben von Sorgsamkeit._ r. £unf Jahre Deutsche Bücherei . Demnächst vollenden sich fünf Jahre, seit der durch den Börsen- verein Deutscher Buchhändler erfolgten Gründung der Deutschen Bücherei in Leipzig , der ersten Zentrale für deutsches Schrifttum. Während dieser fünf Jahre ist ein bedeutendes Stück Arbeit gc« leistet worden. Die Leipziger Bücherei umfaßt schon jetzt mehr als 200 000 bibliographische Einheiten. Wenn man berücksichtigt, daß eine Einheit vielfach mehrere Bände umfaßt, so kommt man jetzt bc- reit? zu gewaltigen Zahlen. Die Zahl der Bücher stiftenden Verlegsr ist weit über 2800 gestiegen; dazu kommen noch sogenannte Schenker. Die von Dr. Lerche eingerichtete KricgSIiteratursammlung weist zurzeit mehr als 35 000 Gegenstände auf. Die Kataloge um- fassen über 500 000 Karten. Am umfangreichsten ist der Zeitschriften- eingang. Bisher sind über eine Million periodischer Druckschriften eingegangen; täglich verzeichnet man einen ferneren Einlauf von durchschnittlich 800 Stück Zeitschriften. So füllen sich die weiten Räume deS gewaltigen Unternehmens allgemach wenn es auch noch weithin ist, bis die zehn Millionen Bücher, auf die die Bücherei berechnet ist(darüber lönnen wohl über hundert Jahre vergehen), so sieht man doch schon recht deutlich die Füllung der Räumlichkcile». Die Kriegszustände haben leider auch hier ihre Schalten geworfen. Wegen HeizungS- und Beleuchtungsschwierig« leiten und wegen großer Einziehungen muß die öffentliche Be« nntzimg einstweilen unterbleiben. en.

Notizen. Eine große Feuerkugel wurde am 8. September 1918 im östlichen Deutschland und besonders in Berlin beobachtet. Aus den vielfachen Berichten, die darüber bei der Zeitschrist.Sirius" «inliefen, ergibt sich, daß die Erscheinung von Berlin Rostock bis an die russische Front und von der Ostsee bis nach Schlesien sichtbar war. Die Bahn ist berechnet worden. DaS Meteor leuchtete etwa in 300 Kilometer Höhe in der Nähe von Kalmar im südlickien Schweden auf, überschritt die Ostsee und erreichte die deutsche Küste bei Leba . Es flog dann nahezu durch die Scheitelpunkte der Orte Stargard und Jablonowo, bis es nördlich von Plozk zerplatzte. Es trat in die Erdaunosphäre mit einer Geschwindigkeit von über 60 Kilometer ein, hatte aber am Ende seiner nahezu 800 Kilometer weit beobachteten Bahn infolge des Luftwiderstandes schon über 20 Kilometer davon eingebüßt. .Geistesschwaches Bier' in Norwegen . So hat der norwegische vollShumor das 2l/z Proz. Altohol enthaltende Bier genannt, da- als einziges nunmehr noch in Norwegen zugelassen ist. Eine große Erregung herrscht ob dieser Beschränkung im Lande. Hinter dem Verbot steht nicht die Regierung, sondern die Abstinenten- verbände, was neulich der StaatSmtuistcr offenherzig zugab. Die Abstinenten haben die allgemeine Teuerung benützt, ihre Forderung im Storthing durchzudrücken. Ein« neue Eisenbahn über die Andeu. Nord« amerikanische Geldgeber wollen eine neue Bahn in Nord-Peru bauen, deren Zweck eS ist, eines der reichsten Gebiete Südamerika - cndlicd dem modernen Handelsverkehr zu erschließen. Die ungefähr 400 Kilometer lange Strecke wird in dem Seehafen Payta beginnen, die Anden an. ihrer niedrigsten Stelle überqueren und fich in das da­hinter liegende fruchibare Land fortsetzen. Während man bisher zur Reise von Lima nach dem Mittelpunkt der Gummierzeugurg im Amazonenstromgebiet, JguitoS, ungefähr 60 Tage brauchte, soll die Bahn die'Zurücklegimg dieser SIrccke in kaum fünf Tagen möglich machen.

Die welsihe Nachtigall. Der Roman eines st erbenden Jahrhunderts. 81� Von R. F r a n c t. Sie sprach ihn italienisch an, was er in gleichem reinsten ToLkanisch mit der vollendeten Geschmeidigkeit eines Welt- manneS erwiderte. Hier war er gar nicht so verschlossen und ängstlich scheu wie im Widmvntfchen Kreise, sondern gab sich heiter, unbefangen und von einer angenehmen jovialen Väterlichkeit. Monsignore", schüttete ihm Lison alsbald ihr Herz aus, ich bedarf wieder Ihres geistlichen Rates, aber sehrt>iSkrct unter dem Siegel des Beichtgeheimnisses. Ich bin überaus unglücklich." Der Pater fuhr wie nut einer segnenden Gebärde über ihr Haar und sagte mild: Meine Tochter, die Kirche ist der Zufluchtsort oller Be ladenen und Kummervollen und wenn es in der Macht unseres Ordens steht zu helfen,. Ich weiß," nickte Lison.Graf Lerchcnfeld, der Sie mir empfohlen, sagte mir, er habe wunderbare Zeichen von der Macht Ihrer Brüder über die Herzen. gesehen. Aber hier wird eS ganz schwer sein." 'Der Graf Lerchenfeld war in unserem Mutterhaus der Stella matutina erzogen, er lernte dort die erhabensten Geister unserer Gesellschaft kenften. Aber bevor sie sich sammelt meine Tochter zu einem Bekenntnis, worin ich ihr helfen soll, wird dies Gebet zur unbefleckteil Empfängnis ihren Geist er- leuchten." Und er drückte Lison ein aufgeschlagenes Gebetbuch in die Hand, faltete die Hände und schien selbst in andächtiges Beten zu versinken. Währenddein sah er aufmerksam in den Garten hinab, wo der Graf Morawitzky noch immer un- schlüssig hin und her ging. Lison war inzwischen zu ihrem Betschemel mit dem ewigen Licht davor geeilt und versuchte voll Inbrunst die feurig andächtigen Worte ihres BucheS. nachzubeten. Und sie empfand dabei wirklich eine Beruhigung, nämlich die immer sieghaftere Gewißheit, daß Pater Laver, wie sie Crollalanza zu nennen, pflegte, wirklich imstande sei, ihr und Reinhard zu Helsen.' l

Dann setzte sie sich zu Füßen deS sie freundlich und vertrauensvoll anblickenden Mannes und begann ihre Beichte. Hochwürdcn, kennt Er hier in der Stadt den herzog- lichen Sekretär de Solms?" Und auf das bejahende Nicken: Er ist durch meine Schuld ins Unglück gekommen er ist zu stolz und feurigen Naturells und hat bei einem Konflikt mit seinem Chef(Crollalanza schielte. in den Garte») resigniert auf ein Amt, Las er braucht. Ich möchte, daß er cS wieder erhält. Was soll ich tun?" Auf Befragen deS Paters erzählte sie ihni den ganzen Hergang, soweit er ihr durch den Grafen bekannt ivar. Um die Lippen deS Jesuiten spielte ein feines und un- merkliches Lächeln. Er wiegte bedächtig den Kopf. Meine Tochter. eS ehrt ihr Herz und ihre reine Seele, aber sie macht sich Sorgen, wo keine find. Der Kavalier de Solms ist wirklich in übler Gesellschaft und hat eine linbegreif- liche Freundschaft für diesen nun verhafteten Studenten Peißer, der ein ganz arger Feind der menschlichen Gesellschaft ist, wie leider Gottes jetzt fast alle junden Aerzte und Studiosi. Nur diese Freundschaft hat den von Solms ins Unglück gebracht, aber er scheint nicht unlcnkbar zu fein. Er war früher ein guter Sohn der Kirche." Wie kann man ihn nur wieder zum Guten lenken?" Am ehesten könnte sie das selbst, meine Tochter. Der Kavalier de Solms, der gut erzogen war, ist jetzt ohne Ver- trauen zur heiligen Kirche. Aber.. Ich soll ihn sehen?" unterbrach klopfenden Herzens Lison,Sie kennen ihn! Sie bringen ihn mit?" Vor innerer Erregung war sie aufgesprungen und hatte den Priester bei beiden Händen gefaßt.. Dieser hielt ihren freudig erregten Blick ruhig aus und schüttelte den Kopf. Ich kenne ihn nur. soweit es meine Pflicht ist. die meiner Seelsorge anvertraute Herde zu kennen. Aber..." Sprechen Sie. sprechen Sie," rief die Sängerin voll neu aufflammender Hoffnung." Sie können ihm einen großen und wichtigen Dienst er- weisen und damit ihn retten und auf~ er lächelte etwas zweideutig.seine Dankbarkeit rechnen." Dann ftlhr er leiser fort: Man hat mir heute morgen Schriften gebracht, die ihn

schwer kompromittieren, wenn eS seine Vorgesetzten wissen. daß er sie besaß und studiert hat. Er ist wirklich in schlechter Gesellschaft gewesen. Wenn er diese Schriften..." Durch mich zurückerhält!" jubelte Lison, die sofort den Plan durchschaute.Pater Lader. Sic sind charmant, Sic sind aimable, nein. Sie sind incroyablc", und sie sprang ihm geradezu an den Hals und wirbelte mit ihm im Zimmer um- her, bis er erschöpft auf dem Ruhebett niedersank. Woher haben Sie die Schriften? Haben Sie sie hier?" Er wehrte ab. Ein Beichtkind, dem sein natürliches und reines religiöses Empfinden sagte, daß'solche Schriften im Haus nur Unglück. bringen können, hat sie der Kirche übergeben, um den Fehler gut zu machen, daß man sie vor der Polizei verstecken loolltc..." Ein Beichtkind! Regina!" Der Priester war trotz aller Beherrschung diesem feinen Empfinden nicht gewachsen. Aus seinen Augen las sie etwas wie Bejahung. Sie kennen Regina! Dieses Mädchen ist mitvcrwickelt. Oha, sie hat ihn ins Unglück gestürzt! Ah, diese Hexe! Wie ich sie hasse!" Lison sprudelte das hervor mit geballten Händen und blitzenden Augen, nun faßte sie einen Entschluß. Pater Lavcr, ich kann cS Ihnen nicht verschweigen jener Reinhard ist mir sehr viel wert und wenn Sie mir bei- stehen, ihn zu erringen, haben Sie meine ewige Dankbarkeit. Jeden Gegendienst, den Sie für die Gesellschaft Jesu wünschen. alles will ick) tun. Aber geben Sie mir die Schriften und lassen Sie Solms wissen, daß ich sie habe und daß alles von mir abhängt." In den: Gesicht des Professors trat ein kalter, berechjlcii- der Zug an die Stelle des bisher beharrlich festgehaltenen wohlwollenden Lächelns er stand auf, sah prüfend auf die heiße, von ihren Leidenschaften aufgepeitschte Frau und be- gann dann kühl und vorsichtig: Lison" er nannte sie plötzlich unverschämt vertraulich bei ihrem KosenamenSie haben mir wider meinen Willen ein großes und gefährliches Geheimnis entlockt. Den Vätern unserer Gesellschaft steht es ganz fern Politik zu de- treiben, wir haben nur einen Zweck, das Seelenheil und Wohl der sich uns Anvertrauenden zu behüten. Worts, folgt.)

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